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Das Übel als Annahme zu bekämpfen

Aus der Juni 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Christliche Wissenschaft wird zuweilen von solchen angegriffen, die den von dieser Lehre gemachten Unterschied zwischen dem Geistigen und dem Materiellen nicht erkannt haben. Obgleich die Christliche Wissenschaft in Übereinstimmung mit der Bibel erklärt, daß das Übel vom geistigen Standpunkte aus unwirklich ist, so leugnet sie doch nicht, daß dem menschlichen Bewußtsein der Glaube an eine neben Gott bestehende Macht innewohnt, und daß dieser Glaube beseitigt werden muß, ehe das Reich Gottes im Bewußtsein völlig aufgerichtet werden kann. Dem beschränkten Sinn scheint das Übel sehr wirklich zu sein, denn sonst würde dieser Sinn nicht die Notwendigkeit eines Erlösers empfinden. Wenn ferner das Übel tatsächlich das wäre, was es zu sein scheint, dann gäbe es keine Erlösung von demselben. Die Christliche Wissenschaft schiebt das Problem des Glaubens an das Übel, mit dem die Welt ringt, nicht beiseite, sondern sie leugnet, daß das Übel etwas eigentlich Wirkliches, eine dem Allerhöchsten bekannte und von Ihm zugegebene Macht sei. Dadurch hebt sie die scheinbare Wirklichkeit des Übels auf.

In allen ihren Schriften über die Christliche Wissenschaft lehrt Mrs. Eddy die Notwendigkeit der Erkenntnis des Wesens des Übels und dessen Tätigkeit im menschlichen Bewußtsein. Sie erklärt, daß das Übel nicht etwas ist, was man zu fürchten braucht, sondern etwas, was man leugnen und als eine Täuschung überwinden muß. Die Christlichen Wissenschafter bekämpfen das Übel auf Grund der Tatsache, daß Gott die einzige Macht ist. Sie betrachten es somit nicht als eine wirkliche Macht, sondern als eine vermeintliche Macht; nicht als etwas, was neben Gott besteht, sondern als etwas, was neben Ihm zu bestehen scheint. Da die Menschen das Übel für ebenso wirklich und mächtig gehalten haben wie das Gute, und da sie es von diesem Standpunkte aus zu bekämpfen suchten, haben sie naturgemäß keinen Erfolg gehabt. Sie sind unterlegen, weil sie sich tatsächlich auf die Seite des Feindes gestellt haben, obgleich sie ihn zu bekämpfen schienen; d. h. sie haben dem Übel alle Kraft zuerkannt, die es nötig hatte, um sie zu beherrschen. Das Übel hat keinen Raum im göttlichen Gemüt; daher kann es nur im sogenannten menschlichen Gemüt bestehen. Wie darf dieses Gemüt hoffen, das Übel zu überwinden, nachdem es sich auf dessen Seite gestellt hat?

Das Übel hätte keine Macht und Fortdauer, wenn die Menschheit nicht glaubte, daß außer Gott, dem Guten, eine Macht bestände. Man lege diesen Glauben ab und werde sich der Unendlichkeit des Guten klar bewußt, so wird das Übel verschwinden, den es ist nichts aus sich selbst und kann nichts aus sich selbst tun. Wenn wir die Unendlichkeit Gottes stets im Gedächtnis haben, kann ein entgegengesetztes Wesen oder eine entgegengesetzte Macht nur als falsche Annahme bestehen, hat also keinen Einfluß auf das, was wahr ist. Nur einer falschen Annahme zufolge bringt das Übel seine Anschläge zur Ausführung, denn da das Übel seinem Wesen nach eine Verneinung ist, besitzt es weder Substanz noch Macht. Es hat noch nie einen sündhaften Menschen hervorgebracht, noch hat es den Menschen Gottes sündhaft gemacht. Es hat noch nie Güte in Laster, Liebe in Haß, oder Leben in Tod verwandelt, sonst hätte es Gott und Seine Schöpfung vernichtet. Mrs. Eddy sagt vom Übel: „Es ist weder Person, Ort noch Ding, sondern einfach eine Annahme” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 71). Sein Reich oder der Schauplatz seiner Tätigkeit ist eine falsche Mentalität, die Paulus als fleischliche Gesinnung bezeichnet. Doch diese Gesinnung hat keinen Raum in dem unendlichen, allwissenden, göttlichen Gemüt.

