Geistige Ideale Können machtvoll und allumfassend sein. Als Ideale können sie auch kompromißlos und durch und durch konsequent sein. Aber wenn wir geistige Ideale in der Welt vertreten wollen — an unserem Arbeitsplatz, in der Ehe, bei unseren Verpflichtungen als Bürger und Nachbar —, lernen wir bald, daß wir nicht nur idealistisch, sondern auch weise sein müssen. Und Weisheit stellt sich manchmal nur allmählich ein. Das bedeutet dann, daß wir Wege finden müssen, die geistigen Ideale in unser Leben mit einzubeziehen, ohne die menschlichen Verhältnisse zu übersehen, die alles andere als ideal sein können.
Es kann jemand große Anstrengungen machen, um dem zu entgehen, was er als ein Übel und als Ungerechtigkeit ansieht. Sogar der Terrorist mag glauben, daß Gewalt seinem Idealismus dienen kann. Normalerweise allerdings würden die meisten Menschen ein solch extremes Mittel mit keinem Gedanken erwägen. Aber die Frage, wie man einem radikal geistigen Ideal treu bleiben kann, ist für die meisten von uns äußerst wichtig. Wir möchten keinen Kompromiß schließen, wenn wir glauben, daß ein solcher Kompromiß Schaden anrichtet oder uns noch weiter von unseren Idealen abbringt.
Man muß nicht besonders geistig gesinnt sein, um zu verstehen, daß Hoffnung, Glaube und Liebe die treibende Kraft in unserem Leben sind. Und weil es derartige materiell nicht faßbare Bestrebungen gibt, arbeiten und spielen wir und unternehmen gemeinsam alles mögliche. Alles, was unserer Meinung nach solchen Bestrebungen entgegensteht, kann uns so schwer belasten wie die Vorenthaltung notwendiger Nahrung.
Wir können sogar den Arbeitswillen — ja selbst den Lebenswillen — verlieren oder das Gefühl haben, ihn verloren zu haben, wenn uns die Dinge, die unser Herz und unsere Seele bereichern, lange genug versagt werden. Vielleicht erklärt dies zum Teil, warum Heroin, Crack und Kokain für viele Menschen solche Anziehungskraft besitzen. Vielleicht erklärt es auch, warum der Erwerb materieller Dinge zuweilen so wichtig scheint.
In Gesellschaftssystemen, die vom Materialismus bedrängt werden, mögen Menschen, die ihre eigenen geistigen Ideale stark empfinden, versucht sein zu verzweifeln. Selbst Christus Jesus mußte diesem Gedankenzustand bei seinen Jüngern entgegentreten. Im Matthäus- und Markusevangelium wird berichtet, welchen Rat der Meister seinen Jüngern gab. (Siehe Matthäus, Kapitel 24; Markus, Kapitel 13.)
Der Kern seiner Botschaft lautete, sie sollten sich nicht verführen lassen; und Verzweiflung wäre tatsächlich verführerisch, wenn man durch die gegenwärtigen menschlichen Kämpfe und Fehlschläge die große Wirklichkeit und Macht des Christus, der Wahrheit, aus den Augen verlöre.
Beim sterblichen Lebenskampf geht es um grundlegende Dinge. Die Identifizierung mit der Materie und der Sterblichkeit ist weit verbreitet; wir sind dazu erzogen worden, uns für endlich, körperlich und zerstörbar zu halten. Doch unser größter Feind ist wohl die Neigung, der großen Frage nach dem Sinn des Lebens aus dem Weg zu gehen. Denn wenn diese Frage beharrlich gestellt wird, erkennen wir, daß Leben über die Materie hinausgehen muß, da das materielle Leben unstetig und auf verhängnisvolle Weise begrenzt ist.
