Gibson Winter, ein bekannter Geistlicher und Erzieher, spricht in seinem Buch Love and Conflict (Liebe und Konflikt) von der übergroßen Einsamkeit, die durch die Gesellschaftsform, in der viele Menschen heutzutage leben — eine vorwiegend städtische Gesellschaftsform — geschaffen wird. Er schreibt: „ ... Man kann einerseits allein sein, um Ruhe zu haben und sich zu sammeln. Das ist ein schöpferisches Alleinsein ... Andererseits gibt es eine Einsamkeit, die aus der Isolierung erwächst ... Es ist die Entfremdung des isolierten Menschen, der sich anonym in einer Menschenmenge bewegt.“ Love and Conflict: New Patterns in Family Life (Garden City, New York: Doubleday & Company, Inc., 1958), S. 180. Diese Frage der Einsamkeit, die Qual, von anderen getrennt, von Freunden und Familie abgeschnitten zu sein, muß von einer geistigen Perspektive aus angegriffen werden. Es ist wichtig, daß man dieses Problem mit einem Erbarmen und einem geistigen Verständnis anpackt, die wahrhaftig das Leben eines einzelnen aus diesem traurigen Zustand der Isolierung und Entfremdung herausheben können.
Die meisten von uns neigen wahrscheinlich dazu, Einsamkeit im Persönlichen Leben lediglich als eine Trennung von anderen Menschen zu betrachten. Aber allein die Tatsache, daß man Einsamkeit manchmal inmitten einer Gruppe oder einer Menschenmenge am stärksten empfindet und daß dieses Gefühl oft ganz unabhängig von persönlicher Gesellschaft überwunden wird, zeigt, daß das Problem nicht so einfach ist. Im wesentlichen kann Einsamkeit auf die Annahme zurückgeführt werden, daß der Mensch sterblich sei — daß er von Gott und Gottes Plan für den Menschen getrennt sei.
Wenn jemand unter Einsamkeit oder Heimweh leidet, dann sehnt er sich in Wirklichkeit nach etwas, was seinen Ursprung, seine Quelle, in Gott hat: Glück, Zufriedenheit, Sicherheit, innerer Frieden. Jede dieser Eigenschaften ist im Grunde ein Geschenk Gottes und muß als Beweis der Gegenwart und Güte Gottes im Leben des einzelnen ausgedrückt werden. Das ist eine tiefschürfende Erkenntnis, die sowohl im Alten wie im Neuen Testament zu finden ist. Genau diesen Punkt brachte der Psalmist zum Ausdruck, als er Gottes Tätigkeit folgendermaßen beschrieb: „Er sättigt die durstige Seele und [füllt] die Hungrigen ... mit Gutem.“ Ps 107:9.
Die meisten Menschen halten sich für sterblich und nehmen daher an, daß ihr Glück und ihre Zufriedenheit von ihrer Beziehung zu anderen Sterblichen abhängen. Aber die Bibel enthüllt, daß der Mensch geistig ist, daß er seinen Ursprung in Gott hat. Die Bibel zeigt, daß unser wahres Wesen unverletzlich ist, daß wir zum Bild und Gleichnis Gottes erschaffen sind. Diese geistige, unwandelbare Verbindung des Menschen zu Gott ist die Tatsache, die dem Sein des Menschen zugrunde liegt. Und wenn wir unsere geistige Beziehung zu Gott zur Basis unseres Glücks machen, stellen wir fest, daß Zufriedenheit und innere Ruhe dauerhafter und beständiger sind, als wir es je zuvor erlebt haben. Sie sind weder gefährdet noch verletzbar.
Hier ist vielleicht ein Beispiel hilfreich, das zeigt, wie dies auf die Frage der Einsamkeit praktisch angewandt werden kann. Vor einiger Zeit hörte ich, wie sich zwei Männer über eine Erfahrung unterhielten, die der eine von ihnen gerade gehabt hatte. Er sprach von einer Geschäftsreise nach New York und erzählte, daß er jeden Abend zur Dämmerstunde von einem akuten Gefühl der Einsamkeit überfallen worden sei. Er sah, wie manche Leute nach Hause eilten und andere zusammen zu Vergnügungen ausgingen, aber ganz gleich, was er tat, er konnte das Gefühl der Einsamkeit nicht loswerden. Er beschrieb diese Tage, die er fern von seinem Heim und seiner Familie verbrachte, als eine recht elende Zeit.
