Wir alle wünschen uns ein besseres Verständnis von dem Christus, der Wahrheit. Wie wir das Ziel verwirklichen, ist sehr individuell; doch viele haben festgestellt, daß ein regelmäßiges, systematisches Studium der Bibel und der Schriften Mary Baker Eddys, der Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr’istjən s’ajəns), außerordentlich fruchtbar ist. Mitunter jedoch wird solchem Studium entweder zuviel oder zuwenig Bedeutung beigemessen. Einige lassen sich so davon fesseln, daß sie für etwas anderes kaum mehr Interesse haben, während es andere entmutigen könnte, die sich unzulänglich vorkommen oder nicht wissen, wie man die Konkordanzen und andere Hilfsmittel benutzt.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dieses besondere Studium von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten. Warum befassen sich denn Christliche Wissenschafter mit den heiligen Wahrheiten in diesen Büchern? Was hoffen wir zu gewinnen? Was hat dieses Studium mit individuellem geistigem Wachstum zu tun?
Vor kurzem stellte ich mir einige dieser Fragen. Das Bibelstudium hatte mich mehr und mehr begeistert, und mit den vielen Hilfsmitteln, die wir haben, wie Bibelkonkordanzen, Kommentare und verschiedene Übersetzungen, war ich besser vertraut geworden. Dieses Rüstzeug, zusammen mit den zahlreichen Stellen aus der Heiligen Schrift, die Mrs. Eddy in ihren Werken untersucht, ließen das Erforschen der Bibel für mich zu einem wahren Abenteuer werden.
Am besten war jedoch, daß dieses Studium stichhaltige, neue Erkenntnisse über die Wahrheit von Gott und Seinem geistigen Sprößling, dem Menschen, brachte. Wie aber kam dies alles zustande? Wodurch führte dieses Studium zur unmittelbaren Kenntnis der Wahrheit?
Da ich gerade ein mehrjähriges Universitätsstudium abgeschlossen hatte, war ich von folgender Tatsache tief beeindruckt: Was sich vollzog, unterschied sich sehr von meinen Erfahrungen in der akademischen Welt. Ich wurde lebhaft an Mrs. Eddys Hinweis über geistiges Verständnis im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit, erinnert. „Dieses Verständnis“, sagt sie, „ist nicht intellektuell, nicht das Ergebnis gelehrter Errungenschaften; es ist die ans Licht gebrachte Wirklichkeit aller Dinge.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 505.
Ans Licht gebracht, aber wie? Durch die erlösende Tätigkeit des Christus im Bewußtsein, nicht durch intellektuelle Anstrengungen, durch Theoretisieren zur Wahrheit zu gelangen. Durch das Suchen nach höheren Beweggründen und einem besseren Leben, nicht nur durch ein Veredeln des menschlichen Denkens. Verständnis wird uns nicht dadurch zuteil, daß wir Gott um persönliche Weisheit bitten, noch durch bloßes abstraktes Lernen, sondern es ergibt sich aus unserem aufrichtigen Verlangen, das Gute zu erkennen und zu tun, aus unserem Streben nach Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit. Der Psalmist singt: „Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis.“ Ps. 112:4. Intellekt ist wichtig, jedoch nur als Mittel für eine grundsätzlich moralische und geistige Reise.
Der Mensch, zum Bild und Gleichnis des göttlichen Geistes geschaffen, ist vollkommen — ja muß es sein —, jetzt und immerdar. Der Wissenschaft des Seins zufolge spiegelt der Mensch das eine Gemüt, Gott, vollkommen wider, und daher besitzt er unendliche Intelligenz. Wie Gott, so ist auch der wahre Mensch weder von Zweifeln oder Vermutungen geplagt, noch grübelt er oder rätselt herum. Er bringt Gottes Wissen zum Ausdruck. Doch hat der größte Teil der Menschheit nur eine ganz schwache Vorstellung vom wahren Selbst des Menschen als Gottes vollkommen ausgestattetem Kind. Wir alle müssen zu dieser Wirklichkeit erwachen, um sie in vollerem Maße zu erleben.
Wir tun dies durch Gebet, indem wir Gott inbrünstig bitten, Ihn zu erkennen, und indem wir in unserem Denken jede neue Idee, die Er uns offenbart, festhalten, sie gewissenhaft anerkennen und hegen. Ferner stärken wir jede neu erlangte Erkenntnis, indem wir sie schnell in unser tägliches Leben mit einbeziehen. Dadurch, daß wir einen bestimmten Gedanken praktisch ausprobieren, finden wir bald heraus, wieviel wir wirklich verstehen — und wir beweisen, daß wir für mehr bereit sind. Wenn die Macht des Christus, der Wahrheit, tatsächlich dadurch bewiesen wird, daß wir Krankheit heilen und uns und andere von Haß, Habgier, Sinnlichkeit, Neid oder jeder versklavenden Sünde befreien, so belebt und inspiriert uns dieser unleugbare Beweis, daß Gott mit uns ist. Es macht uns immun gegen das verlockende Vergnügen, alles mit bloßem Intellekt zu erforschen.
