In diesem fünften Teil unserer Serie über Gerechtigkeit sprechen wir in gewisser Weise über den Kern des Begriffs „Gerechtigkeit”, nämlich über Recht, Gesetz, Politik — also gesellschaftliche Strukturen, die die Aufgabe haben, Gerechtigkeit für die Bevölkerung zu garantieren und zu verteidigen. Woran orientieren Politiker ihr Rechtsempfinden? Sicherlich bieten in vielen Kulturen religiöse Traditionen eine wichtige Grundlage, denken wir nur an die 10 Gebote. Lesen Sie diesen Monat von Richtern, Anwälten und Staatsbeamten, für die ein besserer Begriff von göttlicher Gerechtigkeit eine wichtige Grundlage geworden ist, um menschliche Gesetze in einer umfassenderen Weise fair zu gestalten.
Wie empfinden Polens Nachbarländer die Aufnahme Polens in die EU?
Ben Smoter: Deutschland war unser stärkster Befürworter in den Beitrittsverhandlungen. Zurzeit betrachten wir Deutschland als unseren größten politischen Verbündeten bezüglich unserer Interessen an der Europäischen Union. Ich hörte gerade von einem offiziellen Besuch von Bundeswehrsoldaten, dem ersten in Warschau seit 1939. Sie führten hier ein Trainingslager durch.
Können Sie uns etwas mehr über Ihre Rolle in diesem Intergrationsprozess erzählen?
Selbstverständlich. Wir versuchen die polnischen Landwirte zu erreichen. Wir versuchen sie zu informieren und die polnische Bauernschaft zu überzeugen, dass der Beitritt in die EU Vorteile mit sich bringt.
Welche Argumente sprechen für und welche gegen einen Beitritt?
Die Situation der polnischen Landwirtschaft ist einzigartig, denn es gibt in Polen sehr viele ländliche Gebiete. Die Menschen dort haben einen niedrigen Bildungsstand und größere Befürchtungen vor möglichen Veränderungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Veränderungen eine bessere ökonomische Situation schaffen würden oder nicht. Die Landwirte haben einfach Angst vor jeder Art von Veränderung.
Zuallererst fürchten sie den Wettbewerb durch große industriell geführte Betriebe, die den Lebensmittelmarkt übernehmen wollen. Hier in Polen haben wir sehr kleine Höfe. In der Europäischen Union haben wir es aber im Allgemeinen mit wesentlich größeren Betrieben zu tun. Natürlich nicht so groß wie die in den Vereinigten Staaten, in Australien oder Neuseeland, aber doch um einiges größer und wettbewerbsfähiger als die polnischen. Die polnischen Bauern befürchten ihren Ruin, weil ihre Lebensmittelproduktion wesentlich weniger effektiv ist.
Auf der anderen Seite fürchten die Bauern der Europäischen Union wiederum die polnischen Landwirte. Und der Grund hierfür ist ebenso der Wettbewerb. Doch erst, wenn tatsächlich osteuropäische Staaten der EU beigetreten sind, werden wir wissen, was wirklich passiert. Es gibt hierüber bisher keine umfassende Untersuchung.
Über 27% der polnischen Bevölkerung lebt auf dem Land, wobei 18% tatsächlich Bauern sind. Die Landwirtschaft trägt aber nur 3% zum Bruttoinlandsprodukt bei, was zeigt, wie ineffektiv dieser Industriezweig arbeitet. Viele Menschen besitzen nur ein relativ kleines Stück Land und produzieren sehr wenig.
Welche Vorteile ergeben sich für die polnischen Landwirte durch den Beitritt in die EU?
Etliche, vor allem: Subventionen. Alle Bauern, die mehr als einen Hektar Land besitzen, erhalten Subventionen. Es gibt auch neue Programme, die die Europäische Kommission anbietet und die teilweise durch unseren Beitrag finanziert werden. Eines davon nennt sich strukturelle Stilllegung und bedeutet, dass die Bauern einen Teil ihres Landes aufgeben und dafür Geld erhalten.
Und das Land geht an den Staat?
Der Besitzer kann es einem jüngeren Bauern geben oder einem Bauern, der mehrere Felder zusammenlegen möchte. Er kann es auch dem Staat geben, der sich um das Land kümmert und später kann er es dann mit anderen zu einem größeren Stück kombinieren.
