Seinen VW-Golf und seine bequeme Matratze in einem amerikanischen Vorort gegen ein Fahrrad und ein Bambusbett im ländlichen Westafrika zu tauschen war keine leichte Umstellung für Justin Byrd. Einige Monate vor seinem College-Abschluss im letzten Jahr machte er sich Gedanken darüber, was er als Nächstes tun wollte.
Er war zum Abenteuer bereit und wollte gem in einer internationalen Entwicklungshilfe-Organisation mitarbeiten. Also beschloss er den Sprung zu wagen und schloss sich dem Peace Corps (amerikanischer Entwicklungsdienst) an.
Es war kein einfacher Schritt für Justin, ebenso wenig für seine Eltem, die wussten, dass er möglicherweise in einem entlegenen Gebiet eingesetzt werden würde, wo die Kommunikation miteinander Schwierig sein könnte — ganz zu schweigen von ihrer Sorge um seine Sicherheit.
„Ich bin hier, um bei der Entwicklung von Gambia zu helfen, aber eigentlich geht es um meine eigene Entwicklung.“ — Justin
„Wir wollten sichergehen, dass er seine Entscheidung gut durchdacht hatte“, erinnert sich seine Mutter. Seine Eltem stellten fest, dass Justin die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit regelmäßig gelesen hatte — Bücher, die er oft studiert, um Orientierung im Leben zu finden. Es beruhigte sie, dass er nicht versuchte eine solch weitreichende Entscheidung leichtfertig zu treffen. „Er war sich sicher, dass Gott ihn veranlasste diesen Schritt zu tun“, sagte seine Mutter. „Obwohl Justin etwas beklommen war, als es dann losgehen sollte, wussten wir doch, dass er sich darauf vorbereitete seine Überzeugung, seinen Glauben zu leben“, fügte sein Vater hinzu.
„Ich war ganz schön aufgeregt,“ bestätigt Justin. Aber trotz der Ungewissheit fühlte er sich gedrängt seinem Herzen und der Liebe zu seinem Nächsten zu folgen, auch wenn es bedeutete an einem unbekannten Ort Tausende von Meilen von zu Hause entfemt zu leben.
Also packte er letzten September seinen Koffer und einen alten Armee-Matchsack seines Vaters, verabschiedete sich und verließ das behagliche Zuhause seiner Eltem in Sudbury, Massachusetts, um seinen Dienst in Gambia anzutreten — einem kleinen, überwiegend muslimischen Land an der Westküste von Afrika.
Als Entwicklungshelfer im Dorf Daru ist für Justin das Leben jetzt doch um Einiges anders.
Sein Zuhause ist eine Einraum-Lehmhütte mit einem Grasdach, wo es gelegentlich durchregnet und das auch als Wohnraum für zahlreiche Echsen dient. Außer einem Bambusbett sind seine einzigen Möbel ein Regal und ein Tisch, die ihm ein Dorfbewohner auf seine Bitte hin zurechtzimmerte. Strom und fließendes Wasser gibt es nicht. Nachts schläft Justin mit einem guten Buch beim flackemden Schein einer Laterne ein. An eine kalte Cola oder eine erfrischende Dusche ist überhaupt nicht zu denken. Dafür gibt’s warme, saure Milch mit Klümpchen. Und zum Waschen gießt man sich unter freiem Himmel Wasser, das man selbst vom Brunnen herbeigeschleppt hat, über den Kopf.
„Eigentlich konnte man sich gar nicht darauf vorbereiten“, sagt Justin über sein neues Leben. „Du gehst da rein in der Erwartung, dass eine Reihe von Dingen anders sein wird, aber wenn du dann da bist, ist es eine völlig andere Welt. Die ersten zwei Monate meines Dienstes waren echt ein Kampf“, gibt er zu. „Ich dachte daran aufzuhören. So vieles begegnet mir Tag für Tag — kulturelle Frustrationen, Einsamkeit, mein Job. Und es gibt kein Zaubermittel, das dir über alles weghilft. Aber die Tatsache, dass Gottes Liebe konstant ist, ist mir wichtig. Gott ist Liebe. Und mich dieser Liebe entsprechend für meine Mitmenschen einzusetzen ist der Zweck, weshalb ich hier bin. Das gab mir einen Grund vorwärts zu gehen, egal, was passiert.“
Für Justin sind die Eigenschaften der Liebe und Demut unauflösbar miteinander verknüpft. „Ich glaube, wenn man sich etwas Höherem unterstellt, macht es einen frei zu lieben“, fährt er fort. „Das heißt dein eigenes Planen und Denken aufzugeben wie:, Das muss ich machen.‘ Oder:, Diese Situationen müssen im meinem Leben eintreten.‘ Du musst einfach nur auf Gott hören und sagen:, Gott, ich bin für Dich da. Ich bin hier, um DEINEN Plan auszuführen.“
Justins Verlangen etwas Gutes in der Welt zu tun, hat sich in die praktische, tägliche Arbeit umgesetzt, den Dorfbewohnem in Daru beizubringen, wie sie ihr Land auf verschiedene Art bewirtschaften und nutzen können. Das ist es, wozu ihn der Entwicklungsdienst hingeschickt hat. Der größte Teil des Tages ist der Aufgabe gewidmet, ihnen zu helfen einen Obstgarten für die Gemeinde anzulegen, der den Frauen im Dort ein kleines Einkommen sichern soll, wenn sie dann Produkte wie Mangos und Cashewnüsse verkaufen können. Denn laut Justin sind die Frauen die Emährer der Familien. „Alles, was sie erzeugen, kommt vom Land“, erklärt Justin. Außerdem hat er begonnen, eine Schulbücherei im Dorf einzurichten.
