Das hohe Niveau, das viele darstellende Künstler — auf der Bühne und im Privatleben — aufrechterhalten, trägt zur Qualität der zeitgenössischen Aufführungen bei. Dennoch werden die Künste oft mit Konkurrenzkampf und Starallüren in Verbindung gebracht. Ist nur Platz für eine bestimmte Anzahl von künstlern — ganz gleich, wie gut sie auch sein mögen? Was sollte denn die treibende Kraft in der Karriere eines Künstlers sein?
ist Intendantin der „Lyric Opera“ in Chikago und seit 1954 an dieser Oper tätig. Sie setzt sich seit vielen Jahren mit Fragen dieser Art auseinander. Ihre Liebe zu Gott, eine Liebe, die sich durch ihr Studium der Christlichen Wissenschaft vertieft hat, hat es ihr ermöglicht, einige inspirierte, und doch bemerkenswert schlichte Antworten zu finden. Frau Krainiks Leistungen — sie kann unter anderem auf ein künstlerisch erfolgreiches und finanziell gesundes Opernunternehmen verweisen — sind in der internationalen Opernwelt wohl bekannt. In diesem Interview erforschen wir ihre grundlegende Haltung gegenüber den Menschen, mit denen sie an der Oper zusammenarbeitet.
Erzählen Sie uns etwas über die „Lyric Opera“ und über Ihren eigenen Werdegang. An der Lyric inszenieren wir derzeit neun Opern im Jahr — mit insgesamt 73 Vorstellungen. Daran sind über hundert Künstler und Mitarbeiter beteiligt. Außerdem unterhalten wir eine Schule. Unser Unternehmen hat 17 Millionen Dollar Umsatz im Jahr. Aber unser Produckt sind keine leblosen Objekte, sondern lebendige, abwechslungsreiche Musik und Theater, und das macht alles um so vielschichtiger.
Am Anfang meiner Karriere sang ich fünf oder sechs Jahre lang an der Oper und hoffte, letztendlich damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zur gleichen Zeit arbeitete ich in der Verwaltung der „Lyric Opera". Eines Tages wurde mir die wichtige Stellung des stellvertretenden Geschäftsführers angeboten, und ich nahm sie an; mir war bewußt geworden, daß ich am liebsten in der Verwaltung tätig war und daß darin in der Tat auch meine eigentliche Begabung lag.
Bevor ich 1981 Intendantin dr Lyric wurde, hatte man mir angeboten, in Australien Geschäftsführerin der Oper in Sydney zu werden. Ich flog nach Sydney und traf mich dort mit dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats. Wir verstanden uns sehr gut — vertraten die gleichen Auffassungen. Als ich dann später wieder auf meinem Hotelzimmer war, beunruhigte mich der Gedanke, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte. Ich saß einfach da, war niedergeschlagen und besorgt. Sollte ich diese Herausforderung annehmen und nach Sydney ziehen — weit weg von meiner Familie und meinen Freunden —, oder sollte ich auf Nummer Sicher gehen und als die Nummer zwei in Chikago bleiben?
Dann wurde mir bewußt, daß ich meine Hand unbedingt in die des himmlishcen Vaters legen mußte. Mit anderen Worten: Ich erkannte, daß ich meine persönlichen Vorstellungen davon, was ich tun sollte, aufgeben mußte. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich: „Das ist deine Entscheidung, Vater. Ich werde dorthin gehen, wohin ich gehen soll. ,Dein Wille geschehe.' Ich werde glücklich sein, was auch immer mich erwartet, denn ich weiß, es wird etwas Gutes sein." Daraufhin fühlte ich mich innerlich wunderbar frei. Alle Sorge fiel von mir ab.
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, was die Christliche Wissenschaft für mich getan hat: Sie hat mir, wie es in einem Kirchenlied heißt, „Vertrauen ... für Furchtsamkeit" gegeben. Als ich zur Wissenschaft kam, war ich ein sehr furchtsamer Mensch. Aber ich habe gelernt, mich als Gottes geistiges Ebenbild zu sehen. Dadurch lernte ich Geduld, und ich lernte, nicht ständig beunruhigt oder ängstlich zu sein. Das war von entscheidender Bedeutung nicht nur für meine Karriere, sondern für jeden Bereich meines Lebens.
Ich ging also zu den übrigen Einstellungsgesprächen und verbrachte einige wunderbare Tage in Sydney. Dann kehrte ich nach Hause zurück. Und genau zu dem Zeitpunkt, als ich dort ankam, trat der Intendant der „Lyric Opera" zurück. Mir wurde diese Stelle angeboten — und ich nahm sie freudig an.
