„Der langsame Rückzug der Religion vor dem Ansturm des weltlichen Denkens könnte einen Wendepunkt erreicht haben. Es mag noch zu früh sein, um von einem Gegenangriff zu sprechen. Doch der Zeitpunkt könnte kommen, an dem eine geschlagene und sich zurückziehende Armee zu spüren beginnt, daß ihr Verfolger langsam seine Kraft verliert und der schwächere geworden ist, ja womöglich bezwingbar, sollte es nochmals zu einem Kampf kommen...
Das wird u. a. darin bewiesen, daß religiös engagierte Menschen anscheinend gerade das glauben; und was Leute als wahr ansehen, kann wiederum die Umstände ändern...
Einige weltliche Philosophen ... halten es für notwendig, die Frage neu zu durchdenken, was Metaphysik sei, weil die Eigendynamik der Philosophie in diese Richtung weist. Wissenschaftler, besonders diejenigen, die sich über das eigenartige Verhalten subatomarer Teilchen den Kopf zerbrechen müssen, werden sich bewußt, daß auch sie metaphysische Annahmen über das Wesen der Masse und der Energie machen müssen und somit auch über das Wesen des Seins, und sei es nur, um Arbeitshypothesen für ihre Labortests aufzustellen.
Die Theologen, die dritte Kategorie von Denkern auf diesem Gebiet und diejenigen, die wohl am meisten profitieren könnten, scheinen von diesen drei Gruppen als letzte zu bemerken, wohin die Entwicklung geht. Zumindest sieht es bis jetzt so aus...
Die jüngere Geschichte scheint zu belegen, daß die Religion — ohne irgendwelche Metaphysik — nicht in der Lage ist, ihre Position gegenüber der agnostischen Skepsis zu behaupten. Wer bislang den Standpunkt vertreten hat, daß allein schon der Glaube an Gott genüge — ohne die notwendige Untermauerung durch eine philosophische Argumentation —, hat dem Ansturm philosophischer Zweifel nicht widerstehen können.
Der Glaube mag wohl ausreichen, um das Heil zu erlangen, aber nicht für die christliche Evangelisation und Apologetik, denn ernstgesinnte Leute werden Ideen nicht einmal diskutieren wollen, wenn sie sie für intellektuell diskreditiert halten.
Der Begriff und das Wort, Metaphysik‘ müssen erneut aus dem Papierkorb verworfener Ideen herausgeholt werden, für die unsere Gesellschaft keine Verwendung hat, es sei denn, in exotischen und bizarren Fällen.
In der Alltagssprache verbindet man mit diesem Wort die Vorstellung von Engeln, die auf einer Nadelspitze tanzen, oder man assoziiert damit die Halbmagik spiritistischer Sitzungen, von Levitationen, Aura und Astrologie. Wörter haben üblicherweise den Sinn, den ihnen die Menschen geben, aber die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, Metaphysik‘ ist noch so lebendig, daß es wieder zur gebräuchlichen Bedeutung zurückfindet.
,Metaphysik‘ bezeichnet das Studium der Realität, der grundlegenden Eigenschaften von allem, was existiert; sie beschäftigt sich ferner mit der Frage, welche Wahrheitsaussagen darüber gemacht werden können, daß Dinge überhaupt existieren...
Ob Gott existiert, ist eine metaphysische Frage; die Behauptung, er existiere nicht, ist eine metaphysische Behauptung. (Selbst die Behauptung, Metaphysik sei unsinnig — eine Frage, über die die weltliche Philosophie anscheinend ihre Meinung geändert hat —, wird nun als metaphysisches Urteil anerkannt; sie wird also in dem Augenblick durch die Hintertür wieder hereingelassen, in dem sie durch die Vordertür hinausgewiesen wird.)
Der Physiker kommt um die Metaphysik nicht herum, muß er sich doch fragen, ob seine Teilchen wirklich existieren.
Die allgemeine Einstellung ändert sich auf dieser fundamentalen Ebene mehr als auf irgendeiner anderen, zumindest in dem Ausmaße, wie sie die Möglichkeit für einen sinnvollen religiösen Diskurs eröffnet, ohne dabei an den eigentlichen Fragen vorbeizugehen. Mehr noch als die alte Spruchweisheit, die Wissenschaft habe die Religion widerlegt, hat der Religion nichts so sehr geschadet wie der allgemeine Eindruck, sie könne intellektuell nicht auf eigenen Füßen stehen.“
Nachdruck mit Genehmigung
An unsere Leser
Wir hoffen, daß die Spalte „Bei Licht besehen“ für unsere neuen und unsere langjährigen Leser des Herolds von Interesse sein wird.
Wir werden hier gelegentlich Auszüge aus der Presse, aus Büchern oder Zeitschriften abdrucken. Wir werden sie uns gemeinsam anschauen, mitunter werden die Schriftleiter dazu Stellung nehmen; ansonsten werden wir die Schlußfolgerungen Ihnen, dem Leser, überlassen.
In dieser Spalte wollen wir auf positive und negative Trends aufmerksam machen, die besonders für jene aufschlußreich sind, die glauben, daß aktives Gebet und vergeistigtes Denken sich auf unsere Welt auswirken.