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Die Christliche Wissenschaft: Eine Religion der Liebe

(Schluß.)

Aus der Juni 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der allgemeine Begriff von Gott

Ich werde wohl niemand zu nahe treten, wenn ich behaupte, daß die Menschen im Durchschnitt einen sehr unbestimmten Begriff von Gott haben. Viele denken sich Ihn als eine Person. So sieht man z.B. bei den alten Meistern Gott öfters als einen Mann abgebildet mit langem Bart und patriarchalischen Zügen. Wie viele Menschen gibt es doch, die, wenn sie die Augen schließen und andachtsvoll zu Gott beten, im Geiste eine Person oder eine menschliche Gestalt sehen! Wie viele stellen sich Gott als einen zornigen und rächenden Herrscher vor, der denen, die Ihm mißfallen, Krankheit und Unglück sendet! Wie viele glauben, Gott wohne in einem weitentfernten Lande, Himmel genannt, wo Er nach orientalischer Art einen glänzenden Hofstaat unterhalte und wo nur diejenigen hinkommen könnten, die durch das Tor des Todes gegangen seien! Haben nicht viele einen solch unbestimmten und nebelhaften Begriff von Gott, daß es ihnen unmöglich ist, eine Erklärung über Ihn abzugeben, die sie selbst befriedigt, geschweige denn andre? Ist es angesichts der vielen unterschiedlichen Begriffe von Gott nicht begreiflich, daß die Menschen krank und unharmonisch sind? Ist es zu verwundern, daß es so viele Religionssysteme gibt, von denen jedes einen andern Weg zu Gott weist?

Das Wesen Gottes

Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß Gott Prinzip ist und keine Person. Die Bibel offenbart uns Gott als den Unendlichen, Allmächtigen, Allwissenden, Allgegenwärtigen, den Schöpfer des Weltalls und alles dessen, was darinnen ist. Deshalb erklärt die Christliche Wissenschaft, daß Gott Gemüt, der alleinige Ursprung, das schaffende und regierende Prinzip des Weltalls ist; ferner, daß Er durchaus gut, daß Er Liebe ist, wie die Bibel erklärt; daß, weil Er unendlich ist, Er unendliche Güte und unendliche Liebe sein muß. Können wir die Bedeutung des Wortes „unendlich” fassen, sei es in bezug auf Zeit, Raum oder Eigenschaften ? Es bedeutet ohne Anfang und ohne Ende. Es heißt so viel wie unbegrenzt, ohne Schranken.

Wir denken, wir könnten uns annähernd einen Begriff von der Unendlichkeit machen, wenn wir uns in die Betrachtung des Sonnensystems vertiefen. Der entfernteste Planet braucht beinahe hundertsechsundfünfzig Jahre zu seinem Kreislauf um die Sonne. Halleys Komet, der vierzig englische Meilen in der Sekunde zurücklegt, beschreibt seine Bahn einmal in etwa sechsundsiebzig Jahren. Der Verstand steht einem still, wenn man versucht sich vorzustellen, welch ungeheuren Raum die Himmelskörper zu ihrer Bewegung nötig haben. Und doch ist das nur erst der Anfang. Die Astronomen sagen, daß sie vermittels photographischer Aufnahmen in der Milchstraße hundertundvierzig Millionen Sonnen gezählt hätten, von denen wohl jede ihr eignes Planetensystem habe. Diese für den sterblichen Begriff so erstaunlichen Zahlen geben uns annähernd eine Idee, wie unfaßbar die Unendlichkeit ist. Die Bibel erklärt, daß alles, was Gott geschaffen hat, gut ist. Dies ist der Punkt, von dem die Christlichen Wissenschafter ausgehen, um zu beweisen, daß das Gute stets gegenwärtig ist und daß es Macht hat, das Übel zu vernichten; daß der Mensch, wenn er von Gott, dem Guten, als Prinzip regiert wird, gesund und glücklich ist. Das Gemüt, das unendliche Gute, die unendliche Liebe, kann nicht der Urheber des Übels sein. Die unendliche Liebe sendet kein Unglück, kein Leiden.

