Fünf Anwälte tauschen spirituelle Einsichten mit dem Herold aus über das Thema, warum jeder wahre Gerechtigkeit finden kann, egal wo er ist.
Was sind Ihner Meinung nach die leitenden Prinzipien, auf denen das Gesetz in Ihrem Land basiert?
Die allgemeinen Prinzipien, die die Grundlage des Gesetzes in Chile wie auch in vielen anderen Ländern heute bilden, sind, dass alle Bürger Freiheit und gleiche Rechte und Pflichten — sozial, politisch, privat und wirtschaftlich — vor dem Gesetz haben.
In Deutschland gab es einmal Gesetze, die dazu missbraucht wurden, Menschen zu foltern — ihnen die Freiheit, Bürgerrechte und Würde wegzunehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten wir, dass es ein grundlegendes Prinzip für Gesetz ist, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Wir haben dies in unsere Verfassung geschrieben. Ich weiß, dass diese Wahrheit heute unsere Gerichte leitet, wenn es darum geht, ob ein Gesetz gerecht ist oder nicht.
In Frankreich gilt das Prinzip der Fairness und Gleichheit für alle als Grundlage der Gesetze, die z. B. einer Person, die durch eine andere zu Schaden kam, Entschädigung zukommen lassen. Das gleiche Prinzip gilt auch in den USA. Die Struktur der Rechtssysteme in diesen beiden Ländern mag verschieden sein, aber die Grundlage ist die gleiche.
Ich denke, man kann die Qualität eines Rechtssystems auch danach beurteilen, wie die Rechte eines Angeklagten in einer Strafsache geschützt werden. Das „5. Amendment”, das wir in den USA haben — das Recht sich während einer Befragung nicht selbst zu belasten — oder das Recht, dass keine Beweise ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren aufgenommen werden dürfen, sind Menschenrechte, die die angeborene Würde von Männern und Frauen als Schöpfung Gottes anerkennen.
Für die Gründerin dieser Zeitschrift, Mary Baker Eddy, waren Gerechtigkeit und Menschenrechte sehr wichtig. Sie schrieb in Wissenschaft und Gesundheit: „... lass die menschliche Gerechtigkeit die göttliche nachbilden” (S. 542). Aber was passiert, wenn ein geschriebenes Gesetz eindeutig ungerecht oder schädlich ist und daher nicht auf der göttlichen Gerechtigkeit basiert, die barmherzig und fair ist?
Zedlach: Als Erstes möchte ich herausstellen, dass das Wort göttlich eher ein allgemeiner Ausdruck ist und nicht ein theologischer oder konfessioneller, obwohl er oft in konfessionellem Zusammenhang definiert wird. Menschen verschiedener religiöser Glaubensrichtungen lieben und kennen Gott — obwohl sie vielleicht verschiedene Namen haben, mit denen sie das Göttliche beschreiben. Als Christliche Wissenschaftlerin ist für mich z. B. Prinzip ein anderer Name für Gott.
Ich finde es hilfreich, Gott als Prinzip zu verstehen, wenn man Ungerechtigkeit bekämpft. Prinzip ist das Gesetz, die Ordnung, die alles Sein leitet und regiert.
Massey: Ich verstehe Gott als den obersten Gesetzgeber. Sein Gesetz ist die Basis, auf der das ganze Universum harmonisch funktioniert. Dieses göttliche Gesetz ist nicht konfessionell. Jeder, der sich in einer Situation befindet, die ungerecht ist, oder in einem Rechtssystem, das nicht nach Fairness strebt — einem Rechtssystem, das z. B. ein bestimmtes Regime, eine bestimmte kultur oder Tradition auf Kosten der Menschenrechte des Einzelnen aufrechterhalten will — kann zu diesem höchsten Gesetz, zu Gottes Gesetz, Zuflucht nehmen. Dieses göttliche Gesetz wird letztlich dem Einzelnen Gerechtigkeit bringen.
