Wenn wir dem sinnlichen Menschen, dem Rauschgiftsüchtigen oder Alkoholiker helfen wollen, müssen wir die Reinheit und Unschuld des Menschen als Gottes Ebenbild so klar erkennen, daß uns die verschiedenen Erscheinungsformen der Sünde nicht beeindrukken. Wir müssen beweisen, daß diese Unwirklichkeiten nichts, kein Teil des Menschen sind. Als erstes müssen wir die wahre Identität des einzelnen als von der Lüge unberührt sehen, und dies hilft uns zu erkennen, daß wir es mit einer falschen Annahme vom Menschen zu tun haben.
Sünde ist ebenso unwirklich wie Krankheit, denn beide sind Irrtümer, d. h. falsche Behauptungen über Gottes vollkommenen Menschen. Ein Irrtum ist immer unwirklich, aber für die materiellen Sinne scheint es verschiedene Grade der Unwahrheit zu geben. Der geistige Sinn allein beweist, daß jeder Irrtum eine Illusion ist, nicht mehr und nicht weniger — der Irrtum ist einzig und allein die Lüge, daß es etwas im Gegensatz zu Gott, Wahrheit, gebe.
Mrs. Eddy erklärt in Wissenschaft und Gesundheit: „Sünde und Krankheit werden beide durch ein und dasselbe Prinzip geheilt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 406. Wenn wir uns bemühen, zu demonstrieren, daß Krankheit nichts ist, wo immer sie auch erscheinen mag, es aber vermeiden, den Illusionen von Sünde, denen wir uns gegenübersehen, entgegenzutreten und sie zu meistern, so bedeutet dies, daß wir — der Annahme nach — der Sünde eine gewisse Wirklichkeit zusprechen.
Christus Jesus kam bei seinem Wirken mit Sündern in Kontakt. Als die Sünderin ihm die Füße waschen wollte, wehrte er ihr nicht, obwohl sie ihn tatsächlich berührte. Simon, der Pharisäer, fragte sich, warum der Meister dies wohl gestattete, da dieser doch wußte, daß sie eine Sünderin war; Jesus aber antwortete mit einem Gleichnis von zwei Schuldnern und zeigte damit, daß diejenigen, die am meisten verschuldet und deren Sünden vergeben sind, den Christus, die Wahrheit, am meisten lieben werden. S. Luk. 7:36-48.
Ein andermal, als Jesus im Hause Levis, eines neuen Nachfolgers, zu Tische saß, fragten einige Schriftgelehrte und Pharisäer seine Jünger: „Warum esset und trinket ihr mit den Zöllnern und Sündern?“ Und Jesus antwortete ihnen und der Welt: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder zur Buße, und nicht die Gerechten.“ 5:30-32.
In der Heiligen Schrift finden wir eine Reihe von Beispielen, wo Jesus Sünde und Sünder heilte. Durch diese Heilungen bewies er die Unwirklichkeit der Sünde. Er fürchtete sie nicht, noch mied er diejenigen, die sich in einem sündigen Dasein gefangen glaubten. Er bewies die Macht der Wahrheit über den Irrtum sowie die Machtlosigkeit der Sünde, den Menschen mental oder körperlich herabzuziehen.
Wir haben täglich dieselbe Gelegenheit, uns bewußt zu sein und im stillen daran festzuhalten, daß der Mensch rein und von Sünde frei ist. Dann werden wir dazu beitragen, die Illusionen von Sünde und einem Sünder zu zerstören.
Der Mensch Gottes ist zum göttlichen Ebenbild geschaffen und ist heilig. Es gibt in Wirklichkeit keinen anderen Menschen. Es gibt kein sterbliches Gemüt, das sich der Sünde bewußt ist, und keinen sterblichen Menschen, der sündigt. Wenn wir nicht verstehen, daß wir eine böse Suggestion und nicht einen Sünder herausfordern, mögen wir versucht sein, jemanden zu meiden, der seine wahre Identität sucht. Die Sünde oder den Sünder zu fürchten bedeutet, an die Wirklichkeit einer Lüge zu glauben. Aber im Denken daran festzuhalten, daß es keinen Irrtum gibt, hilft demjenigen, der mit sterblichen Irrtümern kämpft, sich zu einer mehr geistigen Anschauung vom Leben zu erheben.
Mrs. Eddy schreibt: „Das Heilen von körperlicher Krankheit ist der kleinste Teil der Christlichen Wissenschaft. Es ist nur der Weckruf zum Denken und Handeln im höheren Bereich der unendlichen Güte. Was die Christliche Wissenschaft mit allem Nachdruck anstrebt, ist das Heilen von Sünde; und diese Aufgabe mag zuweilen schwerer sein als das Heilen von Krankheit, da die Sterblichen zwar gern sündigen, doch nicht gern krank sind.“ Grundzüge der Göttlichen Wissenschaft, S. 2.
