Ich unterhielt mich einmal mit einem Freund, der sehr besorgt war über, wie er es nannte, den mangelnden Ehrgeiz in seinem Leben. Er hatte so seine liebe Mühe, auf notwendige Ziele hinzuarbeiten, die er sich gesetzt hatte. Viele Projekte lagen halbfertig auf Eis. Und er hatte den Eindruck, daß er während dieser Zeit in seinem Beruf kaum erkennbar vorangekommen war. Statt dessen hatte er Enttäuschungen erlebt; ein Gefühl des Stillstands machte sich breit.
Sehr häufig verbindet sich für viele Menschen mit dem Begriff Ehrgeiz ein materialistischer, ichbezogener Lebensstil, der, so scheint es, gar nicht in das übliche Bild paßt, das man sich von einem christlichen Leben macht. Doch ist mein Freund ein hingebungsvoller Christ. Und was er in jener Lebensphase als mangelnden Ehrgeiz ansah, bedeutete für ihn eine sehr konkrete Herausforderung — eine Herausforderung an seinen inneren Frieden, sein Wertgefühl und an die Einschätzung seiner Nützlichkeit, und zwar so lange, bis er seine Auffassung über Sinn und Zweck des Lebens durch Gebet, wie es die Christliche Wissenschaft lehrt, vergeistigt hatte.
Je länger ich über diese Problem nachdachte, um so mehr drängte sich mir das Beispiel auf, das uns Christus Jesus gegeben hat. Ich war überzeugt, daß er das wahre, nachahmenswerte Vorbild für Ehrgeiz abgab. Sein Ehrgeiz war sicherlich nicht selbstsüchtig, noch wollte er damit seinem eigenen Ich dienen. Ebensowenig ging es ihm um Applaus oder bloßen materiellen Wohlstand und materielle Macht. Nein, sein Ehrgeiz bestand darin, unter allen Umständen Gottes Willen zu tun — alles hinzugeben im Dienste seines himmlischen Vaters.
Mir kamen Jesu Worte in den Sinn: „Ich tue allezeit, was ihm gefällt.” Joh 8:29. Was Jesus sich vornahm und vollbrachte, entsprach stets dem göttlichen Willen und Vorsatz. Er heilte die Kranken und weckte die Toten auf. Er tröstete die Leidtragenden und gab den Sündern ein neues Leben. Er speiste die hungrige Menschenmenge. Er stillte auch das Verlangen derer, die nach der Wahrheit dürsteten, und füllte die leeren Herzen, die der Liebe bedurften.
Der Ehrgeiz, den der Meister uns vorlebte, war von tiefer, wahrer Demut begleitet. „Ich kann nichts von mir aus tun”, sagte Jesus, und er fügte hinzu: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.” Joh 5:30. Jesus wußte, woher seine geistige Macht und Autorität kamen. In seinem Leben und in seinen Wünschen war Gott allerhaben. Jesus bewies, daß Gottes Reich nur Gottes Wesen kundtun darf. Gott ist gut. Deshalb bringt der von Gott erschaffene Mensch nur Gutes zum Ausdruck. Gott ist Geist. Somit ist der Mensch als Gottes Bild und Gleichnis eine geistige Widerspiegelung. Gott ist vollständige, vollkommene Liebe. Aus diesem Grunde ist der zu Gottes Ebenbild erschaffene Mensch heil und bekundet Gottes Liebe in vollkommenem Maße.
Jedesmal, wenn Jesus einen Kranken heilte oder einen Sünder erlöste, demonstrierte er diese Wahrheiten. In seinem Dienst an der Menschheit war Jesus bestrebt, allein das zu tun, was seinen Schöpfer verherrlichte, und dafür Zeugnis abzulegen, daß Gott seinem wahren Wesen nach göttliches Leben, göttliche Liebe und göttliche Wahrheit ist. Und mit diesem „Ehrgeiz” triumphierte unser Meister. Selbst als er ans Kreuz genagelt worden war und seinen letzten Atemzug getan hatte, ging sein selbstloses Werk weiter. Es folgten die Auferstehung und die Himmelfahrt; damit wurde der Menschheit über jeden Zweifel hinaus der Weg des göttlichen Lebens gezeigt. Jesus hätte keinen größeren Erfolg haben können als die Erfüllung der ihm von Gott übertragenen Mission.
Das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft, und Gesundheit von Mary Baker Eddy, zeigt uns, welcher Platz heute dem Ehrgeiz rechtmäßigerweise im Leben eines Christen zukommt. So stellen wir z. B. fest, daß „uneigennütziges Streben” dem „wahnwitzigen Ehrgeiz” gegenübergestellt wird. An einer Stelle wird in Wissenschaft und Gesundheit auf die Bedeutung rechter Ambitionen im menschlichen Leben deutlich hingewiesen: „Uneigennütziges Streben, edle Lebensmotive und Reinheit — diese Bestandteile des Denkens bilden, wenn sie sich vermischen, für den einzelnen wie für die Gesamtheit wahres Glück, wahre Stärke und Beständigkeit.” Wissenschaft und Gesundheit, S. 58. Durch das Studium des Lehrbuchs wird man schnell zu der Erkenntnis geführt, daß es notwendig ist, unser Denken, unsere Ziele und Beweggründe über alles Selbstsüchtige und über bloße Prestigesucht zu erheben. Über die Auswirkungen der Christlichen Wissenschaft auf unser Leben lesen wir im Lehrbuch: „Sie lehrt die Beherrschung wahnwitzigen Ehrgeizes. Sie offenbart die geheiligten Einflüsse der Selbstlosigkeit, der Menschenliebe und der geistigen Liebe.” Ebd., S. 462.
Es ist nicht falsch, es ist sogar ausgesprochen richtig, selbstlose Ambitionen zu haben, ja sie zu pflegen. Doch geht es hier um einen wichtigen Punkt: Daß wir nur das stärken, was gut ist, was unseren Nächsten besser erreicht und was von Gott stammt. Haben Sie den Ehrgeiz, Gott zu dienen? In vollerem Maße die wahre Beziehung des Menschen zu Gott zu demonstrieren? Christus Jesus gewissenhafter zu folgen? Ihrem Nächsten Freude, Liebe und Frieden entgegenzubringen? Ein christlicher Heiler zu sein? Das sind lohnenswerte, ehrgeizige Ziele. In der Tat, das sind Ambitionen, die das Leben lebenswert machen.