Erfahrung Hat eine Menge für sich. Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Willst du etwas über einen Weg erfahren, der vor dir liegt, so befrage die, die ihn schon gegangen sind.“ Die beiden Mütter, die die folgende Unterhaltung über das Vermitteln geistiger Werte durch die Erziehung aufgezeichnet haben, sind zugleich auch Großmütter; man könnte somit vielleicht sagen, daß sie über einen Weg berichten, den sie schon zweimal zurückgelegt haben.
: Ich habe mit vielen jungen Müttern gesprochen, die sich Gedanken darüber machen, wie man seinen Kindern geistige Werte vermittelt. Die Worte sind an sich schon etwas abschreckend — so, als ob die Werte von unserer Identität und unserem alltäglichen Handeln getrennt wären.
: Ich war mir sehr bewußt, daß Gott die Macht in unserem Hause war und daß sich die täglichen Regeln, die wir befolgten — jedenfalls die wichtigen — auf die Bibel und auf Christi Jesu Leben und seine Lehren gründeten. Ich wollte unsere Kinder so erziehen und wollte so für sie sorgen, wie Jesus Kinder liebte. Mir kam dieser Gedanke aufgrund einer Aussage, die Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit trifft: „Jesus liebte kleine Kinder, weil sie frei vom Unrechten und empfänglich für das Rechte sind.“ Nicht, daß sich unsere Kinder immer gut benommen hätten — sie waren so wie andere Kinder auch. Aber ich wußte, daß ihr Verhalten und ihr Wohlergehen zumindest ein besseres Vorbild hätte, wenn ich sie von dem Standpunkt aus liebte, daß sie von Natur aus gut sind. Sie haben sicherlich die Geschichte von dem Lehrer gehört, dem eine Klasse mit leistungsschwachen Schülern übertragen worden war, dem man aber gesagt hatte, sie seien besonders begabt? Der Lehrer behandelte die Kinder so, als wären sie begabt, und die Leistungen der Kinder verbesserten sich sprunghaft. Die Wirkung ist ähnlich, wenn man Kinder liebt, wenn man sieht, daß sie frei vom Unrechten und empfänglich für das Rechte sind. Das gibt ihnen die Freiheit, das zu sein, was sie aus geistiger Sicht schon sind.
Joanna: Gutes erwarten ist nicht das gleiche wie blinde Liebe aus nur gefühlsbetonter Anhänglichkeit oder aus Stolz. Es bedeutet auch nicht, daß man versucht, die Kinder dazu zu bringen, sich richtig zu verhalten oder sich geborgen zu fühlen. Erinnern Sie sich noch an all die vielen guten Ratschläge und Warnungen, mit denen Eltern überschüttet wurden, als unsere Kinder klein waren? Eins erschien mir jedoch sicher: Solche erstaunlichen Geschöpfe hätten unmöglich mein Werk sein können. Daher wußte ich, daß ich Gott fragen mußte, wie ich sie am besten unterweisen und lieben sollte — Er war ja als ihr Schöpfer für sie verantwortlich. Von diesem Standpunkt aus war die Elternrolle natürlich und möglich.
Emily: Haben Sie Ihren Kindern ganz gezielt etwas über Gott beigebracht?
Joanna: Als sie klein waren, las ich ihnen meistens einen Abschnitt aus der Bibellektion vor, bevor sie zur Schule gingen, oder zumindest sprachen wir über etwas aus der Bibel. Und wir lernten gemeinsam, wie man betet.
Apropos geistige Werte. Ich glaube, Kinder spüren intuitiv, ob sich ihre Eltern Gott wirklich nahe fühlen. Wenn ihnen Gottes Gegenwart wichtig ist, dann ist sie auch für die Kinder ein natürlicher und wichtiger Bestandteil der Familie. Ich weiß, daß wir nicht immer den hohen Anforderung der Bergpredigt gemäß gelebt, gesprochen oder gar gedacht haben. Wir haben da oft versagt, aber wir haben unseren Kindern ganz gewiß niemals etwas vorgemacht — daß wir mehr gewesen wären, als wir waren. Und ich bin mir sicher, daß es für uns alle eine große Stütze war, daß wir einen grundlegenden christlichen Maßstab hatten, nach dem wir uns richten konnten.