Nun erzählte der Bekannte, der bis jetzt zugehört hatte, von einer eigenen ähnlichen Erfahrung. Auch er war geschäftlich viel auf Reisen und daher für längere Zeit von zu Hause weg. Ich sage „ähnlich“, weil seine Erfahrung der seines Freundes nur bis zu einem bestimmten Punkt glich. Auch er hatte ein nagendes Gefühl der Einsamkeit gespürt und hatte sich selbst sehr bedauert. Aber dann nahm seine Erfahrung eine ganz andere Richtung: Er ging in der Stadt, in der er war, zu einer Mittwochabend-Zeugnisversammlung in einer Kirche Christi, Wissenschafter, und was er dort hörte, bewirkte von dem Zeitpunkt an eine bemerkenswerte Änderung in allem, was er dachte, tat und fühlte.
Freude war das Thema an jenem Abend, und es zog sich wie ein roter Faden durch die Lesungen aus der Bibel und dem Buch Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy sowie durch die Lieder, die Heilungszeugnisse und den spontanen Ausdruck des Lobes und der Dankbarkeit von seiten der Mitglieder und Besucher. Der Mann berichtete dann voller Begeisterung, daß dieses Erwachen zu wahrer Freude seine Erfahrung völlig geändert habe. Ihm wurde klar, daß er von der Quelle der Freude und Zufriedenheit nicht abgeschnitten werden konnte, weil er in Wirklichkeit nicht von Gott getrennt werden konnte. Er schloß seine Unterhaltung mit seinem Kollegen, indem er sagte, daß sich die Überzeugung, die er von seiner Untrennbarkeit von der Quelle der Freude gewonnen hatte, auf seinen darauffolgenden Reisen auf mannigfaltige Weise ausgedrückt habe. Nun, diese Unterhaltung half dem ersten Mann zu erkennen, daß er Gottes Güte und Gegenwart konsequenter anerkennen mußte und konnte.
Viele Menschen fürchten sich vor dem, was als einer der stärksten Angriffe der Einsamkeit angesehen wird — und womit wir konfrontiert werden, wenn ein geliebter Mensch von uns geht. Zu solchen Zeiten brauchen wir die Gewißheit, daß Gott, Liebe, ständig für jeden von uns sorgt, und zwar so, daß nichts den Ausdruck des ewigen Lebens unterbrechen kann. Wir können Mut fassen, denn Christus Jesus verhieß allen, die trauern: „Sie sollen getröstet werden.“ Mt 5:4. Und wir können daran denken, daß der Apostel Paulus trotz aller Enttäuschungen und Leiden in einem seiner Briefe Gott als den „Gott allen Trostes“ 2. Kor 1:3. bezeichnete. Sicherlich sprachen der Meister und der Apostel aus Überzeugung — einer Überzeugung, in die auch wir durch Gebet hineinwachsen können.
Eine mir bekannte Frau hatte eine Erfahrung, die zeigt, daß das möglich ist. Sie war über zwanzig Jahre glücklich verheiratet. Dann ertrank ihr Mann, als die ganze Familie an einem See im nördlichen Wisconsin auf Urlaub war. Der erste Schock war groß und traf die Familie, die so glücklich gewesen war, schwer. Alle Familienmitglieder hatten die Gesellschaft der anderen immer sehr geschätzt.
Zuerst dachte die Frau, daß sie sich von diesem Schlag nie erholen werde — daß sie allein und voller Furcht sei und nicht erwarten könne, jemals wieder glücklich zu sein. Sie hatte jedoch schon lange die Christliche Wissenschaft studiert und wußte, daß Gott die ewige Quelle unseres Lebens ist. Daher Konnte dieses Leben in Wirklichkeit nicht zerstört werden; nichts, was mit dem wirklichen Leben des Menschen zusammenhing, konnte verlorengehen — weder sie noch ein Mitglied ihrer Familie konnte etwas davon verlieren. Sie war auch sehr dankbar für die Erkenntnis, daß Gott die wahre Stütze ihrer Familie war und es immer gewesen ist und daß sie sich tatsächlich darauf verlassen konnte, daß Er auch weiterhin für sie alle sorgte.
