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Eine christlich-wissenschaftliche Heilung wiederbetrachtet

Aus der Oktober 1995-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als Der Berlin-Moskau-Express langsam aus dem Warschauer Bahnhof rollte, wo mein Mann und ich zugestiegen waren, richteten wir uns im Abteil für die vierundzwanzigstündige Reise nach Osten ein. Kaum hatte ich meine Bibel und das Buch Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy aus meiner Reisetasche hervorgeholt, als eine junge Russin aus der mir gegenüberliegenden Koje hervorlugte, sich aufsetzte und sich vorstellte. Ihre eine Wange war stark geschwollen, und sie erzählte sogleich, daß sie schon fünf Tage lang während eines Besuchs bei ihrem Mann, der kurzfristig in Berlin Dienst tun mußte, unter fürchterlichen Zahnschmerzen gelitten hatte. Sie berichtete, daß keines der Medikamente, die sie eingenommen hatte, ihr auch nur die geringste Erleichterung gebracht habe.

Auch wir stellten uns vor und äußerten unser Bedauern über ihre Zahnschmerzen.

Ich empfand großes Mitleid mit ihr und mußte an einige schwierige Zahngeschichten denken, die ich in der Jugend durchgemacht hatte, als ich auf einen Zahnarzt angewiesen war, vor dem ich mich höllisch fürchtete. Das alles änderte sich, als ich zur Christlichen Wissenschaft kam. Ich lernte folgendes: Wenn wir auf christlich-wissenschaftliche Weise Probleme durch geistige Mittel lösen, liegt die Heilung von Schmerzen oder anderen Schwierigkeiten stets so nahe, wie unsere Gedanken Gott nahe sind. Aber hier war ich nun, rollte gemütlich durch die polnische Landschaft und hatte eine Reisegefährtin, die dringend Heilung brauchte. Was sollte ich tun — von der kurzen Bekundung meines Mitgefühls abgesehen?

Einerseits wollte ich gern helfen, aber andererseits fand ich alle möglichen Ausreden, warum ich mich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen sollte. Mehr als einmal sagte ich mir: Hier bin ich, eine Christliche Wissenschafterin, zusammen mit einer schmerzgeplagten Reisegefährtin — was mache ich nun?

Da kam mir Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter in den Sinn. Siehe Lk 10:25–37. Im Lukasevangelium wird von einem Schriftgelehrten berichtet, der Christus Jesus fragte: „Was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?" Von Jesus aufgefordert, beantwortete er seine Frage selbst, und der Meister bestätigte seine Antwort — daß wir nämlich Gott „von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt" lieben sollen und unseren Nächsten wie uns selbst. Aber dann fragte der Schriftgelehrte: „Wer ist denn mein Nächster?" Daraufhin erzählte Jesus das Gleichnis von einem Reisenden, der auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho beraubt, geschlagen und verwundet wurde. Zwei Leute kamen vorüber, sahen ihn liegen und gingen weiter, ohne ihre Hilfe anzubieten. Ein Dritter hatte Mitleid, unterbrach seinen Weg und versorgte den Verletzten. Wem in diesem Gleichnis würde ich es gleichtun?

Ein Grund, der dagegen sprach, christlich-wissenschaftliche Hilfe anzubieten, war die Annahme, unsere Mitreisende könne Atheistin sein und wäre daher für geistige Unterstützung nicht empfänglich. Aber genau da besann ich mich auf eine Stelle aus Wissenschaft und Gesundheit, die darauf hinweist, daß ein kranker Atheist durch die Christliche Wissenschaft geheilt werden kann. Siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 139.

Schließlich verschloß ich die Tür meines Denkens gegen alles mentale Argumentieren und suchte im Gebet nach einer Antwort. Als ich mich darum bemühte zu wissen, was das Richtige sei, wurde mir folgendes klar: Unsere Reisegefährtin brauchte Heilung, und die Christliche Wissenschaft hatte mich gelehrt, solchen Nöten abzuhelfen. Mit dieser Erkenntnis holte ich tief Luft und sagte ihr, daß ich geistiges Heilen praktiziere und ihr helfen könne, sofern sie damit einverstanden sei. Sie stimmte augenblicklich zu.

Während sie sich wieder hinlegte, dachte ich: „Ich werde einfach beten, und zwar so lange, bis sie geheilt ist, und sollte es die ganze Reise dauern." Zunächst war mein Gebet sehr einfach; ich hielt an den geistigen Tatsachen über das Wesen Gottes fest, daß Er unendlicher Geist ist und daß Sein Kind dazu geschaffen wurde, Ihn in guten Eigenschaften und immerwährendem Wohlergehen widerzuspiegeln. Ich wies die Vorstellung zurück, daß Gottes Kind, Sein geistiger Sprößling, von Schmerzen geplagt sein könne, daß es eine Macht oder ein Bewußtsein gebe, das Gott, dem allharmonischen Gemüt, entgegengesetzt ist. Noch andere geistige Wahrheiten kamen mir in den Sinn.

