Einige Freunde aus unserer Ulmer Christian Science Kirche treffen sich mittwochs zwanglos zum Gespräch im Leseraum, wenn wir in die Stadt gehen und am Leseraum vorbeikommen. Nun, ich bin noch nicht so lange Mitglied in der Ulmer Kirche, beschäftige mich aber bereits acht Jahre mit der Christlichen Wissenschaft. Eine liebe Freundin, bei der ich eine klare Erkenntnis der Wissenschaft immer besonders schätzte, ermunterte mich dann irgendwann, doch endlich einmal Klassenunterricht zu nehmen. Ich hatte selbst auch schon lange den Wunsch, diesen Schritt zu tun, wusste aber zunächst nicht, bei welchem Lehrer. Ich betete darüber und nach einiger Zeit wachte ich eines morgens auf und wusste den Namen des Lehrers, rief ihn an, wurde akzeptiert und durchlief dann auch diese Grundausbildung in der Christian Science Praxis.
Es war eine wunderbare Erfahrung für mich und es war auch genau der richtige Lehrer. Vieles, was vorher unverständlich war, wurde in ein klares Verständnis umgewandelt. Am Ende des zwölftägigen Unterrichts fragte mich mein Lehrer, wann ich mich als Praktiker eintragen lassen würde. Ich war natürlich glücklich über diese Bemerkung, weil ich ja genau mit diesem Vorsatz den Unterricht gemacht hatte, um die Christliche Wissenschaft nicht nur an mir, sondern auch bei meinem Nächsten anzuwenden. Ich hatte auch schon drei Leute, die mich gebeten hatten, dass ich für sie beten und sie bei einem Problem unterstützen sollte.
Als ich nun wieder zurück war, meinte ich natürlich, jetzt alles viel besser zu verstehen, was vielleicht dann bei unseren Mittwoch-Gesprächen zum Ausdruck kam. Dann bekam ich sehr harte Kritik zu hören, die mich tief traf. Meine liebe Freundin sagte: »Du willst doch bloß alle belehren!« Rums, das saß, aber ich war auch so verblüfft, dass ich gar nicht reagieren konnte — und das habe ich später als Gnade empfunden!
Aus meiner Lebenserfahrung habe ich mich immer bemüht, mein Gegenüber — vor allem, wenn etwas vorgefallen war, was ich nicht verstanden habe — als meinen Lehrer anzusehen, ganz besonders, wenn dies mit starken Emotionen verbunden war. Nach intensivem Durcharbeiten meiner Unterlagen vom Klassenunterricht erkannte ich dann, dass hier ein wichtiger Punkt angesprochen worden war. Vermutlich hätte diese Kritik, liebevoll ausgedrückt, nicht dieses intensive Nachdenken und Nacharbeiten zur Folge gehabt.
Was ist Kritik? Verstehe ich darunter nur eine andere Meinung oder ist es eine Zurechtweisung? Macht mich mein Gegenüber auf einen Fehler aufmerksam und ist es ein bewusster oder ein unbewusster Fehler? Kommt es darauf an, ob ich eine Kritik liebevoll verpackt präsentiert oder schroff an den Kopf geworfen bekomme? Bekomme ich sie von einem Menschen, den ich liebe, oder von jemandem, den ich nicht so gut leiden kann? Von welcher Art kann ich am meisten lernen?
Wenn ich davon ausgehe, dass es gut gemeint ist — und das sollte ich, wenn ich meinen Nächsten liebe —,dann sehe ich mein Gegenüber als meinen Lehrer, auch wenn die Kritik nicht sanftmütig geäußert wird! Es kann auch mal vorkommen, dass ich mich besonders schnell und von jedem kritisiert fühle. Dann ist es wohl an der Zeit, intensiver darüber nachzudenken! Wie steht es mit mir selbst? Kritisiere ich gern? Gehe ich rücksichtsvoll mit meinem Gegenüber um, wenn ich ihn kritisiere? Und warum ist es mir unangenehm, wenn ich von anderen kritisiert werde? Meine ich, schon alles zu verstehen und keine Belehrung zu brauchen? Oder höre ich vielleicht einen gewissen Unterton und empfinde eben keine Liebe in der Kritik. Nun, das Wort »fühlen« macht wohl schon klar, dass es an mir liegt, dass ich mit der Kritik nicht umgehen kann.
Bei einer Mittwochabend-Versammlung wurde eine Ausarbeitung zum Thema »Reden und Hören« gelesen. In dieser Lesung wurden viele Stellen aus der Bibel und Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy vorgetragen, von denen mir eine (aus letzterem auf S. 367:2) besonders zu Herzen ging: »Ein freundliches Wort und die christliche Ermutigung eines Kranken, mitfühlende Geduld mit seiner Furcht und deren Beseitigung sind besser als Hekatomben überspannter Theorien, besser als stereotype, entlehnte Redensarten und das Austauschen von Argumenten, die lauter Parodien auf die rechtmäßige Christian Science sind, die von göttlicher Liebe erglüht.«
Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung über Kritik!
Meine Erkenntnis für die Heilarbeit ist dabei nun folgende: Der von dem liebenden göttlichen Gemüt geschaffene Mensch ist und war immer zu dessen Gleichnis vollkommen geschaffen und ich kann und muss diese Vollkommenheit mit aller Bestimmtheit (und dies bedeuter ohne jeden Zweifel) sehen, auch wenn der Augenschein mich etwas anderes glauben machen will. Schon meine Bereitschaft, in meinem Nächsten ebendiese Vollkommenheit zu erkennen, öffnet meine eigene Wahrnehmung und damit auch die des anderen, genau dieses Gute manifestiert zu sehen.
Ich bin mir jetzt ganz sicher, dass die Wahrheit unseren Nächsten nur heilt, wenn sie ihn mit einer vollkommenen, wie von Mary Baker Eddy beschrieben, »erglühten Liebe« erreicht!
Wenn ich nun ein guter Praktiker werden will, muss ich den Spuren von unserem Vorbild und Meister Christus Jesus folgen. M.B.Eddy formuliert das in ihrer Autobiografie Rückblick und Einblick auf Seite 87:17-29 so: »Die Christlichen Wissenschaftler sollen das Gebot des Meisters befolgen. Macht Kranke gesund. Dabei müssen sie der von Jesus vorgeschriebenen göttlichen Ordnung folgen — niemals in irgendeiner Weise die Rechte ihrer Mitmenschen verletzen, sondern dem himmlischen Gebot gehorchen: Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. «