Als Schwarzer Südafrikanerin, die unter dem gesetzlich verankerten Rassismus, der Apartheid, gelebt hat, sind mir die Menschenrechtsverletzungen mit all ihrer Ungerechtigkeit nur allzu bekannt. Obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen schon über vierzig Jahre alt ist, wird sie in vielen Ländern nicht besonders ernst genommen; mein Land steht da keineswegs allein.
Einer einflußreichen Menschenrechtsorganisation zufolge „ist es die Pflicht aller Menschen, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen. Wo immer sie verletzt werden, sind Menschen die Opfer. Sie und ihre Familien brauchen praktische Hilfe.“ Amnesty International, Position Paper, Band II, 1988, Nr. 9. Doch woher kann die Hilfe kommen, wenn die Schutzbestimmungen der Verfassung über Bord geworfen werden und wenn zugelassen wird, daß politische Machtgier, Streitigkeiten unter Bevölkerungsgruppen, Gewalt, Unterdrückung, Folter, willkürliche Verhaftungen, rätselhaftes Verschwinden von Menschen und Massenmorde geschehen?
Die Menschenrechtsorganisationen haben großartige Arbeit geleistet. Doch wenn wir glauben, daß menschliche Gesetze und menschliche Hilfe die einzige Antwort auf die Ungerechtigkeit sind, dann fehlt etwas. Aber was fehlt?
Als Christliche Wissenschafterin habe ich sehr lange und intensiv über diese Frage gebetet. Im Laufe der Zeit ist mir klargeworden, daß wir eine höhere Auffassung von „Recht“ brauchen. Wir müssen unsere göttlichen Rechte verstehen lernen. Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Gott hat ein höheres Programm für die Menschenrechte entworfen, und Er hat es auf göttlichere Ansprüche gegründet. Diese Ansprüche werden nicht durch Gesetzbücher und Glaubensbekenntnisse erhoben, sondern durch die Demonstration des Wortes:, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.’ “Wissenschaft und Gesundheit, S. 226.
Dieses „höhere Programm für die Menschenrechte“ beruht auf der geistigen Tatsache, daß der Mensch der uneingeschränkte geistige Ausdruck Gottes ist. Der Lebenszweck des Menschen ist es, Gottes Sein auszudrücken — und dazu gehören auch Freiheit und Vollständigkeit. Die Bibel bestätigt das im ersten Buch Mose: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei." 1. Mose 1:26. Wir haben also das göttliche Recht, den materiellen Augenschein zurückzuweisen, der da sagt, daß wir nichts als Sterbliche seien, die unter ihrer zufälligen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm, einer Rasse, einer Klasse oder einer Nation zu leiden haben.
Beim Beweisen unserer göttlichen Rechte ist es wichtig, daß wir etwas tun, was auch Christus Jesus manchmal tat — auf einen Berg gehen und beten. „Berg“ kann hier als Symbol für einen erhobenen, geistigen Gedankenzustand angesehen werden. Jesus erhob seinen Blick über das materielle Geschehen und richtete ihn auf die Allheit Gottes, des Geistes. Dadurch konnte er heilen. Wenn wir Jesu Beispiel folgen, indem wir beten und unser Denken reinigen, dann pflegen wir das geistige Verständnis, durch das wir mithelfen können, Menschenrechtsverletzungen zu beseitigen. Lassen Sie mich ein Beispiel dafür geben.
Ein Bekannter von mir hatte ein Erlebnis, von dem in einem Interview im Christian Science Journal (Dezember 1990) berichtet wurde und das beweist, daß Freiheit das Gesetz Gottes ist. Er kam ins Gefängnis unter der Sondergesetzgebung, die in Südafrika nach der Verhängung des Ausnahmezustands in Kraft trat. Demnach konnte er unbegrenzt gefangengehalten werden, ohne daß vor irgendeinem Gerichtshof Anklage gegen ihn erhoben werden mußte. Viele Menschen sind infolge dieses Gesetzes im Gefängnis ums Leben gekommen. Mein Bekannter war festgenommen worden, weil er mitgeholfen hatte, einen Schulboykott zu beenden. Er hatte sich, nachdem er darüber gebetet hatte, entschlossen, sich weder auf die Seite der Schüler zu stellen noch auf die Seite der Regierungsvertreter, sondern auf Gottes Seite zu bleiben. Doch da er sich offen zur Gewaltlosigkeit bekannte, drohten die Jugendlichen, sein Haus niederzubrennen. Er hatte einen Ausüber der Christlichen Wissenschaft gebeten, ihm durch Gebet zu helfen, und sein Haus wurde in jener Nacht nicht angerührt. Am frühen Morgen wurde er jedoch von der Polizei unter der Beschuldigung festgenommen, er gehöre militanten Kreisen an.
Im Gefängnis hatte er nur den Betonboden seiner Zelle zum Schlafen, Essen und Arbeiten. Er betete unablässig — er wob seine Gebete ins Getriebe des Gefängnisalltags ein und ließ sich nicht dazu verleiten, denen zu grollen, die ihn gefangengesetzt hatten. Schließlich bekam er einen Stuhl und einen Tisch und konnte daran seine Bibel und Wissenschaft und Gesundheit studieren. Dies war ein großartiger Beweis dafür, daß ein höheres Gesetz am Werk war, denn Lesestoff war in den Zellen allgemein nicht erlaubt. Seine Zeit im Gefängnis wurde zu einer wunderbaren Zeit des Studiums und des Gebets, und nach einigen Wochen wurde er entlassen. Gebet ist wahrhaftig ein machtvolles geistiges Hilfsmittel, um uns wieder in unsere Rechte einzusetzen.