Emily: Bei uns zu Hause gab es während des Frühstücks mit Corn Flakes und Eiern einen Abschnitt aus der Bibellektion. Larry, mein Mann, ist kein Christlicher Wissenschafter, aber er stimmte mit mir darin überein, daß die Kinder geistige Nahrung brauchten. Das gehörte so regelmäßig zu unserem Frühstück mit dazu, daß einer unserer Söhne, als er erst zwei Jahre alt war, das Gebet des Herrn so sprach: „Unser tägliches Frühstück gib uns heute."
Dann besuchte uns eine Zeitlang ein Geschäftsfreund von Larry, wann immer er in der Stadt war. Als Dan das erste Mal zum Frühstück kam, sagte mein Mann: „Du willst doch nicht etwa Dan die Lektion vorlesen — oder?“ „Wenn er bei uns frühstückt, dann bekommt er auch die Lektion. Sie gehört zu unserem täglichen Brot." Und so saß Dan also da und hörte zu und sagte dann: „Danke schön!" Die Kinder sahen auch nichts Außergewöhnliches darin.
Als dann Jahre später die Kinder nicht mehr zu Hause wohnten, kam Dan noch einmal zu Besuch. Ich machte für ihn und Larry das Frühstück, und Dan sagte: „Und wo bleibt die Lektion?“ Ich erwiderte, daß wir sie nicht mehr zum Frühstück vorlasen — die Kinder waren ja aus dem Haus. Er meinte: „Ich habe aber meiner Frau erzählt, daß ich deswegen immer so gern bei euch war.“
Joanna: Oft nehmen wir an, daß es andere befremdet, wenn man über religiöse Dinge spricht oder die Bibellektion den Kindern vorliest. Doch wenn das in der Familie ein liebevoller Teil der Vorbereitung auf den Tag ist — nicht aus Aberglauben oder aus irgendeinem großen Pflichtgefühl heraus getan wird —, dann wird es eher akzeptiert. Das bedeutet nicht, daß es keinen Widerstand dagegen gäbe. Oft sagte eins unserer Kinder: „Ach, Mama, müssen wir das denn heute morgen lesen?“
Die Entscheidungen und das Durcheinander des Familienlebens können schon anstrengend sein. Eine junge Mutter sagte mir kürzlich: „Das Leben und die Metaphysik waren bis zu dem Augenblick einfach, als ich ein Baby bekam und Verantwortung trug. Da mußte ich mir darüber klar werden, worauf ich mich wirklich verließ — und was mit Gott konkret bedeutete. Wenn man mit Kindern zusammenlebt, muß man die Wahrheiten in die Praxis umsetzen. Man sieht die Schwierigkeiten ohne jede Illusion.“
Emily: Haben Ihre Freunde je Zweifel darüber geäußert, daß Sie sich bei der Sorge für Ihre Familie in allem auf Gott verließen?
Joanna: Verwandte und Freunde meinten, daß ich die Christliche Wissenschaft studierte, sei ja für bestimmte Dinge ganz in Ordnung, nicht aber für körperliche Beschwerden.
Emily: Eine Frage wurde mir immer wieder gestellt: „Aber was würden Sie tun, wenn sich eins Ihrer Kinder ein Bein bräche?" Diese Frage hörte ich so oft, daß ich darüber beten und meine Überzeugung prüfen mußte. Schließlich kam mir der Gedanke, daß eine Frage, die mit „Was wäre, wenn ...?" beginnt, auf der Voraussetzung beruht, daß unter bestimmten Umständen Gott nicht da ist. Meine persönliche, durch Gebet gewonnene Antwort lautete einfach und entschieden: „Gott ist!“ Wenn Freunde oder die Kinder die theoretische Frage „Was wäre, wenn ...?“ stellten, so wußte ich, daß die Tatsache, daß Gott ist, die wichtigste geistige Antwort darauf war. Für mich bedeutete das, daß Gott — göttlicher Geist, göttliches Leben, göttliche Liebe — zweifelsfrei existiert. Er hat immer alles unter Kontrolle, und nichts könnte Gott und den Menschen voneinander trennen.