Kein Christ sollte daher das Übel als etwas Wirkliches ansehen, denn erwiesenermaßen hört es auf, dem menschlichen Bewußtsein als eine Wesenheit oder Macht zu erscheinen, sobald dieses Bewußtsein aufhört, es anzuerkennen und ihm zu gehorchen. Die Lehre, daß das Übel unwirklich ist, mag vom sogenannten menschlichen Gemüt als eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes bezeichnet werden; doch dasselbe könnte man vom ersten Gebot sagen. Die Menschheit hat fortgesetzt das Zeugnis der materiellen Sinne für wahr gehalten, und der Glaube an eine dem Guten entgegenwirkende Macht hat nach und nach die ganze menschliche Tätigkeit verdunkelt, das Gebiet der Religion nicht ausgenommen. Von dem Standpunkte der sterblichen Annahme aus erscheint es allerdings töricht, wenn die Christliche Wissenschaft behauptet, das Übel in all seinen Erscheinungsformen sei eine Täuschung, eine Beleidigung der gottverliehenen Intelligenz. Warum aber eine Sache, die für die Menschheit von so großer Wichtigkeit ist, nicht eingehender prüfen? Warum sich ihr nicht vorurteilsfrei nähern und erforschen, ob die Menschheit nicht vielleicht doch getäuscht worden ist — ob das, was sie seit Jahrhunderten gefürchtet und bekämpft hat, nicht eine falsche Annahme statt einer Wirklichkeit ist? Entweder ist das Übel etwas oder es ist nichts; entweder ist es wahr, oder es ist nicht wahr; entweder hat Gott es geschaffen oder Er hat es nicht geschaffen. Wenn es ein wirkliches Etwas oder eine wirkliche Wesenheit ist, wenn es denselben Ursprung hat wie das Gute, wenn Gott es genehmigt oder zuläßt, dann ist es doch am besten, man läßt ihm seinen Lauf. Wenn aber das Übel nicht von Gott ist und wenn wir uns zu des Meisters Lehre bekennen, daß die Wahrheit nicht im Übel ist, sollten dann die Christen nicht ihre Stellung in dieser Frage sowie ihre Verfahrungsart ändern?

Die Christliche Wissenschaft unterschätzt durchaus nicht die Notwendigkeit, das Übel zu überwinden, denn sie tritt unentwegt für die absolute Unendlichkeit des Guten ein. Sie lehrt, daß, weil das Gute unendlich ist, das Übel keine Eigenschaft des Ebenbildes Gottes sein kann. Jesus ließ das Übel nicht unbeachtet, als er es Lügen strafte. Er verbrachte seine ganze Lebenszeit auf Erden damit, die Aussprüche des Übels zu überwinden. Ist es nicht klar, daß das Übel sich nichts Besseres wünschen kann als in Ruhe gelassen zu werden oder seinen Anspruch auf Wirklichkeit unbestritten zu sehen? Ist es so schwer zu begreifen, daß das Übel gerade deshalb, weil man es in Ruhe gelassen hat, nicht aus dem menschlichen Bewußtsein vertrieben worden ist, trotz allem, was die Kirchen und andre Vereinigungen in dieser Hinsicht getan haben? Nicht, weil das Übel etwa wirklich wäre, hat es sich behauptet, sondern weil sein Anspruch auf Wirklichkeit in Ruhe gelassen oder zugegeben wurde. Die Menschheit hat alle ihre Kräfte angestrengt, die Wirkung ihres Glaubens an des Übel zu bekämpfen, aber sie hat das Übel selbst nicht angegriffen, sollst wäre sie erfolgreicher gewesen. Die Beweggründe derer, die sich ernstlich bemüht haben, ihre Mitmenschen von der Sünde zu befreien, sind gewiß unantastbar; aber ihre falsche Auffassung von dem, was sie bekämpften, stand ihnen im Wege. Sie glaubten vielfach, das Übel sei stärker als sie, stärker als irgend etwas, was sie ihm entgegenzustellen vermöchten, und Gott erkenne die Wirklichkeit und Macht des Übels an. Kann man hoffen, von diesem Standpunkte aus etwas auszurichten? Ist es ein Wunder, daß die Empfindung des Übels fortfuhr zu bestehen, trotz alles Entgegenwirkens seitens der Christen? Wenn man das Übel, das sich in der menschlichen Annahme so fest verschanzt hat, mit der Erkenntnis der Allheit Gottes bekämpft hätte, die keine andre Macht zuläßt, würde dann das Übel in der allgemeinen Annahme der Sterblichen thronen, wie es heute der Fall ist?

