Die Schüler der dritten Klasse waren traurig. Ihre Lehrerin Frau Inez sagte ihnen, dass sie zwei Wochen lang weg wäre. Aber sie versprach, dass eine Vertretungslehrerin kommen würde — Frau Burn.
„Sie soll nur kommen!" sagte Olivia, und der Tonfall ihrer Stimme versprach nichts Gutes.
Am nächsten Montag brachte Olivia einen Gettoblaster mit in die Schule, und alle lachten und redeten, während laute Musik lief. Als die neue Lehrerin versuchte, die Klasse zum Setzen zu überreden, stand Olivia auf. Als sie die Schüler bat, leise zu sein, redete Olivia noch lauter. Und als Frau Burn Olivia schließlich aufforderte, die Musik auszuschalten, holte die seelenruhig ihre Ohrstöpsel aus der Tasche, hörte weiter Musik und sang sogar mit. Und ehe sie sich's versah, befand sich Olivia auf dem langen Gang zum Büro des Schulleiters. Irgendwie war es kein guter Tag für Olivia, und für Frau Burn auch nicht.
Als Frau Burn an diesem Abend betete, fragte sie Gott, was sie tun sollte. Offenbar hörte sie Seiner Antwort gut zu, denn sie ging mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht schlafen.
Am Dienstag war Olivia wieder da, Frau Burn war wieder da, und in einer Ecke des Klassenzimmers stand eine Kiste mit der Aufschrift ABIGAIL.
Die Lehrerin erklärte, Abigail sei eine Handpuppe, die die Klasse in den nächsten zwei Wochen regelmäßig besuchen würde. Alle schoben und drängelten, um zu sehen, wie Abigail aussah, aber sie mussten warten.
Abigail war nämlich sehr schüchtern. Eigentlich redete sie gar nicht. Sie flüsterte nur. Sie flüsterte Frau Burn etwas zu, und die erzählte es dann der Klasse. Und sie wollte erst herauskommen, wenn alle ruhig auf ihren Plätzen saßen. Da wurde die Klasse sehr still. Alle beobachteten die Puppenbühne, alle warteten auf Abigail.
Frau Burn versuchte sie zu überreden, herauszukommen und den Schülern zuzuwinken. Doch statt auf die Bühne zu gehen, verbarg Abigail ihren Kopf in Frau Burns Schultern. Wenig später war Abigail dann doch mutig genug und drehte sich um. Sie musterte die vielen Gesichter, die sie anstarrten. Die Kinder waren mucksmäuschenstill. Abigail winkte schüchtern mit einer Pfote. Die Kinder winkten freundlich zurück.
Die Lehrerin fragte Abigail, ob sie gern einen Kuchen backen möchte. Abigail nickte. Frau Burn sagte ihr, dass sie erst das Zimmer aufräumen müsse. Davon war Abigail nicht sehr begeistert. Sie fing an, alle möglichen Sachen aus der Puppenbühne zu werfen: eine Bananenschale, ein gebrauchtes Papiertaschentuch, einige Kleider, die zusammengelegt werden mussten. Alle Kinder lachten. Sie wussten, wie es war, wenn man ein riesiges Durcheinander im Zimmer hatte.
Als es Zeit wurde, den Kuchen zu backen, wollte Abigail alles auf IHRE Art machen: Sie gab das Ei in die Schüssel, mit Schale und allem Drum und Dran. Dann verrührte sie es. Wieder mussten die Kinder lachen. Sie wussten, es war besser, wenn man die Anweisungen richtig befolgte, statt die Zutaten einfach in die Schüssel zu werfen. Der Kuchen wurde ein besonderer Abigail-Kuchen, der nur Puppen gut schmeckte, und er war irgendwie schief, aber Abigail war sehr stolz darauf. Die ganze Klasse klatschte Beifall.
In den nächsten zwei Wochen kam Abigail immer gegen Ende des Unterrichts heraus. Manchmal gingen die Jungen und Mädchen einzeln zu ihr, damit Abigail keine Angst hatte und umarmten sie.
Eines Tages fragte Olivia, ob sie Abigail mit an ihren Platz nehmen dürfe. Frau Burn erlaubte es. Olivia setzte Abigail auf ihre Hand und redete leise mit ihr, als wäre sie ein echter Mensch. Sie erzählte Abigail, dass sie traurig sei — sehr traurig. Ihre Freundinnen waren alle in die vierte Klasse versetzt worden, nur sie musste die dritte wiederholen. Sie hatte Angst, dass man sie deswegen für dumm hielt. Danach saßen Olivia und Abigail jeden Tag eine Weile zusammen. Abigail brachte Olivia kleine Zettel mit, auf denen Dinge standen wie: „Jeder hat das Recht, Fragen zu stellen und zu sagen, wenn er etwas nicht versteht. Das ist nicht dumm, sondern klug, denn nur so kann man etwas lernen.” Oder: „Du bist so einzigartig und unverwechselbar wie ein Stern oder eine Schneeflocke.” Als Frau Burn am letzten Tag mit dem Unterricht begann, rief Olivia: „Äpfel rollen!” Sie hatte alle Kinder gebeten, einen Apfel mitzubringen, und jedes Kind rollte ihn jetzt auf dem Boden zur Lehrerin. Später gab Olivia Frau Burn einen Zettel, auf dem stand: „Ich bin traurig, weil Abigail gehen muss. Sie ist wie eine Schwester für mich, und ich mag sie sehr.”
Bevor Frau Burn an diesem Tag endgültig ging, bat sie Olivia noch einmal nach vorn zu Abigails Kiste zu kommen. Abigail lehnte sich weit über die Bühne und umarmte Olivia. Dabei flüsterte sie: „Ich mag dich auch sehr!" Da küsste Olivia Abigail auf die Nase, und das kitzelte, so dass Abigail nieste. Olivia und Frau Burn lachten und gaben Abigail ein Taschentuch. Dann half Olivia Frau Burn, die vielen Äpfel zu ihrem Auto zu tragen.
