Mrs. Eddy schreibt in „Miscellaneous Writings“, Seite 8: „Betrachte einfach das als deinen Feind, was das Christus-Ebenbild, das du widerspiegeln sollst, trübt, entstellt und entthront”, und Paulus sagt: „Fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott”. Aus diesen beiden Stellen geht hervor, daß der Feind unpersönlich ist. Sie erklären nicht, wer er ist, sondern was er ist. Sie weisen darauf hin, daß der Mensch kein Feind und der Feind kein Mensch ist.
Das, was ein persönlicher Feind zu sein scheint, ist keine Person, sondern nur die Feindschaft wider Gott, das sterbliche Gemüt, welches einen Vermittler sucht, um sein angebliches Selbst geltend zu machen. Wer dies erfaßt hat, kann den Irrtum umstoßen, ihn durch die Idee Gottes ersetzen und einen Freund gewinnen. Der einzige Dienst, den uns ein Irrtum erweisen kann, besteht darin, daß er uns unverhüllt entgegentritt, wodurch er uns die Gelegenheit gibt, ihn durch die Macht der Wahrheit zu vernichten.
Wenn uns das Übel als eine Person erscheint, müssen wir uns bewußt werden, daß wir es bloß mit einem Zustand des Denkens, mit einer Feindschaft wider die Wahrheit zu tun haben. Dadurch wird es uns möglich, unsern Glauben an diese Art des Übels zu vernichten. Ganz gleich, wie überzeugend die Scheinbarkeit auch wirken möge, sie ist nichts weiter als das eine Übel, das durchaus als Person anerkannt sein will. Wer das Übel ohne Verzug unpersönlich macht, bewirkt sofort eine große Veränderung in seinem Begriff von demselben. Es kann unmöglich zu gleicher Zeit unpersönlich und persönlich sein; man kann nicht zwei Begriffe von ihm haben, kann es nicht als eine Person gelten lassen, nachdem man es als Erscheinung erkannt hat. Selbst wenn es der Verkörperung fähig wäre, könnte man diese Verkörperung angesichts einer klaren Erkenntnis des Wesens Gottes und Seiner Idee, des Menschen, nicht Mensch nennen.
Der Christliche Wissenschafter trachtet danach, den Menschen so zu sehen wie Gott ihn geschaffen hat und wie Er ihn sieht. Er räumt ihm in dem Maße seiner Erleuchtung die richtige Stellung in seinem Denken ein. Indem der eine dies für den andern tut, wird durch die Vergeistigung des Bewußtseins die Heilung beider gefördert. Wer den Menschen anders sieht, als Gott ihn geschaffen hat, sieht ihn gar nicht, denn Gott hat den Menschen nach Seiner Idee geschaffen, vollkommen und gut. Der Begriff vom Übel, der die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen scheint, besteht daher nicht als etwas Wirkliches und hat nie als etwas Wirkliches bestanden. Er ist bloß eine Erscheinung, eine Täuschung. Die Verfahrungsart des scheinbaren Übels besteht darin, daß es die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und durch Verhüllung der rechten Idee irreführt. Die rechte Idee ist jedoch stets gegenwärtig, um gesehen, verstanden und geliebt zu werden, und niemand kann umhin, dies zu erkennen, wenn er sich nach ihr umsieht und den Täuschungen, persönlicher Mensch und persönliches Übel genannt, beharrlich Widerstand leistet und sich nicht von ihnen beherrschen läßt.
Richten wir stets unser Augenmerk auf Gottes Idee, oder horchen wir zuweilen auf die Suggestion oder Einflüsterung, daß wir etwas anderm begegnen und etwas andres sehen werden? Ist unsre Liebe zu Gott immer so innig, daß wir den ernstlichen Wunsch haben, Seine Idee zu sehen, oder geben wir dem Gefühl des Hasses genügend Zeit, um das Christus-Ebenbild in uns zu verunstalten und uns zu der Vorstellung zu verleiten, daß wir einen Feind haben und ihn sehen werden? Ist letzteres der Fall, so sollten wir uns die folgenden Worte Mrs. Eddys zur Unterweisung dienen lassen: „Kannst du einen Feind sehen, außer du bildest dir erst diesen Feind und richtest dann deinen Blick auf diesen Gegenstand deiner Auffassung?” („Miscellaneous Writings“ S. 8).
Man erzählt von einem kleinen Knaben, der einen Schneemann machte, und als er ihn fertig hatte, in großer Aufregung zu seiner Mutter gelaufen kam und sagte: „Ich fürchte mich vor dem Mann, den ich gemacht habe.” Ist es uns je eingefallen, daß wir uns den Feind gemacht haben, den wir fürchten, oder hassen? Fürchten wir einen falschen Begriff? Dann müssen wir diesen Begriff ändern und den Menschen so kennen lernen, wie Gott ihn kennt.
Tatsächlich können wir aus dem Menschen Gottes unmöglich einen Feind machen. Das scharfsinnigste böse Denken vermag nicht, ihn anders zu gestalten, als er ist, oder ihn zu vernichten, denn Gottes Werk ist unveränderlich. Wir sehen also, wie unmöglich es für einen Menschen ist, aus einem Menschen einen Feind zu machen. Es ist selbstverständlich, daß in der Wissenschaft des Seins keine Feindschaft besteht, und in der Vorstellung sind die einzigen Bestandteile, aus denen man einen Feind bilden kann, die Elemente des Übels. Da nun das Übel nicht von Gott kommt, so ist es schon aus diesem Grunde nicht wirklich; es besteht nicht, außer als eine falsche Annahme. Und was bleibt dann noch übrig, aus dem man etwas machen könnte?
Will man den Aufenthaltsort des Feindes bestimmen, so suche man ihn da, wo er in Wirklichkeit ist. Christus Jesus erklärte deutlich, daß man stets im eignen Bewußtsein anfangen müsse, und daß man nach Beseitigung des Splitters aus dem eignen Auge darauf vorbereitet sei, sich einem Bruder, der sich vergangen hat, zu nähern und ihm zu helfen. Durch ein solches Vorgehen wird man sehr wahrscheinlich einen Freund aus ihm machen.
Nachdem man einigermaßen eine Erkenntnis von Gott und dem nach Seinem Bilde geschaffenen Menschen erlangt hat, ist man gegen den Feind ausgerüstet, der nichts weiter ist als ein falscher Begriff von Gott und dem Menschen. Wer wahrhaft an Gott glaubt, glaubt auch an sich selbst als ein Kind Gottes, an sein wahres Selbst, an seine Erkenntnis, daß Gottes Ebenbild auch nicht für einen Augenblick von Gott getrennt werden kann. Er weiß, daß der Mensch in seiner wahren Selbstheit als Gottes Idee unbeschränkt ist in bezug auf Versorgungsmittel und Fähigkeiten, in bezug auf alles, was gut und recht ist — daß ihm das Fleisch keine Fesseln anlegen kann und er frei ist von der Furcht vor dem Verfall seiner Kräfte und vor dem Grab.
Alle Scheinbarkeiten müssen zuletzt verschwinden, und zu diesen gehört auch der unwirkliche Schatten des Selbst. Je mehr es uns gelingt, die scheinbare Feindschaft unsres Mitmenschen unpersönlich zu machen, desto mehr werden wir die Fesseln los und erfreuen uns der Freiheit, die dem Menschen zusteht. In dem Kampf mit dem eignen Selbst geht es nicht ohne Versuchungen ab; wenn wir aber der Wahrheit treu bleiben, werden wir alle andern Feinde, alle Vorstellungen in bezug auf eine Gott entgegenstehende Macht überwinden.
