An Einem Wochenende, als in den USA Vatertag war, brachte unsere Lokalzeitung einen Artikel über Trauerhilfe. Viele Aspekte wurden angesprochen, aber keine wirklichen Lösungen angeboten. Es wurde nur erörtert, wie man damit „fertig werden“ kann.
Mir waren die Dinge, die in dem Artikel angeschnitten wurden, wohlbekannt: Fragen über den Tod und das Leben nach dem Tode, die Tränen, die Erinnerungen — ob gute, ob schlechte — und der Groll. Ich war gerade erst fünfzehn gewesen, als mein Vater starb. Er war kein Christlicher Wissenschafter und war nur kurze Zeit im Krankenhaus gewesen. Ich hatte ihn eine Woche lang nicht gesehen, und dann war er plötzlich nicht mehr da.
Ja, ich kannte alles, was mit Trauer zusammenhängt. Aber schon mit fünfzehn war ich mir darüber im klaren, wo ich die Lösung finden würde. Ich war im Sinne der Christlichen Wissenschaft erzogen worden und hatte mich mit dieser Wissenschaft in den vorangegangenen zwei Jahren ernsthaft beschäftigt. Mein Leben war dadurch verändert worden. Ich hatte eine größere innere Freiheit erlangt, weil ich etwas über meine geistige Identität als Kind Gottes gelernt hatte. Doch in diesem Fall brauchte ich die Wissenschaft des Christentums aufgrund eines anderen Namens, den sie auch noch hat: der Tröster.
Im Johannesevangelium verheißt uns Jesus einen „anderen Tröster“ und nennt ihn „den Geist der Wahrheit“. Dieser Tröster, der der Welt ein wissenschaftliches Gottes—Verständnis bringt, wurde im Jahr 1866 durch Mary Baker Eddys Entdeckung der Christlichen Wissenschaft offenbart. Sie schrieb das Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, und heute bringt dieses Buch, zusammen mit der Bibel, jedem den Tröster nahe. Ich vertiefte mich in diese beiden Bücher und fand den Trost und die Heilung, die ich brauchte. Heilung der Trauer: das ist die Lösung, wie ich selbst erfahren habe. Und um Ihnen diesen Trost zu bringen, habe ich diesen Artikel geschrieben.
Ich möchte hier auf einige Fragen zu sprechen kommen, die mir zu schaffen machten, und die Antworten darauf geben, die mir Trost brachten.
Was macht mein Vater jetzt? Geht es ihm gut? Wenn ein Angehöriger gestorben ist, fragen wir uns oft, was ihm jetzt widerfährt. Wir machen uns vielleicht große Sorgen um ihn. Das Unbekannte kann uns oft befremden und Furcht erregen. Aber die Frage nach dem „Leben nach dem Tode“ ist nicht unbeantwortbar. Denken wir nur an Jesu Auferstehung nach seiner Kreuzigung. Er überwand das Grab aus vielen Gründen, aber ein Grund war der, daß er den Jüngern zeigen wollte, daß mit dem Tod das Leben des Menschen nicht zu Ende ist. Des Menschen wirkliches Leben kommt von Gott und kann nicht aufhören, und selbst die menschliche Vorstellung über das Leben bleibt, der Annahme nach, bestehen, bis des Menschen Todlosigkeit und völlige Geistigkeit bewiesen worden sind. Jesus demonstrierte das viele Male, ganz besonders bewies er es mit seiner Auferstehung.
In der Bibel finden sich viele Verheißungen von ewigem Leben und von Gottes nie endender Fürsorge. In dem sehr bekannten 23. Psalm wird uns zugesagt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Und Jesus bewies, daß diese tröstlichen Aussagen wahr sind. Unser geliebtes Familienmitglied mag wohl „im finstern Tal“ des Todes gewandert sein, ist aber hindurchgegangen und wurde nicht darin eingeschlossen. Gottes Trost und Seine Führung sind immer gegenwärtig. Bei Gott, der göttlichen Liebe, finden wir immer eine sichere Zuflucht. Dessen können wir gewiß sein.
Derselbe liebevolle Meister, der uns zeigte, daß das Leben nach dem sogenannten Tod weitergeht, erklärte auch, daß der Christus, die wahre Idee des göttlichen Lebens, immer gegenwärtig ist — hier und dort. Jesus sagte: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage“ und: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?“
In Wissenschaft und Gesundheit, dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, wird uns ebenfalls zugesichert, daß unser geliebtes Familienmitglied weiterlebt. Es heißt dort: „In der Illusion des Todes erwachen die Sterblichen zu der Erkenntnis von zwei Tatsachen: erstens, daß sie nicht tot sind; zweitens, daß sie nur die Pforten einer neuen Annahme durchschritten haben“ und: „Kein jüngstes Gericht erwartet die Sterblichen, denn der Gerichtstag der Weisheit kommt stündlich und beständig, nämlich das Gericht, durch das der sterbliche Mensch allen materiellen Irrtums entkleidet wird.“
Warum regt sich Groll in mir darüber, daß er gestorben ist? Ich liebe Gott; war es Sein Wille, daß mein Vater seine Familie verließ? Gott hat niemals den Tod verfügt, niemals „will“ Er, aus welchem Grund auch immer, daß jemand stirbt. Gott ist das Leben selbst, und der Mensch spiegelt dieses immergegenwärtige Leben wider, ganz gleich, was die körperlichen Sinne dazu sagen. Diese geistige Auffassung vom Leben befreit uns davon, Gott die Schuld zu geben, wenn jemand stirbt. Wenn in uns Bitterkeit gegen Gott oder den Verstorbenen aufkommt, so ist das nur eine andere Form der Trauer. Sie beruht auf einem Mißverständnis über Gottes wahres Wesen als göttliche Liebe.