Fischer: In Wissenschaft und Gesundheit erwähnt Eddy Gerechtigkeit als ein Attribut Gottes (S. 465). Für jemanden, der denkt, dass er ungerecht behandelt wurde, heißt dies, dass eine gerechte Entscheidung nicht von der gewogenen Meinung der Richter oder den guten Argumenten seines Anwalts abhängt, sondern von einer höheren Macht. Einige Male z. B. als ich mit Gerichtsverfahren in Frankreich befasst war, dachte ich, dass die Person, die das Opfer war, aufgrund mangelnder Beweise und Zeugen verlieren würde. Manchmal war das Opfer mein Klient, andere Male vertrat ich den Täter. Für mich war es interessant, dass in beiden Fällen, wo ich dachte, dass das Opfer verlieren würde, die Richter ihm schließlich Recht gaben. Es schien, als ob die Richter bei ihrer Entscheidungsfindung nicht ausschließlich von den vorgelegten Beweisen beeinflusst wurden, sondern von einem höheren Prinzip. Man könnte sagen, sie wurden von ihrer geistigen Intuition geleitet, was in Gerechtigkeit für das Opfer resultierte.
Colombini: Am 15. März 1990 sperrte die brasilianische Regierung die Bankkonten im ganzen Land. Es war furchtbar ungerecht und unfair. Der neue Präsident war ein sehr junger Mann und hatte keine Erfahrung in der Sache. Er dachte, man könnte die Inflation damit bekämpfen, dass man jedem sein Geld wegnimmt. Es war eine Katastrophe. Die Geldmittel von allen Bankkonten wurden auf die Zentralbank gebracht, für achtzehn Monate gesperrt und dann den Inhabern zurückgegeben. Alle waren fassungslos. Ein Mann reichte Klage ein und beanspruchte beim Bundesgericht, dass er ungerechterweise des Guthabens auf seinem Bankkonto beraubt worden war. Das Bundesgericht ordnete an, dass das Geld dem kläger zurückgegeben wurde. Als dies passierte, reichten Millionen von Leuten Klagen ein. Das Bundesgericht war angefüllt mit Prozesslisten vom Boden bis zur Decke. Auch ich reichte Klage ein und nach fünfzehn Tagen bekam ich vom Gericht mein Geld wieder. Dies war wirklich der Beweis dafür, dass niemand seines Vermögens beraubt werden kann ohne einen gerechten und fairen Gerichtsbeschluss. Es zeigte auch, dass sogar der Präsident, der den unfairen Erlass veranlasst hatte, sich schließlich ans Gesetz halten musste.
Massey: Bevor ich Jura zu studieren begann, schlug ich in einem Wörterbuch das Wort „Opfer” nach. Ich fand heraus, dass eine der Wurzeln des Wortes „Opfer” zu trennen bedeutet. Als ich später in meiner Anwaltspraxis eine Strafsache hatte und eine Frau verteidigen sollte, die ihres Vermögens durch Schwindel und Betrug beraubt worden war, war diese Definition hilfreich für meine Gebete, um eine gerechte Lösung für meine Klientin zu finden. Es bestand gar kein Zweifel, dass sie sich als Opfer fühlte bzw. als getrennt von dem Vermögen, das ihr gehört hatte. Aber nach dem göttlichen Gesetz kann niemand jemals von der Liebe, Fürsorge und Versorgung Gottes, der unsere Mutter und unser Vater ist, getrennt werden. Ich erkannte dass der ganze Gerichtsprozess dazu dienen konnte, die ursprüngliche Ungerechtigkeit oder das Verbrechen, das gegen meine Klientin verübt worden war, umzukehren. Es konnte nicht nur ein Prozess der Wiederherstellung für sie, sondern auch ein Prozess der Erlösung für diejenigen sein, die das Verbrechen gegen sie verübt hatten.