Glaube, Hoffnung und Liebe — sie sind geistig. Sie können nicht in Körperzellen und im Fleisch enthalten sein. In dunklen Gefängniszellen, inmitten tiefer Armut und bei hoffnungslosen Erkrankungen werden sie wiederentdeckt. Das bewirkt ein tiefer, geistiger Idealismus; er schafft ein geistiges Christentum in uns, das von körperlicher Heilung und moralischer Umgestaltung begleitet wird.
Die Macht christlicher wissenschaftlicher Ideale soll uns bewußtmachen, was wir bereits sind: nämlich gut, geistig, fähig, Gott zu erkennen und uns selbst so zu sehen, wie wir wirklich als Sein Gleichnis sind. Das bewirkt die Christliche Wissenschaft für die Menschen. Sie nimmt die Last des Materialismus von uns und zeigt, daß jeder von uns eine angeborene geistige Intelligenz, geistige Fähigkeiten und eine geistige Identität besitzt. Und diese Identität, die völlig von Gott, dem göttlichen Leben und der göttlichen Liebe geschaffen ist, schließt keine unvermeidliche Dunkelheit, kein Böses in sich.
Ein Freund von mir machte einmal eine besonders dunkle Zeit durch. Jede Hoffnung war völlig zerstört worden, und es erschien ihm unmöglich, mehr als einen oder zwei Tage — und selbst das nicht immer — vorauszuplanen. Erholsamer Schlaf schien ihm ferner Vergangenheit anzugehören. Eine Idee, ein geistiges Ideal, war ihm geblieben, und das schien gewiß ein bescheidener Gedanke zu sein. Es war der Gedanke, daß er Gott genug vertrauen müsse, daß er das geistige Wesen des Menschen als Gottes Kind genügend bejahen müsse, um sich abends hinlegen und die sorgenvollen menschlichen Gedanken beruhigen zu können. Er fragte sich, was diese schlichte Handlungsweise allein wohl ausrichten könne. Doch setzte er die Idee in die Tat um, weil sie ihm beim Beten gekommen war.
Es war nicht leicht. Er mühte sich einige Nächte lang, ehe er fühlte, daß er anfing, etwas von dem wirklichen, von Gott erschaffenen Wesen des Menschen, der Sein Ausdruck ist, geistig zu begreifen. Aber zurückblickend sagt er, daß dieser Kampf damals der Wendepunkt für eine Reihe von Herausforderungen war.
In Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy findet sich der Rat: „Zu allen Zeiten und unter allen Umständen überwinde Böses mit Gutem. Erkenne dich selbst, und Gott wird dir Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben.“
Diese Selbsterkenntnis steht im Einklang mit einem zutiefst geistigen Idealismus, in dem wir den Menschen als Gottes Schöpfung erkennen. Und zu wissen, daß man Ihm gehört und kein getrenntes, isoliertes, möglicherweise verlassenes menschliches Wesen ist, heißt, sich mit dem zu vereinen, was allen Dingen Dauerhaftigkeit und Fortdauer verleiht.
Geistige Selbsterkenntnis trennt uns auch nicht von anderen. Sie öffnet unser Denken für die natürlichen geistigen Eigenschaften, die das wirkliche Selbst eines jeden ausmachen. Wenn wir solche Geistigkeit und Identität in einander erblicken, finden wir die wirkliche Macht der göttlichen Liebe, die die Menschheit erhebt. Gott bestätigt sich selbst in uns durch den Christus, der niemals im menschlichen Bewußtsein fehlt.
Wenn wir das erst erkennen, dann verstehen wir, daß wir die Hoffnung nicht verlieren werden — seien unsere Aussichten auch noch so trüb — und daß die angeborene Geistigkeit des Menschen schließlich in unserer Zeit und in unseren menschlichen Umständen zum Durchbruch kommen wird.
Der Herr ist des Armen Schutz,
ein Schutz in Zeiten der Not.
Darum hoffen auf dich, die deinen Namen kennen;
denn du verlässest nicht,
die dich, Herr, suchen.
Psalm 9:10, 11
