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Feature-Serie: Gerechtigkeit

Von Ungerechtigkeit zu Gerechtigkeit

Aus der Mai 2004-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ich dachte, dieser Morgen in der Stadt wird wie jeder andere. Aber irgendwie war er anders. Ich verließ die U-Bahn an der Station Tribunales in Buenos Aires und begegnete, wie jeden Montag, einer Gruppe von Leuten, die sich vor dem Justizgebäude versammelten. Sie forderten die Aufklärung des Bombenanschlags auf die AMIA, die jüdische „Gesellschaft zum gegenseitigen Nutzen”, die in den neunziger Jahren in die Luft gesprengt wurde. Der durchdringende Ton des Schofar schallte mir entgegen, und Ausrufe wie „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, wir werden dich verfolgen”. Beides prägte sich tief in die Herzen derjenigen ein, die sich danach sehnen in einer Welt voll Liebe, Frieden and Gerechtigkeit zu leben.

Freude über Gerechtigkeit kommt nicht nur aus dem Gefühl heraus etwas Richtiges getan zu haben, sondern auch daher, dass man etwas Faires unterstützt.

Ich setzte meinen Weg zur Arbeit fort. Dabei sah ich eine Menschenschlange auf dem Weg zum Plaza de Mayo. Sie wollten ihren Unmut über die Sozialpolitik der Regierung kundtun. Ihre Vorwürfe lauteten: Ungerechtigkeit und Mangel an sozialer Gerechtigkeit.

Aber erst ein paar Schritte vor meinem Büro passierte das, was den Tag für mich völlig veränderte. Schon tausendmal hatte ich den Protestmärschen der vielen Sparer zugesehen, deren Ersparnisse seit 2001 auf den Banken festliegen und die noch heute darauf warten, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt.

Plötzlich sah ich zwei ältere Leute vor mir stehen. Sie stützten sich gegenseitig und die alte Dame schaute mir in die Augen und sagte: „Auch mein Sohn, sie haben uns bestohlen! Was sollen wir jetzt machen? Was bleibt uns jetzt noch? Nichts, gar nichts, sie haben alles behalten, was wir hatten. Unser ganzes Leben haben wir gearbeitet und Opfer gebracht. Wir haben Kinder bekommen und sie großgezogen; wir haben für sie und für uns Geld gespart und das alles, damit wir im Alter gut versorgt sind. Und jetzt haben sie uns alles genommen!” Das Herz tat mir weh, als ich ihren Kummer sah.

All das geschah direkt vor den abweisenden Türen der niederländischen Bank mitten in der calle Florida [Florida-Straße] in Buenes Aires, einer Stadt, die einmal „Königin von La Plata” genannt wurde. Die Tränen, die dieser 80-jährigen Frau über die Wangen kullerten, hinderten mich in diesem Moment daran, ihr in irgendeiner Weise Hilfe anzubieten. Neben ihr stand ihr Mann, der kaum laufen konnte und sich auf einen Stock stützte und schluchzend nach Gerechtigkeit rief. Ich blieb still und betete. Nach ein paar Minuten ging ich mit einem Gefühl der Leere und tiefer Nachdenklichkeit in mein Büro. Was konnte ich nun tun? In dieser Situation fiel mir ein Ausspruch von Martin Luther King ein: „An dem Tag, wo wir uns nicht mehr zu wichtigen Dingen äußern, geht es mit unserem Leben bergab.”

Wir leben in einer Welt, in der die Gerechtigkeit geradezu in Stücke gerissen und zum Spielball politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Interessen wird — meilenweit entfernt von der Definition, die wir im Wörterbuch finden: „Gerechtigkeit ist Gesetz, Vernunft, Fairness; was auch immer getan werden muss in Übereinstimmung mit Gesetz und Ordnung" (Wörterbuch der spanischen Akademie).

Gerechtigkeit ist gekennzeichnet durch äußerliche Neustrukturierung und Befreiung und durch eine innerliche Freude — ein Gefühl der Erleichterung, weil gerade etwas geleistet wurde, wie auch frischer Energie, um weitermachen zu können. So gesehen ist Gerechtigkeit eindeutig eine Sache, die sich in der Entwicklung befindet. Die Freude, die mit Gerechtigkeit in Verbindung gebracht wird, kommt nicht nur aus dem Gefühl heraus etwas Richtiges getan zu haben, sondern auch daher, dass man etwas unterstützt, was fair ist. Es ist die Freude, die diese Anstrengung mit sich bringt.

Welche Möglichkeiten des Fortschritts gibt es in einer Welt, die durch Ungerechtigkeit gespalten ist? Mary Baker Eddy beantwortet diese Frage, wenn sie schreibt: „Ein selbstsüchtiges und begrenztes Gemüt mag ungerecht sein, aber das unbegrenzte und göttliche Gemüt ist das unsterbliche Gesetz sowohl der Gerechtigkeit als auch der Barmherzigkeit" (Wissenschaft und Gesundheit, S. 36).

Was konnte ich als Journalist nach dieser mich persönlich berührenden Begegnung mit der Öffentlichkeit und ihrem Ruf nach Gerechtigkeit tun?

Gebet hat mich dahin geführt für Gerechtigkeit zu beten, indem ich mich fragte: Wie können wir zur Heilung beitragen? Wie können wir von Ungerechtigkeit zu Gerechtigkeit finden? In Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Lass Wahrheit den Irrtum auf Gottes eigene Weise aufdecken und zerstören und lass die menschliche Gerechtigkeit die göttliche nachbilden" (S. 542).

Ich fühlte mich bei dem Gedanken getröstet, dass mein Gebet helfen könnte dieses Versprechen einzulösen, dass die menschliche Gerechtigkeit wirklich der göttlichen folgen kann. Es machte mir klar, dass wir nicht alleine sind, dass wir nicht der Spielball von Willkür auf einer Woge von gewaltigem Machtmissbrauch und übersteigertem Ehrgeiz sind. Ungeachtet dessen gibt es ein göttliches und absolutes Gesetz, das genauso, wie es auf das unendliche Universum anwendbar ist, auch auf meine Erfahrung anwendbar ist, auf die Erfahrung meiner Mitmenschen sowie auf die Erfahrung eines jeden Menschen, der unter Ungerechtigkeit in der Welt leidet.

M. B. Eddy versichert uns: „Gerechtigkeit ist die moralische Bedeutung von Gesetz." Und: „Ungerechtigkeit zeigt das Fehlen von Gesetz" (Ebd., S. 391). Kann das absolute und ewige Gesetz Gottes auch nur für einen einzigen Moment abwesend sein? Ist dieses Gesetz nur auf einige wenige anwendbar? Ein kategorisches Nein beantwortet diese Fragen. Und es spendet Hoffnung, die Hoffnung, dass mein Gebet, und das so vieler anderer, helfen kann Ungerechtigkeiten, mit denen wir leben, aufzulösen, weil wir uns an eine übergeordnete Macht wenden, die immer gegenwärtig ist.

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