Ein anderes Mal vertrat ich jemanden, der wegen einer riesigen Unterschlagung in einer großen Firma angeklagt war. Er war nur einer von mehreren Leuten, gegen die ermittelt wurde. Mir schien, dass nicht er der kopf war, der hinter dem Betrug gesteckt hatte, sondern dass andere sich weitaus mehr strafbar gemacht hatten. Auch schien es, dass diesem Mann schon eine große Lektion erteilt und er durch diesen Prozess ausreichend bestraft und umgewandelt worden war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass die richtige Antwort darin lag, ihn ins Gefängnis zu schicken. Als ich weiter für Gerechtigkeit betete, war es interessant zu beobachten, was alles passierte. Zuerst ging die Staatsanwältin, die den Fall behandelte, in Mutterschutz. Dann starb ein Hauptzeuge. Alle, die in der Position gewesen wären, unseren Klienten anzuklagen, tauchten nicht mehr auf. Es erinnerte mich an die Frau in der Bibel, die wegen Ehebruchs angeklagt war und von einer Gruppe wütender Schriftgelehrter und Pharisäer gesteinigt werden sollte. Jesus griff ein. Er schlug vor, dass derjenige, der unter ihnen ohne Sünde sei, den ersten Stein werfen solle. Sie gingen alle weg und Jesus fragte: „Wo sind sie, Frau?” (Joh 8:10). Bei beiden Parteien musste ein ziemlicher Bewusstseinswandel stattgefunden haben, so dass sie ihrer Verurteilung entkommen war. Genau das passierte bei dem Fall meines Klienten. Der Prozess wurde nicht fortgesetzt und der Mann konnte sein Leben normal fortführen.
Zedlach: Was ich oft von Leuten höre, die an Zivilverfahren beteiligt sind, ist: „Ich glaube nicht mehr an die Rechtschaffenheit des Gesetzes. Wenn man sich einen cleveren Anwalt leisten kann, kriegt man, was man will.” In gewisser Weise passiert das sehr oft. Aber das fordert den Einzelnen dann, die Basis für Gerechtigkeit im göttlichen Gesetz zu entdecken, wo Gerechtigkeit letztlich zu finden ist.
Fischer: Dass Gerechtigkeit göttlich ist — dass ich nicht Gerechtigkeit verbessern oder ausbeuten muss — diese Idee hat mir bei bestimmten Fällen in meiner Praxis geholfen, wenn ich einen Klienten zu verteidigen hatte, der meines Erachtens etwas sehr Falsches getan hatte. Ich wollte ihn nicht verteidigen, weil ich dachte, dass ich ihm helfen würde davonzukommen. Aber als ich Gott die Frage der Gerechtigkeit anvertraute, erkannte ich, dass alle Beteiligten des Falles — meine Klienten, die Gegenpartei, und die Richter — der höchsten Gerechtigkeit unterstehen und dass meine Argumente nichts daran ändern. Das half mir Frieden zu finden. Es ermöglichte es mir, meinen Klienten ehrlich zu verteidigen und mein Bestes zu geben, denn jeder hat das Recht verteidigt zu werden. Ich wurde von falscher Verantwortung enthoben — von dem Gefühl, dass nur ich etwas zur Gerechtigkeit beitragen kann.
Massey: Das finde ich gut! Die Leute sehen manchmal Strafverteidiger und fragen: „Wie können Sie jemanden verteidigen, der wegen einer schrecklichen Tat angeklagt wurde?” Was mir hilft, meine Rolle als Strafverteidigerin zu verstehen, ist der Ausspruch Hiobs: „Er wird die Insel der Unschuldigen retten: und sie wird errettet durch die Reinheit deiner Hände” (Hiob 22:30, nach der King-James-Bibel). Ich mag die Formulierung „die Insel der Unschuldigen”. Für mich heißt das, dass selbst Leute, die etwas Schlimmes getan haben, diese Unschuld besitzen. Es ist ihre reine, wahre, geistige Identität oder Natur, der sie sich nur bewusst werden müssen. Dieses Erwachen auf Seiten des Bestraften zu seiner wahren Natur — diese Erlösung — ist Teil der göttlichen Gerechtigkeit. Und sicherlich ist es auch hilfreich für die Opfer eines Vergehens zu wissen, dass ihr Sein oder ihre Unschuld unberührt, rein und unversehrt ist.