Ferner festigt sich unser Verständnis vom Wesen Gottes — und somit auch von unserem Wesen als dem Geschöpf Gottes —, wenn wir uns in unserem Studium damit befassen, was Gott durch alle Zeiten zu anderen Männern und Frauen gesprochen hat. Die Bibel enthält so viele Weisheiten, und das Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, erleuchtet sie, indem es ihre tiefste Bedeutung enthüllt und ihre praktische, lebenspendende Botschaft ans Licht bringt. Diese Bücher eingehend und methodisch zu studieren ist unermeßlich segensreich. Mrs. Eddy gab uns dafür eine unschätzbare Hilfe, indem sie die wöchentlichen Lektionspredigten Im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft. vorsah, in denen beide Bücher gebraucht werden.
Bei unserem christlichen Studium dürfen wir nicht vergessen, daß es viel mehr in sich schließt als die Ausübung verschiedener mentaler Fähigkeiten. Sich in größerem Maße des Geistes bewußt zu werden hängt weniger von Gedankenvorgängen ab als von Charakterbildung. Wir „erlernen“ nicht die Wahrheit, vielmehr verdienen wir sie uns. Wir werden der Wahrheit würdig.
Doch wie? Abermals dadurch, daß wir mit Gebet anfangen, daß wir uns bei unserem Studium — und auch bei anderen Gelegenheiten — direkt und demütig an Gott wenden, um zu hören, was Er uns sagt. Dann müssen wir entsprechend handeln, das Böse bereuen, das sich in unserem Denken zeigen mag, und gewissenhaft dem vollkommenen Beispiel göttlicher Sohnschaft folgen, das Christus Jesus uns hinterlassen hat.
Wenn wir wahre Christliche Wissenschafter sein wollen, müssen wir uns voll und ganz dafür einsetzen und bereit sein, unser Gewissen streng zu prüfen und uns dem mentalen Ringen zu unterwerfen, das gewöhnlich von einem praktizierenden Christen verlangt wird. Und schließlich müssen wir die Wahrheit mit der Überzeugung und dem reinen Eifer demonstrieren, die Jesu erste Jünger und Nachfolger an den Tag legten.
Wir erlernen — und verdienen uns — die Lektionen der Wahrheit, wenn wir auf Gottes Botschaft lauschen und den Forderungen nach Wachstum, Reue und Wiedergeburt nachkommen. Mrs. Eddy versichert uns: „Leiden oder Wissenschaft, oder beides, werden uns in dem Verhältnis, wie wir uns ihre Lehren aneignen, den Weg weisen, den Prozeß abkürzen und die Freude, sich der Ordnung der göttlichen Liebe zu ergeben, vollenden.“ Vermischte Schriften, S. 213.
Es gehört zu unseren ersten Lektionen in der Liebe, die einfachen Tugenden wie liebevolles Interesse für unsere Mitmenschen, Nachsicht, Geduld, Vergebung zu üben. In dem Maße, wie unser moralischer Fortschritt sich beschleunigt, werden wir uns unwillkürlich immer mehr unseres liebevollen Vater-Mutter Gottes und unserer unzerstörbaren geistigen Beziehung zu Ihm bewußt.
Weisheit und die Kenntnis von Gott werden also nicht durch große intellektuelle Anstrengungen erworben. Sie erscheinen ganz natürlich als Teil einer bewußten Hinwendung zum Geist: „Wahrheit ist eine Offenbarung“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 117., heißt es im Lehrbuch, und Wahrheit tritt am deutlichsten in dem Bewußtsein zutage, das am willigsten ist, die Offenbarung zu empfangen. Wir könnten also das Studium nicht als einen Vorgang betrachten, in dem Fakten gesammelt werden, sondern als eine Vorbereitung, um in unserem Denken und Leben für die Wahrheit Raum zu schaffen. Wir können dann mit lebhafter Erwartung studieren und für jeden neuen Gedankengang empfänglich sein, anstatt uns an starre Formen zu klammern. Eine besonders eindrucksvolle Stelle in der Bibellektion mag uns beispielsweise auf die Spur damit zusammenhängender Erläuterungen bringen, so daß wir mit einer erweiterten, klareren Einsicht zur Lektion zurückkehren.
Vernunft bereitet den mentalen Boden für die Saat der Offenbarung vor. Sie arbeitet Hand in Hand mit dem erwachenden moralischen Sinn, sie erklärt die Eingebungen, die uns von Gott kommen, und hilft uns, die individuellen geistigen Ideen, wenn sie sich uns kundtun, besser zu verstehen und sie uns und anderen zu erklären. Vernunft wird wiederum in heilsamere Bahnen gelenkt, wenn sie sich mit selbstlosem Streben, christlicher Großmut und weltumfassender Barmherzigkeit vereint.
