Der Krieg in Vietnam war in vollem Gang; ich mußte damit rechnen, eingezogen zu werden, und mein privates Leben sowie meine Aussichten für die Zukunft schienen ziemlich trostlos zu sein. Depression, Verzweiflung und ein Gefühl der Nutzlosigkeit überkamen mich. Beinahe als letzten Ausweg las ich Christi Jesu Bergpredigt, die in meiner Kindheit im Mittelpunkt meines Religionsunterrichts gestanden hatte. Die strikten Forderungen und Bedingungen dieser Lehren begannen sofort, Ordnung und Zielbewußtsein in mein tägliches Leben zu bringen.
Obwohl ich nicht als Christlicher Wissenschafter aufgezogen worden war, hatte ich doch gelegentlich eine Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft besucht, denn meine Eltern meinten, daß diese Kirche von all den Kirchen, die sie kannten, die einzige war, in der die Kinder etwas über die Bibel lernten. Aber ich hatte an dem, was gelehrt wurde, niemals ein rechtes Interesse gefunden, und als ich heranwuchs, kirchliche Institutionen abgelehnt, weil sie zu sehr einengten und begrenzten. Doch jetzt, wo mein Wunsch, die Bibel zu verstehen, immer stärker wurde, erinnerte ich mich daran, daß die Christliche Wissenschaft behauptete, die geistige Bedeutung der Heiligen Schrift zu erschließen. Ich begann das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, zu lesen, und meine Unruhe und Frustration sowie Selbstmordgedanken verschwanden allmählich.
Ich gab mein Studium an der Universität auf und beschloß, mich als Kriegsdienstverweigerer zu melden. Dann bot sich mir die Möglichkeit, als Geschirrspüler in einem Sanatorium für Christliche Wissenschafter zu arbeiten. Und nun wollte ich diese Religion, die meinen Ausblick und meine Einstellung zum Leben so radikal änderte, näher kennenlernen.
Im folgenden Jahr verbrachte ich fast jeden freien Augenblick damit, die Bibel und Mrs. Eddys Schriften zu lesen; auch traf ich viele vorbildliche Christliche Wissenschafter, die sich liebevoll die Zeit nahmen, mir zu erklären, wie ich die geistigen Wahrheiten, die ich lernte, praktisch anwenden konnte. Ganz besonders inspirierte mich die natürliche und konsequente Einstellung zum Heilen im Sanatorium. Auch die Hingabe, Lauterkeit und Zielstrebigkeit der christlich-wissenschaftlichen Pflegerinnen und der übrigen Mitarbeiter beeindruckten mich sehr.
Während dieser Zeit begann man, mich um Hilfe durch Gebet zu bitten; und obwohl ich in jedem Fall nach bestem Können betete und jeder Patient geheilt wurde, hatte ich doch immer noch das Gefühl, nicht recht zu wissen, was ich eigentlich tat. Ich brauchte ein besseres Verständnis; und zu diesem Zeitpunkt hörte ich vom Klassenunterricht in der Christlichen Wissenschaft. Ich wandte mich an einen autorisierten Lehrer und nahm sehr bald an diesem Kursus teil. Ich lernte nicht nur die grundlegende Methode zur Behandlung von Kranken und Sündigen, sondern wurde auch mit den moralischen, geistigen und ethischen Gesichtspunkten dieser Heilarbeit vertraut.
Überzeugt, nun alles zu haben, was ich brauchte, unternahm ich Schritte, mich auf meine Karriere als öffentlicher Ausüber der Christlichen Wissenschaft vorzubereiten. Während dieser Zeit konnte ich auch mein Universitätsstudium beenden.
In den darauffolgenden Jahren hatte ich viele Kämpfe zu bestehen. Oftmals mußte ich Gelegenheitsarbeiten annehmen, weil das Einkommen aus meiner Ausübertätigkeit nicht genügte. Als ich heiratete, wurde die finanzielle Lage noch schwieriger; und in der ersten Zeit meiner Ehe arbeitete ich als Lkw-Fahrer, Vertreter, Verkäufer, Hausmeister, Busfahrer und Gärtner, um nur einige meiner Jobs zu nennen. Obwohl ich mich bemühte, jede dieser Aufgaben mit so viel Christlichkeit wie möglich zu erfüllen und mein Denken auf einem hohen geistigen Niveau zu halten, konnte ich mich doch eines Gefühls der Frustration und Entmutigung nicht erwehren. „Warum höre ich nicht endlich auf, halbe Sachen zu tun? Warum suche ich mir keine feste Anstellung? Das wäre viel einfacher!“ fragte ich mich immer wieder.
