Eine Frau streichelt zärtlich die Wange ihrer Mutter, die im Krankenhaus liegt. „Ich gehe nicht fort“, sagt sie; sie sitzt dann stundenlang am Bett und unterhält sich leise mit der Mutter, wie sie es schon mehrere Tage getan hat.
Ein Mann hört stundenlang zu, während sein Schwiegervater aus seiner Vergangenheit erzählt. Es sind Anekdoten, die im Laufe der Jahre besser und lustiger geworden sind.
Eine Tochter zeigt ihrem verwitweten Vater Schritt für Schritt, wie er seine Wäsche waschen soll.
Alle diese Menschen sorgen für Eltern, die im Alter der Fürsorge bedürfen.
Für unsere Eltern zu sorgen stellt oft Ansprüche an uns, auf die wir nicht vorbereitet sind. Es sind — körperlich und emotionell — Ansprüche, die ganz anders sind, als die, die an uns gestellt werden, wenn wir für Kinder oder außerhalb der Familie für jemanden sorgen. Vielleicht haben wir all die unzähligen Geschichten aus der Vergangenheit über. Der Anblick einer behinderten Mutter ist herzzerbrechend. Und die Eltern mögen sich im Alter gegen unsere Hilfe sträuben — weil sie ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben wollen. Gereiztheit, Gefühle von Belastung, Schuld und Furcht mögen plötzlich ausbrechen. Wir haben jedoch rechtmäßige Verpflichtungen, und unsere Liebe zwingt uns, den geliebten eltern zu helfen, die so lange für unsere Geborgenheit gesorgt haben. Oft wissen wir nicht genau, was wir tun oder wie wir es tun sollen.
Eins ist sicher — wir können beten. Wir können Gott, Liebe, um Kraft, Weisheit und Liebe bitten, damit wir auf die zärtlichste, heilsamste Weise tun können, was nötig ist.
Der Ausgangspunkt für unser Gebet ist unser Verständnis der eigenen geistigen Identität. Wir sind in Wirklichkeit keine von Gott getrennten Sterblichen, die versuchen, mit dem ganzen Drum und Dran des sterblichen Lebens fertig zu werden. Jeder von uns ist vielmehr das Kind Gottes — vollständig geistig —, und Er veranlaßt uns, von Seiner allwissenden, alliebenden Natur Zeugnis abzulegen. Der Mensch, den Gott geschaffen hat, ist vollständig, völlig aktiv und mit allem, was es in Gottes Schöpfung gibt, richtig verbunden. Diese göttlichen Tatsachen umfassen das menschliche Leben, und sie geben uns Kraft zur Erfüllung unserer Aufgaben, Intelligenz, um Entscheidungen zu treffen, und Liebe, um Lösungen zu finden und in jeder menschlichen Beziehung Erbarmen zu zeigen. Wenn wir die göttlichen Tatsachen des Seins erkennen und auf Gottes Führung lauschen, können wir unseren Eltern die beste Fürsorge angedeihen lassen.
Es ist wichtig, daß wir die geistigen Tatsachen über unsere Eltern verstehen. Dann sehen wir die Anforderungen aus der richtigen Perspektive. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß das, was die materiellen Sinne über eine Sache berichten, nicht der Wahrheit entspricht. Die Dinge sind nicht so, wie sie materiell erscheinen. Da die Wirklichkeit geistig ist, nämlich Gottes Offenbarung Seiner selbst, wird alles in Seiner Schöpfung von Ihm vollkommen regiert und versorgt. Der Augenschein körperlicher oder mentaler Unfähigkeit kann von dieser geistigen Perspektive aus geleugnet werden; er entspricht nicht der Wahrheit über Gott und Sein Ebenbild, den Menschen. Mrs. Eddy erklärt in Wissenschaft und Gesundheit: „Der Augenschein der physischen Sinne kehrt oft die wirkliche Wissenschaft des Seins um und schafft auf diese Weise ein Reich der Disharmonie, indem er der Sünde, der Krankheit und dem Tod scheinbare Macht zuerkennt; aber die großen Tatsachen des Lebens, richtig verstanden, besiegen diese Dreiheit der Irrtümer, widersprechen ihren falschen Zeugen und offenbaren das Himmelreich, die tatsächliche Herrschaft der Harmonie auf Erden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 122.