Ich gewann immer mehr die Überzeugung, daß ich bei der Sorge für unsere Kinder zur rechten Zeit die richtige Antwort haben würde, da Gott ist. Vielleicht erinnern Sie sich an Mary Baker Eddys wunderbare Erklärung in den Vermischten Schriften: „Die Väterlichkeit Gottes als Leben, Wahrheit und Liebe verherrlicht Seine Allerhabenheit.“ Das ist die wahre Macht des Eltern-Gemüts, und sie stillt die menschliche Not stets auf angemessene Weise.
Und wissen Sie, wir haben dann erlebt, wie ein gebrochenes Bein allein durch Gebet, durch Verlaß auf Gottes Allmacht und Gegenwart, völlig wiederhergestellt wurde. Mac war im zweiten Schuljahr. An einem Sonntagnachmittag ging sein Vater mit ihm Schlittenfahren. Als sie loszogen, trug Larry den Schlitten; als sie kurz darauf zurückkehrten, trug er unseren Sohn. Macs Bein hing in einer unnatürlichen Stellung schlaff herunter. Er war mit dem Schlitten auf einen Hügel hinaufgestapft, als er von einem Rodelschlitten angefahren wurde, auf dem nur Erwachsene saßen. Offensichtlich war Mac schwer verletzt. Sein Bein war allem Anschein nach gebrochen.
Nun war also geschehen, wonach ich so oft gefragt worden war: Was würden Sie bei einem Beinbruch tun? Mein Mann war wunderbar. Er ließ einfach keine Furcht aufkommen. Ganz ruhig sagte er, wir müßten jetzt entscheiden, was in dieser Situation angebracht sei. Es müßte sofort etwas geschehen.
Larry hatte schon viele Male erlebt, daß die Kinder durch christlich-wissenschaftliche Behandlung schnell geheilt worden waren. Und so hatte er bereits die Gewißheit, daß sie zuverlässig ist. Mac, Larry und ich stimmten überein, einen Ausüber der Christlichen Wissenschaft anzurufen, der mit uns beten würde.
In jenem Augenblick war ich ganz fest davon überzeugt, daß wir uns völlig auf die Verheißung des geistigen Heilens, wie Jesus es praktiziert hatte, verlassen konnten. Ich wollte die allerbeste Betreuung für unser Kind, das ich ja so sehr liebte, und ich wußte aus Erfahrung, daß das geistige Heilen uns genau das geben würde. Es stand außer Frage, daß das geistige Gesetz die menschliche Not stillen würde. Ich hatte bis zu einem gewissen Grade verstanden, daß Gott ist; und daher wußte ich, daß Gott und Seine Idee unversehrt eins sind. Die Heilung mußte eintreten, weil uns das Gesetz der Allheit Gottes regierte.
Ich las folgende Worte von Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit: „Der Punkt, über den sich jeder zu entscheiden hat, ist der: Ist das sterbliche Gemüt ursächlich oder das unsterbliche Gemüt?" Wenn ich mich dafür entschied, daß Gott, das unsterbliche Gemüt, ursächlich ist, dann bestand das richtige Vorgehen darin, um das vorbehaltlose Verständnis zu beten, daß Gemüt, Gott, in dieser Situation die einzige Ursache war. Durch solch ein Gebet wird die Annahme ausgeschaltet, daß Unfall oder Furcht in Gottes Reich wahr sein können.
Ich hatte mich schon längst entschieden, dieses Kind so zu lieben, wie Christus Jesus Gottes Sprößling liebt — nämlich in seinem wahren Wesen als Gottes Sohn, allein als Ausdruck dessen, was recht ist, frei von allem Unrechten oder einem Unfall. Im radikalsten, geistigen Sinn ist nur Gott die Ursache einer Tätigkeit, und in der göttlichen Tätigkeit kommt nur Harmonie zum Ausdruck.