Die Christliche Wissenschaft nun verfolgt eine ganz andre Verfahrungsart, um das Übel zu überwinden. Sie greift es als eine falsche Annahme an, nicht als etwas Wirkliches. Deshalb hat sie Erfolg, wo andre Verfahrungsarten fehlschlagen. Aber gerade weil sie alles, was dem Wesen Gottes und Seiner geistigen Schöpfung entgegengesetzt ist, für unwirklich erklärt, wird sie von vielen verworfen. Was ist nun der Beweggrund dieser abfälligen Kritik? Entspringt sie einer innigen Liebe zum Guten? Ist sie von Gott eingegeben? Nein, sie ist nichts weiter als die Empfindung des Übels, die verlangt, in Ruhe gelassen zu werden. Die Gegner der Christlichen Wissenschaft sollten sich dieser Tatsache bewußt werden. Sie sollten einsehen, daß ihre Verwerfung der Verwerfung des Übels, ihre Verneinung der Verneinung des Übels vom Übel ist und an dem Geist teilnimmt, der Jesus kreuzigte. Wenn dies erst voll erkannt ist, werden die Angriffe gegen die Christliche Wissenschaft aufhören. Der Meister wurde deshalb verfolgt, weil er dem Übel den Anspruch auf Wirklichkeit nahm, und die Christlichen Wissenschafter stoßen deshalb auf Widerstand, weil sie dem Meister hierin zu folgen bestrebt sind.

Da nun das Übel offenbar nicht durch das menschliche Bewußtsein wirken kann, es sei denn, dieses Bewußtsein glaube an das Übel, warum sollte dann irgendein Christ sich der Verneinung und Verwerfung des Übels widersetzen? Welchen Zweck hat es, die Ansprüche des Übels zuzugeben, da doch gerade dieses Zugeben die Sterblichen zu Sündern macht? Ist es gottwohlgefällig, an das Übel zu glauben? Macht es den Sterblichen klüger, nützlicher, gesünder und glücklicher? Erzeugt es in ihm eine höhere Liebe zu Gott und zu den Menschen? Hat der Glaube an das Übel Raum und findet er Anerkennung im Reich Gottes, auf welches wir hinarbeiten und welches wir gründen helfen sollen?

Der Erfolg des Christlichen Wissenschafters beim Überwinden des Übels erklärt sich lediglich aus der Tatsache, daß der Christliche Wissenschafter das Übel nicht als eine von Gott bestimmte Macht, sondern als eine falsche Annahme ansieht und es demgemäß behandelt. Da er Gott als das allgegenwärtige Gute erkannt hat, bleibt für ihn kein Raum übrig für eine böse Macht. Seine Erkenntnis, daß Gott allgegenwärtig ist, umfaßt keine Intelligenz, die den Menschen gehässig, bösartig, selbstsüchtig, oder lasterhaft machen könnte. Da er weiß, daß Gott samt seiner Offenbarwerdung oder Schöpfung das Alles-in-allem des Seins bildet, kann er keine andre Ursache oder Wirkung anerkennen. Er ist sich bewußt, daß, wenn Gott am Anfang allen Raum füllte und unendlich war, er auch heute noch allen Raum füllt und unendlich ist. Steht irgendeine Anschauung, die weniger absolut ist, mit den Lehren Christi Jesu in Einklang? Gibt es irgendein andres Verfahren, die Allheit Gottes zu erkennen und dadurch das Reich Gottes im eignen Bewußtsein zu verwirklichen?

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