Dann erlebte ich etwas, was mir den Rest zu geben schien, sich aber als genau die Erfahrung erwies, die ich brauchte, um endlich einige der Fehler zu erkennen, die ich in meinem Versuch, mich ganz der öffentlichen Ausübung zu widmen, gemacht hatte. Mit der Geburt unserer Tochter schien alle Hoffnung auf eine Karriere als öffentlicher Ausüber zu schwinden, denn meine Frau, die bis dahin zu unserem Einkommen beigetragen hatte, mußte nun ihre Arbeit aufgeben. Wir beteten inständig, um zu wissen, was wir tun sollten. Während des ersten Monats stellten wir fest, daß unsere Tochter ein deformiertes Beinchen hatte. Das erhöhte die mentale Unruhe, die uns erfüllte. Wir hatten gearbeitet und gebetet, um zu verstehen, daß das, was wir als menschliche Geburt wahrnahmen, in Wirklichkeit die Entfaltung der bereits vollständigen, vollkommen entwickelten, geistigen Schöpfung Gottes war. Eine Ausüberin, die uns half, forderte uns jetzt auf, über die Stellen in Mrs. Eddys Schriften nachzudenken, in denen das Wort „lahm“ vorkommt. Eine dieser Aussagen in Wissenschaft und Gesundheit lautet: „Es ist nicht weise, eine lahme und halbe Stellung einzunehmen oder zu erwarten, daß man gleichmäßig mit Geist und Materie, Wahrheit und Irrtum arbeiten könne. Es gibt nur einen Weg, der zum geistigen Sein führt, das ist Gott und Seine Idee.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 167.
Als ich das las, wurde mir klar, daß ich in meinem Bemühen um die Ausübung eine „halbe Stellung“ eingenommen hatte. Ich sah, daß ich meinen geistigen Standpunkt mit größerer Bestimmtheit vertreten mußte, um unserer Tochter zu helfen. Ich hatte die Ausübung der Christlichen Wissenschaft zwar als eine gute geistige Arbeit angesehen, mich aber gleichzeitig für einen Sterblichen mit gewissen Bedürfnissen gehalten, denen man gerecht werden mußte. Betrachtete ich mich weiterhin für einen in Not geratenen Sterblichen, würde ich in Not bleiben. Ich mußte die geistige Tatsache verstehen, daß ich eine Idee Gottes war, die vollständig und unbegrenzt ist, und das gleiche auch für meine Frau und meine Tochter galt. Wir brauchten nicht für unseren Unterhalt so schwer zu arbeiten; er war bereits ein unveräußerlicher Bestandteil unseres Seins.
Aufgrund dieser Erkenntnis reichte ich ohne Furcht meinen Antrag auf eine Ausüberanzeige im Christian Science Journal ein; ich war mir dabei völlig bewußt, daß ein eingetragener Ausüber keiner anderen Berufstätigkeit nachgehen darf. Innerhalb weniger Tage war unsere Tochter vollständig geheilt, und heute ist sie drei Jahre alt, munter, gesund (und ausreichend versorgt). Seitdem hat meine Heilarbeit beständig zugenommen, und wir erleben immer mehr Beweise für Gottes unerschöpfliche Güte, in der Er uns mit allem versorgt, was wir täglich brauchen.
Während dieser schwierigen Zeit mußte ich unbedingt jede Hürde als Hilfe anstatt als Hindernis für die Ausübung sehen. Dadurch, daß unsere Ehe einmal gefährdet war, gewann ich eine festere Vorstellung vom Menschen als rein, heilig und zufrieden; und außerdem bereitete es mich darauf vor, kurz danach verschiedene Fälle erfolgreich zu behandeln, in denen eheliche Untreue, Geschlechtskrankheiten und Homosexualität eine Rolle spielten. In meiner Familie traten viele ernste körperliche Krankheiten auf, die mich zwangen, alles, was ich predigte, auch selbst zu beweisen; sie vertieften mein Mitgefühl und gaben mir mehr Geduld mit jenen, die furchtsam, entmutigt oder von Schmerzen geplagt zu sein schienen. Augenblicke völliger Hilflosigkeit dienten dazu, mein Vertrauen auf Gott durch größere Unschuld und Demut zu vereinfachen; und sie halfen mir, das Amt „des Ausübers“ nicht länger als etwas Anbetungswürdiges zu betrachten, sondern es als eine natürliche Tätigkeit zu sehen, in der praktisches Mitgefühl und Fürsorge zum Ausdruck kommen und Heilung erzielt wird — als eine heilige Mission.
Wenn ich heute auf meine Erfahrungen in der Christlichen Wissenschaft zurückschaue, kann ich mir kaum vorstellen, daß irgendein menschlicher Gedankengang zu einer so lohnenden Arbeit führen konnte wie der, mit der ich heute beschäftigt bin.