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Die Leiden des Gerechten

Aus der Februar 1914-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der Gerechte muß viel leiden”, sagt die Bibel, „aber der Herr hilft ihm aus dem allen.” Die Sterblichen sind jedoch so sehr dazu geneigt, alles von der verkehrten Seite aus zu betrachten, daß sie oft ihre Zeit mit Klagen über ihr Leiden verbringen, anstatt sich über die Verheißung göttlicher Befreiung zu freuen. Wir richten unser Augenmerk auf den scheinbaren Irrtum statt auf die erlösende Wahrheit. Wenn wir ausschließlich den materiellen Augenschein in Betracht ziehen, das, „das man siehet”, dann kann uns allerdings manchmal bange werden. Es ergeht jedoch die Ermahnung an uns, auf das zu sehen, „das man nicht siehet”, auf den geistigen Augenschein von des Menschen Einssein mit Gott. In dieser Weise betrachtet, verliert die uns befallende Trübsal ihre scheinbare Macht und Wirklichkeit und wird als das erkannt, was sie ist — als Schattengebilde. Die Christliche Wissenschaft läßt menschliches Leid nicht außer Acht; damit würde sie der Menschheit keinen Dienst leisten; wohl aber legt sie Gewicht auf den Umstand, daß das menschliche Leid durch die Erkenntnis der Wahrheit beseitigt wird.

Die Lehren des Meisters und seiner Jünger lassen den Schluß nicht zu, daß die Sterblichen auf einem blumenbestreuten Wege zum Himmelreich gelangen könnten, oder daß es ihnen möglich sei, sich ohne Anstrengung aus dem materiellen zum geistigen Sinn vom Sein zu erheben. Allerdings wird dem Christen Friede, Freude, ja der Himmel verheißen, und die Überzeugung wird in ihm wachgerufen, daß diese Zustände schon hier und jetzt in den Bereich seiner Erfahrung kommen können; aber sie müssen bewußterweiße erlangt werden, durch die Überwindung alles dessen, was zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Sinn vom Sein liegt, d.h. aller Gedanken und Vorstellungen, die nicht von Gott kommen. Dem materiellen Sinn ist dieser Überwindungsprozeß allerdings nicht immer angenehm. Der Rat des Apostels, „das Schwert des Geistes” zu brauchen, bedeutet, daß gekämpft werden muß, und Kämpfen schließt oft Bedrängnis in sich, ehe der Sieg errungen ist.

Der Schüler der Christlichen Wissenschaft fühlt sich bisweilen ohne Grund gedemütigt, wenn ein körperliches Übel an ihm wahrnehmbar wird oder wenn eine Vorstellung von Krankheit sich bei ihm geltend macht. Einerseits fürchtet er die kritischen Bemerkungen seiner Bekannten, die vom Christlichen Wissenschafter sofort Vollkommenheit erwarten, und der Gedanke, daß unsre Sache durch ihn geschädigt werden könnte, beunruhigt ihn. Andrerseits entstehen in ihm Gefühle der Entmutigung und der Selbstverdammung. Er meint, weil er Christlicher Wissenschafter sei, dürfe er nicht die geringste Disharmonie zum Ausdruck bringen, ja er empfindet sogar Ungeduld und Erbitterung, weil er noch nicht alle körperlichen Leiden überwunden hat. Wenn somit Stolz lind Beschämung zu seinen Feinden hinzutreten, so hat er einen weit schwereren Kampf zu bestehen, als wenn er seine bescheidene Stellung als bloßer Schüler der Christlichen Wissenschaft erkennen würde, und wenn es ihm klar wäre, daß derartige Erfahrungen nur Aufgaben sind, durch deren Ausarbeitung er ein höheres Verständnis der göttlichen Wahrheit erlangen kann.

Wie Mrs. Eddy auf Seite 77 von Wissenschaft und Gesundheit darlegt, „vollbringen ... Sterbliche den Wandel vom Irrtum zur Wahrheit” nicht „mit einem einzigen Sprung.” Wenn der Christliche Wissenschafter den Punkt erreicht hat, wo er nie mehr einem Irrtum in seinem Bewußtsein begegnet, dann hat er sein Heil schon bewirkt und steht im vollen Lichte seines geistigen Bewußtseins. Dieser Zustand wird jedoch nur durch vollkommenes Wachstum und den Beweis der Allheit Gottes erreicht. In dem Abschnitt zwischen Beginn und Vollbringung des Werkes des Schülers liegt der Schauplatz seines Kampfes mit der Annahme einer neben Gott bestehenden Macht oder mit der Vorstellung von Materie. In diesem Umwandlungsprozeß vom Materiellen zum Geistigen sollte unsre Trennung von falschen Zuständen keine Entmutigung bewirken, selbst wenn ein solcher Vorgang durch einen gestörten Zustand des Bewußtseins zum Ausdruck kommt, denn Leiden scheint bisweilen nötig zu sein, um ein bereitwilliges Aufgeben des Irrtums zu veranlassen.

