Es ist nicht verboten, die biblischen „70 Jahre” zu erreichen. Genausowenig ist es grundlegend falsch, ein Teenager, ein Kleinkind oder ein Mensch mittleren Alters zu sein. Überläßt man die Altersfrage jedoch den Launen des sterblichen Daseins, dann ist mit jeder Altersstufe eine Vielfalt von Nachteilen und Einschränkungen verbunden.
Das Leben wird oft dadurch belastet, daß man von manchen Dingen zu viel und von anderen zu wenig hat. Schuld daran ist jedoch nicht unser Alter, obgleich wir oft versucht sind, es als einen willkommenen Vorwand für die unangenehme Frage zu gebrauchen: „Welchen Wert, um alles in der Welt, hat mein Leben eigentlich für mich oder andere?”
Ja, der Wert! Immer überschattet diese Frage unser Leben. Als ich noch in die Grundschule ging, führte unser Biologielehrer, um den Unterricht zu beleben, mehrfach Zahlenmaterial an, das Aufschluß darüber gab, was der Körper wert wäre, wenn man seine mineralischen Bestandteile abwöge und ihren Marktwert ermittelte. Wenn ich mich recht erinnere, lag der Betrag jeweils unter zwei Dollar. Wir wußten alle, daß diese Zahlenspielerei ein Scherz war — eine Person besteht doch aus so viel mehr als dem Körper; und Freundschaft, Zuneigung und das Leben haben einen viel größeren Wert!
Doch Freundschaften können vergehen; es sieht vielleicht so aus, als ob menschliche Liebe auf dem Schlachtfeld der Untreue und Enttäuschung den Kürzeren zöge; und wenn körperliche Gebrechen drohend über der Zukunft liegen, scheint das Leben nicht mehr viel wert zu sein. Nach dem Bericht der Bibel muß es Hiob besonders schwergefallen sein, seine Verluste zu ertragen. Jakob, der lange in der Fremde lebte, muß eine Zeitlang mit Zweifel und Selbstverdammung gekämpft haben, ehe er bei Pnuël Gott erschaute. Und die Qualen aller Zeiten vereinten sich in einem einzigen Aufschrei, als Christus Jesus in Gethsemane betete und auf Golgatha litt. Siehe Mt 27:46.
So pathetisch wirken menschliche Umstände, doch das Ende dieser Berichte sieht anders aus. Hiob wurde gesund und erhielt alles Verlorene zurück; Jakob wurde sowohl mit seinem Bruder als auch mit Gott versöhnt; und Jesus bewies, daß der Christus, sein ewiges Selbst, ihn über das Toben des sterblichen Daseins zu neuem Leben und zur Einheit mit der göttlichen Liebe erheben konnte.
Ist es deshalb vermessen zu hoffen, daß unser Leben die gleiche machtvolle Umwandlung erfährt? Das wird nur dann wie ein Wunschtraum aussehen, wenn wir glauben, daß wir auf die Umwandlung in irgendeiner sagenhaften „Zukunft” warten müßten.
Vielleicht liegt die Lösung dieser ganzen Frage nach dem individuellen Wert eines jeden in dem, was wir den Sinn unseres Lebens nennen. Was wir tief in unserem Herzen als den Sinn unseres Lebens ansehen, das beschert uns Enttäuschungen oder Erneuerung und den schließlichen Sieg. Der Weg zum Sieg fängt bei dem an, was wir mögen, woran wir arbeiten und womit wir uns im Leben befassen. Wenn es die Suche nach der Wahrheit ist — nach der endgültigen geistigen Wahrheit —, dann werden unsere Tage von Gottes Gesetz bestimmt und umgewandelt. Dieser geistige Zweck und das ihm zugrundeliegende Wirken des Christus haben ihren Ursprung in Gott. Sie verändern das Wesen unseres Denkens und unserer Erfahrung, bis es nicht mehr eine materielle Masse ist, die anscheinend von der kalten, gefühllosen Leere materieller Bedingungen und Zufälle regiert wird.
