Zwischen 1872 und 1875 schrieb Mary Baker Eddy das Lehrbuch, das die Wissenschaft erklärt, die sie im Jahre 1866 durch göttliche Offenbarung entdeckt hatte. Seit dieser Entdeckung hatte sie intensiv die Bibel studiert, hatte Kranke allein durch Gebet geheilt und andere Menschen das Heilen gelehrt. 1872 gab sie das Lehren vorläufig auf, um sich ganz dem Schreiben von The Science of Life (Die Wissenschaft des Lebens) zu widmen. Dies war der ursprüngliche Titel ihres Werkes, den sie aber änderte, als sie erfuhr, daß ein Buch dieses Namens bereits in Druck war. Später schrieb Mrs. Eddy darüber:
Sechs Wochen wartete ich darauf, daß Gott mir einen Namen für das Buch, das ich geschrieben hatte, eingeben würde. Der Titel „Wissenschaft und Gesundheit" kam mir in der Stille der Nacht, als die beständigen Sterne über der Welt Wache hielten — als der Schlummer geflohen war —, und ich erhob mich und zeichnete die geheiligte Eingebung auf.Vier Botschaften an Die Mutterkirche, S. 84.
Anfang 1875 wohnte Mrs. Glover, wie sie damals hieß, in Pension bei Amos Scribner und seiner Frau in der Broad Street Nr. 7 in Lynn, Massachusetts. Eines Abends wurde Mr. Scribner gebeten, die Nacht über bei einem Freund zu bleiben, der schon längere Zeit schwer an zwei verschiedenen fieberhaften Erkrankungen litt. Mr. Scribner wollte nicht gern gehen, denn es hieß, sein Freund liege im Sterben. Jahre später schrieb Mrs. Eddy über diesen Abend:
Als ich von diesem Umstand erfuhr, sagte ich zu ihm: „Gehen Sie, ich werde ihn für Sie heilen." Ich beschrieb ihm auch die Zeichen, an denen er erkennen würde, daß meine Arbeit an dem Fall Fortschritte machte. Er meinte: „Und was ist, wenn ich hinkomme und er ist schon tot?" Ich antwortete: „Das wird nicht geschehen, und. .. ich werde ihn heilen, wenn Sie alle anderen Anwesenden aus dem Krankenzimmer weisen."...
Er hatte miterlebt, wie ich seine Frau von Kindbettfieber geheilt hatte und seinen Sohn von kindlichen Wutanfällen. So hatte er volles Vertrauen in mein Können und sagte: „Ich gehe." Als er bei seinem Freund ankam, war dieser sehr schwach, und er forderte alle Anwesenden auf, den Raum zu verlassen, da er ganz allein für den Mann sorgen wolle.
Bald öffnete der Kranke die Augen und sagte: „Hallo, Amos! Bist du es? Wie freue ich mich, dich zu sehen." Amos sagte: „Möchtest du nicht aufstehen?" Sein Freund antwortete: „Ja, es ist doch wirklich noch zu früh, um ins Bett zu gehen." Und er stand auf, zog sich an und verlangte etwas zu essen. Am nächsten Tag ging er völlig geheilt aus dem Haus.
Dieser Fall erregte solches Aufsehen, daß die Leute an den Straßenecken stehenblieben und miteinander darüber redeten. Die ganze Stadt war in Aufregung deswegen. Dokument zur Kirchengeschichte: A11060, Abteilung für Kirchengeschichte Der Mutterkirche.
Im Vorwort zu ihrem Buch, das nun kurz vor der Veröffentlichung stand, schrieb Mrs. Glover: „... wir schlagen vor, die Frage ,Was ist Wahrheit?' durch Beweise zu entscheiden. Man möge diejenige Methode, die Kranken zu heilen und das Christentum aufzurichten, annehmen, die nachweislich am meisten Gesundheit verleiht und die besten Christen hervorbringt." Mary Baker Glover, Science and Health, 1. Aufl., 1875, S. 4. Ihre Heilmethode — die Demonstration der Wirklichkeit der göttlichen Wissenschaft, die ihr von Gott offenbart worden war — verlieh tatsächlich „am meisten Gesundheit" und brachte „die besten Christen" hervor; sie heilte den Körper und wandelte dabei zugleich den menschlichen Charakter um. Wahres Heilen und Christentum waren untrennbar.