Jeden Morgen macht ihm Jamma, seine afrikanische Mutter, ein Frühstück aus Hirsebrei („kus“) mit einer Erdnuss-Fisch-Sauce — das Gleiche bekommt er als Abendessen. Mittags gibt es zur Abwechslung Reis mit einer anderen Erdnuss-Sauce. Seine Familie wurde vom Entwicklungsdienst damit betraut, Justin zu versorgen. Die Mahlzeiten finden draußen statt, auf dem „Compound“ oder dem Hof der Familie. Es ist ein Kreis von fünf oder sechs Hütten, eine davon ist Justins. Jeder isst mit der Hand von seiner Seite der gemeinsamen Schüssel. Die älteren Männer essen zuerst. Vorbeigehende werden, so Justin, immer freundlich eingeladen mitzuessen.
Tagestemperaturen können in der heißen Jahreszeit im April und Mai bis zu fast 50º Celsius erreichen. Dementsprechend arbeitet man bis 10 Uhr vormittags und dann wieder von 4 oder 5 Uhr nachmittags, bis die Sonne untergeht. Abends sitzt man draußen unterm Stemenhimmel zusammen. Die Familie spricht Wolof, eine Sprache, die Justin inzwischen sprechen gelemt hat. Außerdem liest er gerne, schreibt Briefe und spielt Gitarre, wenn er Zeit für sich hat.
Justins Erfahrung, Seite an Seite mit einer afrikanischen Familie zu leben und zu arbeiten, hat ihm eine — vielleicht überraschende — Erkenntnis gebracht, nämlich dass er selbst am meisten von diesem Erlebnis profitiert. „Was du von der Kultur und den Menschen lemst, ist doppelt so viel, wie was du je gibst,“ schrieb Justin kürzlich in einer E-Mail aus der Hauptstadt Banjul. „Das Leben in Daru hat mich gelehrt, für jede Kleinigkeit dankbar zu sein. Ich habe erkannt, dass man nicht viel braucht, um zu leben und glücklich zu sein ... Du brauchst keine ausgefallene Sachen. Die Menschen in Gambia genießen das Leben wirklich. Sie haben die Fähigkeit wirklich glücklich und zufrieden zu sein mit dem, was sie haben und was sie tun.“
Man braucht jedenfalls nicht zu betonen, dass für einen Typ, der den Komfort der westlichen Kultur gewöhnt ist, die Aufgabe in Daru eine extreme Herausforderung darstellt — nicht nur physisch, sondem auch mental. Aus diesem Grund ist es für Justin eine Priorität, sich Zeit zu nehmen, um zu reflektieren und — was am wichtigsten ist — geistig aufzutanken. Er findet täglich einen ruhigen Ort, um die wöchentliche Christian Science Bibellektion zu studieren und inspirierende Lieder zu singen, die er sich aus dem Christian Science Liederbuch und aus seiner CD-Sammlung zu Hause gemerkt hat. „Sie geben mir Kraft und ein Gefühl von Stabilität“, sagt er. „Es ist eine Art, wie ich mit Gott Verbindung aufnehme, und ich betrachte es als den wichtigsten Teil meines Tages.“
„Wohl das Hilfreichste, was mir jemand sagte, war:, Hör den Leuten zu.‘ “ — justin
Justin beschreibt die Menschen in Gambia als „Leute, die auf andere zugehen.“ und als „die freundlichsten Menschen“, die er je kennen gelemt hat. Dennoch ist der Kontakt mit Familie und Freunden in der Heimat sehr wichtig für ihn, besonders wenn der nächste Entwicklungshelfer 12 Kilometer weit entfernt wohnt.
