Bitten Sie Einmal jemanden, ein Bild der Drogen- und Alkoholprobleme in unserer Gesellschaft zu zeichnen, und wahrscheinlich wird er Ihnen von Bandenkriminalität, rauschgiftabhängigen Kindern und den jeder Strafverfolgung entgehenden Drahtziehern im Drogengeschäft erzählen. Dieses klischeehafte Bild weist zwar auf ein ernstes Problem hin, zeigt aber nur einen Aspekt eines sehr komplexen Sachverhalts. Das Drogen- und Alkoholproblem liegt viel tiefer und ist viel komplizierter, als man vielleicht denkt.
Es gibt Millionen von Alkohol- und Drogenkonsumenten, die noch nie festgenommen wurden, nie in einem verkommenen Stadtviertel gewohnt und nie auch nur daran gedacht haben, im täglichen Leben Gewalt anzuwenden. Drogen und Alkohol sind für diese Leute nicht etwas, was sie aus der Gesellschaft ausgrenzt und in eine Unterwelt der Verzweiflung versenkt. Die Annahme, daß eine zeitweilige Flucht aus der Realität nicht nur wünschenswert, sondern sogar notwendig sei, ist für sie ein ganz normaler Bestandteil eines erfolgreichen Lebens. Und die einzige Möglichkeit zu einer solchen Flucht sehen sie darin, Leben und Empfindung in der Materialität zu suchen.
Ich gehörte auch einmal zu diesen Menschen. Ich glaubte, Glück bestehe darin, eine neue Hochstimmung oder einen neuen Kitzel zu finden und viele geistlose Stunden mit Freunden zu verbringen. Die Gesellschaft hatte mich dazu erzogen, das zu glauben, und meine bisherigen Lebenserfahrungen schienen zu bestätigen, daß es so ist.
Diese unglückselige Auffassung vom Leben hatte sich durch viele Geschehnisse und weltliche Annahmen herausgebildet. Das unschöne Auseinanderbrechen der Ehe meiner Eltern, für das ich fälschlicherweise die Schuld auf mich nahm, überzeugte mich, daß ich nichts wert sei und in meinem Leben die Hilfe anderer weder verdiente noch benötigte. Wenn die Scheidung meine Schuld war, dann mußte ich ein schlechter Mensch sein, der es nicht verdiente, glücklich zu sein. Wenn meine Eltern mich nicht brauchten und darum kämpften, mich nicht am Hals zu haben, dann brauchte ich sie auch nicht — sie nicht und auch niemand anderen.
Der Schmerz, den das Zerbrechen der elterlichen Ehe hervorrief, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, und die daraus resultierende Einsamkeit, der niederdrückende Einfluß von Fernsehen, Presse, Radio und Werbung — das alles hatte mich davon überzeugt, daß das Leben Schmerz bedeutet und daß man zur Überwindung des Schmerzes materielle Dinge benötigt und die Möglichkeit, seinen Problemen immer wieder eine Zeitlang zu entfliehen.
Im Zuge dieser „Erziehung“ hatte Gott jede Bedeutung für mich verloren. Er schien mir nur eine leere Worthülse zu sein, jedenfalls unfähig, mir bei der Bewältigung meiner Probleme zu helfen. Gott — das war für mich etwas, woran man selten denkt und worüber man nie spricht. Gott war etwas für andere, und wenn Er im Gespräch auftauchte, dann nur als Randfigur in der Geschichte irgendeines gefallenen, scheinheiligen religiösen Führers, dessen Sturz gerade Schlagzeilen gemacht hatte.
Eigenartig war das schon, denn ich wußte eigentlich einiges über Gott. Als Kind war ich in die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft gegangen, und als ich Gott das erste Mal so verstand, wie Er in der Christlichen Wissenschaft erklärt wird, wußte ich unwillkürlich, daß das richtig war. In der Christlichen Wissenschaft wird Gott als „der große Ich Bin; der All-Wissende, All-Sehende, All-Wirkende, All-Weise, All-Liebende und Ewige; Prinzip; Gemüt; Seele; Geist; Leben; Wahrheit; Liebe; alle Substanz; Intelligenz“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 587. definiert.
Diese Definition finden wir im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Als ich später den geistigen Sinn dieser Worte begreifen lernte, zerstörten sie für immer das falsche Bild von Gott als einem körperlichen, heroischen, menschenähnlichen König, der den Menschen nach Belieben vergibt und seine Kinder verurteilt, schwer unter Fehlern oder Eigenschaften zu leiden, mit denen Er sie schuf.
Mrs. Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, warf Licht auf Gott und Seine geistige Schöpfung — eine Schöpfung voller Vollkommenheit und Liebe, eine Schöpfung, in der jedes Geschöpf mit dem anderen in Harmonie lebt und in der Leiden nicht die Wahrheit des Seins ist. Diese Schöpfung existiert nicht in irgendeinem weit entfernten ätherischen Leben nach dem Tode, sondern im lebendigen, greifbaren „Jetzt“. Um dieses Leben in Gott greifbarer werden zu lassen, war nur ein richtiges Verständnis von Ihm notwendig sowie der Wunsch und das aufrichtige Bemühen, Ihm in allem, was wir tun, zu gehorchen.