Damals ist mir ganz klar geworden, daß das Gute da ist, wo wir sind, und daß Fortschritt geistig ist und im Denken vor sich geht. Mein Fortschritt bestand darin, daß ich eine begrenzte Selbsteinschätzung aufgab und wirklich zum ersten Mal auf Gott vertraute. Das war für mich ein großartiges Erlebnis.
Wie ich in einem Bericht las, waren zu dem Zeitpunkt, als Sie die Intendanz der „Lyric Opera" übernahmen, die 2,5 Millionen Dollar Grundkapital des Unternehmens aufgebraucht; auf dem Bankkonto war kein Pfennig mehr, ein Darlehen in Höhe von 500 000 Dollar mußte zurückgezahlt werden und das Betriebsdefizit belief sich auf 309 000 Dollar. Wie gingen Sie an dieses Problem heran? Als ich das Amt übernahm, dachte ich nicht nur an die Finanzprobleme. Ich mußte ein Operntheater leiten. Wir mußten erstklassige Opernaufführungen für die neue Saison vorbereiten. Das war vorrangig.
An meinem ersten Arbeitstag als Intendantin überwältigte mich plötzlich der Gedanke, daß ich nun die Oper leiten mußte. Dann kam mir ein wunderbarer Engelsgedanke — die Bibelgeschichte von Mose und dem brennenden Busch. Gott sagte zu Mose: „Du wirst die Kinder Israel aus Ägypten führen", und Mose erwiderte: „Das kann ich nicht, ich habe eine schwere Sprache." Und Gott sagte: „Ich werde die Worte in deinen Mund legen. Ich werde mit dir sein." Und jedesmal wenn Mose während der 40 Jahre in der Wüste auf Gottes Stimme hörte und Ihm gehorchte, erlebten die Kinder Israel Gutes — das Schilfmeer teilte sich, es gab Manna in der Wüste, Wasser lief aus einem Felsen heraus. Es geschahen die unglaublichsten Dinge, weil Mose wußte, daß nicht er selbst es tat. Er lauschte auf Gottes Stimme. Als ich über diese Geschichte nachdachte, wurde mir klar, daß ich nur eins tun würde: auf Gottes Stimme lauschen und Seiner Führung folgen.
Manchmal befinde ich mich auf dem falschen Weg; uns allen passiert das. Aber diese eindrucksvolle Bibelgeschichte bringt mich immer wieder zurück. Wenn mir auch nur der Gedanke kommt, ich selber sei eine Art Schöpfer und der ganze Opernbetrieb werde ohne meine Leitung zusammenbrechen, weist mich diese Geschichte zurecht und rückt alles für mich ins rechte Licht. Sie macht mir bewußt, wie wichtig Demut ist. Demut bedeutet nicht, daß man sich still in eine Ecke setzt. Vielmehr bittet man: „Dein Wille, nicht meiner, geschehe"; man lauscht auf Gottes Stimme und folgt Seiner Führung. Übrigens, das Defizit von 309 000 Dollar war bis zum Ende des ersten Jahres ausgeglichen worden. Und nicht nur das; wir hatten noch einen Überschuß von beinahe 300 000 Dollar, unser Grundkapital belief sich auf beinahe 500 000 Dollar, und der Bankkredit war zurückgezahlt worden. Dieser Zustrom von 1,1 Millionen Dollar, der die Entwicklung völlig umkehrte, und das in nur einem Jahr, kam vielen fast wie ein Wunder vor.
Das Wall Street Journal brachte einen Artikel über Ihre Arbeit an der Lyric, und darin wurde auch Ihr Führungsstil angesprochen. Ich tue eigentlich nichts Ungewöhnliches, außer daß ich versuche zu lieben. Wenn ich Christliche Wissenschafterin bin, dann muß ich jeden Augenblick des Tages Christliche Wissenschafterin sein. Die Menschen wollen und brauchen Liebe. Ich versuche allerdings nicht, sie nur als Menschen zu lieben. Ich arbeite sehr intensiv daran, meine Mitarbeiter und Angestellten, Freunde und Künstler — jedes Ensemblemitglied — als vollkommenen, geistigen Ausdruck des himmlischen Vaters zu sehen. Mein Ziel ist es nicht, die Künstler glücklich zu machen, sondern jeden einzelnen so zu sehen, wie er wirklich ist. Das setzt alle Fähigkeiten frei, damit wir schöne Musik machen können.
