Der Neuling in der Christlichen Wissenschaft ist geneigt, zu vieles als selbstverständlich anzunehmen. Mit einem oberflächlichen intellektuellen Verständnis des Buchstabens der Christlichen Wissenschaft wagt er sich an Probleme heran, denen selbst der erfahrene Wissenschafter sich nur zögernd nähern würde. Durch Erfahrung lernt er jedoch bald, daß Argumente allein nicht heilen können. Wenn er dies erst richtig erkannt hat, nehmen die wissenschaftlichen Behauptungen der Wahrheit für ihn eine neue Bedeutung an. Behauptungen der Wahrheit mögen zwar der Genauigkeit des Ausdrucks nicht entbehren, können aber nur dann wissenschaftlich genannt werden, wenn sie von geistigem Verständnis durchdrungen sind. Andernfalls sind sie wie „ein tönend Erz oder eine klingende Schelle”. Dies wird hier nicht gesagt, um den Anfänger zu entmutigen; vielmehr soll es für ihn eine Anregung sein, seinen Blick auf das göttliche Prinzip seiner Arbeit zu richten, eingedenk, daß es Gott ist, der in ihm wirkt „beide, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen”.
Die Mahnung unsrer Führerin: „Studiere den Buchstaben gründlich und nimm den Geist in dich auf” um „am schnellsten in der Christlichen Wissenschaft vorwärts zu kommen” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 495), muß ihrer vollen Bedeutung nach befolgt werden. Gehorsam dieser Vorschrift gegenüber besteht nicht darin, daß man beständig über Mrs. Eddys Büchern sitzt, oder ganze Kapitel aus der Bibel auswendig lernt, ohne den Versuch zu machen, das, was man sich theoretisch angeeignet hat, anzuwenden. Wer sich durch das Studium der Christlichen Wissenschaft lediglich zum Bücherwurm ausbildet, wird niemals „mit göttlichen Ehren das Examen bestehen, das das einzig würdige Siegel der Christlichen Wissenschaft ist” („Miscellaneous Writings“, S. 358). Ein „Täter des Worts” muß er sein, sonst wird er zu seinem eignen schlimmsten Feind! Die Christliche Wissenschaft schließt Theorie und Praxis in sich; doch ist vieles, was in ihrem Namen geschieht, wenig mehr als der tote Buchstabe. „Es soll nicht, lieben Brüder, also sein”. Nach den vielen Jahrhunderten materialistischen Denkens, das die Neigung, alles durch die materiellen Sinne erklären zu wollen, zur Folge hatte, ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, daß die Christliche Wissenschaft dieselbe Behandlung erfahren hat. Der ernste Schüler erkennt jedoch bald, daß sowohl der Geist wie der Buchstabe der Christlichen Wissenschaft erforderlich ist, um die Menschheit zum richtigen Verständnis von Gott und Seiner Schöpfung zu erziehen.
Das nur zu allgemeine buchstabenmäßige Hersagen der Wahrheit von wissenschaftlicher Behauptung unterscheiden zu lernen, ist eine der ersten Aufgaben des Schülers. Wenn einer aus den Schriften unsrer Führerin wissenschaftliche Sätze zitiert, nicht weil er sie glaubt, sondern weil er sie ins Lächerliche ziehen will, so ist das gewiß keine wissenschaftliche Behauptung. Unehrlichkeit und Sinnlichkeit können der Wahrheit nicht Ausdruck verleihen, noch ist Rednerkunst, die nicht von wissenschaftlichem Verständnis getragen ist, imstande, die Wahrheit zu verkündigen. Selbstsucht spielt bei der Behauptung der Christlichen Wissenschaft keine Rolle, noch hat sie Anteil an der Demonstration dieser Wissenschaft. Die christlich-wissenschaftliche Behauptung ist in Wirklichkeit von der Demonstration untrennbar. Bis der Schüler diese Tatsache richtig erkannt hat, ist er geneigt, dem Argumentieren mehr Wichtigkeit beizumessen als dem Demonstrieren. Wenn er erst einsehen lernt, daß jede Behauptung der Wahrheit, um wissenschaftlich zu sein, in seinem Lebenswandel Ausdruck finden muß, dann fängt er an, beim Bekennen seines Glaubens etwas bescheidener zu sein. Wenn er erklärt, daß Gott „Liebe” ist, so muß er über seinen Nächsten liebevoll denken und liebevoll gegen ihn handeln. Wenn er erklärt: „Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz und keine Substanz in der Materie” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 468), so muß ihn das zu erhöhter Anstrengung anregen, die Schwachheiten und Sünden des Fleisches zu überwinden, um die Wissenschaft des Seins verstehen und demonstrieren zu können.