Die Gegenwart der Christus-Kraft in unserem Bewußtsein, die uns den Menschen als Gottes Schöpfung, als rein und sündlos, erkennen läßt, gibt uns das Licht, das anderen Heilung bringt. Der Gegenwart des Christus, der wahren Idee Gottes, kann keine Unheiligkeit standhalten. Wenn wir in dem Licht des Christus einen Schimmer von unserer Reinheit erhaschen, legen wir viel eher die Lüge über uns selbst ab und suchen unsere wahre vom Bösen Unbefleckte Identität zu erlangen. Daher kann unsere christliche Liebe, die wir jemandem, der mit sich ringt, erzeigen, Heilung bringen; unser eigener moralischer Fortschritt wird dadurch gefördert, denn wir haben uns geweigert, die Lüge zu glauben, daß es tatsächlich einen sündigen Sterblichen gebe. Die folgenden Worte eines Kirchenliedes veranschaulichen die Macht der christlichen Liebe:
Ein leises Wort, ein warmer Blick
Berühren sanft das Herz,
Und so erquickt, macht es sich frei
Von Sünde, Hader, Schmerz.Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 303.
In den Vermischten Schriften berichtet Mrs. Eddy über ihren Besuch von Präsident Garfields Mörder; sie schreibt: „Er war sich seines Verbrechens nicht bewußt, vielmehr hielt er seine Tat für gerecht und sich selbst für ein Opfer. Meine wenigen Worte rührten ihn, er sank kraftlos und bleich auf seinen Stuhl zurück, seine Geschwätzigkeit hatte aufgehört. Der Wärter dankte mir und sagte: ,Andere Besucher haben ihm Blumen gebracht, aber Sie haben ihm gebracht, was ihm guttun wird.' “ Verm., S. 112.
Wenn sich uns die Suggestion von einem sündigen Sterblichen aufdrängt, veranlaßt uns die Christliche Wissenschaft nicht, ihr auszuweichen oder sie zu fürchten, sondern den Menschen so zu sehen, wie er in Wahrheit ist. Je mehr wir uns der christusgleichen Identität des Menschen bewußt sind, desto weniger werden wir wahrscheinlich die Lüge glauben, die sich ein Sünder nennt. Wenn wir uns nicht für die Wahrheit über den Menschen einsetzen, mag dies ein Zeichen dafür sein, daß wir zögern, sündige Suggestionen aus unserem eigenen Bewußtsein zu entfernen. Unsere Aufgabe bestünde dann darin, die Gegenwart der Sünde zu leugnen und durch Gebet die Allheit und Ewigkeit der Vollkommenheit zu bestätigen.
Die Sünde verspricht den Sterblichen Glück, Erfolg und Freude; wenn wir jedoch erkennen, daß es keine Freude in der Materie, sondern nur im geistigen Leben gibt, helfen wir denjenigen, die von der Sinnlichkeit und Materialität loskommen möchten, aber glauben, nicht die moralische Kraft dazu zu besitzen.
Unsere klare Erkenntnis der Quelle wahren Glücks wird auch jenen helfen, die sich in den Traum von Genuß in der Sünde einlullen ließen. Wenn wir sündige Suggestionen in uns selbst überwinden, sind wir besser ausgerüstet, dem hypnotischen Einfluß der Sünde auf andere entgegenzutreten und seine Unwirklichkeit zu erkennen. Sowohl körperliche als auch moralische Mißgestaltungen sind falsche, verkehrte Begriffe des materiellen Denkens, und beide können durch die Kraft des Christus, der Wahrheit, überwunden werden.
Wenn sich jemand aus der Dunkelheit der Sünde erhoben und bis zu einem gewissen Grade seine wahre Identität erkannt hat, können wir zu seinem weiteren Fortschritt beitragen, indem wir verstehen, daß der Irrtum niemals das Sein des Menschen berührt hat, und wir ihn nicht als einen ehemaligen Sünder im Gedächtnis behalten.
In Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn hegte der Vater keinen Groll gegen seinen Sohn, noch brachte er ihn mit einer sündigen Vergangenheit in Zusammenhang. Dadurch, daß Jesus zeigte, wie der Sohn als ein rechtmäßiger Erbe willkommen geheißen wurde, deutete er auf die absolute Reinheit des Menschen hin, der niemals eine Spur von Sünde in sich trägt. Die Selbstgerechtigkeit möchte argumentieren: „Das hätte ich dir vorher sagen können“ oder: „Erwarte kein Mitleid von mir“, doch der Christus erkennt Sünde niemals als eine gegenwärtige oder vergangene Wirklichkeit an.
Die Allheit und Einheit des göttlichen Gemüts ist die geistige Tatsache, die den Glauben an ein endliches, menschliches Gemüt auslöscht, das imstande ist, Sünde zu erzeugen oder zu verursachen. Gott schuf den Menschen frei, sündlos; und wir haben das Recht, dieses Erbe für uns zu beanspruchen und zu demonstrieren.
Mit derselben Wahrheit, die beweist, daß der Mensch unmöglich von Krankheit befallen werden kann, beweisen wir auch, daß die Sünde die wirkliche Identität des Menschen unmöglich zu beflecken vermag. Beide sind trügerische Gedankenbilder, die durch die Vollkommenheit und Unschuld des Menschen ersetzt werden müssen. Wir können dieser Lüge von Sünde und Krankheit ebenso wirksam entgegentreten wie David dem Goliath, und wir können sie zerstören.