Ich Werde Den Tag vor ein paar Jahren nie vergessen, an dem die Widmung in dem Buch Vermischte Schriften zum erstenmal meine Aufmerksamkeit erregte. Marry Baker Eddy widmet das Buch „den treugesinnten Christlichen Wissenschaftern" Siehe Verm.,. Was ist ein treugesinnter Christlicher Wissenschafter? fragte ich mich.
In der Konkordanz zu Mrs. Eddys Schriften fand ich verschiedene Stellen, wo diese Worte oder eine Variante davon verwendet werden, so zum Beispiel „treue Arbeiter", „treue Schüler", „treue Mitglieder" und „alle, die Gott und den Menschen treulich lieben". Doch ich muß zugeben, daß ich mir nie viel Gedanken darüber gemacht hatte, was Treue ist.
Natürlich nahm ich an, daß ich treu war. Ich war bestimmt nicht untreu oder auch nur apathisch. Vor langer Zeit schon hatte ich mich dem Studium und der Praxis der Christlichen Wissenschaft verschrieben, und ich tat auch meinen Teil zur Förderung der Bewegung. Ich trat Der Mutterkirche und einer Zweigkirche bei. Ich besuchte die Gottesdienste, selbst wenn es mir mal nicht gelegen kam. Ich abonnierte die Zeitschriften, obwohl manchmal meine Kasse fast leer war. Ich arbeitete in Zweigkirchenkomitees mit, egal, wie sehr ich anderweitig noch beschäftigt war. Ich nahm mir täglich Zeit zum Studieren und Beten, und ich strebte danach, Christus Jesus zu folgen.
Als ich mich ernsthafter mit der Frage der Treue auseinandersetzte, fiel mir ein, daß ich zur Vorbereitung auf die Mitgliedschaft in der christlich-wissenschaftlichen Kirche früher einmal Mrs. Eddys Botschaften an die Zweigkirchen durchgelesen hatte. Eine davon, eine Osterbotschaft, hatte mich besonders angesprochen: „Möge dieser frohe Ostermorgen die Mitglieder dieser lieben Kirche in reinem Frieden, neuer Freude und klarer Erkenntnis des gegenwärtigen Himmels finden — des Himmels inwendig in uns — und einem neuerweckten Begriff von dem auferstandenen Christus." Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 155.
Ich dachte im Zusammenhang mit dem Begriff Treue wieder über diese Worte nach. Mir schien, daß Treue im Grunde Treue zu Gott und zu der Wahrheit Seines gegenwärtigen Reiches bedeutet, Treue gegenüber der Herrschaft des einen göttlichen Gemüts, und das schließt ganz natürlich Liebe und Wertschätzung für die Mitbürger des Himmelreichs ein. Christus Jesus lehrte, daß Gottes Reich herbeigekommen ist. Dieses Reich ist-kein Ort, an dem man irgendwann in der Zukunft ankommt, sondern es ist die gegenwärtige Herrschaft Gottes, die als etwas schon Herbeigekommenes erkannt und bewiesen werden muß. Das wird in dem Verhältnis geschehen, wie wir uns Seinem Willen unterordnen.
Im Gebet des Herrn erkennen wir an: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden." Mt 6:10. Die Anerkennung, daß Gott über alles herrscht — der Mensch, Seine Idee, eingeschlossen — liegt unserer Treue zugrunde und bildet auch die Grundlage des Gebets für die Kirche. Das Erwachen zu dieser Wahrheit läßt uns individuell und kollektiv immer mehr vom auferstandenen Christus erkennen und die Macht der göttlichen Gegenwart in unserem Leben mehr zum Ausdruck bringen. Es gibt nichts außerhalb von Gottes Reich, jenseits dieses Reiches, neben diesem Reich oder zusätzlich zu diesem Reich. Daraus folgt, daß die Kirche eine göttliche Idee unter der Gerichtsbarkeit des einen göttlichen Gemüts ist und keineswegs eine materielle Ansammlung miteinander im Wettstreit liegender, sterblicher Persönlichkeiten, deren menschliche Willen sich in Konflikt miteinander befinden.
Als ich allerdings über meine ersten Erfahrungen in der Zweigkirche nachdachte, konnte ich mich an mehrere Fälle erinnern, wo meine Treue zu dieser allumfassenden Anschauung von Gottes Reich auf Probe gestellt worden war. Da war das eine Mal vor über dreißig Jahren, als meine Zweigkirche die Gelegenheit hatte, ihren Leseraum vom Kirchengebäude in ein anderes Gebäude in der Innenstadt zu verlegen. Ich war überzeugt, daß das der richtige Schritt war. Genauso überzeugt waren auch all diejenigen, die ich als die aktivsten und „besten" Mitglieder betrachtete. Doch es gab Widerstand dagegen. Die Mitglieder waren voll von dem Pro und Kontra in dieser Sache, als eine Mitgliederversammlung zur Abstimmung darüber einberufen wurde. Es erschienen nun Mitglieder, die schon seit Jahren nicht mehr zu einer Versammlung gekommen waren. Mit all meiner Überzeugungskraft (und vielleicht etwas eigenem Willen) sprach ich darüber, wie meine Gebete mir gezeigt hatten, daß dies der richtige Schritt sei. Andere taten das gleiche. Trotzdem wurde der Antrag, den Leseraum zu verlegen, niedergestimmt. Ich war am Boden zerstört, enttäuscht und besonders wütend auf alle, die zur Versammlung gekommen waren, um gegen die Sache zu stimmen. Zuerst erwägte ich sogar, nicht mehr zu dieser Zweigkirche zu gehen, sondern lieber zu einer anderen, die einige Kilometer entfernt lag. Ich überlegte, ob ich meine Spenden einstellen sollte als Strafe für diese Mitgliedschaft, die sich „gegen den Fortschritt" stellte! Das alles kommt mir jetzt sehr kleinlich vor.
