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Christian Science: Das Evangelium des Heilens

Aus der August 1911-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ein Vortrag über die Christian Science hat große Ähnlichkeit mit einer Predigt. Wenn ich nun meinem heutigen Vortrag einen Text zugrunde legen wollte, so könnte ich wohl keinen interessanteren oder passenderen wählen, als Jesu Auftrag an seine Jünger, über das Reich Gottes, d. h. über die stets gegenwärtige Macht des Guten zu predigen und zugleich die Kranken zu heilen, die Aussätzigen zu reinigen, die Toten zu erwecken und die Teufel auszutreiben. Das zehnte Kapitel des Evangeliums Matthäus ist den hierauf bezüglichen Anweisungen und Ermahnungen des Meisters gewidmet, und diesem besonderen Auftrag folgt im letzten Kapitel desselben Evangeliums der weitere Auftrag, daß seine Nachfolger alle Völker das halten lehren sollten, was er ihnen zu tun befohlen hatte. Es ist demnach die Pflicht eines jeden Christen, nicht nur das Evangelium zu predigen, sondern auch Kranke zu heilen und Teufel auszutreiben (Übel jeder Art zu beseitigen).

Dieser Auftrag ist seinem Wesen nach eine kurze Darlegung vom wahren christlichen Glauben, von der wahren christlichen Lehre und Ausübung. Es ist ferner klar, daß ein solcher Glaube und eine solche Ausübung eine feste Grundlage haben muß, nämlich das unleugbare Dasein eines allmächtigen, allgegenwärtigen, allwissenden Gottes — eines Gottes, der alles wahre Sein bildet und umfaßt und dessen Gegenwart und Allmacht bewußterweise als ein bestimmtes und unabänderliches Gesetz das ganze von Ihm erschaffene und offenbarte Weltall von Ideen inspiriert, schützt, lenkt und leitet.

Die Allheit Gottes flößt Liebe ein

Die Christian Science predigt die Vollkommenheit und Allheit Gottes, des Guten, mehr durch Werke und Demonstration, als durch Worte oder Erörterungen. Sie lehrt keine neue, fremde, widersinnige Auffassung von Gott, sondern entfaltet und erklärt einen richtigen Begriff und ein wahres Verständnis von Seinem Wesen, Seinen Eigenschaften und Seinem Gesetz. Um den vorherrschenden Begriff von Gott zu erweitern, werden in der Christian Science Lehre den allgemein bekannten Synonymen für Gott die Ausdrücke Geist (Mind), Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit, Liebe hinzugefügt. Intelligenz und Substanz werden ebenfalls als Synonyme angewandt, um dem Schüler ein besseres Verständnis von dem Wesen Gottes zu geben. Wenn diese Ausdrücke richtig verstanden und in Verbindung mit dem umfassendsten und höchsten Begriff, den wir uns von Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart machen können, richtig angewandt werden, so tragen sie dazu bei, unser Denken von einer begrenzten, menschlichen Auffassung von Gott abzulenken und es auf die unpersönliche, unendliche, allwaltende und vollkommene Intelligenz, Gegenwart und Macht, die wir Gott nennen, zu richten.

Wenn wir alle Eigenschaften, die mit Güte, Gerechtigkeit, Weisheit und Erbarmen verwandt sind, in unserm Begriff vom himmlischen Vater einschließen und zugleich von diesem Begriff Ungerechtigkeit, Haß, Zorn, Rache und Veränderlichkeit ausschließen, so werden wir klarer erkennen, daß der himmlische Vater der Unendliche, der Alles-in-allem ist. Ein solcher Begriff von Gott flößt Liebe und Vertrauen zu Ihm ein und erweckt in uns ein geistiges Bewußtsein, das erneuert und befreit und als eine stille Kraft wirkt, die uns über die falschen, gesetzlosen Annahmen der Sterblichkeit erhebt, böse Einflüsse, welche von diesen bösen Annahmen herrühren, vernichtet und einen Schutz bildet gegen den Einfluß und die Wirkung alles dessen, was Gott, dem Guten, nicht gleich ist.