Wir können unseren Eltern keine spezifische Behandlung im Sinne der Christlichen Wissenschaft geben, wenn sie uns nicht darum gebeten haben, aber wir können durch Gebet die Gewißheit erlangen, daß sie ihren Platz in Gottes Reich haben, und so unseren inneren Frieden finden. Das segnet sie. Mrs. Eddy schreibt: „Wenn der Gedanke in Gott weilt — und er sollte, was unser Bewußtsein angeht, nirgendwo anders weilen —, müssen wir allen wohltun, die einen Platz in unserem Gedächtnis haben, sei es Freund oder Feind, und auf jeden muß dieser Segen ausstrahlen." Vermischte Schriften, S. 290.
Ich habe das im Kleinen selbst bewiesen. Nachdem ich einige Zeit bei meinem kurz zuvor verwitweten Vater verbracht hatte, mußte ich zu meiner eigenen Familie zurückkehren. Mein Vater, der noch von einem Autounfall geschwächt war, blieb allein in seinem Haus. Ich rief ihn natürlich regelmäßig an, und er erzählte mir, was er den Tag über getan hatte. Manchmal waren diese Berichte beunruhigend. Er erzählte mir, daß er bei starkem Wind spazierengegangen war und sich an einem Baum festhalten mußte, um nicht den Halt zu verlieren — oder daß er auf das Dach der Veranda gestiegen war, um es zu reparieren! Ich war Hunderte von Kilometern entfernt, und er war nicht geneigt, die Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, zu denen ich ihm riet. Obwohl ich dankbar war, daß er so viel Energie besaß und sich immer zu helfen wußte, mußte ich die große Besorgnis um seine Sicherheit überwinden. Ich machte mir auch Gedanken, weil er zum erstenmal ohne meine Mutter war. Nur durch Gebet fand ich meinen Frieden.
Es war ganz natürlich für mich, daß ich mich an die Lehren der Bibel wandte, wenn ich Heilung und Trost brauchte. Ich mußte daran denken, daß Christus Jesus Gott „Vater“ genannt hatte. Jesu Leben veranschaulichte eine sehr enge, praktische Beziehung zu seinem Vater; er vertraute darauf, daß Er gab, was nötig war, und die Menschen körperlich heilte und wiederherstellte. Ja, nirgends in der Bibel finden wir einen Hinweis darauf, daß Gott tatsächlich nicht oder nur mit Unterbrechungen für ihn gesorgt hätte. Jesus lehrte, daß wir alle den gleichen Vater haben, der unsere Nöte stillt. Er legte uns ans Herz, zu diesem himmlischen Vater zu beten. er beteuerte Gottes Liebe zu allen und lehrte, daß sich Gottes väterliche Fürsorge im täglichen Leben offenbart. Siehe Mt 6:6; Mt 7:7-11; Joh 14:16.
Mrs. Eddy erkannte, daß Gott sowohl Vater als auch Mutter ist. Eine Schülerin erinnert sich, daß Mrs. Eddy zu den Mitgliedern ihrer letzten Klasse sagte: „Auf menschlicher Ebene ist es gut, Gott als unseren Vater und unsere Mutter zu betrachten, die immer bei uns sind, uns alles geben, uns kleiden und ernähren, die uns alles geben, was gut und schön ist und für unseren menschlichen Körper sorgen. Aber in der Metaphysik ist der Mensch das Bild Gottes. Der Mensch war niemals ein Kind, das wachsen muß. In der Metaphysik spiegelt der Mensch alles wider, was Gott ist.“ Zitiert in We Knew Mary Baker Eddy (Boston: The Christian Science Publishing Society, 1979), S. 137.
Als ich zu verstehen begann, was es bedeutet, daß Gott unser aller Vater und Mutter ist, gewann ich die Überzeugung, daß mein Vater, ob er es wußte oder nicht, von seinem Vater-Mutter Gott versorgt wurde. Ich wußte, daß ich mich auf diese Fürsorge verlassen konnte. Es ist ganz natürlich, an Gottes väterliche und mütterliche Liebe zu denken, wenn wir an Seine Fürsorge für kleine Kinder denken. Aber als ich erkannte, daß der Mensch Sein Ebenbild und daher Gottes väterliche Fürsorge beständig, ewig und alles umfassend ist, war ich beruhigt und erleichtert. Mein Vater stand immer unter dem Einfluß seines Vater-Mutter Gottes. Durch Gebet und mein eigenes geistiges Wachstum konnte ich ihn denn am besten unterstützen. Mein Vater kam wieder zu Kräften. Schließlich heiratete er wieder, und ich war tief dankbar, daß er so gesegnet wurde.
Ich bin überzeugt, daß diese Wahrheiten auch auf Situationen anwendbar sind, die weitaus schwieriger sind als meine.
Was auch immer das Bedürfnis sein mag, unser Vater-Mutter Gott zeigt uns, was wir tun können, damit alle gesegnet werden.
