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Mary Baker Eddy Bibliothek

Der Herold veröffentlicht monatlich Auszüge aus der vierteljährlichen Zeitschrift der Mary Baker Eddy Bibliothek für den Fortschritt der Menschheit.

Mary Baker Eddy und die Welt des 19. Jahrhunderts

Aus der August 2003-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die folgenden Seiten bringen leicht gekürzte Auszüge aus dem Beitrag von Ann Braude im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf der Jahresversammlung und Konferenz 2002 der First Church of Christ, Scientist.

Diskussionsleiter war Jim Albins, Leiter für neue Programme an der Mary Baker Eddy Bibliothek. Die Teilnehmer waren Harvard-Professorin Ann Braude, eine Autorität auf dem Gebiet der rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung der Frau im 19. Jahrhundert, David Hufford, Medizinprofessor an der Pennsylvania State University und Experte auf dem Gebiet Spiritualität und Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Phyllis Tickle, Redakteurin beim Publishers Weekly für religiöse Literatur des 19. Jahrhunderts, und Professor Allen Weinstein, Sachkundiger auf dem Gebiet politischer und gesellschaftlicher Trends im 19. Jahrhundert.

Im Anschluss präsentierte Lesley Pitts, die Archivleiterin, ein Dokument aus der Mary Baker Eddy Sammlung und erläuterte, wie die Ausführungen über den geschichtlichen Hintergrund neues Licht auf das Dokument und Mary Baker Eddys Leben geworfen haben.

Die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der amerikanischen Frau im 19. Jahrhundert

Die rechtliche Stellung der Frau änderte sich erheblich im Laufe des 19. Jahrhunderts. In den neu gegründeten Vereinigten Staaten orientierte sich der Status der Frau zu Beginn jenes Jahrhunderts am englischen Gewohnheitsrecht. In diesem Rechtssystem wurde die rechtliche Stellung der Frau als femme couverte (verheiratete Frau) bezeichnet. Der Grundgedanke war — und im heutigen Sprachgebrauch hört sich das wirklich sonderbar an —, dass die Frau nach der Heirat vom Rechtsstandpunkt aus gesehen tot war. Das Gesetz besagte, dass Ehemann und Ehefrau eins waren, und dieses „Eine” war der Mann.

Dieses Gesetz bedeutete, dass das gesamte Eigentum der Ehefrau von Rechts wegen dem Ehemann gehörte, dass ihr Lohn ihm gehörte und dass sie keine Verträge eingehen konnte. Juristisch gesehen existierte sie nicht. Sie besaß nicht einmal das Sorgerecht für ihre Kinder. Im 19. Jahrhundert konnten amerikanische Frauen es nicht von Rechts wegen erwarten, das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten, selbst wenn sie ihren Anspruch vor Gericht geltend machten. Das ergab sich aus der juristischen Nichtexistenz der Frau. Wenn man nicht existiert, kann man nicht die Sorgeberechtigte sein. Das Sorgerecht für Kinder ging somit auf den Vater über oder auf einen mündigen Mann, der von vornherein als rechtsfähig angesehen wurde.

Diese Rechtslage veränderte sich im 19. Jahrhundert. Über dieses ganze Jahrhundert hinweg kann man verfolgen, wie einerseits demokratische Bestrebungen im neuen Land in die eine Richtung gingen, aber die Tradition in Bezug auf die Rolle der Frau in eine andere.

Als weiterer bedeutender Wandel im 19. Jahrhundert und im Laufe von Mary Baker Eddys Leben kamen neue Anschauungen über die gesellschaftliche Rolle von Mann und Frau hinzu. So glaubte man, dass diese dazu bestimmt seien, voneinander getrennte Daseinssphären einzunehmen. Diese Anschauung wurde durch die neu entstandene Marktwirtschaft verstärkt, in der Frauen, die in der Agrarwirtschaft als produktives Familienmitglied fungierten, jetzt als Konsumenten angesehen wurden, die zu Hause blieben, während die Männer sich in der Öffentlichkeit bewegten. Die Sphäre der Frau war das Heim und gute Sitten. Frauen sollten rein bleiben, sollten für ein makelloses Heim sorgen, in das sich die Männer, die sich in der Geschäftswelt schmutzig machten, zurückziehen konnten.

„Die Geschichte der Frau ist amerikanische Religionsgeschichte”

Man könnte meinen, dass Religionsgeschichte „Männersache” sei. Die Religionsführer, von denen wir in der Schule erfahren, sind Männer: Luther, Calvin, Wesley, die Päpste usw. Diese Betrachtungsweise wird mir oft entgegengehalten, wenn ich mein Fachgebiet als Religionsgeschichte der amerikanischen Frauen angebe. Die Leute sagen dann: „Oh, das ist ein so winziges Spezialgebiet. Erst einmal konzentrieren Sie sich auf die Religion, etwas so Unwesentliches. Und dann befassen Sie sich bloß noch mit den Frauen, die innerhalb dieser Gruppe am wenigsten Macht und Bedeutung besaßen.”

