Wer kennt nicht schon seit seiner Kindheit den Ausdruck: „Ein Pfahl im Fleisch”? Denken wir nicht bei diesen Worten an diesen oder jenen Mitmenschen, der vielleicht schon seit Jahren mit körperlichen Leiden behaftet ist und an denselben immerfort festhält, indem er denkt, sein himmlischer Vater habe sie gesandt oder lasse sie wenigstens seinem weisen Ratschluß gemäß zu? Als Beleg dafür, daß Krankheiten von Gott auferlegt werden, haben wir oft sagen hören: „Es ist mein ‚Pfahl im Fleisch‘. Paulus war ein besserer Christ als ich, und doch mußte er sein Leiden ertragen”. Wenn wir uns als Leidensgenossen des Paulus betrachten, so umgeben wir unsern Zustand gewissermaßen mit einem Glorienschein. Haben wir uns jedoch jemals die Frage vorgelegt, was uns zu dieser Auffassung berechtigt und wodurch des Paulus „Pfahl im Fleisch” verursacht wurde?
Im zweiten Korintherbrief sagt Paulus: „Auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarungen überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satanas Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe.” Wie aus diesem Ausspruch des Paulus klar hervorgeht, dachte er nicht im entferntesten daran, sein Leiden Gott zuzuschreiben. Kann denn Gott, der die unendliche Liebe ist, Seinem Kinde irgend etwas geben, was Seinem Wesen nicht im geringsten entspricht? Alle Mißklänge haben ein und denselben Ursprung, den Paulus klar erkannte, als er erklärte, sein Leiden sei des „Satanas Engel”. Satanas, den die Bibel als Widersacher oder Fürst der Finsternis bezeichnet, wird im herrlichen Licht der Christian Science als der Glaube an eine von Gott getrennte Wesenheit erkannt. Ist es nicht dieser Glaube, der, den obigen Worten des Paulus zufolge, in Gefahr steht, sich der „hohen Offenbarungen” zu überheben? Ist es nicht dieser falsche und listige Anspruch, den er als „Satanas Engel” bezeichnet? Unter wie vielen Verkleidungen erscheint doch diese Wesenheit! In dem Fall des Paulus war es vielleicht Stolz oder, wie aus seinem Worten hervorgeht, Selbstüberhebung, die ihn mit Fäusten schlug und ihm einen Pfahl ins Fleisch gab; denn das Übel, unter welcher Verkleidung es auch erscheinen möge, kann nur sich selbst mit Fäusten schlagen und ist selbstzerstörend. Deshalb sagt unser Textbuch: „Die einzige Macht des Übels besteht darin, sich selbst zu zerstören” („Science and Health“‚ S. 186). Ist erst das Wesen dieses Engels im Lichte der Wahrheit erkannt, so ist es leicht zu verstehen, wie man die Botschaft aufzunehmen hat, denn unser Lehrbuch erklärt: „Eine falsche Annahme ist der Verführer sowohl wie der Verführte, die Sünde sowohl wie der Sünder, die Krankheit sowohl wie ihre Ursache” (Ibid., S. 393).
Da „der Verführer so gut wie der Verführte” beim Apostel Paulus Selbstüberhebung zu sein scheint, die seinen wunderbaren Werken und den ihm zuteil gewordenen herrlichen Offenbarungen folgte, sollten dann wir, die wir ein körperliches Leiden genährt haben, in dem vom Verführer eingeflößten Glauben, hiermit eine lobenswerte christliche Ergebenheit zu bekunden — sollten wir nicht erwachen und durch die Macht der Wahrheit den Pfahl entfernen, der so lange in uns gesteckt hat? Wenn wir uns in aller Demut selbst prüfen, so werden wir vielleicht finden, daß noch etwas andres als Selbstüberhebung uns den Pfahl ins Fleisch gesetzt hat, nämlich weltlicher Sinn und Untreue in unsrer christlichen Arbeit. Ja sogar viele, die sich in den vergangenen Jahren mit andern an dem Licht der Christusheilung erfreut haben, gelangen zu der Einsicht, daß auch sie einen Pfahl im Fleisch haben und es erscheint ihnen schwierig, denselben loszuwerden.
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