Am 30. Oktober 1875 wurde Mrs. Glovers Buch Wissenschaft und Gesundheit in einer ersten Auflage von tausend Stück herausgegeben. Die Monate vor diesem erleuchteten Tag waren sehr arbeitsreich gewesen. Den Frühling und Sommer über war Mary nicht nur damit beschäftigt gewesen, Druckfahnen zu lesen und zu korrigieren, sondern sie hatte auch noch dem letzten Kapitel mit der Überschrift „Die Kranken heilen" ihre Beobachtungen über mentale Malpraxis hinzugefügt. Sie nannte das Schreiben dieses Zusatzes eine „peinvolle Pflicht" Siehe Rückblick und Einblick, S. 38., aber sie war zu der Überzeugung gekommen, daß es nötig sei, die Leser vor der Gefahr des Abgleitens aus dem christlichen Glauben in den Mesmerismus zu warnen. Diese vierzehn Seiten wurden in der Broad Street Nr. 8 geschrieben, ihrem neuen Lynner Heim. Im März hatte Mary das Haus gekauft, und im April nahm sie das Unterrichten wieder auf, wobei sie das zur Straße gelegene Wohnzimmer als Klassenraum benutzte. Einen Monat später, am 23. Mai, gab sie in der Konzerthalle in der Lynner Market Street einen Vortrag mit dem Titel „Christus heilt die Kranken". Es war ihre erste öffentliche Ansprache über die Christliche Wissenschaft.
Ob Mary nun lehrte oder Vorträge hielt — ihr Hauptanliegen war immer das Heilen. Einem zukünftigen Schüler schrieb sie 1876 über ihren Unterricht: „. .. wenn es mir nicht gelingt, [den Schülern] das Heilen beizubringen, gebe ich ihnen ihr Geld zurück." Dokument zur Kirchengeschichte: L02043. Für sie bedeutete Unterrichten nicht, den Schülern vorher unbekannte Tatsachen beizubringen, sondern sie wollte Schüler heranbilden, die allein durch christliches Gebet heilen konnten. Als aber Mrs. Glover die christlich-wissenschaftliche Bewegung organisierte, wuchsen die an sie gestellten Anforderungen so, daß sie die öffentliche Ausübung geistigen Heilens mehr und mehr zu einer privaten machen mußte. Doch sie setzte ihre Heilarbeit fort, da immer wieder Hilferufe sie erreichten. Einer dieser Hilferufe kam vom Sohn einer Witwe aus Lynn. Er hatte ein kariöses Schienbein, und der Arzt hatte ihm Morphium verschrieben, das der junge zur Betäubung der Schmerzen alle zwei Stunden einnahm. Als Mrs. Glover zu ihm kam — am Tag, an dem das Bein amputiert werden sollte Siehe Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 105. — war es sehr fraglich, ob er überleben würde. Über das, dann folgte, schrieb sie:
Am Tag nach meinem Besuch war er draußen auf der Straße. Er nahm kein Morphium mehr, und noch im gleichen Winter absolvierte er einen Tanzkurs. Etwa einen Monat nachdem ich ihn geheilt hatte, besuchte er mich, und ich sah, daß sein Fuß unnatürlich nach außen verdreht war. Ich änderte das sofort, und als er dann durchs Zimmer ging, hatte sein Fuß die natürliche Stellung. Dokument zur Kirchengeschichte: A10328.
1901 schrieb Calvin Frye, Mrs. Eddys Privatsekretär, in sein Tagebuch, daß Mrs. Eddy ihm von dieser Heilung erzählt und dabei geäußert habe: „Ich wußte: Wenn er gestorben wäre, dann wäre er erwacht und hätte festgestellt, daß er diese Krankheit nicht hat — und ich wollte ihn dazu erwecken, bevor er starb." Calvin Fryes Tagebuch, 9. Oktober 1901.