Seine gelegentlichen Fahrten nach Banjul, wo er Intemetzugang hat, sind sein Fenster zur Welt. Ein zusätzlicher Anreiz für diese 325 Kilometer lange Reise in die Hauptstadt mit dem Buschtaxi ist die Möglichkeit, mit viel Glück eine kalte Cola oder heimische Nahrungsmittel wie frisches Gemüse, Obst und Fleisch zu entdecken, die er in seinem Dorf nicht bekommt. An seine tägliche Kost in Daru hat er sich gewöhnt, aber ab und zu hätte er schon gerne einen saftigen Cheeseburger.
Nachdem er jetzt seit etwa einem Jahr nach einem ganz anderen Rhythmus lebt, hat er einige Weisheiten parat für diejenigen, die sich vielleicht durch ihren hektischen Alltag gestresst fühlen.
„Ich weiß, es ist leicht, sich von der Hetze des Alltags vereinnahmen zu lassen, so wie auch ich hier von einem ganz anderen Lebensrhythmus vereinnahmt werde“, schreibt er. „In gewisser Weise ist es das Gleich. Aber es tut gut zu wissen, dass das Einzige, was ich je brauchen werde, Liebe ist — und das Gleiche gilt für euch.“
Justin sagt, dass er Daru vielleicht diesen Monat noch verlässt. Er geht die Dinge von Tag zu Tag an. Aber wie seine Entscheidung auch aussehen mag — es war für ihn eine wertvolle Erfahrung dort.
„Es hat definitiv meine Anschauung über meine Familie und das Leben an sich geändert“, sinniert er. „Dass ich so lange allein in Daru gewesen bin und mir dort ein Zuhause schaffen musste, hat mich sehr dankbar für meine Familie zu Hause gemacht. Wenn du in den USA lebst, weißt du gar nicht, wie viele Vorteile du hast.“
„Aber wo wir auch sind“, sagt Justin zum Abschluss, „wir alle müssen unsem eigenen Weg im Leben finden — der, der in der Lehmhütte aufwächst genauso, wie der, der aus der amerikanischen Vorstadt kommt.“
Justins E-Mail
Wenn ihr mit Justin über seine Erfahrungen in Gambia sprechen wollt, könnt ihr ihm gern (in Englisch oder Deutsch) eine Mail schicken an: jr_byrd_man@hotmail.com.
Über Kulturen:
Wusstet ihr, dass ...?
... es in Gambia üblich ist demanden zu begrüßen, indem man dieser Person eine Reihe von Fragen stellt, z. B.: „Wie geht es dir? Wie geht es deiner Familie? Wie steht es mit deiner Arbeit? Wie geht es dir gesundheitlich? Wie geht es deiner Mutter? Wie geht es deiner Schwester? Wie geht es deiner Tochter? Wie geht es deinen Leuten daheim (der Familie, in der du aufgewachsen bist)?“ So eine Begrüßung kann eine Weile dauem!
GAMBIA
Einwohner: 1 501 050
Geografie: das kleinste Land Afrikas
Religion: Muslime 90%, Christen 9%, einheimische Religionen 1%
Klima: tropisch
Sprache: Englisch (Amtssprache), Manding, Wolof, Fula u. a.m.
Regierung: Republik unter multiparteilich-demokratischem Gesetz
Währung: Dalasi
Geschichte: Gambia erlangte 1965 seine Unabhängigkeit von Großbritannien.
Export: Erdnussprodukte, Fisch, Baumwoll-Zupflinnen, Palmenkerne Quelle: The CIAWorld Factbook 2002 (Welt-Tatsachenbuch der CIA 2002)
Die Botschaft aus dem Buch Tao Te Puh findet Justin sehr schön.
„Sag mal, Puh, warum hast du eigentlich nichts zu tun?“ fragte ich.
„Weil der Tag so schön ist“, erwiderte Puh.
„Ja, aber —“
„Warum sollte man ihn verderben?“ meinte er.
„Aber du könntest doch etwas Wichtiges zu tun haben“, bohrte ich weiter.
„Hab ich doch“, behauptete Puh.
„So? Was denn?“
„Ich höre zu“, sagte er.
„Wem hörst du denn zu?“
„Den Vögeln. Und dem Eichhörnchen da drüben.“
„Und was sagen sie? fragte ich.
„Dass der Tag schön ist“, antwortete Puh.
„Aber das weißt du doch schon“, gab ich zurück.
„Ja, aber es ist immer gut zu hören, dass jemand genauso denkt“, erklärte er.
Dieser Auszug aus Tao Te Puh — Das Buch vom Tao und Puh dem Bären — von Begjamin Hoff, wurde kürzlich in einem Peace Corps Newsletter nachgedruckt, der an die Mitarbeiter im Umweltsektor verschickt wurde. Die deutsche Übersetzung von Tao Te Puh ist im Synthesis Verlag erschienen.