Es gestaltet sich alles einfacher, wenn wir im Sinne behalten, daß jeder Vorgang, sofern wir von demselben berührt werden, sich innerhalb unsres eignen Bewußtseins abspielt. Unser Kampf mit Widerwärtigkeiten und Übeln aller Art ist nur „der mentale Konflikt”, der stattfindet „zwischen der Augenscheinlichkeit der geistigen Sinne und dem Zeugnis der materiellen Sinne” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 288). Das Eintreten einer körperlichen Störung beweist nicht unbedingt, daß mehr Irrtum vorhanden ist als früher, sondern vielmehr, daß ein Irrtum des Denkens an die Oberfläche gekommen ist und seiner Vernichtung entgegengeht. Wenn wir die Disharmonien, die in unserm Bewußtsein entstehen, oder in dem, was das sterbliche Denken als Körper bezeichnet — wenn wir diese Disharmonien im Lichte der obigen Ausführungen betrachten, statt uns selbst zu verdammen oder uns der Furcht oder Betrübnis hinzugeben, werden wir uns sofort daran machen, auf Grund der Christlichen Wissenschaft Harmonie herzustellen. Dadurch wachsen wir in das vollkommene Ideal hinein. Wir wissen, daß ein Schüler nur geringe Fortschritte machen würde, wenn er niemals Aufgaben zu lösen hätte, die sein bereits erworbenes Können überschreiten. Warum sollten dann die Christlichen Wissenschafter die höheren Anforderungen des Prinzips als mühevoll und beschwerlich empfinden?

Vor seiner Aufklärung durch die Christliche Wissenschaft hat sich der Schüler mehr oder weniger mit dem Strom des sterblichen Denkens bewegt und sich den vorherrschenden Anschauungen angeschlossen — hat dem Irrtum die Macht zuerkannt, die dieser beanspruchte. Wenn er nun seinen mentalen Weg zurückverfolgt, stößt er natürlicherweise auf diese Häufung von falschen Vorstellungen. Ein herangebildeter Irrtum schwindet nicht immer sogleich, ja er scheint sich zuweilen hartnäckig zu wehren. Es liegt in der Natur der Vorstellung des Übels, sich dem Fortschritt in der Richtung Gottes entgegenzusetzen; die Christliche Wissenschaft aber lehrt die Menschen, weder einem falschen Sinn, noch dem, was er darzustellen sucht, Glauben zu schenken. Das Übel hat keine eigne Macht, uns zu überwinden oder in Banden zu halten, da kein andres Gesetz wirksam ist, als das Gesetz des Guten; und in dem Maße wie wir mit diesem allmächtigen Gesetz und seiner ewigen Wirksamkeit in Berührung kommen, sangen wir an zu erkennen, daß nichts in uns erscheinen kann, was nicht dein Walten dieses Gesetzes unterworfen ist. Der Irrtum kommt unweigerlich an die Oberfläche, um vernichtet zu werden; wenn wir aber nur über den Irrtum klagen und mutlos werden, vernichten wir ihn nicht, sondern rüsten ihn aus mit Leben und Kraft.

Der Versuch des Irrtums, die Christlichen Wissenschafter durch Krankheitserscheinungen zu beschämen, ist nur eine weitere Waffe des Widersachers. „Der Christliche Wissenschafter”, schreibt Mrs. Eddy, „hat sich in den Dienst der Verminderung des Bösen ... gestellt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 450). Was wäre das aber für ein Soldat, der sich seines Berufes schämt, so oft ein Feind sich sehen läßt? Disharmonie ist niemals eine angenehme Erfahrung. Wenn wir sie aber als einen Hinweis auf die Gegenwart unsres Feindes ansehen und daher als eine Gelegenheit zu einem Siege, dann haben wir schon mit der Überwindung dieses Feindes begonnen. Den Christlichen Wissenschaftern steht der größte Teil ihrer Arbeit noch bevor. Sie befinden sich auf der Pilgerfahrt „vom Sinn zur Seele”, und wenn sie den weiten Weg zurücklegen wollen, dürfen sie sich bei scheinbaren Fehlschlägen durch die kritischen Bemerkungen der Beobachter nicht stören und abhalten lassen, noch dürfen sie der Entmutigung Raum geben und sich Vorwürfe machen. Wenn wir nicht unsrer Erkenntnis gemäß handeln, wenn wir nicht so gerecht und treu sind, wie wir sein könnten, dann haben wir allerdings Grund, uns zu schämen; dadurch aber, daß wir alle Aufgaben, die an uns herantreten, treu und gewissenhaft erledigen, werden wir des göttlichen Segens teilhaftig. Wir dürfen jede Gelegenheit willkommen heißen, unsre Erkenntnis von Gottes Allheit zu beweisen — einen guten Kampf zu kämpfen, den Glauben zu halten, und, wie Paulus, unsern Lauf mit Freuden zu vollenden.


Ein Segen ruht im schweren Werke,
Dir wächst, wie du’s vollbringst, die Stärke;
Bescheiden zweifelnd fängst du an
Und stehst am Ziel ein ganzer Mann.

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