Systematisches geistiges Forschen trägt wesentlich zum individuellen Wachstum bei. Wir bedürfen weder einer besonderen Sachkenntnis, um daraus Nutzen zu ziehen, noch einer außergewöhnlichen mentalen Begabung. Alles, was wir brauchen, ist ein aufrichtiges Verlangen, Gott besser zu verstehen, Seinen Willen für uns zu erkennen und auszuführen.
Wie können wir aber sichergehen, daß wir den Intellekt dem göttlichen Gemüt unterordnen und ihn nicht als Trittleiter zu „gelehrten Errungenschaften“ benutzen? Zunächst sollten wir uns prüfen, ob wir lediglich versuchen, Wissen über die Wahrheit anzusammeln, oder ob wir uns bemühen, in die unmittelbare Gegenwart der Wahrheit zu gelangen. Wenn wir mit unserem Studium beginnen, ziehen wir dann mental unsere Schuhe von unseren Füßen und beugen uns vor dem Allmächtigen, oder sind wir zuweilen versucht, ein wenig stolz darüber zu sein, wieviel wir schon wissen? Ist es unser Ziel, den Christus-Geist aufzunehmen, den Christus direkt zum Herzen und Gemüt sprechen zu hören, die heilende Liebe des Christus in unserem Alltag zu leben?
Unser Erfolg beim Studium hängt weitgehend davon ab, wie wir die Wahrheit auffassen. Einige Nachfolger mögen beispielsweise die Offenbarung, die Mrs. Eddy hatte, als etwas betrachten, was sie jetzt lediglich „zu erlernen“ brauchen. Solch eine Einstellung könnte leicht zu geistiger Trägheit, uninspirierten, „Formeln“ beim Heilen, Starrheit und Verlaß auf lang überholte Vorstellungen von Gott führen.
Im Gegenteil, Mrs. Eddys Hinweise darauf, daß wir unsere eigene Erlösung ausarbeiten müssen und daß es ein Irrtum ist, zu glauben, wir würden indirekt durch die Anstrengungen anderer Fortschritte machen, deuten darauf hin, daß unsere Führerin beharrliches mentales Forschen für ihre Anhänger vorgesehen hatte. Sie scheint lebhaftes, schöpferisches Denken und diszipliniertes Suchen nach der Wahrheit erwartet zu haben, damit die ihr offenbarte Wahrheit auch ihren Nachfolgern offenbart werde. Sie spricht von ihrem eigenen Leben als Bahnbrecherin und sagt: „Die seltenen Gaben der Christlichen Wissenschaft sind kostbar, und sie haben Schlachtfelder erobert, vor denen der verwöhnte Dilettant geflohen wäre.“ Und weiter erklärt sie: „Kein anderer kann den Kelch leeren, den ich als Entdeckerin und Lehrerin der Christlichen Wissenschaft bis zur Neige getrunken habe, noch kann die Inspiration dieser Wissenschaft erlangt werden, ohne daß man diesen Kelch gekostet hat.“ Rückblick und Einblick, S. 30.
Es liegen sicherlich einige beschwerliche mentale Bergbesteigungen vor uns. Wir müssen die Höhen des Gemüts erklimmen, nicht mühelos in einem himmlischen Sessellift zu ihnen emporgleiten! Wir sehen, daß wissenschaftliches Erforschen der Heiligen Schrift und der Werke Mrs. Eddys weit mehr in sich schließt als das Beherrschen einer Sammlung bekannter Tatsachen oder das Durchdenken und Aufnehmen dessen, was sich ein anderer in dem Bemühen, Gott zu verstehen, erarbeitet hat.
Lassen Sie uns in die Unendlichkeit geistiger Möglichkeiten eintauchen. Der Horizont ist unbegrenzt. Wenn wir in demütiger Erwartung göttlicher Offenbarung an das Studium der Heiligen Schrift herangehen, werden wir leichter die inspirierten Höhen erlangen, die wir suchen. Wir werden von Augenblick zu Augenblick Wachstum in der Gnade erwarten. In dem Maße, wie sich aus jeder neuen Erkenntnis der Wahrheit eine Aufforderung zum Handeln entwickelt, geht unser Studium ganz natürlich in christlich-wissenschaftliches Leben über. Und jede neue Gelegenheit, die Wahrheit zu bezeugen, wird uns mit frischem Ansporn zurück zu unseren Büchern treiben.
Dann wird das Studium zu einer kostbaren Freude, einem Gefährten für Gebet und Ausübung, die uns auf dem Pfad des geistigen Lebens führen. Wir werden ständig geistige Fortschritte machen — und wir können heute beginnen.