Die Christian Science lehrt einen unendlich guten Gott und ein unendlich vollkommenes Weltall, einschließlich des Menschen. Ihrer Erklärung gemäß ist die Erkenntnis, daß ein vollkommener Mensch das Ebenbild Gottes ist, ebenso wichtig wie die Erkenntnis, daß ein vollkommener Gott der Schöpfer des Menschen ist. Wenn eines oder das andre oder beides in unsrer Religion und Ausübung fehlt, so ist unser Glaube tot und unsre Hoffnung eitel.

Um zu verstehen, warum eine Religion, die solche Grundsätze vertritt, nicht allgemein Anerkennung findet, müssen wir uns darüber klar werden, wie weit die Menschen in Bezug auf diese Fragen vom rechten Wege abgekommen sind und was die Welt in ihren Zustand der Verwirrung und Hilflosigkeit gebracht hat. Was in der Bibel zu der jehovistischen oder vermenschlichten Auffassung von Gott gehört, finden wir auch in den von Menschen aufgestellten Lehren des modernen Christentums. Das Christentum unsrer Tage hüllt das Göttliche in ein menschliches Gewand. Da es nicht zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden weiß, stellt es Gott als ein vermenschlichtes Wesen dar, welches dem Zorn, der Rachsucht und der Veränderlichkeit unterworfen ist. Dadurch flößt es dem Menschen Furcht vor Gott und Haß gegen Ihn ein, anstatt Ehrfurcht und Liebe.

Die Theologie lehrt, der Mensch, wie wir ihn heute sehen, sei das Überbleibsel des einstmals vollkommen erschaffenen Menschen Gottes. Es wird fast allgemein angenommen, er, die Krone der Schöpfung, sei auf die Stufe des Tieres herabgesunken; ja es wird erklärt, er sei nicht viel mehr als ein Stäubchen in der Wüste des Weltalls.

Die beiden Berichte

Ohne Zweifel ist dieser Begriff vom Menschen dadurch entstanden, daß man die beiden Berichte über die Schöpfung, wie wir sie in der Bibel finden, nicht auseinander gehalten und nicht verstanden hat. Ein sorgfältiges Studium dieser Berichte erschließt die Tatsache, daß sie sich in vielen wichtigen Punkten von einander unterscheiden; ja der Studierende kommt zu der Einsicht, daß sie in der Voraussetzung wie in der Schlußfolgerung direkte Gegensätze sind und in keinem einzigen Punkt miteinander übereinstimmen.

Das erste Kapitel des 1. Buches Mösis enthält einen kurzen aber vollständigen Bericht über die geistige und wahre Schöpfung — einen Bericht, den die meisten namhaften Bibelforscher für durchaus wissenschaftlich erklärt haben. In diesem Bericht lesen wir, daß Gott den Menschen „ihm zum Bilde” erschuf und ihm Herrschaft über die Erde und was darauf ist gab. Ferner lesen wir: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.” Die Christian Science legt großes Gewicht auf diesen Bericht, hält ihn für den richtigen und erklärt, daß er die Grundlage alles wahren Seins bildet. Da Gott, das allmächtige und unwandelbare Gute, die einzige Ursache ist, so folgert die Christian Science, daß die Schöpfung der unveränderliche Ausdruck des göttlichen Wesens ist und daß sie deshalb stets gut sein muß. Den Lehren der Bibel gemäß ist es nie Gottes Wille gewesen, daß der von Ihm vollkommen erschaffene Mensch der Veränderung und dem Tod ausgesetzt sein solle. Wir können keine einzige Stelle finden, die zu der Annahme berechtigt, daß der geistige, nach dem Bilde Gottes erschaffene Mensch, wie er im ersten Kapitel dargestellt ist, je seine Vollkommenheit verloren habe und je unharmonisch geworden sei.