Den Gedanken zur Wahrheit über die Allheit und Güte Gottes zu erwecken und zu der Erkenntnis, daß der Mensch Seine vollkommene Widerspiegelung ist — das ist das Hauptanliegen der Christlichen Wissenschaft. Es bringt Heilung und ist der Antrieb zu allem, was in ihrem Namen unternommen wird. Zweifellos stand auch hinter dem Schreiben von Wissenschaft und Gesundheit der Impuls, die Menschheit zur göttlichen Wahrheit zu erwecken — aber die Verfasserin gab sich nicht damit zufrieden, das Buch herauszubringen und dann die Verbreitung seiner Botschaft den Launen des öffentlichen Interesses zu überlassen. Mary Baker Glover sah es als Teil der ihr von Gott übertragenen Aufgabe an, dafür zu sorgen, daß die Botschaft des Buches alle erreichte, „die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit" Mt 5:9. — nach Reinheit, Gesundheit und Vollkommenheit —, auf daß sie „satt werden". Und so schreibt sie denn eineinhalb Monate nachdem ihr Buch erschienen war, an einen Schüler über „unsere glorreiche Sache" Dokument zur Kirchengeschichte: L12666.. Was über dreißig Jahre zuvor als Suche nach wahrer Gesundheit begann, hatte — durch Gottes gnadenreiche Vorbereitung — eine Leidende umgewandelt in eine Heilerin, Lehrerin, Autorin und nun auch Gründerin der „Sache" der Christlichen Wissenschaft.
1876 ging es Mrs. Glover in erster Linie darum, Wissenschaft und Gesundheit in die Hände der Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Sie berief Daniel Spofford, einen ihrer Schüler, zum Verleger, der für den Verkauf des Buches verantwortlich war. Im Mai schrieb sie ihm: „Was Sie am meisten brauchen, ist Liebe, Sanftmut und Barmherzigkeit bzw. Geduld mit jedermann. Diese Eigenschaften werden Ihnen mehr Erfolg bringen." Dokument zur Kirchengeschichte: L07808. Und ein Jahr darauf schrieb sie ihm über die Notwendigkeit, „Schüler als Ausüber ins Feld zu bekommen. Durch ihre Heilarbeit wird das Buch verkauft und die Wissenschaft bekannter werden, als es durch irgend etwas anderes außer meinen Vorträgen geschehen kann." Dokument zur Kirchengeschichte: L07816.
Und natürlich brachten auch ihre Ansprachen in der Öffentlichkeit Heilung. Sie erwähnt das in ihrer Autobiographie Rückblick und Einblick, wo sie schreibt: „Unsere letzte Gemeindeversammlung gestaltete sich dadurch denkwürdig, daß Besucher beredt und ergriffen bezeugten, durch mein Predigen geheilt worden zu sein. Unter den geheilten Krankheiten wurden auch Krebserkrankungen genannt." Rückbl., S. 15. Hier bezog sich Mrs. Eddy auf eine Reihe von Nachmittagspredigten, die sie vom 24. November 1878 an in der Tabernacle-Baptistenkirche in Boston gehalten hatte.
In den drei Jahren nach der Veröffentlichung ihres Buches fanden mehrere bedeutsame Ereignisse statt. Im März 1876 lernte sie Asa Gilbert Eddy kennen, der später ihr Mann wurde. Er kam zu ihr, um von einer Herzkrankheit geheilt zu werden. Nachdem sie am 1. Januar 1877 geheiratet hatten, schrieb sie an einen Schüler:
Ich muß diesen Schritt nicht rechtfertigen vor einem Schüler, der weiß, daß die Sache der Wahrheit das einzige ist, was mir auf Erden wichtig ist. Und in der Ansicht, daß ich diese Sache fördere und erleben werde, daß in der Gemeinsamkeit Stärke liegt, bringe ich jemanden in mein Arbeitsfeld und vereine mein Leben nicht zuletzt mit einem Menschen, von dem ich gewiß bin, daß er es segnen wird. Und so habe ich meinen Lebensstil nach so vielen Jahren einsamen Kampfes geändert.
Im vergangenen Frühjahr kam Dr. Eddy als hoffnungslos Leidender zu mir. Damals sah ich ihn zum ersten Mal und traf ihn nur zweimal. Als sich seine Gesundheit soweit gebessert hatte, kam er, um an meiner Klasse teilzunehmen.... Vier Wochen nachdem er sein Studium begonnen hatte, stand er erfolgreich in der Praxis, errang sich einen ausgezeichneten Ruf als Heiler und gewann schließlich meine Zuneigung einzig durch seine große Güte und Charakterstärke. Dokument zur Kirchengeschichte: L08737.
