So jemand zu mir kommt lind hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.” So lautet dem Neuen Testament zufolge ein Ausspruch Jesu. Auf den ersten Blick scheinen diese Worte übermäßig scharf zu sein, und es drängt sich die Frage auf, worin eigentlich die Berechtigung zu einer derartigen Forderung liege. Wenn wir aber bedenken, wie die Menge beschaffen war, die den Lehren des Meisters zu folgen suchte, und wie schnell er ihre Gedanken zu erkennen vermochte, dann verstehen wir auch, daß er unter ihnen viele gesunden haben muß, die sich tatsächlich keinen Begriff davon machten, was es heißt, ihnl zu folgen — viele, die nicht erkannten, daß Fortschritt im Sinne des Meisters weit über die Glaubeusbekenntnisse, Überlieferungen und Zeremonien hinausführt, an denen das Volk und die Kirche bis dahin festgehalten hatte. Jede Neigung ihrerseits, sich an frühere Zustände anzuklammern, mußte ihrem Wachstum hinderlich sein und ihre Jüngerschaft unmöglich machen. Das Gesetz des Fortschritts herrschte damals genau wie in unsern Tagen, und Jesus verlangte von denen, die seiner Lehre folgen wollten, daß sie die Notwendigkeit einsähen, von den Dingen abzulassen, die sich ihrem Fortschritt entgegenstellten, wenn auch ihre Familienmitglieder oder sonstigen Angehörigen von ihnen teils Anerkennung dieser Dinge forderten, teils ihnen dieselben aufdrängten. Wir können sein Bestreben besser verstehen, wenn wir dasselbe mit unsrer Zeit in Beziehung bringen.
Wir leben in einem Zeitalter des Fortschritts. Und doch gibt es Menschen, die trotz ihrer ausgesprochenen Neigung zu wissenschaftlichem Denken sich davon abhalten lassen, auch in religiöser Hinsicht nach höherer Erkenntnis zu streben. Dies geht zuweilen aus der Frage hervor, wie wir als Christliche Wissenschafter unsre angebliche Vernachlässigung der Taufe und der Kommunion verantworten könnten. Diese kirchlichen Handlungen seien doch während der vergangenen Jahrhunderte als wesentliche Bestandteile der christlichen Religion und als dem direkten Befehl des Meisters gemäß angesehen worden. Nun ist es aber Tatsache, daß wir vom Standpunkte der Christlichen Wissenschaft aus Taufe und Kommunion nicht vernachlässigen können. Es steht uns nicht frei, sie nach Belieben anzunehmen oder zu verwerfen. Je mehr wir uns in die Bedeutung von Taufe und Kommunion vertiefen, desto deutlicher sehen wir, daß sie, geistig aufgefaßt, nicht nur etwas Wesentliches für die christliche Religion bedeuten, sondern auch, daß sie dem göttlichen Gesetz zufolge wissenschaftliche Notwendigkeiten sind.
Wir werden einer Idee nicht untreu, wenn sie für uns eine höhere Bedeutung gewinnt, sondern sie wird unserm Bewußtsein umso lebendiger. Es ist uns klar geworden, daß wir ohne Taufe oder Läuterung des Denkens die Wahrheit des Seins, die tatkräftige Wissenschaft des Christentums nicht verstehen können; ebensowenig vermögen wir ohne Kommunion, ohne die Vergegenwärtigung unsres Einsseins mit Gott von unsrer Wissenschaft oder unserm Christentum bewußterweise Gebrauch zu machen.
Johannes der Täufer kam, um für die Offenbarung der göttlichen Wahrheit den Weg zu bereiten. Er forderte die Menschen zur Buße auf, erweckte in ihnen den Wunsch nach höheren Dingen und besseren Taten; und diese neue und bedeutungsvolle mentale Vorbereitung brachte er dem damaligen unreifen Gedanken durch die Zeremonie des Waschens oder Untertauchens des materiellen Körpers äußerlich zur Darstellung. Er wußte, daß Religion für einen jeden innerste Herzenssache, der liebste Gegenstand seines Denkens sein muß. Aber je materialistischer das Denken der Menschen ist, desto notwendiger ist es, daß die Wahrheit bildlich dargestellt werde.