Ein weiteres Programm ist völlig neu für die polnischen Bauern. Es besteht die Möglichkeit Geld für Aufforstung zu bekommen. Wenn jemand minderwertiges Land besitzt, kann er Bäume pflanzen und dafür bis zu zwanzig Jahre lang Unterstützung erhalten. All dies sind umweltorientierte Programme, deren Zweck es ist, den Nutzen des Landes zu verbessern, das zurzeit nicht bearbeitet oder unproduktiv genutzt wird.
Sie erwähnten Subventionen. Können Sie sich vorstellen, dass der Rest der Europäischen Union nicht gerade allzu glücklich darüber ist, Geld in die polnische Landwirtschaft zu stecken?
Erstens bekommen wir längst nicht alle Fördermittel. Zum Beispiel bekommen wir nur 25% dessen, was deutsche Bauern bekommen. Die Europäische Kommission möchte das Budget nicht einfach auf Grund der Tatsache erhöhen, dass einige große Länder riesige landwirtschaftliche Flächen besitzen. Sie möchte auf keinen Fall die alten landwirtschaftlichen Strukturen Polens unterstützen. Sie würde das Geld lieber für Programme einsetzen, die genau diese Strukturen modernisieren und verbessern.
Zweitens ändert sich zurzeit die Politik der Europäischen Union in Bezug auf die Landwirtschaft. Die Kommission möchte den produktivsten Bauern weniger Geld und dafür kleineren und weniger erfolgreichen Bauern mehr geben. Denn kleine europäische Betriebe bieten gute Qualität, ökologisch sauberere und keine genveränderten Lebensmittel.
Diese neue Politik verursacht Probleme für Polen. Auf der einen Seite will die Europäische Union kleinere Höfe, weil sie qualitativ höherwertige Lebensmittel für den Verbraucher anbieten. Auf der anderen Seite muss Polen sich mehr in Richtung industriell geführter Höfe entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welchen Beitrag kann Polen zur EU leisten und umgekehrt?
Polen hat eine ganze Menge zu bieten: seine Kultur, einen riesigen Markt, ein großes offenes Land. Und wir haben sehr gut ausgebildete junge Leute. Einige Europäer haben allerdings Vorbehalte wegen unseres Verhaltens. Wir sind nicht gerade berühmt für gutes Benehmen ...
Wie oder wodurch kann Polen von anderen Ländern profitieren oder lernen?
Die Achtung vor dem Gesetz. Ich denke, dass ist das Wichtigste überhaupt. Wir haben gute Gesetze. Wir haben in Polen eines der besten Regelwerke. Aber irgendwie sind wir nicht in der Lage, es auch zu respektieren. Ich wünschte, wir hätten weniger Korruption. Historisch gesehen ist Korruption für die Polen etwas sehr Natürliches, denn bis vor ungefähr fünfzehn Jahren wurde es als patriotisch betrachtet, gegen die Regierung zu arbeiten. Wir haben über fünfzig Jahre lang gelernt der Regierung nicht zu gehorchen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir überlebt haben und weshalb wir das Land befreien und das System zerstören konnten: weil wir dem Gesetz nicht gehorcht haben. Aber jetzt müssen wir anfangen gesetzestreu zu leben und das fällt sehr schwer.
Aber wir geben uns Mühe. Die Politiker hier vor Ort und die Beamten lernen dazu, doch es wird einige Zeit dauern, bis es normal sein wird, sich an die Gesetze zu halten. Die EU hilft uns mit Leuten in Kontakt zu treten, die stärker im Einklang mit den Gesetzen des Landes leben. Früher mussten wir gegen das System handeln und nun müssen wir mit der Regierung an einem Strang ziehen und dabei wird uns, glaube ich, die EU helfen.
Spüren Sie eine gewisse Offenheit in der Bevölkerung, ihre Haltung gegenüber der Regierung zu ändern?
Ich denke schon. Unter den älteren Leute vielleicht nicht so sehr, aber die Jüngeren sehen es aus einer ganz anderen Perspektive und ich denke, dass wir in dieser Hinsicht schon bald genauso gut wie die Spanier oder die Deutschen sein werden.