Zedlach: Manchmal denken die Leute bei Zivilfällen, dass die andere Person oder Partei ihre Probleme verursacht: „Wenn die oder der andere sich nur ändern oder anders handeln würde, dann hätte ich dieses Problem nicht.” Genau da ist Christian Science so hilfreich. Diese Wissenschaft zeigt uns, dass die Lösung über die Frage hinausgeht, wer was tut oder tun sollte. Es hilft uns zu erkennen, dass das, was wir am meisten benötigen, um Gerechtigkeit zu finden, das Verständnis unserer Einheit mit Gott ist — der Quelle aller Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und Intelligenz. Wenn wir das tun, werden uns die Schritte klar, die wir machen müssen, um ein Problem oder eine Meinungsverschiedenheit zu lösen. Das habe ich immer wieder in meinem Leben erfahren.
Yanez: Ich erinnere mich besonders an eine Erfahrung, die ich als Richterin zu Beginn meiner Laufbahn im Arbeitsgericht gemacht habe. Ich war an einer Abfindungsklage beteiligt zwischen einem Geschäftsinhaber und seiner ehemaligen. Angestellten, in die er großes Vertrauen gehabt hatte. Bei der Anhörung diskutierten die Anwälte die Höhe der Entschädigung, die der ehemaligen Angestellten zustand. Ich merkte, dass es weder den Geschäftsinhaber noch seine ehemalige Angestellte kümmerte, wie hoch der Betrag der Entschädigung war. Beide Parteien waren sehr schweigsam.
Während die Anwälte sprachen, lauschte ich und betete, um zu wissen, was ich tun soll. Dann fragte ich den Geschäftsinhaber, ob er die Anhörung für einen Moment verlassen würde, damit ich unter vier Augen mit seiner ehemaligen Angestellten reden könne. Als wir uns unterhielten, ließ sie mich wissen, dass ihre Gefühle verletzt worden seien, da ihr Chef nicht ihre Loyalität anerkannt hätte und die Tatsache, dass sie 20 Jahre lang hingebungsvoll für die Firma gearbeitet hatte. Mehr noch, der Inhaber hatte eine dritte Partei gebeten, ihr zu sagen, dass ihre Dienste nicht länger benötigt würden, und zwar ohne jede weitere Erklärung. Es wurde mir klar, dass der Mangel an Gerechtigkeit, über den sie sich beklagte, nichts anderes als eine Beschwerde über den Mangel an Dankbarkeit und Anerkennung für ihre Arbeit war.
Dann bat ich sie, mich mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber allein zu lassen. Ich sprach mit ihm und wusste die ganze Zeit, dass die göttliche Liebe die Menschen vereint und dass wir Zuflucht in der Liebe finden können, um eine gerechte Lösung zu finden. Ich konnte mit diesem Mann ganz ruhig reden und fragte ihn nach seinen Gründen dafür, seiner ehemaligen Angestellten das Geld zu verweigern, das sie als Abfindung forderte. Er antwortete, dass die Höhe des Geldes nicht entscheidend war. Was ihn sehr ärgerte, war die aggressive Art, mit der seine ehemalige Angestellte auf ihre Kündigung reagiert hatte.
Mir kam der Gedanken ihn zu fragen, ob ihm der momentane Ärger seiner ehemaligen Angestellten mehr bedeute als ihre Selbstlosigkeit und Loyalität während all ihrer Arbeitsjahre. Das regte ihn an, seine Entscheidung zu überdenken und eine sofortige Lösung zu finden, die jeden zufrieden stellte, einschließlich der ehemaligen Angestellten. Es war sehr befriedigend zu sehen, wie sie sich in gegenseitiger Wertschätzung die Hände schüttelten und in Frieden die Anhörung verließen. Für mich spiegelte diese Wendung göttliche Gerechtigkeit wider.
„Lass die menschliche Gerechtigkeit die göttliche nachbilden” ist eine kraftvolle Aussage, die mich anspornt ein barmherzigeres, sanfteres und heiligeres Modell von Gerechtigkeit in menschlichen Angelegenheiten zu erlangen — eines, das jeden Tag dem göttlichen näher kommt. Und ich strebe danach, dieses Modell von Gerechtigkeit verwirklicht zu sehen.