Wenn ich meine eigenen Vorstellungen aufgab, wuchs in mir die Überzeugung, daß es sich nach Gottes Plan lösen würde und wir es alle erkennen könnten, auch ich.
Zwei Wochen später und nach etlichem Gebet wandte ich mich gegen mein selbstauferlegtes mentales Ringen und erklärte wieder meine Treue zur Vision des gegenwärtigen Gottesreichs. Ich begann meine Kirche und ihre Mitglieder in neuem Licht zu sehen. Ich wußte, daß auch andere beteten. Zwei Jahre darauf wurden andere Räumlichkeiten für den Leseraum gefunden, und der Antrag, dort hinzuziehen, wurde einstimmig angenommen!
Ein andermal erhielt ich, als ich schon ein gut Teil meiner dreijährigen Amtszeit als Erster Leser hinter mir hatte, einen Beschwerdebrief vom Kirchenvorstand. Ich glaube nicht, daß ich viel darüber nachgedacht habe, ob die Klagen in dem Brief gerechtfertigt waren oder nicht. Statt dessen fing ich in Gedanken schon an, meine Rücktrittserklärung zu verfassen! Ich rief eine Ausüberin der Christlichen Wissenschaft an und habe ihr mein Herz ausgeschüttet. Sie war nicht beeindruckt. „Ihre Aufgabe ist es, Gott zu gefallen und nicht den Leuten", sagte sie. Ich beschloß, auf meinem Posten zu bleiben, und ich habe aus dieser Erfahrung gelernt. Von dem Zeitpunkt an habe ich mit größerer Dankbarkeit und Überzeugung gelesen, mit mehr Liebe und Demut. Wieder wurde meine Vision von Gottes Reich — der einzigen Herrschaft — erneuert.
Mir fallen auch noch andere Beispiele ein aus meiner Erfahrung mit Kirchen in mehreren anderen Städten. Mehr als einmal bin ich, als es Meinungsverschiedenheiten in den Vorständen gab, zu der Vision des jetzt gegenwärtigen Himmels zurückgekehrt, zu der Wahrheit des einen Gemüts, dessen Ideen sich in vollkommener Harmonie befinden. Wenn ich dann meine eigene Vorstellung davon, wie etwas gehandhabt werden sollte, aufgab, wuchs in mir die Überzeugung, daß es sich nach Gottes Plan lösen würde und wir es alle erkennen könnten, auch ich. Ich hörte auf, so viel zu verdammen und zu kritisieren und mit anderen über die Situation zu sprechen. So war es denn kein Wunder, daß sich immer wieder ein harmonisches Miteinander einstellte, nachdem es zuerst die verschiedensten menschlichen Ansichten gegeben hatte.
Durch all dies habe ich die Vielfalt der Meinungen schätzengelernt. Sie bereichern die Diskussion, deren Schwerpunkt sich dann durch Gebet entfaltet, und das führt oft zu Lösungen, an die vorher niemand gedacht hatte. Ich habe gelernt, darauf zu vertrauen, daß Gott korrigierend eingreift, wenn die Dinge eine falsche Wendung genommen haben, daß Er die Fehler berichtigt und wir das Ergebnis gemeinsam erkennen können. Die Vision des immergegenwärtigen Himmels bringt Heilung, besänftigt die schrillen Stimmen, führt zu Aufgeschlossenheit für verschiedene Ansichten und zu mehr Bereitschaft, auf das göttliche Gemüt zu lauschen.
Die Kirchengemeinschaft fordert von uns allen, daß wir darauf vertrauen lernen, daß Gott, das göttliche Gemüt, uns offenbart, was erkannt und kollektiv getan werden muß. Die Offenbarung des Gemüts kommt immer zur rechten Zeit — niemals zu spät oder zu früh. Wenn wir uns im Gebet ans Gemüt wenden, dann weicht die falsche Vorstellung, hier stehe „ich gegen die anderen", der geistigen Tatsache des Immanuel, das heißt Gott mit uns. Unsere wahre Loyalität gilt Gott und Seiner Absicht. Jesus bekundete diese Loyalität, als er in der Nacht vor seiner kreuzigung demütig darum betete, Gottes Willen zu tun. Wenn wir darauf hinarbeiten, Gottes Willen genauso treu zu sein, werden verhärtete, furchtsame oder ichbezogene menschliche Bestrebungen unabdingbar weichen, und die menschliche Situation wandelt sich als natürliche Folge davon.