Was aber soll man tun, wenn wieder ein Vierundzwanzigstundentag mit all seiner Routine und seinen Anforderungen vor einem liegt? Wir beginnen mit dem, was wir für wichtig halten, was wir lieben und erstreben. Genau das meinte Mrs. Eddy, als sie in Wissenschaft und Gesundheit davon sprach, wie wir richtige Ansichten über die Menschheit erlangen: „Nimm Reichtum, Ruhm und gesellschaftliche Einrichtungen weg, die nicht ein Jota in der Waagschale Gottes wiegen, und du gewinnst klarere Anschauungen vom Prinzip. Durchbrich das Cliquenwesen, gleiche Reichtum durch Ehrlichkeit aus, beurteile inneren Wert der Weisheit entsprechend, und du gelangst zu besseren Anschauungen über die Menschheit.” Wissenschaft und Gesundheit, S. 239.
Welch ein Auftakt zur geistigen Selbstentdeckung! Man muß Materialität und materiellen Glauben ausmerzen — mögen wir uns auch über lange Zeit an beide gewöhnt und sie liebgewonnen haben —, um den Menschen im Bewußtsein aufzurichten, der das Bild und Gleichnis Gottes, des ewigen Lebens, ist. Die Folge davon ist geistige Selbstprüfung. Sie wird Licht in die dunklen Winkel sterblicher Annahmen werfen — sterblicher Annahmen, die uns viel zu lange in den Begrenzungen und Enttäuschungen eines Denkens gefangenhielten, daß alle Lebensfragen in der Gewalt der Materie lägen.
Das Urchristentum weckte neue geistige Hoffnung und brachte geistige Erneuerung. Es wurde gezeigt, daß ein verkrüppelter Körper und ein versklavtes Gemüt nicht der unabänderliche oder unvermeidliche Zustand der Menschen sind. Und das Aufdämmern dieser neualten Botschaft erregte auch die Aufmerksamkeit derjenigen, die dann die ersten Anhänger der Christlichen Wissenschaft wurden.
Ganz gleich, in welcher Situation wir uns befinden mögen, wir haben heute, an diesem Tage, die gleiche zeitlose Möglichkeit, uns geistige Gesinnung und geistige Liebe zu eigen zu machen, die der Suche nach dem göttlichen Ursprung des Lebens neue Hoffnung und Energie geben. Hier entdecken wir unseren geistigen Lebenszweck. In tiefem Glauben können wir auf geistige Weise wissen, daß ein solcher Zweck seinen Ursprung bei Gott hat. Dieser Zweck kann uns auf praktische und vernünftige Weise dazu bewegen, hier ein bißchen mehr Liebe zu geben, dort etwas weniger Furcht zu haben, und anderswo neuen Mut und neue Kraft zu schöpfen. Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß diese mächtige Bewegung unser Leben formt, während wir nach einem größeren geistigen Verständnis von Gott suchen und anfangen, unsere Neigungen und Ziele im Licht dieses aufdämmernden Wissens zu überprüfen.
Ehrliche Selbstprüfung wird uns zu wirklichen Entdeckungen leiten und uns zeigen, was wir tun müssen, um ein erfüllteres, tätigeres und freieres Leben zu führen. Wie man das anfangen kann, zeigt uns Wissenschaft und Gesundheit: „Um uns über unseren Fortschritt zu vergewissern, müssen wir uns klarwerden, worauf unsere Neigungen sich richten, wen wir als Gott anerkennen und wem wir gehorchen. Wenn die göttliche Liebe uns näherkommt, uns teurer und wirklicher wird, dann unterwirft sich die Materie dem Geist.” Ebd.
Wenn das eintritt, werden wir eine Erneuerung an Leib und Seele erleben, die uns in Übereinstimmung mit Gottes Liebe und Gesetz bewegt. Mit diesem geistigen Verständnis kann man sicher sein, daß morgen ein schönerer Tag sein wird als heute. Ganz gleich, wie alt wir sind, unter dieser geistigen Herrschaft kann man viel erwarten und schon heute so vieles beginnen. Unser Leben wird dann wirklich in Gottes Hand liegen.