Sie haben einmal gesagt, daß viele darstellende Künstler fast ständig unter der Furcht vorm Versagen leiden. Solche Liebe muß in dieser Beziehung hilfreich sein. In der Regel sage ich den Leuten, wenn sie fragen, etwas, was sie erkennen läßt, daß nicht nur ich sie liebe, sondern daß Gott sie liebt und daß sie sich in den „ewigen Armen“ befinden, die sie und ihre Darbietung stützen.
Mit anderen Worten, mit dem, was Sie anderen über Gottes Hilfe sagen, drücken Sie im Endeffekt Ihre Liebe zu ihnen aus. Ja. Wissen Sie, ich habe festgestellt, daß die Menschen doch noch an die Autorität der Bibel glauben! Die Wahrheit ist wahr. Und die Menschen erkennen und glauben das Wahre, wenn sie es hören.
Für mich bedeutet diese Art des Gebens, daß ich andere an meinen Schätzen teilhaben lasse — an den Dingen, die ich selber sehr mag, wie den Vers: „Verlaß dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlaß dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen“ (Sprüche). Das sind machtvolle Aussagen. Wenn ich das Gefühl habe, daß es richtig ist, auf diese Weise mit Künstlern und Mitarbeitern zu sprechen, dann tue ich es. Meine Mitarbeiter wissen, daß ich Christliche Wissenschafterin bin und daß das maßgebliche Wort an der „Lyric Opera“ Liebe ist.
Wenn ich darf, würde ich Ihnen gern von einem Vorfall berichten, der zu diesem Thema Liebe paßt. Vor einigen Jahren brachte einer meiner Kollegen, der Intendant einer anderen Oper ist, zwei bedeutende neue Aufführungen an zwei aufeinanderfolgenden Abenden heraus. Ich besuchte die Aufführung des ersten Abends. Nach der Vorstellung ging ich hinter die Bühne und beglückwünschte ihn dazu, daß sie so wunderbar gelungen war. Ich sagte ihm, daß ich mich schon auf den kommenden Abend freute, an dem dann die zweite Neuinszenierung aufgeführt werden sollte.
Die Bühne war voller Menschen, die den Erfolg des ersten Abends feierten. Er zog mich auf die Seite und sagte: „Jeder sagt mir, Sie hätten einen direkten Draht zu dem da oben im Himmel.“ (So sagte er es wortwörtlich!) Ich wollte schon „O nein“ antworten. Aber da kam mir der Gedanke, daß er das ja nicht deshalb gesagt hatte, damit ich das bescheiden verneinte. Es mußte mehr hinter seiner Frage stecken. Also sagte ich: „Ja.“
Dann gestand er mir, daß er mit der zweiten Aufführung große Schwierigkeiten hätte — der technische Teil der Generalprobe sei überhaupt nicht gut gelaufen, und er hätte eine „Heidenangst“, daß die Aufführung am nächsten Abend daneben gehen würde — und er brauche Hilfe. Ich erwiderte: „Möchten Sie, daß ich für Sie bete?“, und er sagte: „Ja, bitte!“ Also entgegnete ich: „Sie können sich darauf verlassen. Ich fange sofort an.“ Und das tat ich.
Die Bibellektion im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft, die ich am nächsten Morgen studierte, bildete die Grundlage für mein Gebet für den Kollegen. Ich ging wie immer von der absoluten Wahrheit aus, daß Gott und Sein geistiger Ausdruck, der Mensch, vollkommen sind. Ich las die ganze Lektion und fühlte mich danach ganz erhoben. Dann klingelte das Telefon; es meldete sich mein Kollege. Er fragte: „Haben Sie für mich gebetet?“ Und ich antwortete: „Ja, das habe ich getan.“ Daraufhin war es eine ganze Weile still, und ich dachte: „O je ..., er erwartet, daß ich ihm etwas Besonderes sage.“
Auf einmal fiel mir das letzte Bibelzitat aus der Lektion ein, und ich sagte: „Wissen Sie, ich habe etwas sehr Passendes für Intendanten gefunden: ,Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen.' “ Und dann fügte ich hinzu: „Heute abend werden Sie Frieden und Freude finden. Sie brauchen sich wegen der Sänger keine Sorgen zu machen. Die Berge und Hügel werden, frohlocken mit Jauchzen'. Und Sie brauchen sich wegen des Publikums keine Sorgen zu machen. ,Die Bäume auf dem Felde' werden, in die Hände klatschen'.“ Er lachte!