Ich kann mir vorstellen, dass die jüngere Generation mehr von der Welt gesehen hat als die ältere. Sie nutzt die offenen Grenzen.
Ja. Das ist ein offenkundiger Aspekt, wenn man in der EU ist: die Bewegungsfreiheit der Menschen und die offenen Grenzen. Ein Bewohner Europas zu sein gibt einem das Gefühl, eine weiträumige Heimat zu haben.
Spielen in Ihrer Arbeit spirituelle Werte eine Rolle?
Ja. In meiner Arbeit als Staatsbeamter ist die wichtigste Qualität, an der ich festhalte, Wahrheit – in jeder Äußerung, die ich mache. Wahrheit ist wahrscheinlich das Schwierigste für einen Beamten oder Politiker. Ich versuche gute wie schlechte Dinge, die sich durch den Beitritt ergeben, darzustellen. Manchmal möchte die Regierung es besser aussehen lassen als es in Wirklichkeit ist. Ich denke, Wahrheit ist eines der wichtigsten Dinge, damit die Leute nicht enttäuscht sind. Es ist schlimmer, wenn man lügt, da es später wesentlich größere Probleme verursacht.
Wenn Sie mit den Bauern sprechen und am Wert der Wahrheit festhalten, haben Sie festgestellt, dass dies geholfen hat den Respekt der Bauern und ihr Vertrauen zu gewinnen?
Oh, auf jeden Fall. Es ist erstaunlich, wie sie akzeptieren, was man sagt, wenn man mit ihnen darüber spricht, wie es wirklich ist, und nicht darüber, wie es sein sollte. Bauern, die informiert sein möchten und auf den Beitritt vorbereitet sein möchten, schätzen diese Art von Informationen.
Sie erwähnten, dass Korruption ein historisches Problem in Polen ist. Hat irgendjemand schon mal versucht Sie zu bestechen?
Ja, ja, natürlich. Schon viele Male. Es beginnt mit einer kleinen Sache wie einem Geschenk, um einen gewogen zu machen und dann...na ja.
Wie reagieren Sie?
Oh, wir nehmen keine Geschenke an, außer sehr kleinen, wie zum Beispiel einem Kugelschreiber. Das kann ich akzeptieren, aber andere Dinge nicht, nein. Das ist ein Standpunkt, den man zuallererst haben muss. Wir gehören einer neuen Generation an, die für einen Staat arbeitet, der es mit gänzlich neuen Dingen wie diesem Beitritt zu tun hat. Wir treffen und verhandeln mit anderen Kollegen aus ganz Europa und so haben wir eine etwas andere Perspektive auf diese Dinge. Selbst die Leute, die hier etwas gewinnen wollen fühlen sich unwohl, wenn sie versuchen uns zu bestechen; es ist schwer für sie uns zu erreichen. Bestechungen sind jedoch ein großes Thema, wenn man zum Beispiel mit europäischen Verträgen zu tun hat.
Sie wuchsen wahrscheinlich auf, als das kommunistische System am Zerfallen war und Polen durch eine Umwandlungsphase ging. Welche Werte brachte man Ihnen bei?
Da haben Sie recht, ich ging zur Schule als die ganze Umwandlung stattfand, praktisch während dieses ganzen Jahrzehnts. All dies geschah ziemlich langsam. Wir bekamen beigebracht fleißig zu sein, wir sollten ehrlich sein, eben Dinge in dieser Richtung. Auf der anderen Seite sahen sich die Menschen ziemlich schnell nur nach ihren eigenen Vorteilen um. Ich habe diesen Zeitabschnitt als sehr schwierig in Erinnerung, obwohl manche Menschen jetzt zu diesen Zeiten zurückkehren möchten auf Grund der Arbeitslosigkeit. Für jemanden, der Arbeit schätzt, ist die Tatsache keine Arbeit zu haben, das schlimmste was passieren kann, wesentlich schlimmer als wenig Geld, aber immerhin einen Job zu haben.
Seitdem sind einige neue Werte in den Vordergrund getreten, Werte wie den Blick nicht nur auf materielle Dinge zu richten, sondern stattdessen ehrlich zu sich selber zu sein und Freundschaften mehr zu schätzen.
Der Beitritt Polens in die EU ist eine wertvolle richtige Idee und der Wert dieses Schrittes wird sich zeigen.
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