In meiner Heimatstadt pflegte man die nette Tradition, alle fünf Jahre ein Sportfest zu veranstalten, auf dem viele Jungen und Mädchen Tänze und Turnübungen vorführten. Einmal goß es am wichtigsten Tag der Veranstaltung mit Kübeln. Erst nachmittags, als die Vorführungen beendet waren, hörte es auf zu regnen.
Eine Bekannte, die kurz zuvor ein Interesse an der Christlichen Wissenschaft gezeigt hatte, sagte vorwurfsvoll zu mir: „Du behauptest immer, Gott ist gut und Gott ist Liebe, und nun sieh dir das an! So viele Leute wünschten sich schönes Wetter, einige von ihnen beteten sogar darum, und was ist daraus geworden!“
Während ich ihren bitteren Worten zuhörte, kam mir ein Bibelvers in den Sinn, der sich auf Elias Erlebnis am Berg Horeb bezieht, als ihm aufgetragen wurde: „Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben.“ 1. Kön. 19:11;
Und das erinnerte mich an eine Erklärung Mrs. Eddys in Wissenschaft und Gesundheit: „Der menschliche Sinn mag sich wohl über Disharmonie wundern, während für einen göttlicheren Sinn Harmonie das Wirkliche und Disharmonie das Unwirkliche ist.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 563;
Wie oft hegen doch die sterblichen Gemüter eine völlig falsche Vorstellung von Gott, dem Guten. Wie oft wird Gott für die Launen der Natur, die scheinbaren Kapricen oder die vermeintliche Bösartigkeit der Materie verantwortlich gemacht. Wie oft verdeckt das Zeugnis der fünf körperlichen Sinne im menschlichen Bewußtsein die leuchtende Wahrheit, daß es in Gottes Reich keinen Sturm, keine Disharmonie, kein Problem gibt.
Diese falsche und irrige Vorstellung ist nicht nur absurd und täuschend, sie gibt uns auch das Gefühl, von Gott getrennt zu sein. Jede Unzufriedenheit, Bitterkeit oder Verärgerung, die wir aufgrund einer Ungerechtigkeit empfinden, hindert uns daran, unser Einssein mit der Quelle alles Guten — ja, mit Gott selbst — zu erkennen.
Manchmal mögen wir uns fragen, warum wir uns mit diesem oder jenem Problem auseinandersetzen müssen. Aber unsere Nöte sind lediglich die Resultate fehlerhaften Denkens. Sie zwingen uns, unsere Gedanken zu berichtigen. Folgender Satz aus einem Vortrag über die Christliche Wissenschaft ist mir im Gedächtnis geblieben: „Eine ungesunde oder falsche Vorstellung vom Guten mag zu einer verkehrten Vorstellung von Gesundheit führen.“ Mit anderen Worten, sie mag Krankheit verursachen. Und in diesem Sinne könnten wir folgern, daß eine falsche Vorstellung vom Guten oft eine falsche Vorstellung von Gerechtigkeit — also Ungerechtigkeit — bewirkt. Was bedeutet dies in der Praxis? Wenn die Menschen Gott für ihre Mißgeschicke und Fehlschläge verantwortlich machen — während Gott doch der Ursprung alles Guten, die Ursache allen Fortschritts und aller Harmonie ist —, dann mögen ihre falschen Gedanken in unglücklichen Erlebnissen Ausdruck finden und sie mögen sich weiterem Unglück und erneuter Ungerechtigkeit ausgesetzt sehen.
Diesem Dilemma kann man nur entrinnen, wenn man die falsche Vorstellung durch das richtige Verständnis ersetzt. „Wenn wir den falschen Begriff für den wahren ablegen“, lesen wir in Wissenschaft und Gesundheit, „und sehen, daß Sünde und Sterblichkeit weder Prinzip noch Fortdauer haben, dann werden wir verstehen lernen, daß Sünde und Sterblichkeit keinen tatsächlichen Ursprung und kein rechtmäßiges Dasein haben.“ ebd., S. 281;
Wir müssen uns nicht nur die Wahrheit über Gott, sondern auch über den Menschen klarmachen. Wenn wir die Tatsache begreifen, daß es ein Fehler ist, Gott irgend etwas anderes als reine Vollkommenheit zuzuschreiben — ein Fehler, der sich selbst bestraft —, können wir ebenfalls lernen, daß es sich nicht lohnt, unseren Mitmenschen negative Eigenschaften anzuhängen. Wir müssen davon überzeugt sein, daß derartige Mängel nicht zu ihrem wirklichen Selbst gehören, weil in Wirklichkeit alle Gottes Kinder sind; deshalb ist jede vernichtende Kritik an anderen Kritik an Gottes Werk.
Vielleicht ist es verhältnismäßig einfach, die Vollkommenheit der Kinder Gottes ganz allgemein als Tatsache anzuerkennen. Es fällt einem jedoch wesentlich schwerer, häßliche Charaktereigenschaften unserer Mitmenschen als nichts zu sehen, wenn man mit ihnen täglich in Berührung kommt, ob es sich nun um ein ungehorsames Kind, einen ungerechten Vorgesetzten oder einen ärgerlichen Ehepartner handelt. Aber auch in solchen Fällen gibt es keinen anderen Weg, den Irrtum zu berichtigen, als das falsche Bild zurückzuweisen und statt dessen den vollkommenen, von Gott erschaffenen Menschen zu sehen, wie ihn die Christliche Wissenschaft offenbart.
Mrs. Eddy schreibt: „Die große Wahrheit in der Wissenschaft des Seins, daß der wirkliche Mensch vollkommen war, ist und stets sein wird, ist unbestreitbar.“ ebd., S. 200; Oftmals sind wir bereit, diese Wahrheit zu bestätigen, wenn es um unser eigenes Selbst geht, aber wir müssen verstehen, daß sie auf jeden Menschen zutrifft.
Als ich ehrlich versuchte, den wirklichen Menschen zu verstehen und die richtige Vorstellung von ihm zu erlangen, half es mir sehr, das dunkle Bild des sterblichen Denkens, fälschlicherweise Mensch genannt, buchstäblich als nichts zu sehen, nicht ins Bewußtsein einzulassen und statt dessen das gottverliehene, geistige Wesen des Menschen, die wahre Identität jedes einzelnen, zu erkennen.
Bisweilen zeigt sich der Irrtum in aggressiver Form, und wir zögern, an dem richtigen Begriff vom Menschen festzuhalten, weil er genau das Gegenteil von dem ist, was uns die körperlichen Sinne vermitteln. Aber wir brauchen uns von den lügenhaften Suggestionen des sterblichen Gemüts nicht beeindrucken zu lassen. Die Christliche Wissenschaft schreibt dem Irrtum keine Wirklichkeit zu und spricht einem sterbliche Gemüt oder einer körperlichen Vorstellung vom Menschen jede wahre Existenz ab. Wir finden unsere Freiheit durch den erleuchteten Gehorsam gegen Gottes Mandat der Vollkommenheit, das in Christi Jesu Worten enthalten ist: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Matth. 5:48.
Wenn wir die Tatsache akzeptieren, daß es nur ein einziges unendliches Gemüt gibt, einen einzigen göttlichen Ursprung der Gedanken, werden wir Gottes vollkommene Idee, den Menschen, ganz selbstverständlich als Ergebnis erkennen. Und wir werden lebendige Zeugen dieser Wahrheit sein.