Viele Menschen glauben, daß Menschenrechtsprobleme durch Gesetze gelöst werden können. Gerechte Gesetze sind zwar ein wichtiger Schritt, aber sie allein können politischer Ungerechtigkeit kein Ende machen. Denn die Wurzeln des Problems liegen nicht in den Gesetzen, sondern im Denken der Menschen, wo ungöttliche Eigenschaften wie Egoismus, Rachsucht, Unsicherheit und Unvernunft zu herrschen scheinen, die in ungerechten Gesetzen Gestalt annehmen. Diese Elemente des Denkens müssen ausgerottet und durch Eigenschaften ersetzt werden, die von Gott kommen, Eigenschaften wie Liebe, Demut, Versöhnlichkeit, Mut und Geduld. Die Umwandlung des einzelnen ist für den Erfolg einer jeden guten Gesetzgebung unerläßlich. Ein Gesetz gewinnt Kraft — oder wird wirkungslos — durch den Wandel, der sich im Herzen der Menschen vollzieht, wenn sie sich Gedanken darüber machen, ob dieses Gesetz recht und gut ist. Meine Familie konnte das beweisen.
Das Gesetz, das 1945 die Grundlage für die „Homelands“ für Schwarze war, verbot es Schwarzen, außerhalb des Gebiets zu arbeiten, in dem sie gemeldet waren — selbst dann, wenn sie woanders Arbeit und eine Wohnung fanden. Mein Mann fand eine Anstellung als Vortragsreisender in einem Nachbarland, doch erhielt er keine Reisegenehmigung. Er hätte zwar ausreisen dürfen, aber die Rückkehr wäre nicht möglich gewesen. Wir beteten, und uns wurde klar, daß dieses ungerechte Gesetz aus Unsicherheit, Intoleranz, Ungerechtigkeit und Selbstsucht entstanden war, die jeder von uns in seinem eigenen Bewußtsein korrigieren mußte. Mit anderen Worten: wir mußten geistig verstehen, daß diese Eigenschaften in Gottes Universum weder Platz noch Macht haben. Gleichzeitig erkannten wir, daß wir von den Möglichkeiten, die Gott gibt, und von der Unschuld und Liebe, die Seine Gaben sind, nicht abgeschnitten werden können, denn als Gottes geistiger Ausdruck kann der Mensch niemals von seiner göttlichen Quelle abgeschnitten werden.
Mein Mann bat um eine Unterredung mit dem Leiter der zuständigen Behörde. Sie wurde ihm gewährt. Sie führten ein sehr freimütiges Gespräch über diese Frage. Schließlich bat der Beamte meinen Mann, ihm einen einzigen Grund zu nennen, warum er ihm eine Reiseerlaubnis erteilen solle, wenn doch das Gesetz dies ausdrücklich verbot. Aus der Festigkeit seiner Überzeugung heraus antwortete mein Mann: „Was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Mt 7:12. Nach einem langen Schweigen — währenddessen mein Mann still die Gegenwart und Macht Gottes anerkannte — erteilte der Beamte ihm die uneingeschränkte Reiseerlaubnis. Soweit wir wissen, war dies das erste Mal, daß eine solche Erlaubnis erteilt wurde.
Das Gebet meines Mannes bewirkte eine Umwandlung im Herzen des Beamten; das höhere Gesetz der göttlichen Liebe bewirkte die Aufhebung eines ungerechten Gesetzes. Dies konnte geschehen, weil mein Mann seinem Denken nicht gestattete, nur auf ein materielles Gesetz zu sehen, das seine Freiheit beschnitt. Er war davon überzeugt, daß das göttliche Gesetz das menschliche außer Kraft setzt — und das tat es.
Südafrika erlebt im Augenblick schwere Zeiten. Zeiten voll Gewalt, Veränderungen, Spannungen und Reformen. Zeiten, in denen wir es uns und unseren Kindern schuldig sind, eine Gesellschaft aufzubauen, die sich auf Freiheit und Menschenrechte gründet. In diesen Zeiten brauchen wir einander als Brüder und Schwestern. Wir brauchen einer des anderen Nähe, Freundschaft, Toleranz, Vertrauen und Vergeben. Wenn wir mit vereinten Kräften an dieser Aufgabe arbeiten, können wir es schaffen. Doch wir werden untergehen, wenn wir uns durch die Querelen der Vergangenheit, durch Haß und Bitterkeit trennen lassen. Mit einem tieferen Verständnis von Gott können wir gemeinsam und mit größtem Erfolg für Wahrheit und Gerechtigkeit arbeiten.
Gott hat dem Menschen die Gabe der Freiheit gegeben. Lassen Sie uns diese Gabe Gottes finden, indem wir eine höhere Stufe des Denkens erklimmen und unsere göttlichen Rechte beanspruchen.