Man könnte die „Wissenschaftliche Erklärung des Seins” tausendmal am Tage mit den Lippen hersagen, doch würde dies nichts mehr bedeuten als „leere Wiederholungen” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 10), wenn das Herz nicht zum Gehorsam geneigt ist und der ernsthafte Versuch nicht gemacht wird, sich über die fleischlichen Schmerzen und Freuden zu erheben. Mancher Mißerfolg im Heilen hat seinen Grund in der Abgeneigtheit, das, was man predigt, im eignen Leben zu betätigen. Mit den Lippen beten: „Dein Wille geschehe”, und dann fortfahren, den selbstsüchtigen Neigungen des menschlichen Gemüts zu dienen, heißt nicht den Willen Gottes walten lassen. Wer die Wahrheit behauptet, muß das eigne Ich freiwillig aufgeben können, denn sonst kann die Wahrheit nicht demonstriert werden. Der Bibel gemäß hat selbst der Teufel schon die Heilige Schrift zitiert. Würde nun irgendein Christ Aussprüche des Teufels wissenschaftliche Behauptungen der Wahrheit nennen? Die Annahme, daß eine unreine oder in geistigen Dingen unwissende Mentalität Gott oder dem Menschen dienen kann, wird durch die Christliche Wissenschaft immer mehr entlarvt und auf ihr Nichts zurückgeführt. Alles was nicht auf Lauterkeit aufgebaut ist, steht auf Sand, und Lauterkeit in der Christlichen Wissenschaft bedeutet weit mehr als das Befolgen der Sittengesetze. Sie bedeutet die wissenschaftliche Erkenntnis der Sohnschaft Gottes, welche die Unterwerfung der menschlichen Natur, ja ein von Demonstration begleitetes Verständnis des Christus, der Wahrheit, fordert.
Mrs. Eddy schlägt den Grundton dieses Themas an, wenn sie erklärt: „Wahrheit ist bejahend und verleiht Harmonie” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 418). Daraus ergibt sich, daß eine mit Irrtum vermischte Bejahung oder Behauptung der Wahrheit nicht wissenschaftlich ist und keine Harmonie verleihen kann. Die Wahrheit behauptet sich durch das geistige Gesetz, und Gehorsam gegen dieses Gesetz verleiht uns die einzig mögliche Fähigkeit, der Wahrheit in wissenschaftlicher Weise Ausdruck zu geben. Behauptungen der Wahrheit, die nicht auf geistiger Basis beruhen, sind leere Wiederholungen und unnützes Geplapper, mit dem das sterbliche Gemüt in seiner Unwissenheit und seiner Selbstsucht die Wahrheit nachäffen möchte. Wo die Grundlagen wissenschaftlichen Verständnisses fehlen, kann weder körperliche Heilung noch geistige Erneuerung stattfinden. Um Gutes zu vollbringen, muß man sowohl seine Gedanken wie seine Handlungen mit dem einen unendlichen, unveränderlichen Prinzip in Einklang bringen.
Da Wahrheit bejahend ist, bedingt ihre wissenschaftliche Darlegung stets das Verwerfen und Verneinen ihres Gegenteils, des Übels. Daher die Notwendigkeit eines steten Strebens, das Böse mit dem Guten, zu dem wir uns bekennen, zu besiegen, denn sonst haben all unsre sogenannten Behauptungen des Guten keinen Wert. Wer in seinen Behauptungen der Wahrheit nicht von diesem Bestreben geleitet wird, dessen Arbeit sinkt auf das Niveau der Suggestion herab und entbehrt der Heilkraft. Die auf Unwissenheit beruhende Voraussetzung, daß die Christliche Wissenschaft weiter nichts sei als Hypnotismus, beweist, daß viele der sogenannten freisinnigen Denker den „ungenützten Rock” der Gerechtigkeit noch nicht berührt haben. Wissenschaftliche Behauptung und Demonstration beruhen auf dem unendlichen göttlichen Gemüt, werden durch dasselbe angeregt und beherrscht und können von keinen selbstischen menschlichen Wünschen beeinflußt werden. Das sogenannte sterbliche Gemüt mag wohl literarischen Diebstahl an Mrs. Eddys Schriften verüben, ihre Schriften verdrehen und danach streben, die Metaphysik mit der Physik zu vermischen. Doch all diese Versuche werden es ihm nicht ermöglichen, die göttliche Schwelle zu überschreiten, bis es versteht und zugibt, daß die Christliche Wissenschaft die von Jesus gelehrte Wahrheit ist, die der Menschheit Gesundheit, Glück und Frieden verleiht.
Licht und Kraft und Mut und Freude,
Wahrer Trost in tiefem Leide,
Schutz vor allerlei Gefahren,
Und ein ewiges Bewahren:
Das sind Gottes Wortes Früchte
Alles andre wird zu nichte.
Alles andre wird vergeh’n,
Gottes Wort bleibt ewig stehn.