Der „Groll“ mag darauf beruhen, daß wir uns verletzt fühlen und uns fürchten. Verwirrt durch ein Gefühl der Einsamkeit und die Ungewißheit über die Zukunft, mögen wir Groll verspüren. Wird das Empfinden der inneren Verletztheit und der Furcht geheilt, so wird auch der Groll verschwinden.
Innere Verletztheit beruht oft auf einer Leere, einem Unausgefülltsein oder einem Vakuum, das tief im Innern empfunden wird. Vielleicht meinen wir sogar, ein Teil von uns selbst sei fortgenommen worden. Der Tröster, die göttliche Wissenschaft, gibt uns das nötige Verständnis und die geistige Sicht, die die Leere ausfüllt. Der Tröster lehrt uns, daß Gott nahe ist und daß uns Seine Gegenwart Herzenswärme gibt.
Die Christliche Wissenschaft offenbart, daß Gott Liebe ist, Vater, Mutter, Führer und Beschützer. Sie öffnet unser Denken für die Dinge des Geistes, so daß sich Gott uns offenbart, und zwar je nach unseren individuellen Bedürfnissen. Gott liebt Sie, denn Sie sind Sein Kind. Diese Liebe ist unendlich viel größer als jeder menschliche Begriff von Liebe, und Gott unterstützt und umgibt Sie und denjenigen, der weitergegangen ist — jetzt in diesem Augenblick.
Wie kann ich mit dem Weinen aufhören? Es bringt nichts, wenn man sich nur an die gemeinsamen guten Zeiten erinnert. Vielmehr können die Tränen gerade wegen solcher Erinnerungen kommen. Für mich lag die Lösung darin, daß ich meinen Vater mit neuen, geistigen Augen betrachten und erkennen mußte, was mein Vater wirklich war. Als ich Wissenschaft und Gesundheit las, stieß ich auf folgende Erklärungen, die das wahre Selbst meines Vaters — und eines jeden anderen Menschen — erläutern: „In der Wissenschaft ist der Mensch der Sprößling des Geistes. Das Schöne, das Gute und das Reine sind seine Ahnen.“ Und weiter unten im gleichen Absatz heißt es dann: „Geist ist seine ursprüngliche und endgültige Quelle des Seins; Gott ist sein Vater, und Leben ist das Gesetz seines Seins.“ In Wahrheit — der gleichen Wahrheit, die mein Vater liebenlernen und leben würde — war und blieb mein Vater Gottes Kind, eine Idee Gottes! Eine Idee Gottes kann niemals zerstört werden, sondern lebt weiter und entfaltet die Güte Gottes.
Er war und ist Gottes Ausdruck. Durch all das Gute, das er unserer Familie gab (und das war viel), spiegelte er die Liebe Gottes in seinem Herzen wider, und daran ließ er uns alle teilhaben. Diese Erinnerung läßt keine Trauer zu, nur Dankbarkeit. Ich war sehr dankbar für die vielen Male, wo in unserer Familie Liebe zueinander zum Ausdruck gekommen war. Meine Dankbarkeit stillte meine Tränen.
Die folgenden Worte aus einem Gedicht von Mary Baker Eddy in den Vermischten Schriften haben einen großen Teil meiner Trauer ausgelöscht:
Trauernder höre — „Komm an mein Herze!
Liebe stillt Tränen und Leid,
wecket dich aus dunklem Traum,
macht für dich im Lichte Raum,
in der Herrlichkeit ewiger Freud’.“
Wer wird jetzt für uns sorgen? Diese Frage machte unserer Familie sehr zu schaffen; wir sahen uns vor beträchtliche finanzielle Probleme gestellt. Aber wir beteten und wußten überdies, daß Gott uns helfen würde, damit unsere täglichen Bedürfnisse gestillt würden. In jeder Familie ist die wirkliche Quelle des Guten immer Gott, und die Versorgung aus dieser Quelle des Guten geht nie zur Neige. Das folgende Psalmwort war uns mit seiner Zusicherung eine große Stütze: „Wie kostbar sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!“
Dadurch, daß wir Gottes Allgegenwart anerkannten und Ihn treulich liebten, wurden unsere Herzen mit Freude, Stärke und Mut erfüllt. Die Erkenntnis, daß Gott unser Vater, unser Leben, Gemüt und Prinzip ist, stieß die Tür zu jener Unendlichkeit des Guten auf, das Gott ist. Wir empfanden Seine Liebe um uns her und konnten diese selbstlose Liebe anderen gegenüber besser ausdrücken.