Die Aufführung lief an jenem Abend reibungslos. Aber was noch wichtiger war, wir beide — mein Kollege und ich — fühlten uns erhoben, und seither besteht zwischen uns eine wunderbare Kameradschaft.
Sie haben einmal in einem Interview gesagt: „ Die Einstellung, daß man hart arbeitet, um besser als andere zu sein, habe ich nie gemocht. “ Das ist richtig. Ich halte nichts von dieser Art Wettbewerb. Können wir mit anderen konkurrieren, wenn wir sie lieben? Wenn wir lieben, erkennen wir, daß jeder das Recht hat, sein Bestes zu geben. Also unterstützen wir alles Gute, das vor sich geht. Wenn es bei allen meinen Kollegen wunderbar läuft und wenn es bei mir wunderbar läuft, dann läuft es wunderbar für die Oper allgemein. Ich möchte, daß es für alle gut läuft.
Es macht mich nicht glücklich, wenn jemand ein anderes Operntheater herabsetzt und im gleichen Zuge die „Lyric Opera“ lobt. Ich tue so etwas nicht gerne, und ich sehe es auch nicht gerne, wenn andere es tun. Das ist die Spreu. Ich möchte mit dem Weizen weitermachen.
Dennoch hat sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verstärkt, daß der Wettbewerb zwischen Opernhäusern ständig zunimmt. Zum Beispiel muß man immer mehr ausgeben, um die besten Künstler zu bekommen. Gewiß, man kann sich von der Vorstellung erdrücken lassen, daß jeder mit jedem konkurriert — daß ein anderes Opernhaus die Künslter engagieren werde und man selber sie nicht bekommt, es sei denn, man zahlt mehr. Aber dahinter steckt nur Furcht. „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen laßt eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!“ Das ist eine machtvolle und wichtige Aussage der Bibel. Wir können uns keine Sorgen darüber machen, daß jemand besser ist als wir.
Mrs. Eddy sagt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit, Gott, die göttliche Liebe, “erfüllt allen Raum“, und für mich drückt sich diese Fülle zum Beispiel darin aus, daß ein Opernhaus mit großartigen Sängern gefüllt ist. Sie können aus Bulgarien, New York oder Tuscaloosa kommen. Ich brauche mich nicht darüber zu sorgen, woher sie nun kommen. Ich muß allein darauf achten, daß ich Gottes Führung folge.
Die Leute, die in diesem Bereich tätig sind, denken oft, daß sie persönliche Schöpfer seien. Das ist eins der größten Probleme. Durch die Christliche Wissenschaft lernen wir, daß es nur einen Schöpfer gibt, daß es keinen persönlichen Schöpfer gibt. Wir sind nicht der Ursprung der guten oder richtigen Ideen, die uns kommen. Gott ist der Schöpfer; wir sind die Schöpfung.
Ein weiteres Hindernis ist Ruhm. Wir sind alle gleichermaßen die vollkommenen Kinder Gottes, vergleichbar mit den Strahlen der Sonne. Die Sonnenstrahlen scheinen alle zusammen.
Manchmal halten einen Leute auf der Straße an und sagen: „Sind Sie nicht Frau Soundso?“, und dann kommt ein bißchen das Gefühl auf: „Aber ja, ich bin Frau Soundso.“ Leicht schwillt uns vor Stolz der Kamm. Solche Empfindungen sind „die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben“ (Hoheslied). Die Welt sagt uns: „Folge mir nach. Ich werde deinen Namen groß herausbringen. Du bist etwas Besonderes.“ Aber jeder ist genauso etwas Besonderes wie ich. Gott hat jeden von uns zu etwas Besonderem gemacht — zu etwas geistig Einzigartigem.
Um ein Virtuose zu werden, muß man ständig üben. Und man baut auf das, was man gelernt hat, immer weiter auf. Man wird kein Virtuose, wenn man einmal die Tonleiter spielt. Man wird ein Geigen-, Klavieroder Gesangsvirtuose, wenn man ständig weiterentwickelt, was man täglich lernt. Wie ich das sehe, gilt das gleiche für Gebet oder für das Ausüben der Christlichen Wissenschaft. Wir beten nicht nur einmal. Wenn wir gelernt haben, wie wir beten müssen, damit wir etwas von Gott, der Wahrheit, erkennen, machen wir weiter — wir lernen, „ohne Unterlaß“ zu beten. Und nach und nach werden wir virtuose Christen — wahre Ausüber des göttlichen Willens. Das ist mein Ziel. Und was auch für Probleme auf mich zukommen, ich werde sie freudig lösen, denn ich werde sie mit der Christlichen Wissenschaft lösen.