„Und ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben. Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht Leben war, um nicht in der Todesstunde innezuwerden, dass ich gar nicht gelebt hatte” Henry David Thoreau (1817 — 1862).
Dieses Zitat des amerikanischen Autors ist so aktuell wie nie zuvor. Man liest oft, dass Menschen in den industrialisierten Ländern einen immer höheren Lebensstandard erreichen. Aber ist die Lebensqualität auch besser geworden? Vielfach hat das Mehr an Wohlstand soziale, persönliche und ökologische Kosten mit sich gebracht. Der kurzfristige Kick des Massenkonsums hinterlässt eine unbestimmte Leere. Wir sind zu beschäftigt, um glücklich zu sein. Arbeitssucht — Workaholism — ist die am wenigsten sanktionierte Sucht unserer Gesellschaft — sie wird eher noch belohnt.
Ein mögliche Antwort
„Voluntary Simplicity” (Freiwillige Einfachheit) ist eine wachsende Bewegung, die ihren Ursprung in Amerika hat und auf einer umfangreichen, dennoch übersichtlichen Webseite einen schrittweisen Weg zu mehr Einfachheit und finanzieller Unabhängigkeit aufzeigt, in Form von Buchtipps, Hinweisen und Informationen.
Laut der Bewegung bedeutet Einfachheit nicht Armut („unfreiwillige Einfachheit”). Freiwillige Einfachheit hat nichts mit Entsagung zu tun. Es ist kein „Wie werde ich schnell reich” Programm. Es geht darum in Balance zu leben, das Leben zu „entmüllen” und eine gesunde Beziehung zu Geld zu entwickeln.
1992 unterzeichneten 1600 Wissenschaftler eine „Warnung an die Menschheit” mit dem Hinweis, dass der Umgang mit der Erde sich ändern müsse. Etwa zehn Jahre später folgerten 100 Nobelpreisträgern in einem Dokument, dass eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung („leap forward”) nur durch eine Veränderung hin zu einem nachhaltigeren, einfacheren und erfüllenderen Leben möglich ist.
Etwa zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung in den USA (ca. 20 Millionen Menschen) schlagen inzwischen den Weg eines äußerlich nachhaltigeren und innerlich spirituelleren Lebens ein. Einige Beispiele für die unterschiedlichen Formen dieser Lebensweise finden sich auf der Webseite:
• Bevorzugung gesunder und nachhaltiger Produkte
• Kooperation und Fairness in Beruf und Alltag
• Organisches Design (natürliche Materialien, einfache und ästhetische Einrichtung)
• Weniger Ausgaben für Dinge, die dem Leben nicht wirklich nutzen
• Mehr Spiritualität; hinter die oberflächlichen Erscheinungen blicken
• Weniger Ablenkung, um sich auf das persönlich Wesentliche konzentrieren zu können
Für Wirtschaft und Politik bietet eines auf der Webseite vorgestellten Bücher den Ansatz: „Natural capitalism” — Natürlicher Kapitalismus. Im Gegensatz zum traditionellen Kapitalismus werden die natürlichen Ressourcen und das Ökosystem monetär bewertet.
Neu ist die Idee der Einfachheit nicht. In der Bibel heißt es: „Armut und Reichtum gib mir nicht” (Sprüche 30:8). Laotse sagte: „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat.” Was neu ist, sind die veränderten Bedingungen der modernen Welt.
Paradoxerweise ist der Weg zu Einfachheit komplex! Laut Simple Living lässt sich Lebensvereinfachung nicht durch ein paar Kassetten oder Bücher verwirklichen. Es ist kein mechanisches Aufräumen und „Ausmisten” Von Dingen, die man nicht mehr mag, sondern eine Veränderung der Denkweisen und Verhaltensmuster in Richtung frugalem Konsums, ökologischem Bewusstseins, Raum für wichtige Dinge und kontinuierlicher persönlicher Entwicklung.
Die Webseite bietet viele Buchtipps, wie z. B. „Your Money or your life”(Vicki Robin und Joe Dominguez, leider nur auf Englisch erhältlich). Vicki Robin: „Wie man sein Geld ausgibt, beeinflusst, was in der Welt existiert.” Es soll helfen, die eigene Beziehung zu Geld zu verändern und im Frieden mit Geld zu leben.
„Getting a Life” (Jacqueline Blix und David Heitmiller) unterstützt die Suche nach dem Genug. Weniger konsumieren, um mehr Zeit und Geld zu haben. „Wie viel ist genug” ist keine einfache Frage in unserer Gesellschaft, die mehrheitlich nach Mehr strebt.
Für mich taucht die Frage auf, ob Konsum an sich schlecht ist? Ich glaube nicht. Wie am Anfang schon erwähnt geht es nicht um Entbehrung oder Mangel. Für mich ist es unproblematisch, die Schuhe zu kaufen, die mich seit Tagen im Schaufenster anlachen, solange ich das nicht tue, um mich glücklich zu machen. Das, denke ich, kann nur über Gesundheit, erfüllende Arbeit, Spiritualität und gute Beziehungen erreicht werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass wir das manchmal sehr unordentliche und komplizierte Leben nicht ändern können. Wir haben keine Macht über „das Leben” oder über andere Leute. Nur uns selber können wir bewegen. Echte Veränderung und die komplexen Lebensumstände, in denen wir uns bewegen erzeugen oft Spannung.
Auch Mary Baker Eddy hatte das erkannt. In der Autobiografie von Gillian Gill heißt es: „In Übereinstimmung mit ihrer oft geäußerten Lehrmeinung, machen wir durch Schmerz und Richtigstellung, ..., spirituelle Fortschritte...” (S. 458). Sie hatte auch erkannt, dass wir perfekte Vorbilder formen und uns auf sie konzentrieren müssen (Wissenschaft und Gesundheit, S. 248). Dieses Konzentrieren auf etwas Wichtiges ist ein zentraler Ansatz der Lebensvereinfachung.
Zum Abschluss eine Rechenaufgabe: ein Tag hat 1440 Minuten. Was sind zehn für Meditation und Besinnung? Eine, um vor einem Mahl Dank zu sagen? Fünfzehn, um jemandem wirklich zuzuhören? Zehn, um Kinder beim Spielen zu beobachten und von den Meistern des Hier und Jetzt zu lernen? Fünf, um den sternbedeckten Himmel zu beobachten? Eine Sekunde um jemanden anzulächeln?
Lieber täglich eine kleine Sache, als eine einmalige riesige Anstrengung. Auch das hat etwas mit Einfachheit zu tun.
Übrigens — einen deutschen Bestseller zum Thema gibt es auch: „Simplify your Life” von Werner Küstenmacher.