Männer sind jedoch nicht die einzigen, die in der Religion eine tonangebende Rolle spielen. Es stimmt schon, dass sich die religiösen Führungsrollen und Machthaber in der Geschichte des Abendlandes auf Männer beschränkten. Es stimmt, dass Frauen von Ämtern ausgeschlossen waren — von den ordinierten Ämtern, die in den meisten Kirchen eine führende Rolle spielten. Es stimmt, dass Frauen keinen Zugang zum Theologiestudium hatten. Es stimmt auch, dass Frauen in christlichen Konfessionen bis vor kurzem sogar von Laienämtern weitgehend ausgeschlossen waren. Gleichzeitig aber haben Frauen in der amerikanischen Geschichte duchweg die Mehrzahl der Laien gestellt.

Sie bildeten bereits die Mehrheit in der Gemeinde, als sie in Massachusetts von Bord ihrer Schiffe gingen. Um in die puritanische Kirche aufgenommen zu werden, mussten die Gläubigen zum Beispiel Gottes Gnade erlebt haben und dann vor versammelter Gemeinde davon berichten. Sehr, sehr schnell zeigte sich, dass Frauen von Gott öfter dazu berufen waren, solch ein Gnadenerlebnis zu verkünden. Und heute, wo man keine öffentliche Erklärung mehr abgeben muss, um einer christlichen Kirche beitreten zu können, stellen Frauen immer noch die überwiegende Mehrheit unter den Laien dar.

In den Kirchen der Schwarzen ist davon die Rede, dass Frauen das „Rückgrat” der Kirche bilden. Zusammenfassend kann man also sagen: Die Frauen halten mit ihrer Arbeit die Kirchen in Gang, mit dem Verkauf von Gebäck und als Sonntagsschullehrerinnen und damit, dass sie der nächsten Generation Glaubensunterricht erteilen. Das erhält die Kirche am Leben — Frauen, die im Hintergrund stehen, hinter den männlichen Autoritätspersonen.

Es stimmt ebenfalls, dass im Laufe der Geschichte Frauen sich vom Geist dazu berufen fühlten, bedeutende religiöse Führungsrollen zu übernehmen und anderen ihre spirituellen Erfahrungen mitzuteilen. Im Mittelalter waren weibliche Mystiker und Heilige weithin bekannt. Zur Zeit der Puritaner gab es Gestalten wie Anne Hutchinson, die aus dem Bundesstaat Massachusetts vertrieben wurde, weil sie ihre spirituellen Ansichten verkündet hatte. Im 18. Jahrhundert haben wir die predigenden Quäkerinnen, im 19. Jahrhundert die evangelikalischen Frauen.

Jarena Lee, eine zur Zeit der Sklaverei lebende Schwarze, ist ein Beispiel dafür, wie die Macht des Geistes gesellschaftliche Schranken überwindet. Sie lebte in den Nordstaaten der USA und war daher keine Sklavin, doch war sie, wie die meisten ihrer Angehörigen und ihresgleichen, Dienstmädchen in einem weißen Haushalt. Sie lebte zu einer Zeit, als sie von der Gesellschaft zu hören bekam, dass sie nicht einmal ein menschliches Wesen sei. Dadurch dass sie sich durch Gott berufen und auserwählt fühlte, Ihm ihre Stimme zu leihen, war sie in der Lage, diese Anschauung zu überwinden. Vom Geist ermächtigt, predigte sie vor schwarzen und weißen Zuhörern.

Alle Frauen, die wir aus der frühen amerikanischen Geschichte kennen und die überlieferte Geschlechterrollen überwanden, taten es mit Hilfe spiritueller Macht.

Theologische und gesellschaftliche Hindernisse für Frauen und die Religion

Allen Frauen, die sich berufen fühlten, zu moralischen und spirituellen Fragen Stellung zu nehmen, und die sahen, dass die Menschen ihre Botschaft hören wollten, standen im späten 19. Jahrhundert nur wenige religiöse Führungsämter offen. Man muss bedenken — und ich möchte hier nicht aufwieglerisch klingen —, man muss bedenken, dass die größten Religionsgemeinschaften auch heute noch die Frau als dem Mann nicht gleichgestellt ansehen im Hinblick auf die Fähigkeit, eine religiöse Lehrer- oder Führungsrolle zu übernehmen. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts sehen wir in der Frauenrechts-bewegung einige Frauen, die ihr Recht auf das Theologiestudium beanspruchen. 1853 wird die erste Frau einer großen protestantischen Konfession ordiniert: Antoinette Blackwell.

