Es Gab Eine Zeit in meinem Leben, wo ich mich fragte, was aus dem Frieden und der Ordnung geworden war, die früher in unserer Familie geherrscht hatten. Es fing damit an, daß wir eines Tages einen Anruf aus Südafrika erhielten, wo unser Sohn seit einem Jahr gearbeitet hatte. Der Anrufer sagte: „Ich habe keine guten Nachrichten für Sie. Ihr Sohn kam auf einer Wanderung bei einem Sturz ums Leben.“
Dies sollte sich für die Mitglieder unserer Familie als Wendepunkt erweisen, aber zunächst war es sehr tragisch. Mein Mann verkaufte sein Geschäft; unser zweiter Sohn litt unter Depressionen und meinte, das Leben sei nicht mehr lebenswert, und auch unser jüngster Sohn war von dem Verlust seines großen Bruders tief betroffen.
Obwohl es eine schlimme Zeit war, wußte ich, daß Gott da war. Ich hatte das Gefühl, nur ein Beobachter dieses Chaos zu sein, und bat eine Ausüberin der Christlichen Wissenschaft, mir zu helfen, Gottes Führung in dieser Familiensituation zu erkennen. Folgendes Zitat aus Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy war für mich hilfreich (S. 66): „Leid ist heilsam. Durch große Trübsal kommen wir in das Reich Gottes. Prüfungen sind Beweise von der Fürsorge Gottes. Geistige Entwicklung keimt nicht aus der Saat, die in den Boden materieller Hoffnungen gesät ist, sondern wenn diese vergehen, pflanzt Liebe die höheren Freuden des Geistes, an denen kein Makel der Erde haftet, von neuem fort. Jede weitere Stufe der Erfahrung entfaltet neue Ausblicke der göttlichen Güte und Liebe.“
Mein Mann beschloß, wieder ein Studium aufzunehmen, um einen höheren akademischen Grad zu erwerben, und das bedeutete, daß er eineinhalb Jahre von zu Hause weg sein würde. Ich war damit einverstanden, denn ich sah es für uns beide als eine Gelegenheit zum Wachsen an. Dann kam der Zeitpunkt, wo er gegangen und ich allein zu Hause war. Ich war mein Leben lang Ehefrau und Vollzeitmutter gewesen, und von einem Tag zum andern hatte ich das Gefühl, niemandem mehr etwas zu bedeuten. Meine Freiheit erschien mir plötzlich wie ein Gefängnis.
Mir kam der Gedanke, daß ich diesen Lebensabschnitt als eine Prüfung meines Vertrauens auf Gott betrachten könnte. Wenn man das Fliegen erlernt, muß man zum Abschluß einen Soloflug absolvieren — sich am Steuerknüppel bewähren. Ich wußte, daß Gott immer den „Steuerknüppel“ in der Hand hat, aber ich mußte mehr über meine geistige Identität verstehen. Das konnte ich dadurch tun, daß ich mir einen klareren Begriff von Gott und von mir als Seinem Bild und Gleichnis verschaffte. Wir alle sind für Gott unentbehrlich. Ohne jeden einzelnen von uns ist Seine Allheit unvollständig. Allmählich erkannte ich klarer, daß Er mich genauso gewiß brauchte wie ich Ihn und daß, wie Christus Jesus sagt, „ich und der Vater ... eins“ sind (Joh 10:30).
Durch das Studium der Christlichen Wissenschaft wußte ich, daß Gott mein Vater und meine Mutter ist; und je mehr mein Denken sich vergeistigte, um so klarer erkannte ich, daß es neue Möglichkeiten für mich gab.
Ich setzte mir zum Ziel, durch mein Studium eine Antwort zu finden auf die Frage: Was erwartet Gott heute von dir? Jeder Tag mußte gestaltet werden. Dabei ließ ich mich von den Ideen leiten, die mir beim Studium der christlich-wissenschaftlichen Bibellektion kamen. Jeder Abschnitt der Lektion hat sein Thema, und ich nahm jeweils ein Thema als Inspiration für den Tag.