Wie das Heilen bewirkt wird

Den meisten Menschen ist es unbegreiflich, wie die Christliche Wissenschaft heilen kann. Sie sagen: Angenommen, daß Gott Gemüt oder Prinzip ist, wie kann dieses Prinzip mit dem menschlichen Gemüt in Beziehung treten und dadurch Sünde und Krankheit vernichten? Mit andern Worten: wie kann der Mensch seine Einheit mit dem geistigen Gesetz herstellen, so daß dieses Gesetz durch ihn wirkt und ihn von dein Hang zur Sünde befreit? Die Christliche Wissenschaft gibt uns auf diese Fragen eine klare Antwort. Tatsächlich erklärte Jesus diese Sache bereits vor neunzehnhundert Jahren so deutlich, daß darüber kein Mißverständnis herrschen sollte.

Wenn man eine Glühbirne durch einen Holzstab mit dem elektrischen Draht verbindet, so erhält man kein Licht; stellt man aber die Verbindung durch einen Metallstab her, so tritt man sofort mit dem Motorenhaus am andern Ende der Leitung in Verbindung, und das Licht erglüht. Gott ist Geist. Wenn nun die Menschen die Verbindung zwischen sich und Geist mit den Stäben des menschlichen Willens, der Unwissenheit, der Selbstsucht, des Stolzes oder irgendeiner andern Art des irrigen Denkens herzustellen suchen, werden sie Enttäuschungen erleben; wenden sie aber die Stäbe der Wahrheit, der Liebe, der Demut, der Sanftmut, der freundschaftlichen Gesinnung an, so ist die Verbindung da, und die göttliche Kraft des Geistes strömt in das menschliche Bewußtsein und teilt ihm Eigenschaften und Fähigkeiten mit, die es früher nicht hatte. Sie bringt ihm ein bisher unbekanntes Gefühl des Friedens.

Der Prophet Micha erklärt, des Menschen Feinde seien seine eignen Hausgenossen, und Jesus wiederholt diesen Ausspruch. Früher dachte ich, mit diesen Feinden seien die Verwandten eines Menschen gemeint; nun aber sehe ich ein, daß hier auf die Feinde im mentalen Haushalt Bezug genommen wird. Die mentalen Gäste, d. h. die Gedanken, welche wir in unserm mentalen Heim beherbergen, sind entweder unsre Freunde oder unsre Feinde. Haß, Furcht, Eigenliebe, alle bösen Gedankeneigenschaften sind Feinde, die Krankheit und Tod herbeiführen. Die Menschen werden erst dann ihre Freiheit wiedererlangen, wenn sie diese Feinde ausgetrieben und das menschliche Bewußtsein zum Tempel Gottes gemacht haben.

Die Christliche Wissenschaft lehrt uns, daß Furcht ein Bestandteil jeder Krankheit ist. Wenn Furcht sowie auch Haß, Aberglaube, Eigenwille und Eigenliebe aus der Welt verbannt wären, würden eine große Anzahl von Krankheiten verschwinden, und die Lebensdauer würde zunehmen. Selbst wenn die Christliche Wissenschaft noch nie einen einzigen Fall von Krankheit geheilt hätte, würde ihr dauernder Ruhm gebühren, indem sie unsre Zeit dazu gebracht hat, die Macht und den Einfluß des Denkens anzuerkennen. Salomo erklärte vor dreitausend Jahren: „Wie der Mensch in seinem Herzen denkt, so ist er” [nach der engl. Bibelübersetzung]. Mit andern Worten: die Beschaffenheit eines Menschen richtet sich nach der Beschaffenheit seiner Gedanken. Es ist daher von der größten Wichtigkeit, daß der Mensch die Wahrheit erkenne, damit er imstande sei, richtig zu denken.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn

In dem Gleichnis vom verlorenen Sohn veranschaulicht Jesus die Macht des rechten Denkens. Wir lesen, daß ein Jüngling mit dem Geld und Gut, das ihm sein Vater gegeben hatte, in ein fernes Land zog und es da verpraßte. Als er dann in der Not war, fand er eine Stellung, wo er die allergröbste Arbeit verrichten mußte. Er bekam so wenig zu essen, daß er sich nach dein Schweinefutter sehnte. Nun sagte ihm eine innere Stimme: „Warum gehst du nicht nach Hause? Bei deinen: Vater gibt’s alles die Hülle und Fülle. Warum bleibst du hier und darbst?” So entschloß er sich denn, nach Hause zurückzukehren, dem Vater zu erzählen, wie schlimm es ihm ergangen war und zu ihm zu sagen, er sei nicht wert, sein Sohn zu heißen, er möchte ihn nur als einen Tagelöhner annehmen. Demut war an Stelle von Hochmut und Eigenliebe getreten, und sofort war die Verbindung zwischen ihm und seinem Vater hergestellt. Dieser sah ihn von ferne, lief ihm entgegen, empfing ihn mit offenen Armen, gab ihm neue Kleider, tat einen Ring an seinen Finger und veranstaltete ihm zu Ehren ein Festmahl. Der Zurückgekehrte erkannte nun, daß er die ganze Zeit hindurch ein Sohn gewesen war. Nichts andres als seine irrige Auffassung hatte ihm Leiden verursacht. Als er die falschen Annahmen eines Verschwenders losgeworden war und die Eigenschaften eines Sohnes bekundete, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er kam zur Vernunft.

Die Seligpreisungen

In den sogenannten Seligpreisungen zu Anfang der Bergpredigt zählte Jesus die Eigenschaften auf, die den Menschen mit Gott verbinden. „Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.” „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.” „Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.” Wenn Reinheit, Sanftmut, Barmherzigkeit und Liebe vom menschlichen Gemüt Besitz ergreifen, wird die Verbindung zwischen dein Menschlichen und dem Göttlichen hergestellt, und ein Gefühl der göttlichen Liebe, welche heilt und erneuert, zieht in das menschliche Bewußtsein ein. Hieraus ist ersichtlich, daß die christlich-wissenschaftliche Gemütsheilung keine Ausübung von Hypnotismus ist, sondern das gerade Gegenteil. Der Hypnotismus ist die Herrschaft eines menschlichen Gemüts über ein andres, eines starken Willens über einen schwachen. In der Christlichen Wissenschaft hingegen wirkt die Wahrheit im menschlichen Gemüt, wodurch der Irrtum neutralisiert oder vernichtet und Gesundheit wiederhergestellt wird. Es ist noch nie ein Fall in der Christlichen Wissenschaft geheilt worden, wo nicht zugleich eine moralische Besserung und geistige Erhebung stattgefunden hat; wohingegen der Hypnotismus stets schädlich wirkt. Unlängst veröffentlichte ein nahmhafter Arzt in Philadelphia einen Aufsatz in einer unsrer medizinischen Zeitschriften, in welchem er den Hypnotismus als höchst schädlich bezeichnet und ernstlich davor warnt.

Viele Menschen, die den Hypnotismus als ein Übel erkannt haben, sind der Meinung, daß Suggestion etwas Gutes sei; ja es gibt sogar Pastoren, die behaupten, Jesus habe durch Suggestion geheilt. Tatsache ist aber, daß Suggestion und Hypnotismus wesensgleich sind und sich nur durch den Stärkegrad unterscheiden. Wer also die Heilungen Jesu als Wirkungen der Suggestion darstellt, der beschuldigt ihn geradezu, ein Hypnotiseur gewesen zu sein. Die Christlichen Wissenschafter stellen entschieden in Abrede, daß er eine solche Verfahrungsart angewandt habe. Gewiß steht es einem jeden frei, an Hypnotismus und Suggestion zu glauben; nur sollten sich alle Menschen klar werden, daß die Christliche Wissenschaft nichts mit diesen Erscheinungen gemein hat.

Gott nicht der Schöpfer des Übels

Ein weiterer Punkt in der Christlichen Wissenschaft, der von vielen nicht verstanden wird, ist die Lehre von der Unwirklichkeit des Übels. Mrs. Eddy spricht sich darüber sehr deutlich aus. Die Bibel erklärt, daß Gott alles gemacht hat, was gemacht ist, und daß alles, was Er gemacht hat, gut ist. Folglich hat Gott das Übel nicht gemacht. Die Christliche Wissenschaft behauptet nun, daß, weil Gott das Übel nicht gemacht hat, es nicht wirklich, nicht ewig sein kann. Alles, was von Gott kommt, ist unzerstörbar und ewig. Diese Eigenschaften würde somit auch das Übel haben, wenn es göttlichen Ursprungs wäre. Nun kann aber das Übel vernichtet werden, in der Form von Krankheit sowohl wie von Sünde. Jesus bekämpfte und vernichtete es, und das ganze Menschengeschlecht zieht fortwährend gegen dasselbe zu Felde. In diesen: Kampf nimmt die Christliche Wissenschaft eine führende Stellung ein. Sie wirft auf diesen Gegenstand ein Helles Licht, indem sie dartut, daß das Übel lediglich in der menschlichen Annahme besteht und daher durch die Wirksamkeit der Wahrheit im menschlichen Bewußtsein zerstört werden kann. Sie erklärt, daß das Übel aus sich selbst keine Macht hat, und daß es sich ohne die Mitwirkung der menschlichen Annahme weder als Sünde noch als Krankheit kundtun kann. Indem die Christliche Wissenschaft das Übel als der menschlichen Annahme innewohnend und des göttlichen Ursprungs entbehrend darstellt, leistet sie der Menschheit einen unschätzbaren Dienst. Sie nimmt dem Übel seine scheinbare Macht; sie befreit die Menschen von der Furcht vor dem Übel und gibt ihnen eine anwendbare Lehre, vermöge deren sie das Übel zerstören können.

