Eines Tages Wurde meine Aufmerksamkeit ganz besonders auf etwas gelenkt, was ich schon lange kannte: das Geläut und die Inschrift der Freiheitsglocke aus dem Schöneberger Rathaus zu Berlin.
Jeden Sonntag um zwölf Uhr erklingen im Radio diese Glockentöne, und dazu werden die Worte der Inschrift gesprochen. Sie lauten: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, daß allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.”
Ich verspürte den Wunsch, tiefer über diese Worte nachzudenken und mich eingehender mit der dem Menschen von Gott gegebenen Würde und Freiheit zu beschäftigen.
In der Bibel heißt es über den Menschen: „Du [Gott] hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.” Ps 8:6. Wieviel Würde und Hoheit wird dem Menschen durch diese Worte zuerkannt.
Doch wie oft mögen wir schon, bewußt oder unbewußt, unsere eigene gottgegebene Würde — oder die eines Mitmenschen — als Söhne und Töchter des göttlichen Geistes zurückgewiesen haben, wenn wir uns von lieblosen Gedanken oder einer ungerechten Haltung gegenüber einem Menschen haben beeinflussen lassen? Solche Gedanken möchten die geistige Natur leugnen, die tatsächlich unser wahres Sein ausmacht. Haß, Neid, Korruption, Konkurrenzdenken, Rachsucht werden oft so dargestellt, als gehörten sie ebenso natürlich zum Menschen wie alles Gute. Doch sind diese Eigenschaften wenig würdevoll und ebensowenig geistig, und sie sind immer ein Angriff auf die Freiheit des einzelnen.
Wie können wir nun ein Verhalten verhindern, das unseren Blick auf die Würde des Menschen trüben oder andere davon abhalten möchte, etwas über ihren wahren Wert als Idee Gottes zu erfahren? Wie muß mein Denken und Handeln aussehen, um in Übereinstimmung mit dem Bekenntnis zur Würde des Menschen zu stehen? Als ich über diese Fragen nachdachte, wurde mir klar, daß das Versprechen, Widerstand zu leisten gegen Tyrannei und Angriffe auf die Freiheit, eine tiefere Bedeutung hatte. Es sprach nicht nur von einer politischen Situation, sondern mußte sich auf mein eigenes Denken beziehen.
Als Christliche Wissenschafterin habe ich gelernt, daß ich alle Antworten auf meine Fragen in der Bibel und in Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy, finden kann. In vielen Geschichten des Alten wie des Neuen Testaments wird uns gezeigt, wie Menschen durch Lauschen auf Gott und dadurch, daß sie die Geistigkeit des Menschen erkannten, sich ihrer Würde und der ihrer Mitmenschen bewußt wurden.
Christus Jesus gibt uns ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir unser Denken über den Menschen korrigieren können. Er sagte: „Richtet nicht nach dem, was vor Augen ist, sondern richtet gerecht.” Joh 7:24. In Wissenschaft und Gesundheit wird diese Betrachtungsweise wie folgt erläutert: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken.” Wissenschaft und Gesundheit, S. 476. Er sah die Würde und Reinheit, die Gott jedem Menschen verliehen hat, und brachte sie somit ans Licht.
An anderer Stelle jedoch antwortete er einem Jüngling, der ihn mit „guter Meister” angesprochen hatte: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.” Siehe Mk 10:17, 18. Er wollte den Menschen gewiß in seiner unmittelbaren geistigen Beziehung zu seinem Schöpfer, Gott, der Quelle alles Guten, verstanden wissen. Er meinte ganz sicher nicht, daß niemand gut ist! Er gab den Anstoß, das Denken über den wahren Ursprung des Menschen zu läutern und zu heben. Diese Reinigung verstehen wir als das Wirken des Christus, der das menschliche Denken von den schlechten Eigenschaften und Motiven befreit, die einer materiellen Vorstellung von uns entspringen. Sie möchten uns dazu führen, daß wir fälschlicherweise glauben, der Mensch sei ein sündiger Sterblicher.
Wir können dieses irrige Zeugnis durch den wahren Begriff vom Menschen ersetzen, wenn wir Gott, das Gute, als dessen einzigen Urheber anerkennen. Dann sind wir auch in der Lage, das Böse vom wirklichen Menschen zu trennen. Das bedeutet, daß wir beharrlich die wahre Geistigkeit des Menschen sehen und den Gedanken abweisen können, daß das Böse irgendeine Macht über uns hat.
Christi Jesu korrekte Anschauung vom Menschen wird uns dabei als sichere Richtschnur dienen. Sie wird uns freimachen von negativen, menschlichen Emotionen, Vorurteilen oder von begrenzenden Gedanken über uns und andere und wird uns helfen, die Würde eines jeden Menschen besser zu erkennen und daran festzuhalten!
Wie ermutigend und befreiend ist es zu wissen, daß tatsächlich Gott dem Menschen alle Würde und Freiheit verliehen hat und sie immer unberührt erhält.
Wenn diese Wahrheit über den Menschen als Gottes Bild und Gleichnis allgemeiner verstanden wird, kann kein Mensch die Würde eines anderen anzweifeln oder antasten. Dann wird das Wort „Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen” noch umfassender in der Welt gelebt werden.