Nach einiger Zeit überwogen Freude und Dankbarkeit in meinem Denken, als mir mit den Worten des Psalmisten bewußt wurde: „Der Herr ist allen gütig und erbarmt sich aller seiner Werke."  Ps 145:9. Ein wunderbares Gefühl der Gegenwart und Macht Gottes, der göttlichen Liebe, erfüllte mich, und ich wußte, daß die göttliche Liebe uns alle zärtlich umgab.

Unsere Reisegefährtin brauchte Heilung, und die Christliche Wissenschaft hatte mich gelehrt, solchen Nöten abzuhelfen.

Ich mochte wohl eine Stunde lang gebetet haben, als die Schaffnerin kam, um die Fahrkarten zu kontrollieren, und unsere Reisegefährtin unaufgefordert mitteilte, daß sie sich schon viel besser fühle. Sobald wir wieder allein waren, betete ich weiter. Einige Zeit später setzte sie sich plötzlich auf und erklärte begeistert: „Die Schmerzen sind weg!" Sie berührte ihre Wange, die nicht mehr so stark geschwollen war. „Was haben Sie getan?" war die unvermeidliche Frage.

Ich führte sie nun in die Christliche Wissenschaft ein und gab ihr einiges von der ins Russische übersetzten Literatur, die wir mitgebracht hatten. Sie fand es zunächst schwierig, die neuen geistigen Begriffe zu erfassen, da sie, wie sie selber sagte, atheistisch erzogen worden war.

Natürlich beinhaltet diese Geschichte mehr, als sich in einem kurzen Artikel wiedergeben läßt. Lassen wir es dabei bewenden, daß unsere russische Reisegefährtin bei der Ankunft in Moskau fröhlich aus dem Zug sprang, voller Dankbarkeit für ihre Heilung durch geistige Mittel, und eine russische Übersetzung von Wissenschaft und Gesundheit in ihrem bescheidenen Gepäck trug.

Ich mochte wohl eine Stunde lang gebetet haben, als unsere Reisegefährtin unaufgefordert mitteilte, daß sie sich schon viel besser fühle. „Was haben Sie getan?” war die unvermeidliche Frage.

Inzwischen sind etliche Monate vergangen, und jetzt, wo ich an dieses kostbare Erlebnis zurückdenke, frage ich mich, welche Lehren sich aus dieser Heilung ziehen lassen.

Sicherlich haben wir alle von christlich-wissenschaftlichen Heilungen gehört, und wahrscheinlich haben wir auch selbst welche erlebt. Selbstverständlich sind sie uns wertvoll, nicht nur weil körperliches Wohlbefinden wiederhergestellt wurde, sondern wohl noch mehr wegen des Lernprozesses, den wir dabei durchgemacht haben, und des damit verbundenen geistigen Wachstums. Wir haben uns wahrscheinlich selbst geistig besser kennengelernt, vielleicht brachte es auch — durch das göttliche Gesetz — unliebsame Charakterzüge an die Oberfläche oder jahrelang mit uns herumgetragene, verletzte Gefühle, die wir nie ganz hinter uns gelassen hatten. Wenn wir solche Erfahrungen von einem geistig fundierten Standpunkt aus betrachten, erkennen wir, daß sie ausnahmslos mit einer falschen Auffassung von Identität zu tun haben. Christlich-wissenschaftliches Heilen hilft uns, zu verstehen, wer wir wirklich sind. Und es erweitert unser Verständnis von Gott und unser Bewußtsein von Gottes Güte und Seiner großen Liebe zu allen Seinen Kindern.

Im Zusammenhang mit dieser besonderen Heilung kommen mir einige Gedanken, die ich sehr lehrreich finde. Wir hatten es hier mit einem Leiden zu tun, das eine Reaktion bei jemandem auslöste, der aus eigener Erfahrung Leiden kannte, aber auch wußte, daß Leiden — im Gegensatz zur menschlichen Meinung — nicht unvermeidlich ist; daß es nicht nur gemildert, sondern durch geistige Mittel in der Christlichen Wissenschaft völlig geheilt werden kann.

Die Heilung war durch das Gebet geistigen Verständnisses eingetreten. Gott um Hilfe zu bitten ist ein Aspekt beim Beten und sicherlich ein rechtmäßiger, und häufig ist es auch der allererste Schritt in dem Bemühen, das Denken auf Ihn zu richten, um geheilt zu werden. Doch das Gebet geistigen Verständnisses geht über Empfindungen des Hoffens oder Glaubens an Gott hinaus — so wichtig diese auch sein mögen —, es ist auch mehr als die bloße Bitte um ein göttliches Eingreifen. Das Gebet geistigen Verständnisses erfordert einige Kenntnis und Überzeugung vom wahren Wesen Gottes und des Menschen und ihrer Beziehung zueinander als Ursache und Wirkung. Es setzt voraus, daß die geistige Wahrheit über den Schöpfer und die Schöpfung im Denken anerkannt und behauptet wird, bis die Heilung vollständig ist.

Die Heilung war durch das Gebet geistigen Verständnisses eingetreten.