Die Schöpfung

Auch in bezug auf die Schöpfung herrscht keine klare Erkenntnis. Viele Menschen wissen nicht, daß es in der Bibel zwei Schöpfungsberichte gibt. Der erste Bericht ist im ersten Kapitel des ersten Buchs Mose enthalten, wo uns gesagt wird, Gott habe alles gemacht, was gemacht ist, und „es war sehr gut”; zuletzt habe Er den Menschen in Seinem Bilde geschaffen und ihm Herrschaft gegeben über die ganze Erde und was darinnen ist. Der zweite Bericht enthält eine sinnbildliche Darstellung, in welcher erzählt wird, Gott sei auf die Erde herabgekommen und habe einen Menschen aus Erde gemacht. Durch all die Jahrhunderte haben die Sterblichen den Fehler begangen, daß sie den Adam-Menschen für den wirklichen, von Gott in Seinem Bilde geschaffenen Menschen gehalten haben, und daß sie bemüht gewesen sind, die Güte und Allmacht Gottes mit der Erschaffung eines Sünders in Einklang zu bringen.

Die Christliche Wissenschaft behauptet, daß, weil der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen wurde, er geistig und nicht materiell ist. Wer da glaubt, Gott habe den Menschen aus Erde geschaffen, der macht Ihn für all die Sünden und Leiden verantwortlich, welche die Materialität begleiten und die Welt von Anbeginn der Zeit erfüllt haben. Eine solche Annahme wird weder von Gott noch vom gesunden Menschenverstand bestätigt. Sie verunehrt Gott und würdigt den Menschen herab. Der beste Beweis, daß sie irrig ist, liegt in der Tatsache, daß sie die Menschen noch nie weder von Krankheit noch von Sünde befreit hat. Die Menschheit zeigt immer weniger Interesse für eine Anschauung von Gott, die nicht Gesundheit und Wohlergehen fördert. Die Kirchen beklagen dies als ein Zeichen zunehmender Religionslosigkeit, sind aber mit dieser Meinung im Irrtum. Es bedeutet vielmehr ein Verlangen nach einer Religion, die vernunftgemäß und praktisch anwendbar ist.

Das Zeitalter praktischer Dinge

Der Hauptunterschied zwischen der Zivilisation unsrer Tage und der Zivilisation vergangener Zeiten besteht in dem heutigen Verlangen nach praktischen Dingen. Die Griechen z. B. erreichten einen hohen Grad der Kultur. In der Architektur, der Malerei, der Skulptur, der Redekunst, der Dichtkunst, dem Drama und in allen Arten der Prosa leisteten sie Großartiges; aber bei all ihrer Bildung erfanden sie nicht eine einzige arbeitsparende Maschine. Sie wußten nichts von der Elektrizität oder der Verwendung des Dampfes. Viele von den Bequemlichkeiten, deren wir uns erfreuen, waren ihnen fremd. In unsrer Zeit richtet sich das Streben auf das Praktische. Der Wert eines Dinges steht im Verhältnis zu seiner Nützlichkeit. Niemand hat heutzutage Zeit, sich mit andrer Leute Theorien abzugeben. Wenn einer eine Theorie hat, muß er sie erst selbst ausprobieren und ihren Wert beweisen, ehe ihm irgend jemand Gehör schenkt.