Die Christlichen Wissenschafter haben ernste Aufgaben und Verpflichtungen. Aber bringt nicht unsere Treue zur Bewegung und zu Gott immer Heilung mit sich? Zum Beispiel werden wir in der Bestimmung mit der Überschrift „Pflichttreue" Siehe Handb., Art. VIII Abschn. 6. im Handbuch Der Mutterkirche von Mary Baker Eddy dazu aufgerufen, unsere heilende Pflicht zu erfüllen.
Wir können uns gegen die Flut von Suggestionen verteidigen, die auf uns einstürmen und uns in Versuchung führen zu glauben, daß wir wie Götter sein werden. Diese Selbstverteidigung macht es uns möglich, unserer heilenden Aufgabe treu zu bleiben. Wenn wir in jeder Lage beim göttlichen Gemüt Hilfe suchen, von den Lehren der Christlichen Wissenschaft Gebrauch machen, um Heilung herbeizuführen, und uns jedermann in Liebe zuwenden, sind wir wachsam und beten um Heilung für uns selbst und unsere Kirche. Im Vertrauen darauf, daß Gottes Stimme über dem Getöse des fleischlichen Gemüts zu hören sein wird, können wir mit absoluter Sicherheit erwarten, daß alle sich eingeschlossen finden in das, was die Liebe entfaltet.
Wir können dem Licht, so wie wir es wahrnehmen, treu sein, doch zugleich für ein größeres Verständnis, für klarere Anschauungen und frische Einsichten offen bleiben.
Wir können dem Licht, so wie wir es wahrnehmen, treu sein, doch zugleich für ein größeres Verständnis, für klarere Anschauungen und frische Einsichten offen bleiben. Das bringt Heilung mit sich, und umgekehrt bringt die Heilung das. Kein Wunder, daß das fleischliche Gemüt nicht geneigt ist, das zu tun! Aber das fleischliche Gemüt ist eine Lüge. Genauso wie eine vertraute Stelle in der Bibel plötzlich durch den geistigen Sinn erleuchtet werden und uns eine völlig neue Denkrichtung erschließen kann, so verhilft uns der geistige Sinn dazu, bei kirchenangelegenheiten gewohnte Einstellungen, festgewurzelte Ansichten und vorgefaßte Schlußfolgerungen in neuem Licht zu sehen — und das durchbricht die Blockade im menschlichen Denken.
Treue fordert Festigkeit von uns, ein beständiges, standhaftes Dranbleiben an der Wahrheit von Gott und dem zu Seinen Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen. Diese Standhaftigkeit ist das genaue Gegenteil von Eigensinn. Wir müssen bereit sein, alles abzulegen, beiseite zu legen, ja im Keim zu ersticken, was uns in Knechtschaft hält. Mit Paulus' Worten: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest, und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!" Gal 5:1. Wenn wir darauf vertrauen, daß Gott sein Reich regiert, beharren wir in unserem Gebet in der Erwartung, daß sich die Ergebnisse in der menschlichen Erfahrung zeigen werden.
Sind wir uns einmal darüber im klaren, was Treue von uns verlangt, dann vertrauen wir die Ereignisse zunehmend der Entfaltung des göttlichen Gemüts an. Wir erfüllen unsere Aufgaben und Plichten zuversichtlich und gewissenhaft. Im unerschütterlichen Gehorsam gegen das göttliche Gemüt beharren wir geduldig und erhalten uns unsere Hingabe mit wirklichem Eifer. Mrs. Eddy schreibt: „Getreue Christliche Wissenschafter, seid guten Mutes: die Nacht ist vorgerückt, der Tag dämmert herauf; das allumfassende Reich Gottes wird erscheinen, Liebe wird in jedem Herzen herrschen, und Sein Wille wird geschehen, wie im Himmel also auch auf Erden." Verm., S. 213.
Wenn wir erkennen, daß Gottes Wille im Himmel wie auf Erden geschieht, wenn uns klarer wird, daß Gottes Herrschaft über Sein Reich eine gegenwärtige Tatsache und keine entfernte Hoffnung ist, wächst unsere Treue und unsere Erwartung, daß Heilung stattfinden wird. Wir lassen in unserem eigenen Kirchenleben etwas von dem geistigen Ideal zum Wirken kommen, das die Bibel beschreibt, wenn sie von der Gemeinde spricht, die sich „Christus unterordnet". Es ist eine Gemeinde, die geheiligt und gereinigt wird „durch das Wasserbad im damit er [Christus] sie vor sich stelle als eine Gemeinde, die herrlich sei und keinen Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern die heilig und untadelig sei" Eph 5:24, 26, 27.. Diese Kirche ohne Runzeln ist kein Produkt kämpferischer menschlicher Willenskräfte. Sie ist unbelastet und unbefleckt von kriegerischen Auseinandersetzungen — eine makellose Kirche, die nicht von den Narben einer unglückseligen Vergangenheit gekennzeichnet ist. Diese glorreiche Kirche ist Vereint in der Liebe, vereint in Christus — mit ungeteilter Treue und unerschütterlichem Vertrauen.