In dem zweiten und den folgenden Kapiteln des 1. Buches Mösis finden wir einen Bericht, der offenbar mit dem ersten im Widerspruch steht. Diesem Bericht zufolge schuf Gott den Menschen aus Erde und nicht nach Seinem Bilde; auch ward ihm keine Herrschaft über irgendeinen Teil der Schöpfung gegeben. Dieser Mensch erhielt den Namen Adam. Ferner wird erzählt, Gott der Herr habe aus der Erde die ihr gleichartigen Pflanzen wachsen lassen und habe die Tiere des Feldes aus Erde erschaffen. Damit der Mensch eine passende Gefährtin oder Gehilfin erhalten möge, ließ Gott, wie uns erzählt wird, einen tiefen Schlaf auf Adam fallen, worauf er eine Operation an ihm vollzog, indem er eine Rippe aus seiner Seite nahm und ein Weib daraus baute. Hierauf folgt Versuchung, Ungehorsam, Furcht, Scham und Strafe. „Denn du bist Erde, und sollst zur Erde werden”, lauten die Worte, welche Gott der Herr angeblich an Adam richtete.

Der Staub-Mensch

Offenbar soll dieser Bericht das scheinbare Bestehen des materiellen Menschen und sein klägliches Ende erklären. Die Widersprüche in demselben berechtigen allein schon zu der Annahme, daß wir es hier mit einer Allegorie zu tun haben. Dieser zweite Bericht über die Erschaffung eines Staub-Menschen hat den ersten Bericht über die Erschaffung des geistigen Menschen fast ganz und gar verdrängt. Er bildet die Grundlage einer Menge religiöser Annahmen und Systeme. Das moderne Christentum beruht ganz und gar auf dem Glauben an die Wahrheit dieses zweiten Berichtes, und es hat sich einen Plan zurechtgelegt, nach welchem dieser Staub-Mensch in ein geistiges Wesen verwandelt wird, trotzdem die Bibel lehrt, daß Sterblichkeit vernichtet werden müsse, damit Unsterblichkeit ans Licht kommen möge. Jesus sagte: „Das Fleisch ist nichts nütze”, und Paulus erklärte: „Das sage ich aber, lieben Brüder, daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben”.

Allgemein gesprochen gibt sich die Theologie nicht mit der Krankenheilung ab. Sie ignoriert den Befehl Jesu, durch geistige Mittel zu heilen, und überläßt diese Sache den Medizinern. Sonderbarerweise sehen weder die Theologen noch die Mediziner ein, in welch großem Widerspruch sie verwickelt sind. Die Naturforscher erklären, die Moleküle, aus denen der Staub-Mensch zusammengesetzt sei, bestünden aus sechs Grundstoffen: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel. Sie behaupten, nur der Chemiker sei fähig, mit den Molekülen umzugehen und ihren Zustand richtig zu beurteilen. Also die Theologie sowohl wie die Arzneikunde überläßt den Menschen, welcher der Errettung und Heilung bedarf, dem analytischen Verfahren des Chemikers. Beide stimmen darin überein, daß sie sich nach seiner Aussage richten müssen, um die Fragen in Bezug auf das Leben zu beantworten.

Unüberlegte Kritik

Es wird zuweilen behauptet, Berichte von Heilungen durch die Christian Science seien unzuverlässig, weil die Scientisten keine ärztliche Kenntnisse hätten und deshalb Krankheiten und ihre Symptome nicht beurteilen könnten. Diese Kritik ist unüberlegt, da die Hauptschwierigkeit des Arztes gerade auf der Unzuverlässigkeit seiner Diagnose beruht. Ferner steht er vor der Schwierigkeit, daß bis jetzt noch kein Verfahren entdeckt worden ist, demgemäß man aus der angeblich den Menschen bildenden Verbindung von Wasser und Salzen einen Auszug von Schmerz und Krankheit machen kann!

Im Lichte der neueren Forschungen wird es überflüssig, die Frage zu erörtern, ob die Materie wirklich oder unwirklich sei. Die vorgeschrittenen Naturforscher sind sich darüber einig, daß alles, was sich den Sinnen darbietet und Materie genannt wird, nichts weiter ist als zum Ausdruck gebrachtes oder verkörpertes Denken — etwas, was wir uns mehr oder weniger vollkommen konstruirt haben. Wenn die Materie der liebevollen Fürsorge ihrer treuen Freunde, der Theologie und Arzneikunde, überlassen bleibt, so nimmt sie in dem offenen Grab aller Sterblichkeit ihren Platz ein, und auf diesem ihrem letzten Ruheort ist die einfache aber vielsagende Grabschrift zu lesen: „Du bist Erde [Nichtigkeit], und sollst zur Erde [Nichtigkeit] werden.”