Ein Zeitalter praktischer Dinge verlangt auch eine praktische Religion. Die Menschen begnügen sich nicht mehr mit Theorien über die Geschehnisse in einer zukünftigen Welt. Eine beweisbare Religion wird verlangt, eine Religion, die von gegenwärtigen Kümmernissen befreit — von Krankheit und Sünde, von Mißerfolg, von all den zahllosen Übeln des täglichen Lebens. Eine solche Religion kann man getrost der Zukunft anvertrauen. Die Christliche Wissenschaft ist vor allem eine praktische, eine anwendbare Religion. Gewiß ist die Mathematik der Menschheit von großem Wert; aber erst, wenn ihre Regeln praktisch zur Anwendung kommen, entstehen Brücken, Eisenbahnen, Tunnels, Riesenbauten und viele andre Dinge, die zur Wohlfahrt der Menschheit beitragen. So verhält es sich auch mit der Religion. Erst wenn ein klares Verständnis für die Lehren Jesu erwacht ist und diese Lehren auf menschliche Angelegenheiten Anwendung gesunden haben, sehen wir, wie die Kranken geheilt, die Sünder von den Banden ihrer üblen Angewohnheiten befreit und viele andre praktische Dinge zum Wohl der Menschheit getan werden.

Das Verlangen nach praktischen Dingen zeigt sich in dem Streben unsrer Zeit, die Probleme des Lebens in praktischer Weise zu lösen. Der Mensch wünscht zu wissen, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht. Er verlangt die Wahrheit in bezug auf das Überwinden von Sünde, Krankheit und Tod. Er möchte gerne wissen, ob er fortwährend diesen Übeln unterworfen sein müsse. So treibt also das Verlangen nach praktischen Dingen, welches die Dampfmaschine, das Telephon, den Telegraphen und so manches andre Nützliche herbeigeführt hat, die Menschen dazu an, nach der Wahrheit über sich selbst zu forschen.

Das menschliche Dasein ein Rätsel

Das menschliche Dasein ist ein Rätsel. Soweit wir auch in den Aufzeichnungen zurückgehen, die die Sterblichen von sich gemacht haben, begegnen wir dem Streben, das Problem des Daseins zu lösen. Zu diesem Zweck gründeten die Menschen Religionen der verschiedensten Art, erfanden mancherlei Heilsysteme, bauten Schulen, gründeten und unterstützten Gesellschaften von Gelehrten und suchten tief in die materiellen Wissenschaften einzudringen. Sie waren fleißig, scheuten keine Mühe und hingen getreulich an dem, was ihnen zur Zeit eine Lösung des Welträtsels versprach. Trotz alledem aber muß zugegeben werden, daß keines von diesen Dingen die Bedürfnisse der Menschen befriedigt hat.

Wenn wir die vorliegende Frage vom physischen Standpunkte aus betrachten, so sehen wir, daß die Menschen sich wohl zeitweise des Sonnenscheins erfreuen, in vielen Fällen aber weit mehr dunkle Tage erleben; daß sie leiden und sterben, und daß diese Zustände seit Beginn der menschlichen Erfahrungen bestanden haben. Wir haben oft vom Fortschritt in der Medizin und in der Theologie gelesen, so daß wir glaubten, bessere Dinge erwarten zu dürfen. Diese Hoffnungen sind jedoch nicht in Erfüllung gegangen. Obgleich das System der Medizin seit viertausend Jahren besteht, ist nicht eine einzige Krankheit dauernd ausgerottet worden; im Gegenteil, es gibt heute mehr Krankheiten denn je zuvor, und sie mehren sich von Jahr zu Jahr.

Betrachten wir die Frage vom theologischen Standpunkt aus, so finden wir zuvörderst, daß es mehr als hundertundfünfzig verschiedene christliche Konfessionen gibt. Sie haben alle dieselbe Bibel und verehren denselben Gott, weichen aber in ihrer Auslegung der Bibel weit voneinander ab. Zwischen ihren Glaubenslehren, Verordnungen und Formen des Gottesdienstes herrscht ein großer Unterschied. Er ist in manchen Punkten so groß, daß, wenn die eine Glaubenslehre richtig ist, die andre falsch sein muß. Durch die Vermehrung der Sekten hat die Menschheit nicht die absolute Wahrheit gefunden und ist sie nicht vom Übel befreit worden.