Allmählich fühlte ich mich von diesen Ideen mehr und mehr angezogen. Sie leuchteten mir ein. Sie warfen Licht auf unbeantwortete Fragen über das Dasein, die in den Tiefen meines Denkens verborgen waren — Licht, das ich dringend brauchte. In aller Bescheidenheit begann ich die allgemein akzeptierte Annahme in Zweifel zu ziehen, daß Leid wirklich sei und notwendigerweise zum Leben gehöre.
Dennoch schien es eine Zeitlang so, als ob die Ereignisse des täglichen Lebens und die Belastungen, die sie brachten, mich zu sehr bedrängten. Oft ertappte ich mich bei dem Gedanken: „Sollen doch andere in einer Welt leben, in der Schmerz in Frage gestellt und durch harte Arbeit und die Nähe zu Gott überwunden wird.“Ich wollte und konnte nicht daran teilnehmen, denn es gab eine entscheidende Lehre, an die ich nicht glauben und der ich nicht zustimmen konnte. Und das war der folgende, im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft niedergelegte Gedanke: „Die große Wahrheit in der Wissenschaft des Seins, daß der wirkliche Mensch vollkommen war, ist und stets sein wird, ist unbestreitbar; denn wenn der Mensch das Bild, die Widerspiegelung Gottes ist, dann ist er weder verkehrt noch umgekehrt, sondern aufrecht und gottähnlich.“ Ebd., S. 200.
Wie konnte ich „aufrecht und gottähnlich“ sein, wenn ich so viele schreckliche Eigenschaften hatte und so viele schlimme Dinge tat? Nein, auf gute Menschen mochten diese Ansichten über Gott, des Leben, und den Menschen zutreffen, aber nicht auf mich. Ich würde mich weiter durchschlagen, mit Schmerzen leben, der Wirklichkeit entfliehen und daran glauben, daß in der Anschaffung neuer und besserer Dinge und im Erleben neuer und größerer Reize die Quelle des Glücks liegt.
Wie viele andere Menschen auch lebte und arbeitete ich weiter, ohne irgendeine bewußte Bindung an Gott. Ich suchte des Glückes habhaft zu werden, indem ich neue Dinge ausprobierte, neue Nervenkitzel entdeckte und neue Drogen nahm. Ich tat dies eine ganze Zeitlang, und vielleicht hätte ich noch lange so weiterleben können ich ein anderer Mensch gewesen wäre. Doch längere Zeiten des Hochgefühls verwandelten sich immer häufiger in längere Perioden der Leere und Verzweiflung. Ich brauchte immer mehr Drogen, um den Schmerz, den ich zunächst hatte betäuben können zum Schweigen zu bringen. Und dann merkte ich daß er mich wie die ewige Dunkelheit einer tiefen Höhle stets umgab, ganz gleich, was ich tat. Es gab keinen Ausweg.
Gerade in dem Augenblick aber zeigte sich ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit. Wenn Gottes geistige Schöpfung aus Liebe, Harmonie, Vollkommenheit und Güte bestand — war das dann nicht erstrebenswerter als das dunkle, armselige und leere Leben, in das ich mich eingehüllt hatte? Ich brauchte doch nur meine alten Kleider abzulegen und bereit zu sein, die neuen anzuziehen, die Gott für mich gemacht und unversehrt erhalten hatte. Mit anderen Worten, ich mußte ein für allemal meine geistige Identität als Kind Gottes — als vollkommen, aufrecht und wertvoll — annehmen. Dies schien der einzige Ausweg zu sein, doch nach wie vor stand mir noch immer diese eine Lehre im Weg.
Demut war schließlich der Schlüssel, der mein Gefängnis öffnete. Folgendes geschah. Durch Gebet erkannte ich: Wenn Gott wirklich allwissend ist und Er mich vollkommen und gut geschaffen hat, dann habe ich Ihm in all diesen Jahren, in denen ich nicht glauben konnte, daß ich ein guter Mensch bin, die Ehre versagt, ja Ihn einen Lügner genannt. Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich den Gedanken zu, daß ich ein vollkommenes Kind Gottes bin, geschaffen, um in Frieden zu leben und Gott zu dienen. In dem Moment veränderte sich mein ganzes Leben unwiderruflich, und ich war geheilt.
Gott hatte mir die Fesseln abgenommen und fuhr fort, mich mit Seiner Güte, Seiner Wahrheit und Seiner Liebe zu umgeben und zu versorgen. Die vermeintlichen Schmerzen und Qualen der zurückliegenden Jahre lösten sich tatsächlich in nichts auf, und meine wahre Identität als Kind und Diener Gottes kam zum Vorschein. Dies alles ereignete sich trotz meiner Vergangenheit und der Art, wie die Welt mich sah. Mein Verlangen, Drogen zu nehmen, verschwand, und meine ganze Lebensweise, meine Träume und persönlichen Eigenschaften strebten einem höheren Ausdruck zu — dem Ausdruck Gottes. Christi Jesu Worte „Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze“ Joh 6:63. wurden für mich lebendig. Ich hatte Frieden gefunden.
Meine Geschichte ist nichts Besonderes. Die Prüfungen und Siege in meinem Leben stehen exemplarisch für die Prüfungen und Siege vieler anderer in der heutigen Gesellschaft. Meine Erfahrung veranschaulicht, wie tief das Problem des Drogen- und Alkoholmißbrauchs in unserer Welt reicht. Doch mehr als alles andere veranschaulicht das, was ich erlebt habe, daß Gottes Hilfe stets unmittelbar verfügbar ist, um Probleme dieser Art zu lösen. So wie Jesus es uns gebot: „Laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Mt 5:16.
