Im Himmelreich — dem wahren geistigen Bewußtsein Gottes, das der Mensch besitzt — gibt es weder unbefriedigtes Sehnen noch freudlose Übersättigung. Jesus predigte über das Reich Gottes und erklärte, wie die Menschen es finden können, wenn sie es in ihrem eigenen wahren geistigen Sein suchen. Sein Verständnis vermittelte oftmals anderen so überzeugende Einblicke in die göttliche Wirklichkeit, daß ihr Leben sich völlig änderte und ihre körperlichen Leiden geheilt wurden. Wir können dieses Wirken des Christus — von dem manchmal gesagt wird, es bringe etwas vom Himmel auf die Erde und versetzte den Erdenbürger in den Himmel — jederzeit sofort für uns beanspruchen. Doch ehe wir den erquickenden Einfluß des Christus selbst erleben können, muß es uns nach ihm verlangen.
Wir müssen unser Verlangen pflegen, wir dürfen es weder unterdrücken noch versuchen, es allein durch die körperlichen Sinne zu befriedigen. Vielmehr muß das rechte Verlangen vom erlösenden Christus vertieft und gefestigt werden.
In der menschlichen Gesellschaft schlägt Unterdrückung oft in Nachsicht über. Eine Autorin unserer Zeit bemerkt in einer Schilderung der siebziger Jahre: „Wir erlaubten uns viel Vergnügen und vermieden jede Selbstverleugnung. Wir gaben jeder vorübergehenden Laune widerstandslos nach und übten nur ungern Enthaltsamkeit.“ Suzanne Britt Jordan, „The Joy of Abstinence“, Newsweek, 25. Februar 1980. Und dann stellt sie im Hinblick auf die Zukunft eine Frage, über die wir vielleicht selbst nachdenken sollten: Stellen wir uns auf Armut und Mangel ein, und lassen wir das alte Syndrom „Armut = Frömmigkeit“ wieder aufleben? Ist ständige Selbstverleugnung das Mittel gegen augenblickliche Befriedigung?
Wir brauchen uns in diesem Dilemma der Materialität nicht zu verfangen. Aber wir müssen jedes Verlangen prüfen, das wir verspüren. Können wir, wenn es unerfüllt bleibt, ein mehr oder weniger freudiges, geistiges Leben führen? Oder bringt uns seine Befriedigung Gott und Seinen Kindern näher? Verlangen kann und wird gestillt, so daß es der Liebe dient und uns drängt, zu segnen und zu heilen. Ein solches geläutertes Verlangen erfüllt uns mit dem tiefen Wunsch, einander vor unglücklichen Erfahrungen zu bewahren. Es könnte uns niemals auf Wege leiten, die zu nichts führen, oder uns für einen anderen zur Versuchung werden lassen.
Wohl kaum jemandem ist unerfülltes menschliches Sehnen unbekannt. Je größer der materielle Reichtum ist, je stärker die Freuden der Sinne empfunden werden, desto verzweifelter kann bisweilen das Verlangen sein. Kein Land ob entwickelt, unterentwickelt oder unentwickelt — verspricht seinen Bürgern Freiheit von unbefriedigten Wünschen. Weder ein Überfluß an materiellen Dingen und kulturellen Möglichkeiten noch ihr Mangel — den einige für beneidenswerte Unkompliziertheit und Unverfälschtheit halten — ist an sich befriedigend.
Oft ist gerade das Sehnen ein Zeichen dafür, daß der Christus am Werk ist — das wahre Wissen von Gott, Geist, das uns einen Blick in den Himmel gewährt, der die Freuden der Welt wahrhaftig verblassen läßt. „Über der Materie wölbte sich nicht mehr ihr Regenbogen der Verheißung“ Rückblick und Einblick, S. 23., schreibt Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, in der Schilderung ihrer eigenen Erfahrung. Interessanterweise gab sie diesem Artikel den Titel „Der Aufstieg zum Licht“. Später, als sie dieses Licht der geistigen Wirklichkeit klarer erkannte, schrieb sie ein Gedicht mit dem Titel „Zufriedenheit“, das schon vielen geholfen hat, den Weg zu einer Zufriedenheit zu finden, die sie wohl kaum für möglich gehalten hätten. Es endet mit dem folgenden Vers:
Die Zeiten gehn, Gott bleibt bestehn
In Herrlichkeit;
In Ihm stets find, o Gotteskind,
Zufriedenheit.Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 161.
Wenn wir lernen, Gottes Willen zu erkennen und zu tun, finden wir Zufriedenheit. Wir gewinnen sie weder durch das menschliche Verlangen, das zunächst verherrlicht und dann gestillt wird, noch erlebt sie derjenige, der in Stolz und Leistung seine Belohnung sucht. Was uns zufriedenstellt, ist die Erkenntnis, daß alle Herrlichkeit Gott gehört.
Diese Art von Zufriedenheit können wir nicht einfach dadurch erreichen, daß wir es ablehnen, in der Materialität zu schwelgen. Das würde im kommenden Jahrzehnt ebenso wenig genügen wie damals, als die Kolosser gefragt wurden: „Was lasset ihr euch denn Satzungen auferlegen. ..: Du sollst das nicht angreifen, du sollst dies nicht kosten, du sollst jenes nicht anrühren? ... es sind der Menschen Gebote und Lehren, die einen Schein von Weisheit haben durch selbsterwählte Frömmigkeit und Demut und dadurch, daß sie des Leibes nicht schonen, nicht aus Ehrfurcht, sondern um des Fleisches Gelüsten zu dienen.“ Kol. 2:20–23.
Die tiefgehende Selbstverleugnung, die gefordert wird, ist viel mehr als die eine oder andere Form materieller Enthaltsamkeit. Zur Selbstverleugnung, die zu wahrer Zufriedenheit führt, gehört die Erkenntnis, daß Gott tatsächlich Alles und der Mensch der Ausdruck Seiner Allheit ist. Männer und Frauen erkennen durch den Christus ihr wahres Sein und finden Erfüllung, wenn sie Gottes Willen tun; dann versagen sie sich nichts Wirkliches oder Wertvolles durch Selbstverleugnung, sondern gewinnen als Gottes Widerspiegelung das wahre, zufriedene Wesen des Menschen.
Das besagt nicht, daß die Christliche Wissenschaft die Lehren des Kreuzes ignoriert und eine angenehme Abkürzung zur Seligkeit des Himmelreichs bietet. „Das Christentum ist nicht überflüssig”, schreibt unsere Führerin, Mrs. Eddy. „Seine erlösende Kraft zeigt sich in schweren Prüfungen, Selbstverleugnungen und Kreuzigungen des Fleisches.“ Vermischte Schriften, S. 107.
Wie Christus Jesus, unser Wegweiser, bewies, müssen wir das sterbliche Selbst ablegen, wenn wir Gottes Willen tun wollen. Gewiß verlangt es von uns, daß wir den Wunsch nach augenblicklicher materieller Zufriedenstellung aufgeben, der im vergangenen Jahrzehnt so überhandgenommen hat. Aber uns erwartet weit mehr als ein spartanischer Lebensstil — obwohl er dazu gehören mag.
Die Menschheit wird lernen, Gott zu preisen und zu ehren, und durch das Verständnis Seiner Allerhabenheit und Allmacht erkennen, daß Er es ist, der ihre Wünsche formt und belebt. Sie findet Zufriedenheit in dem, was Gott verherrlicht. Und durch nichts anderes.