Jesus sagte: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; Ich will euch erquicken.” Aber trotz der hingebenden, liebevollen und treuen Bemühungen der christlichen Arbeiter werden heute noch ebensoviele Tränen geweint, wie vor Tausenden von Jahren. Traurigen Herzens muß die Menschheit eingestehen, daß die Arzneiwissenschaft und die schulmäßige Theologie die menschlichen Probleme nicht gelöst haben.

Nichts könnte mich veranlassen, gegen Geistliche und Mediziner ein unfreundliches Wort zu äußern. Die allermeisten von ihnen haben treu und gewissenhaft gearbeitet, um den Menschen Gesundheit und Frieden zu bringen, und niemandem ist ihr Mißerfolg mehr zu Herzen gegangen als ihnen selbst. Angesichts dieser Tatsachen ist es klar, daß, wenn die Menschheit je von Sünde, Leiden, Krankheit und Tod befreit werden soll, die Erlösung durch ein besseres Verständnis von dem Wesen Gottes und dem Wesen des Menschen kommen muß, als die materiellen Heilsysteme und die schulmäßige Theologie uns bis jetzt geben konnten.

Mrs. Eddy

Viele Leute scheinen zu glauben, die Christliche Wissenschaft sei etwas ganz Neues, etwas, was Mrs. Eddy ersonnen habe. Dem ist aber nicht so. Die Christliche Wissenschaft wird von ihrer Begründerin wie folgt definiert: „Das Gesetz Gottes, das Gesetz des Guten, welches das göttliche Prinzip und die göttliche Regel der universellen Harmonie erklärt und demonstriert” („Rudimental Divine Science“, S. 1). Dieses Gesetz verstanden Moses und die Propheten bis zu einem gewissen Grade. Die Christliche Wissenschaft offenbart dasselbe Prinzip, das Jesus verstand und das ihm seine großen Taten ermöglichte, dasselbe Prinzip, das er seine Jünger lehrte und das sie wiederum ihre Jünger lehrten. Wann auch immer dieses Prinzip verstanden und angewandt worden ist, hat es als ein Gesetz der Vernichtung auf Sünde, Krankheit und Tod gewirkt, hat das sogenannte materielle Gesetz aufgehoben.

Dieses geistige Gesetz entdeckte Mrs. Eddy im Jahre 1866 infolge ihrer Heilung von einer Verletzung, die ihre Angehörigen für tödlich hielten. Sie wandte sich an Gott um Hilfe, und durch geistige Mittel, durch ihr inbrünstiges Gebet wurde sie sofort wiederhergestellt. Wohl wußte sie, daß die Kraft Gottes sie geheilt hatte, war aber mit dieser Erkenntnis nicht zufrieden. Sie wollte wissen, ob ihre Heilung eine übernatürliche Äußerung der Macht Gottes gewesen, oder ob sie durch die Wirksamkeit eines Gesetzes, das man verstehen lernen kann, zustande gekommen sei. Bald war sie von letzterem überzeugt. Sie erkannte, daß, wenn sie dieses Gesetz entdecken könnte, es ihr möglich sein würde, vermöge desselben andre zu heilen. Drei Jahre lang forschte sie, meistens in der Bibel, worauf sie die Ankündigung machte, daß sie das geistige Gesetz entdeckt habe, auf Grund dessen Jesus die Kranken heilte.

Zweifel überwunden

Anfangs waren die Menschen hinsichtlich dieser Behauptung sehr ungläubig. Mrs. Eddy bewies sie jedoch, indem sie in Fällen von Krankheit, die ihr gebracht wurden, Heilung herbeiführte. Nun brachte sie ihre Entdeckung zu Papier; ehe sie sie aber veröffentlichte, machte sie die weitgehendsten praktischen Proben, indem sie zahlreiche Fälle von chronischen und vermeintlich unheilbaren Leiden heilte. Viele von diesen Heilungen sind durch die schriftlichen Aussagen der Geheilten bestätigt. Ferner unterwies sie eine große Anzahl von Schülern, die dadurch befähigt wurden, die Kranken durch die Anwendung des von ihr entdeckten Prinzips zu heilen. So verbreitete sich die Christliche Wissenschaft sehr rasch —überall als Ergebnis des Heilens. Wo immer das von Mrs. Eddy entdeckte geistige Gesetz richtig angewandt wurde, wirkte es in derselben Weise, indem es Sünde sowohl wie Krankheit vernichtete.