Bei der oben geschilderten Erfahrung brachte das Behaupten der Wahrheit — das bewußte Festhalten an den grundlegenden metaphysischen Tatsachen und das Verneinen der vermeintlichen Wirklichkeit des Leidens — spontane Freude und Dankbarkeit für das tatsächliche Erleben der göttlichen Gegenwart. Wenn es auch wichtig war, das abzulehnen, was offensichtlich keine Grundlage in Gott oder der Wahrheit hatte, trat die Heilung doch erst ein, als Gott als das eine Gemüt anerkannt wurde und eine persönliche Auffassung von Gebet aufgegeben worden war. Ein allumfassendes Gefühl von Frieden war das Gegenmittel gegen das Leiden und bewies wieder einmal schlüssig, daß es sich bei körperlicher Krankheit tatsächlich um eine mentale Erfahrung handelt, die durch Gebet angegangen und überwunden werden kann. Mrs. Eddy drückte es folgendermaßen aus: „Wenn eine Empfindung von Nichtwohlsein Leiden erzeugt und ein Bewußtsein von Wohlsein Leiden aufhebt, dann ist Krankheit mental und nicht materiell. Daher die Tatsache, daß allein das menschliche Gemüt leidet und krank ist und daß allein das göttliche Gemüt heilt." Wissenschaft und Gesundheit, S. 270.

Aus den Evangelien wissen wir, daß Jesus seine Nachfolger aufforderte, Teufel, alias böse Geister, auszutreiben. Im Falle der Frau, die achtzehn Jahre lang verkrümmt gewesen war und sich nicht mehr aufrichten konnte, wandte er sich gegen einen „Geist, der sie krank machte", und trieb ihn aus. Siehe Lk 13:11–13. Dieses Beispiel zeigt, daß die Krankheit der Frau nicht das war, was sie zu sein schien — nämlich ein materieller Zustand, auf den sie keinen Einfluß hatte —, sondern eine falsche Annahme. Jesus bewies, daß die Frau ein göttliches Anrecht und folglich auch die Fähigkeit hatte, von krankmachenden Gedanken oder Geistern frei zu sein. Sie sprach auf sein Verständnis ihres natürlichen, geistigen Zustandes der Freiheit und wurde augenblicklich geheilt.

Den Widerstand gegen das Helfen zu brechen stellte sich bei der Erfahrung mit der Reisegefährtin als das schwierigste dar. Durch skeptische und furchtsame Gedanken wie auch die menschliche Neigung, sich nicht einmischen zu wollen, war der natürliche Wunsch zu helfen eine Zeitlang unterdrückt worden. Doch diese mentale Auseinandersetzung führte zu nichts; und als ich mich entschlossen von der menschlichen Argumentation mit ihren wechselnden Pros und Kontras abwandte, hin zu Gott, dem göttlichen Gemüt, das alles weiß, wurde die Sicht klarer; und damit kam auch die Erkenntnis, was zu tun war. Der Gedanke an das machtvolle Symbol selbstlosen Helfens in der Gestalt des barmherzigen Samariters gab den entscheidenden Anstoß, die Initiative zu ergreifen, wenn ich ihm auch nicht augenblicklich Folge leistete. Hätte ich wirklich „vorübergehen" können? Ganz sicher hat es in meinem Leben Zeiten gegeben, zu denen der Priester und der Levit den Sieg davongetragen hätten. Was war nun in diesem Fall anders?

Zurückblickend scheint es mir, daß ich vom menschlichen Willen abließ und demütig wünschte, mich von Gott führen zu lassen. Das Beispiel des barmherzigen Samariters leuchtet wie ein helles Licht; es weist nachdrücklich darauf hin, daß die Lehren Jesu heute relevant sind, in einer Zeit, wo die Menschheit in dem Bemühen, das Leiden und die Verwirrung in der Gesellschaft zu lindern, so sehr auf Technik und materielle Medizin fixiert ist.

Die Erfahrung birgt weitere entscheidende Elemente in sich, wie zum Beispiel die wunderbare, kindliche Empfänglichkeit der Frau für die fürsorgliche Liebe Gottes, ungeachtet ihrer atheistischen Erziehung. Ihr Denken war aufgeschlossen für die Berührung durch geistige Ideen.

Ganz besonders fällt mir letztendlich jedoch auf, daß kein persönlicher Sinn mit im Spiel war — weder ein Gefühl der Verantwortlichkeit, noch das Gefühl, persönlich etwas bewirkt zu haben. Die alles überragende Bereitschaft, Gott als göttliches Gemüt regieren und heilen zu lassen, war der Schlüssel zum Nachlassen und schließlich zum Verschwinden der Schmerzen. Es ging weniger darum, daß eine Person einer anderen aus einer schlimmen Lage heraushalf, als darum, daß die Macht der Liebe, Gottes, sich in Liebe widerspiegelte, was das Verschwinden von Furcht und Leiden zur Folge hatte. Es war eine Gelegenheit zu helfen, wie der Apostel Petrus es beschrieb: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes."  1. Petr 4:10.

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