Jesus, der Meistermetaphysiker, war auch der Meisterkritiker. Von dem Prinzip der Wissenschaft des Lebens wußte er mehr als irgendein andrer, und sein Verständnis berechtigte ihn vollauf zur Ausübung der Kritik. Dennoch aber sagte er: „Ich richte niemand. So ich aber richte, so ist mein Gericht recht”. Ferner erklärte er: „Ihr richtet nach dem Fleisch”. Hiermit wies Jesus auf die verfehlte Art des Kritisierens hin und gab uns die richtige Verfahrungsweise. Wir richten „nach dem Fleisch”, obgleich kein sterblicher Begriff als Maßstab für ein gerechtes Urteil dienen kann. Jesus richtete niemand. Er wußte, daß der Mensch vollkommen ist und nicht gerichtet zu werden braucht, und dies Gericht ist ein rechtes Gericht, weil es die Nichtigkeit des Menschen darlegt, der Fleisch zu sein scheint und sich mit allen dem Fleisch angehörenden Irrtümern behaftet glaubt. Er wirkte nur im Sinne seines Vaters und verherrlichte Ihn jederzeit. Wie steht es nun mit uns? Können wir das von uns sagen? Vermöge der steten Aufmerksamkeit, die Jesus dem göttlichen Dingen widmete, konnte er der verwitweten Mutter den einzigen Sohn zurückgeben, und der Sünderin gegenüber das Urteil sprechen, welches sie bekehrte: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.” Wie können wir erwarten, andre zu heilen und zu bekehren, wenn unsre Kritik eher einem Verdammungsurteil gleicht und dadurch aus dem jeweiligen Irrtum eine Wirklichkeit macht?
Jesu Kritik war wahrlich „ein gerecht Gericht”, nicht wie das der Sterblichen, „nach dem Ansehen”. Seine Kritik wirkte heilkräftig, während diejenige, die sich auf den fleischlichen Augenschein stützt, oft unnötig Wunden schlägt, indem sie gegen das göttliche Recht der Selbstregierung verstößt. Wenn wir den Menschen so verstehen, wie ihn Jesus verstand, nämlich als vollkommen, „gleichwie unser Vater im Himmel vollkommen ist”, dann werden auch wir uns ihm gegenüber des Richtens enthalten; und diese „richtige Anschauung” („Science and Health“, S. 477), wird die Kranken heilen, wie dies bei Jesu der Fall war. Wir wollen daher Jesu Art und Weise des Kritisierens befolgen, das zerstoßne Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen, sondern „das Gericht zum Sieg” ausführen.
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