Dadurch, daß sie aus tiefstem Herzen betete, wurde sie zur Erkenntnis dieser Tatsache geführt. Bloßer menschlicher Optimismus und der Versuch, die Ohren steif zu halten, wären offensichtlich zu einem solchen Zeitpunkt zu oberflächlich gewesen. Aber als sich jetzt ihr Denken mehr und mehr darauf konzentrierte, wie überaus wichtig Gott im Leben ihrer Familie war, kam ein tiefes Bewußtsein des Friedens und der Gelassenheit über sie. Sie sagte, sie habe die zärtliche und liebevolle Gegenwart Gottes spüren können. Und als sie das fühlte, verschwand aller Schmerz der Einsamkeit und des Verlusts.
Wir müssen verstehen, daß diese Erfahrung etwas von der Frau verlangte — sie mußte sich auf verständnisvolle Weise an Gott wenden; sie mußte demütig in Seine Gegenwart vertrauen, in Seine Fähigkeit, das zu erleuchten, was vom menschlichen Gesichtspunkt aus eine sehr traurige und freudlose Situation war. Sie mußte beständig gegen die Versuchung ankämpfen, sich selbst zu bemitleiden und trübsinniger Niedergeschlagenheit nachzugeben. Sie sagte, sie habe im Geist des Psalmisten aus tiefstem Herzen zu Gott beten müssen: „Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.“ Ps 51:14. Als sie willens war, das zu tun — sich von Gott zu einem besseren Verständnis Seiner Gegenwart führen zu lassen —, wurde ihr klar, daß sie gottgewollten Grund hatte, „Lobgesang statt eines betrübten Geistes“ Jes 61:3. darzubringen.
Nun, um den Bericht der Frau zu vervollständigen: menschlich gesehen, gab es selbst zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr wenig, was zu großen Hoffnungen Anlaß gab. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß in dieser Familie ein tiefes und lebendiges Bewußtsein ihrer Verbindung zu Gott am Werk war. Und sehr bald erlebten sie die praktischen Ergebnisse dieses Bewußtseins. Die vielen Einzelheiten, um die sich die Frau kümmern mußte, wurden ordnungsgemäß geregelt, ohne die Belastung durch emotionale Qual. Was immer sie auch brauchte — Informationen, neue Abwicklungen, Anordnungen jeglicher Art — alles war zur Hand. Sie wandte sich an Gott als die Quelle ihrer Fähigkeit — der Fähigkeit, verschiedene detaillierte Aufgaben durchzuführen, um die sie sich früher nie hatte zu kümmern brauchen. Sie wandte sich an Gott als die Quelle ihrer Versorgung — der Versorgung, die sie früher beiläufig als das Resultat der Arbeit und des Einkommens ihres Mannes akzeptiert hatte. Sie wandte sich an Gott als Quelle des Glücks für sich und ihre Söhne. Und sie fand all diese notwendigen Dinge unmittelbar an der Quelle.
Diese beiden Erfahrungen weisen auf die reichen Segnungen hin, die uns erwarten, wenn wir entdecken, daß das Problem der Einsamkeit auf geistige Weise gelöst werden kann. Die Antworten, die diese menschen in den Lehren des Trösters fanden, (den Mrs. Eddy zu Recht als die göttliche Wissenschaft bezeichnet Siehe Wissenschaft und Gesundheit 55:32–34.), bewirkten weit mehr, als lediglich in einer bestimmten Situation die Einsamkeit zu vertreiben. Denn sie lernten alle etwas Neues über des Menschen Beziehung zu Gott. Und als sie lernten, daß Freude und Gelassenheit, Freiheit und Nützlichkeit ihre Quelle in Gott haben, erlebten sie auch, daß diese Eigenschaften unwandelbar und immer vorhanden sind.