Im Jahre 1875 erschien Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift. Das geistige Gesetz sowie dessen Wirkung ist in diesem Buche klar dargelegt. Dennoch aber erschien der Gegenstand dem menschlichen Denken so fremdartig und unverständlich, daß kein Verleger das Buch auf eignes Risiko zu veröffentlichen wagte, und somit mußte es Mrs. Eddy im Selbstverlag herausgeben. Dem allgemeinen Urteil nach gab es keine Klasse von Menschen, die sich für dieses Werk interessieren würden; trotzdem aber zeigte sich eine sofortige eifrige Nachfrage nach dem Buch, und eine Auflage nach der andern war rasch vergriffen. Anstatt keine Klasse von Menschen anzusprechen, erwies es sich, daß das Buch alle Klassen ansprach. Seit Wissenschaft und Gesundheit erschienen ist, sind erst achtunddreißig Jahre verflossen, und doch hat dieses Buch seinen Weg bereits in alle Länder der Erde gefunden und ist wohl heute nächst der Bibel das am meisten gelesene Buch in der englischen Sprache. Eine große religiöse Organisation hat sich um die in demselben dargelegte Lehre gesammelt, und Tausende von intelligenten und denkenden Menschen in allen Teilen der Welt bekennen sich jetzt zu der Christlichen Wissenschaft. Es ist mit Recht behauptet worden, daß mit Ausnahme der Verbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten nichts in der Geschichte mit dem Wachstum der christlich-wissenschaftlichen Bewegung zu vergleichen ist.

Mrs. Eddys Entdeckung

Mrs. Eddy ist in jeder Hinsicht einer der hervorragendsten Charaktere unsrer Zeit. Sie hat in dem Reich der Metaphysik eine Entdeckung gemacht, die einen weitreichenderen Einfluß ausgeübt hat und ausüben wird, als irgendeine Entdeckung im Reich des Physischen. Sie hat eine Religion gegründet, die der Menschheit das geistige Heilen, wie die Urkirche es betrieb, wiedergebracht hat. Innerhalb einer Generation haben ihre Lehren einen solchen Einfluß ausgeübt, daß es in den christlichen Ländern wohl wenige Städte gibt, wo nicht eine Kirche oder eine Vereinigung der Christlichen Wissenschaft besteht, oder wo nicht Menschen zu finden sind, die dieser Lehre angehören oder sich für dieselbe interessieren.

Ich werde nie vergessen, mit welchen Gefühlen ich zum ersten Male die Tätigkeit eines Marconi-Apparats beobachtete. Staunen und Verwunderung erfüllte mich, als ich nur vergegenwärtigte, daß in der mich umgebenden Atmosphäre ein Gespräch stattfand, von dem meine Sinne keine Kenntnis nahmen. Wir wissen, daß das Gesetz, welches die Übertragung drahtloser Depeschen regiert, stets bestanden hat, daß es aber erst dann für die Menschheit anwendbar wurde, als es jemand entdeckte. So verhält es sich mit dem geistigen Gesetz des Lebens, das Mrs. Eddy entdeckt hat. Es hat stets bestanden und wir haben stets in demselben gelebt und uns bewegt, konnten es aber nicht anwenden, bis wir es erkannt hatten.

Daß Mrs. Eddy vielfach angegriffen worden ist, sollte niemand wundernehmen. Noch ein jeder, der vermöge seines geistigen Scharfblicks bahnbrechend gewirkt und der Welt bessere Dinge gebracht hat, ist der Kritik ausgesetzt gewesen und hat erfahren müssen, daß seine Ideen anfangs von vielen verworfen wurden. Hoch über all der Kritik und dem Mißverständnis hinsichtlich der Christlichen Wissenschaft und ihrer Führerin steht die Tatsache, daß die Ausübung dieser Lehre Scharen von Menschen geheilt hat. Früher oder später wird ein jeder sich zu dem Religionssystem bekennen, das ihm am meisten Hilfe und Hoffnung und Trost bietet. Solange es noch Menschen gibt, die sündhaft, krank und unglücklich sind, wird die Christliche Wissenschaft den Weg zur göttlichen Hilfe weisen.

Copyright, 1913, by The Christian Science Publishing Society
Verlagsrecht, 1913, von The Christian Science Publishing Society

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