„Ich Muss Heute noch all das erledigen, was ich gestern nicht mehr schaffte. Wie soll ich das bloß machen?" Leisten wir uns manchmal, etwa in der Eile des morgendlichen Aufbruchs, einen solchen Seufzer?
Wie oft kommt eigentlich das Wort ich in Äußerungen dieser Art vor? Was meinen wir damit? Wer ist dieses Ich? Ist es nicht fast so, als redeten da zwei miteinander, zwei Ichs — das eine, das entscheidet, daß etwas zu tun ist, und das andere, das es ausführen soll, dem es aber mitunter nicht gelingt? Und wer von beiden bin ich?
Wenn wir diesen Fragen nachgehen, merken wir, daß wir viele Umstände unseres Tagesablaufs mehr empfinden als verstehen. Oft begnügen wir uns damit, etwas anzunehmen, anstatt es zu wissen. Anstatt zum Beispiel die Annahme in Frage zu stellen, daß wir uns durch zu viele Aufgaben unter Druck fühlen, akzeptieren wir diesen Zustand einfach. Ähnelt dieser Gedankenzustand nicht dem, den wir in einem Traum vorfinden, in dem wir den unglaublichsten Dingen zustimmen, ohne sie zu hinterfragen? Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit, erklärt Mary Baker Eddy solche Erfahrungen. Sie schreibt: „Das sterbliche Dasein ist ein Traum; das sterbliche Dasein hat keine wirkliche Wesenheit, dennoch sagt es:, Das bin ich.' " Wissenschaft und Gesundheit, S. 250.
Was hat denn „wirkliche Wesenheit"? Da sie nicht im sterblichen Dasein enthalten ist, müssen wir sie in dem finden, was geistig und unsterblich ist — denn das ist, wie Christus Jesus bewies, die wahre Wirklichkeit. Er wußte, daß seine Identität rein geistig ist. Er sagte zu seinen Jüngern: „Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze." Joh 6:63.
Mit der Frage nach meinem wirklichen und geistigen Sein wurde ich einmal in unausweichlicher Weise konfrontiert, als mich hartnäckige Kopf- und Nackenschmerzen plagten. Ich lehnte mich gegen sie auf, indem ich ihnen ihre angebliche Rechtmäßigkeit abstritt, wie ich es durch das Studium der Christlichen Wissenschaft gelernt hatte. Nachdem ich eine Zeitlang wegen dieses Zustands gebetet hatte, mich jedoch immer wieder dabei ertappte, wie ich über die Ursache für die Schmerzen grübelte, war ich ziemlich entmutigt. Diese Entmutigung ist im nachhinein nicht verwunderlich, denn das Grübeln lief darauf hinaus, den Schmerzen eine wirkliche Wesenheit zuzuschreiben. Wie unumstößlich der Zustand auch schien, so stand er nicht in Einklang mit dem, was die Christliche Wissenschaft über das geistige Selbst des Menschen und Gottes alliebende Gegenwart lehrt. In der Bibel finden wir einen herrlichen Psalm über die Allgegenwart Gottes. In ihm ruft der Dichter, an den Herrn gerichtet, aus: „Ich danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele." Ps 139:14.
Ich begann zu sehen, daß ich meine Gedanken auf eine geistige Grundlage stellen mußte. Ich durfte sie nicht um mich selbst und die Annahme kreisen lassen, daß ich ein leidender Sterblicher sei. Dankbarkeit war hier gefragt — mit dem geistigen Sinn gewonnene Anerkennung der Schönheit der Schöpfung, zu der auch mein wahres Sein gehörte.
Eines Tages, als ich die Bibellektion für jene Woche gelesen hatte, saß ich eine Weile da, über einige Stellen nachsinnend. Diese Lektionen, die im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft erscheinen, bestehen aus Bibelzitaten sowie erläuternden und bestätigenden Stellen aus dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft. In der Lektion für jene Woche war folgende Stelle aus Wissenschaft und Gesundheit vorgekommen: „Gänzlich getrennt von der Annahme und dem Traum des materiellen Lebens ist das göttliche Leben, das geistiges Verständnis und das Bewußtsein von der Herrschaft des Menschen über die ganze Erde offenbart." Wissenschaft und Gesundheit, S. 14. Dieses rüttelte mich wach. Hier war eine Aussage über meine wirkliche, geistige Identität.
Plötzlich wurde mir ganz klar, daß ich kein materielles Wesen war, und ich rief beinahe laut aus: „Das bin ja gar nicht ich, der diese Kopfschmerzen hat!" Eine innere Stille trat ein, während der ich mich erstaunt und etwas belustigt von außen betrachtete — „gänzlich getrennt" von der Annahme, daß mein Ich in einem materiellen Körper eingeschlossen sei. Das Erstaunen rührte daher, daß mir diese geistige Wahrheit so klar war, obwohl sich äußerlich nichts geändert hatte.
Später am Tag dachte ich plötzlich: „Wo sind denn die Schmerzen?" Ich hatte es gar nicht bemerkt, als sie verschwanden.
Der Vers aus dem Psalm von der Allgegenwart Gottes zeigt uns, wie wir unsere wahre Identität erkennen: Der geistige Sinn, den wir als die Idee Gottes, des Geistes, zum Ausdruck bringen, überzeugt uns, daß wir „wunderbar gemacht" sind, daß nicht körperliche Zustände unsere wahre Wesenheit ausmachen, sondern der Ausdruck von Gottes Wesen als Wahrheit, Leben und Liebe. Die reinen, vollkommenen Eigenschaften Gottes sind in dem Ich inbegriffen, das unsere wirkliche Identität als Sein Ebenbild ist; dieses Ich erlebt sie unmittelbar. Körperliche Zustände oder Störungen können wir nur über die höchst unzuverlässigen materiellen Sinne erfahren. Das sogenannte Ich, das das tut, ist ein falscher Begriff unserer Identität, das Produkt dessen, was im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft sterbliches Gemüt genannt wird, um damit einen ebenso falschen Begriff von Gemüt zu bezeichnen.
Wenn wir also in der Eile des morgendlichen Aufbruchs — oder zu irgendeiner anderen Zeit — etwas denken oder empfinden, was unserer geistigen Identität mit ihrer wirklichen Wesenheit, ihrer Reinheit und ihrem Frieden fremd ist, stellen wir es doch in Frage! Es lohnt sich, nicht nur die Gültigkeit der Einflüsterung zu prüfen, sondern auch zu fragen, wer es ist, der das sagt, und wem es eingeflüstert wird. Es lohnt sich, zu fragen: „Ist es überhaupt mein Ich, das da spricht?"