Das Vertrauen auf die Christian Science

Da nun die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und Unzuverlässigkeit der Arzneikunde immer allgemeiner wird, so ist es kein Wunder, daß sich viele Leute lieber den ausübenden Vertretern der Christian Science anvertrauen, als einem Arzt. Soll dem Einzelnen das Recht entzogen oder verkürzt werden, in dieser Hinsicht nach eignem Gutdünken zu handeln? Bedroht es den Frieden und die Wohlfahrt der Welt, daß die Christian Scientisten durch stilles und nicht durch lautes Beten Tausende und aber Tausende von hoffnungslos kranken Menschen geheilt und in zahllosen Fällen Trunkenbolde und Irrsinnige hergestellt haben? Trotz solcher Werke der Wohltätigkeit sind wir im erleuchteten zwanzigsten Jahrhundert Zeugen des erstaunlichen Schauspiels, daß in unserm Lande, dessen Verfassung einem jeden Religions- und Gewissensfreiheit zusichert, die Vertreter gewisser medizinischer Schulen die Gesetzgeber und Richter zu beeinflussen suchen, Gesetze anzunehmen und durchzuführen, welche es Ihnen und mir verbieten sollen, uns an das Gebet des Verständnisses und Glaubens zu halten, das, wie die Schrift verheißt, „dem Kranken helfen” wird!

Da das Wesen Gottes so wenig verstanden wird, so glaubt die Menschheit, Gott teile Seine Gaben aus oder enthalte sie vor, je nachdem es Ihm beliebe und Er es für gut halte. Die meisten Christen suchen Ihn durch flehentliches Bitten zu bewegen, ihnen diese oder jene Gunst zu erweisen. Der Christian Scientist betet nicht in dieser Weise. Er hält sich an die Worte des Meisters: „Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehedenn ihr ihn bittet.” Es ist dies wohl der Grund, warum zuweilen gesagt wird, die Christian Scientisten seien Leute, die nicht beten. Diese Beschuldigung wird wohl am besten von den Tausenden widerlegt, deren Gebete nicht erhört wurden, als sie die Vorschriften der Theologie zu befolgen suchten. Sie erklären, sie hätten nie gewußt, wie man betet, bis sie das Kapitel über das Gebet, welches Mrs. Eddy geschrieben hat und welches am Anfang des Christian Science Textbuches steht, aufmerksam studiert hätten. Die Christian Scientisten erklären, Gebet bestehe in dem ernsten Wunsch, daß Gottes Gegenwart und Macht dem Bewußtsein offenbar werden möge; in der Erkenntnis, daß alles Gute bereits vorhanden ist und daß der Mensch bloß lernen muß, es entgegenzunehmen. Ein solches Gebet wird erhört, in Übereinstimmung mit den Schriftworten: „Alles was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr’s empfahen werdet, so wird’s euch werden”; „Und so wir wissen, daß er uns höret, was wir bitten, so wissen wir, daß wir die Bitten haben, die wir von ihm gebeten haben.” Jesus lehrte offenbar, daß das Gebet mehr ein Sichbewußtwerden und Behaupten der Wahrheit, als ein flehentliches Bitten ist. Das klare Verständnis von der Allheit Gottes und der großen Wahrheit, daß Sein Gesetz überall wirksam ist und die unharmonischen Zustände der menschlichen Erfahrung zerstört, ist die richtige Basis des Gebetes.

Mit denjenigen, die die Werke eines wissenschaftlichen Christentums ehrlich bezweifeln, können wir gar wohl die größte Geduld haben. Die heutige Welt hat eben wenig Unterweisung und Übung in dem Glauben gehabt, der nicht tot ist; deshalb hat ihr auch die Gelegenheit gefehlt, wahre Religion nach den Früchten zu beurteilen. Da sie an die im Dogmentum erstarrte Theologie gewöhnt ist, so wird es ihr schwer, die Natürlichkeit der Werke der Wahrheit und Gerechtigkeit zu erkennen und zu verstehen. Für diejenigen, welche die geistige Wahrheit noch nicht erkannt haben, dieselbe aber ernstlich suchen, ist alle Hoffnung vorhanden.

(Schluß folgt.)

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