Doch immer noch bestanden sehr hohe Schranken. Und das geht auf die Auffassung zurück, dass die Sphäre der Frau die Privatsphäre sei — und die öffentliche Sphäre die Sphäre des Mannes. Wenn eine Frau in der Öffentlichkeit reden wollte, setzte sie sich allen möglichen Fragen in Bezug auf ihren Charakter aus. Im 19. Jahrhundert wurde der Ausdruck „public woman” (wörtlich: „öffentliche Frau”) obendrein auf Prostituierte angewandt. Das zeigt, was es für eine Frau bedeutete, in der Öffentlichkeit aufzutreten und von der Moral zu sprechen.

Außerdem gab es wesentliche theologische und auf der Bibel beruhende Hindernisse. Dass Frauen nicht in der Öffentlichkeit reden sollten, geht auf Paulus’ Briefe in der Bibel zurück. Die besagen, dass eine Frau ihren Ehemann zu Hause fragen soll, wenn sie sich mit Religion befassen möchte, und dass es für eine Frau eine Schande ist, in der Kirche zu sprechen.

Das zeigt, dass die Auslegung der Bibel die vorderste Kampflinie der Frauenrechtsbewegung darstellt. Wenn eine Frau sich von den Beschränkungen frei machen will, muss sie sich der Bibel stellen und sich mit ihren eigenen Auffassungen und den Auffassungen der Gesellschaft über das, was die Bibel sagt, auseinandersetzen.

Keine der Frauen, von denen wir heute gesprochen haben — und keine der Frauen in der amerikanischen Religionsgeschichte, von denen ich Ihnen gern erzählt hätte —, wusste etwas von ihren Vorgängern. Wenn immer eine Frau von der Kanzel herab sprach, glaubte sie und auch die Gemeinde, die sie ansprach, dass sie die erste war, die das je getan hatte. Niemand kannte die Geschichte der Präzedenzfälle; es war eigentlich nicht klar, ob es Frauen möglich war, in der Öffentlichkeit zu reden. Wenn also eine Frau diesen Sprung wagen wollte, musste sie ganz von neuem beginnen. Ich hoffe, dass das mit dem Bestehen dieser Bibliothek nie wieder nötig sein wird.

Lesley Pitts über die Sammlung der Bibliothek

In den 1840er Jahren legte Mary Baker Eddy ihr erstes Kopierbuch an und hat es ihr Leben lang fortgeführt. Vielleicht sollte man erklären, was ein Kopierbuch eigentlich ist. Stellen Sie sich vor, sie leben in einer Zeit, in der es noch keine Kopiergeräte gibt. Um sich einen Text aufzuheben, muss man ihn abschreiben.

Mary Baker Eddys Kopierbücher enthalten Original-Tagebucheintragungen, von Hand abgeschriebene Gedichte sowie ihre eigenen Aufsätze und Gedichte. Sie las und überarbeitete die Texte in diesen Büchern ihr ganzes Leben lang und verwendete sie wahrscheinlich bis ins Jahr 1910 für ihren Gedichtband, der kurz vor ihrem Tod veröffentlicht wurde.

Hier sind zwei Seiten aus diesen Büchern, die zeigen, was wirklich in ihr vorging, als ihr Sohn von ihr genommen wurde. Das bezieht sich auf das, was Ann Braude über das Sorgerecht der Frau für ihre Kinder im 19. Jahrhundert sagte, und auch darauf, wie negativ M. B. Eddy in Biografien und Zeitungsartikeln dargestellt wurde. Dieser Aspekt ihres Lebens wird sehr hart beurteilt. Sie wurde als kalt, als fast unmenschlich beschrieben und alles andere als mütterlich.

Ich habe hier zwei Fassungen desselben Gedichts aus verschiedenen Kopierbüchern und beide Fassungen zeigen meiner Meinung nach sehr gut ihre seelische Verfassung an. Es ist schwer zu sagen, welches Gedicht zuerst geschrieben wurde. Das Gedicht im ersten Kopierbuch beginnt folgendermaßen:

Geh, kleiner Seemann, über
das rauhe Meer des Lebens,
geboren im Sturm. Mach sein
Leben heller,
o göttliche Liebe, die stets
sein Vater sei.
Dein Wort sein Kompass, und
führ ihn hin zum Licht.

Wie Sie sehen, sind diese Zeilen hier über eine frühere Version geschrieben worden.

Im anderen Kopierbuch finden wir dasselbe Gedicht in einer viel lesbareren Handschrift vor, doch hört sich dieses Gedicht wie eine ältere Fassung an.

Ich finde es bedeutsam, dass, obgleich Mary Baker Eddy das Gedicht nie als Ganzes veröffentlichte, sie sich im Laufe der Jahre diesen beiden Büchern eng verbunden fühlte. Offensichtlich schätzte sie das Gedicht sehr, denn sie arbeitete daran zu verschiedenen Zeiten in ihrem Leben. Das Thema muss ihr viel bedeutet haben. Und natürlich ist das Gedicht nicht das Einzige in der Sammlung, was ihre mütterlichen Gefühle zum Ausdruck bringt.

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