Zuerst erschienen mir die Nächte einsam und unheimlich. Das Haus knarrte und ächzte oft, da wir tagelang Frost hatten. Furcht will uns einreden, daß wir von Sicherheit und Geborgenheit getrennt sind, und Unkenntnis über Gottes Allheit öffnet der Furcht Tür und Tor. Ich wußte jedoch, daß Vertrauen auf Gott die Furcht beseitigt und daß ich dieses Vertrauen haben konnte.
Meine Bedürfnisse wurden auf wundervolle Weise gestillt. Eine Dame aus der Kirche erkundigte sich nach einer Wohnung, die wir über unserer Garage zu vermieten hatten. Sie kam mit mir nach Hause, und die Wohnung gefiel ihr sofort. Zwischen uns entwickelte sich eine wundervolle Kameradschaft, und wir wurden beide dadurch gesegnet.
Die Kirche hatte mir immer das Gefühl von Heimat und Familie gegeben, und so wandte ich mich auch in dieser Zeit der Not ganz natürlich an sie. Eine Zeitlang hatte ich es abgelehnt, in der Sonntagsschule zu unterrichten, weil ich meinte, ich hätte „meinen Teil getan“. Jetzt wurde ich dazu geführt, Vertretungslehrerin zu werden; später übernahm ich eine Klasse auf Dauer. Ich stellte fest, daß ich noch viel von meinen jungen Schülern lernen konnte.
Dann bot sich eine Gelegenheit, Liebe zum Ausdruck zu bringen und meinen Horizont zu erweitern. Ich hatte schon immer einen Deutschkurs mitmachen wollen. Dies wurde möglich, als eine in Deutschland lebende Freundin mich für die zweieinhalb Monate, die für einen bestimmten Kurs nötig waren, zu sich einlud. Als meine Freundin mich vom Flugplatz abholte, erzählte sie mir, daß sie eine schwere Zeit durchmache, da sie irrtümlicherweise einer Verfehlung in ihrem Lehramt beschuldigt worden sei. Hinzu kam, daß sie umziehen mußte. Ich bot ihr an, in diesen Angelegenheiten für sie zu beten, und sie war einverstanden damit. Wir erlebten beide Gottes Führung. Meine Freundin wurde schließlich von allen Bezichtigungen freigesprochen; und sie fand eine neue Wohnung, die ihren Bedürfnissen besser entsprach (und meinen auch, denn wir hatten viel Spaß beim Einrichten ihres neuen Heims).
Ich war in Deutschland, als die Mauer fiel, und konnte aus erster Hand miterleben, welche Bedeutung dieses weitreichende Ereignis hatte. Wir lernten zwei Familien aus Ostberlin kennen und haben in den schwierigen Zeiten, die folgten, mit ihnen korrespondiert; wir tauschen Grüße und Neuigkeiten aus.
Mein Mann verbrachte das folgende Jahr damit, geschäftliche Möglichkeiten zu prüfen, und er ist heute sehr zufrieden mit einem neuen Unternehmen, in dem er alle seine Fähigkeiten einsetzen kann. Unsere beiden Söhne überwanden die Trauer und sind jetzt glücklich und produktiv.
Als mein Mann beruflich nach dem rechten Platz suchte, unterstützte er auch mich sehr in dem Wunsch, mich der Aufgabe zu widmen, anderen Menschen durch Gebet zu helfen. Ich fühlte mich unseren Söhnen sehr nahe und weiß, daß wir niemals voneinander getrennt sein können, weil keiner von uns von Gott getrennt sein kann. Die ewige Identität unseres ältesten Sohnes ist uns allen sehr bewußt. Dieser Gedanke wird durch folgende Worte Mrs. Eddys zum Ausdruck gebracht: „Der Mensch ist todlos, ist geistig.. . Er schreitet nicht über die Grenzen der Zeit in die unermeßliche Ewigkeit des Lebens, sondern er besteht zugleich mit Gott und dem Universum“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 266).
Wenn ich heute auf diese Jahre zurückblicke, sehe ich jene schweren Probleme als Stufen an, nicht als Hürden. Ich wußte die ganze Zeit über, daß Gott da war. Ich bin außerordentlich dankbar.
Englewood, Colorado, USA