Demütiges Vertrauen, die bewußte Bekräftigung geistiger Tatsachen und geistiges Verständnis in der Christlichen Wissenschaft haben zur Folge, daß das menschliche Denken und die menschliche Erfahrung mit dem göttlichen Gesetz in Übereinstimmung gebracht werden. Auf diese Weise wird der Satz aus dem Gebet des Herrn „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden" in die Praxis umgesetzt. Aber nicht wir rücken die Dinge auf Erden zurecht, sondern die göttliche Ordnung des Himmels hat vor der irdischen Erscheinungsform den Vorrang. In diesem Zusammentreffen des Menschlichen mit dem Göttlichen befriedigt der Christus — „Gott mit uns" — das menschliche Bedürfnis.
Während ich im Gebet im wesentlichen diesen geistigen Gedankengängen folgte, machte Larry es Mac in seinem Bett bequem und legte ein Kissen unter sein Bein. Dann sprach ich mit Mac darüber, daß Gott ihn uneingeschränkt liebte und für ihn sorgte. Wir legten besonderen Wert darauf, für die geistige Natur des Menschen, für seine Gottesebenbildlichkeit, dankbar zu sein.
Gegen Abend waren die Schmerzen verschwunden. Sie traten nicht wieder auf, obwohl Mac zwei Wochen im Bett lag, bevor er wieder zur Schule ging. Ich war besonders dankbar für den Gedanken aus Wissenschaft und Gesundheit: „Schritt für Schritt werden diejenigen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen, finden, daß, Gott ... unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten' ist." Unser Vertrauen wurde sogar dahingehend belohnt, daß wir intuitiv wußten, wie wir unseren Sohn richtig pflegen mußten. Es war offensichtlich, daß die Heilung von Tag zu Tag voranschritt. Bald war sie vollständig eingetreten, und Mac konnte wieder frei und normal gehen. Kaum einen Monat danach nahm er am Schwimmunterricht im hiesigen CVJM teil. Später lief er viel Schlittschuh, und in der Oberschule und im College spielte er Basketball.
Joanna: Eine solche Heilung ist ermutigend. Mir scheint, es ging in dieser Situation weder um einen Kompromiß noch um Wagemut. Es ging ganz eindeutig um eine geistig intuitive Entscheidung, und diese Entscheidung stand im Einklang mit Ihrem täglichen Vertrauen auf das göttliche Gesetz und Ihrem Verständnis, daß der Mensch geistig ist.
Emily: Während dieser Zeit haben wir uns alle — die drei Kinder und wir Eltern — einander besonders nahe gefühlt und haben uns gegenseitig unterstützt. Doch weit wichtiger war, daß wir uns Gott ganz nahe fühlten. Wenn eine bestimmte Heilung vor sich geht, sind wir darauf bedacht, unser Denken richtigzustellen und es rein zu halten. Auf der körperlichen Ebene wurden die Knochen zusammengefügt, während wir uns mental und geistig Gott näherten und uns auch gegenseitig näherkamen.
Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, wie sicher ich mir der heilenden Gegenwart Gottes war, die durch den Christus offenbar wurde. Mitzuerleben, wie etwas, was ich selbst öfters bezweifelt hatte, durch christlich-wissenschaftliche Behandlung schmerzlos und vollständig geheilt wurde, war einfach wundervoll.
Die Kinder waren es gewohnt, füreinander und auch für mich zu beten. Wenn eins von ihnen einmal krank war, sagte ich: „Wir brauchen Hilfe. Wir wollen alle beten." Heute sagen mir die Kinder, daß es wirklich wichtig für sie war, daß sie zum Beten angehalten wurden. Es gab ihnen die Gelegenheit, ihre Liebe zueinander auf ganz besondere Weise zu bekunden. Es stand nie zur Debatte, wessen Gebet geholfen hatte. Es stand fest, daß das, was der Änderung bedurfte, sich ändern würde, wenn wir es auf dieselbe Weise vor Gott brachten, wie Christus Jesus es getan hatte, und auf Gottes Macht vertrauten. Und genau das geschah bei diesem denkwürdigen Ereignis.