Der Mensch hat die Aufgabe, all die schönen Eigenschaften auszudrücken, die uns unser himmlischer Vater gibt. Zu diesen Eigenschaften gehören Liebe, Frieden, Harmonie, Selbstlosigkeit, Güte, Ordnung, Barmberzigkeit, Tatkraft, Integrität und viele andere. Diese Eigenschaften sind für uns natürlich, weil sie für Gott natürlich sind, und wir sind Seine Kinder, die Wirkung Seiner Güte. In dem Maße, wie diese Eigenschaften Teil unseres Lebens werden, verfliegen unsere traurigen Gedanken, und wir erreichen viel Gutes.
Die Mittel, die wir in unserer Familie brauchten, standen uns zur Verfügung, als wir anerkannten, daß Gott die Quelle unserer Intelligenz ist. Vor seinem Tode hatte mein Vater sehr weise Geld angelegt. Uns wurden zwei Dinge besonders deutlich. Die Intelligenz, die mein Vater mit diesen Entscheidungen ausgedrückt hatte, war von Gott gekommen. Wir mußten das erkennen, und das stärkte unseren Mut und unsere Überzeugung. Für uns war das eine Bestätigung der Tatsache, daß die Intelligenz, die wir brauchten, noch immer bei uns war und unsere Schritte in dem Maße lenken würde, wie wir still darauf lauschten.
Wir machten es uns zur Aufgabe, die Eigenschaften Gottes auszudrücken — Seine Güte, Intelligenz, Barmherzigkeit und Freude. Dadurch, daß wir diese Eigenschaften nach unserem besten Vermögen zum Ausdruck brachten, wurde das Fundament des Christus in uns gestärkt. Und als wir darin beharrten, fanden wir Arbeit, die uns half, die Attribute Gottes noch mehr in die Tat umzusetzen. Durch das Demonstrieren der Liebe Gottes wurde uns alles zuteil, was wir brauchten; für meine Schwester und für mich wurde auch ein Universitätsstudium möglich.
Bin ich vaterlos? Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie mir jemand zum ersten Mal sagte, ich hätte nun keinen Vater mehr. Innerlich erstarrte ich und war erschrocken. Von dem Augenblick an wollte ich mehr über Gott als Vater in Erfahrung bringen. Gott ist unser aller Vater. Das lehrte uns Jesus. Selbst das jüngste Herz berührt er mit den Worten: „Unser Vater, der Du bist im Himmel! Geheiliget werde Dein Name.“ Mit diesen Worten beginnt das Gebet, das er uns gegeben hat — das Gebet des Herrn. Ich lernte das ganze Gebet immer mehr schätzen; ich machte es zu meinem beständigen Begleiter.
Wenn ich in der Bibel oder in Wissenschaft und Gesundheit etwas über Gott las, so las ich etwas über meinen Vater, über meinen Gott. Ich wußte, daß die ständige Offenbarung der Liebe Gottes zum Menschen auch für mich galt. Ich war nicht vaterlos — ohne himmlischen Vater — oder auch, wenn man so will, ohne himmlische Mutter, sondern ich hatte einen immergegenwärtigen Vater-Mutter Gott, von dem ich die Liebe, Gnade, Intelligenz und Stärke geerbt hatte, die ich brauchte.
Gott ist unser aller Schöpfer, unser aller Vater und Mutter. In unserem Leben kommt alles Gute von Ihm, und diese Quelle sollten wir demütig anerkennen. Gottes Gesetz des göttlich Guten erfaßt alle Seine Kinder. Wir sollten jetzt damit anfangen, Gott als unseren einzigen Vater und unsere einzige Mutter anzuerkennen. Vielleicht ist unser menschlicher Vater oder unsere menschliche Mutter nicht mehr bei uns, doch wie dem auch sei, erkennen wir nur einen Vater-Mutter Gott an.
Wie weiß man, daß die Trauer wirklich geheilt ist? Was mich betrifft, so hat die Liebe sie ausgelöscht. Ich konnte spüren, daß Gott mich liebt, und meine Liebe zu Gott war größer geworden. Diese Liebe erfüllte unser Zuhause und machte es wieder zu dem frohen Ort, der es vor dem Tode meines Vaters gewesen war. Auch liebte ich meinen Vater, den ich ohnedies schon sehr geliebt hatte, noch mehr und empfand größere Hochachtung vor ihm. Mir war klar geworden, daß ihm all das Gute, das er mir gegenüber ausgedrückt hatte, von unserem gemeinsamen Vater—Mutter Gott gegeben worden war. Die gleiche göttliche Liebe, die mich jetzt führt, lenkt ganz gewiß auch ihn. Wenn ich an meinen Vater denke, muß ich nicht mehr weinen, vielmehr sind es glückliche Erinnerungen daran, daß die göttliche Liebe uns beide umfaßt.
Wenn wir Trauer heilen wollen, müssen wir Jesu Gebot befolgen und ihm heute nachfolgen. Auf diese Weise können wir jede Generation lieben und schätzen. Unser Meister sagte: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!“ Auf diese Weise heilen wir die Trauer.