Gilbert Eddy war der erste ihrer Schüler, der sich öffentlich „Christlicher Wissenschafter" nannte. Durch die Veröffentlichung von Wissenschaft und Gesundheit hatte sich die Bezeichnung „Christian Science" (Christliche Wissenschaft) durchgesetzt als fester Name für die göttliche Offenbarung, die Mrs. Eddy lehrte, und für „die Sache der Wahrheit", deren Führerin sie war.
Ebenso bedeutsam für die Entwicklung der „Sache" wurde der Zusammenschluß von Schülern zur Christian Scientist Association (Vereinigung Christlicher Wissenschafter) am 4. Juli 1876. Durch diese Vereinigung war es Mrs. Eddy möglich, die geistige Weiterbildung ihrer Schüler auf regelmäßig abgehaltenen versammlungen fortzusetzen. Sie kümmerte sich fürsorglich um Schüler, die sich um Hilf an sie wandten, wenn sie ein Problem nicht allein lösen konnten. Einmal wurde eine Schülerin durch das unaufhörliche Schreien ihres sechs Monate alten Kindes dazu veranlaßt, ihre Lehrerin um Hilfe zu bitten. In einer 1888 abgehaltenen Klasse sprach Mrs. Eddy darüber. Eine Teilnehmerin an dieser Klasse schrieb später in ihren Erinnerungen:
Mrs. Eddy erzählte, daß sie mit der Mutter nach Hause ging, das Baby auf den Schoß nahm und sagte, die Mutter solle das Zimmer verlassen. Das Kind weinte und schrie furchtbar, und Mrs. Eddy behauptete still die Wahrheit. .. Sie sagte, der Kampf sei weitergegangen, bis es schien, als ob das Kind im Sterben liege, aber sie hielt unaufhörlich daran fest, daß das wahre Kind nicht sterben konnte und daß der Irrtum kein Leben hatte und nicht weiter in Erscheinung treten konnte. Nach kurzer Zeit hörte das Baby auf, zu schreien und zu weinen. Es schlief ein — und das war das Ende dieses Irrtums. Annie M. Knotts Erinnerungen, Abt. für Kirchengeschichte.
Mrs. Eddy war sich sehr bewußt, daß sie für ihr eigenes „Kind", die neugeborene „Sache der Wahrheit" sorgen mußte. Das materialistische — oder weltliche — Denken anderer widersetzte sich dieser „Sache" so sehr, daß es sogar versuchte, sie zu vernichten. So wurde Gilbert Eddy am 29. Oktober 1878 fälschlich angeklagt, einem Mordkomplott gegen Daniel Spofford anzugehören. Drei Monate später wurde die böswillige Lüge aufgedeckt und die Anklage als grund- und gegenstandslos zurückgezogen. Im März 1879 schrieb Mrs. Eddy einen Freund:
Die Sache blüht wieder auf, sie erholt sich langsam von dem furchtbaren Schlag, den Bosheit und Falschheit ihr im letzten Herbst versetzten — wobei zwei meiner Schüler (einer davon mein geliebter Mann) so entsetzlich verleumdet wurden und man mich mit in die Zeitungsberichte hineinzog. Die Angelegenheit ging von Spofford aus, der den Verkauf meines Buches stoppen wollte, nachdem ich ihm wegen empörender Unmoral und gebrochener Vereinbarungen die Verkaufslizenz entzogen hatte. .. Mein Mann war Verleger der zweiten Auflage meines Werkes geworden, und sie war erst eine Woche in Umlauf, als der Schlag kam. Dokument zur Kirchengeschichte: L02051.
Mrs. Eddy erzählt zu Beginn dieses Briefes, daß sie damals regelmäßig Sonntagsgottesdienste in Boston im Parker Memorial Building abhielt. Kaum einen Monat später riefen sie und ihre Schüler die Kirche Christi, Wissenschafter, ins Leben, die „den Zweck haben sollte, die Worte und Werke unseres Meisters in Erinnerung zu bringen und dadurch das ursprüngliche Christentum und sein verlorengegangenes Element des Heilens wiedereinzuführen" 16. Der Versuch des Materialismus, die „Sache der Wahrheit" zugrunde zu richten, hatte sich als wirkungslos erwiesen. Mrs. Eddy wich und wankte nicht, sondern führte diese heilende „Sache" unter göttlicher Führung voran.