Religion — das Band, das den Menschen mit seinem Schöpfer verbindet — ist für alle Menschen der Gegenstand des größten Interesses. Jeder hat eine Religion, oder er wünscht wenigstens, er hätte eine. Er verlangt zu wissen, wie er ins Dasein gekommen, wie er entstanden, woraus er hervorgegangen ist, und was ihm nach seinem gegenwärtigen Zustand des Seins bevorsteht. Er will Aufschluß haben über seine Beziehung zur großen Ersten Ursache; er will diese Beziehung bewußt erfassen können — kurz, er sehnt sich nach einer Religion. Jede Religion ist auf diesem mächtigen Wunsch im Menschenherzen gegründet — dem Wunsch, mit dein Schöpfer in Beziehung zu treten.
Das von heidnischen Mythologen formulierte System der Anbetung, demzufolge die Kräfte der Natur vergöttlicht wurden und durch Bilder aus Holz und Stein zur Darstellung kamen, war der höchste Begriff, zu dem der Durchschnitts-Sterbliche in jenem Stadium menschlicher Entwicklung gelangt war, and es schien notwendig, durch diese Bilder an die Gemüter der Menschen zu appellieren. Dadurch kam es aber zu allen möglichen Abirrungen, wie das bei der menschlichen Natur von jeher der Fall gewesen ist, gleichviel welche Religion man für die wahre hielt. Hinter diesen Äußerlichkeiten lag jedoch der sehnliche Wunsch, die Wahrheit über die große Erste Ursache zu kennen.
Der Bund Gottes mit dem Menschen sowie die Verheißung eines Messias oder einer Person, die der Menschheit die Wahrheit über Gott offenbaren würde, bildet einen Teil der Religionslehre fast aller Völker seit Anfang der Geschichte. Dieser Bund erschien als ein ausschließlicher Besitz der Ebräer wegen ihres geistigen Fortschritts und der sich daraus ergebenden Fähigkeit, die volle Verkörperung dieser Idee herbeizuführen — wegen ihres heranreifenden Denkens, das der Erfüllung dieser Verheißung zustrebte. Als die Ebräer dieser Erfüllung näher kamen, gaben sich die Vorbereitungen, die sie für den Empfang dieses Erlösers trafen, äußerlich dadurch kund, daß sie die besten Früchte und Herdentiere als Opfer für ihre Sünde wie zum Zeichen ihrer Dankbarkeit darbrachten. Sie bauten einen großen Tempel in Jerusalem, worin sie durch einen Vorhang einen Raum abteilten, in den nur die Priester hinein durften, und nannten denselben das Allerheiligste.
Als das Denken der Ebräer die erforderliche menschliche Stufe der Entwicklung erreicht hatte, stand in diesem Allerheiligsten ein Priester, der mit solch frommer Hingabe auf die Versöhnung des harrenden Volkes bedacht war, daß eine Bekundung seiner Treue und der Treue einer nicht minder frommen Frau der Welt zuteil wurde. Es wurde ihnen ein Sohn geboren, ein Prophet, der gesandt war, um die Menschen auf den Empfang des Befreiers vorzubereiten; der ihnen zeigen sollte, wie sie ihr Denken reinigen und läutern müßten, auf daß sie die Wahrheit verstünden, die ihnen in kurzem offenbart werden sollte. Dieser Mensch war Johannes der Täufer, die Stimme in der Wüste, die die Menschen aufforderte, Buße zu tun und sich taufen zu lassen.
Das Wort Taufe kommt im Alten Testament gar nicht vor, obgleich schon in jenen Tagen die geistige Taufe oder das Versenktwerden „in die göttliche Natur, in das Wesen der Liebe” denen zuteil wurde, die hierzu bereit waren — denen, die „herrliche Lichtblicke von dem Messias oder Christus” hatten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 333), genau wie in unsrer Zeit. Im ganzen Neuen Testament ist dieses äußere Symbol als die Taufe des Johannes bezeichnet. Johannes erklärte seine Taufe nicht für den letzten oder höchsten Schritt, sondern für einen notwendigen Schritt zum Verständnis der Lehre, die hernach kommen sollte. Er macht einen deutlichen Unterschied Zwischen seiner Taufe und der Taufe des mächtigen Nachfolgers, als dessen Vorläufer er sich betrachtete. Als er in der Wüste taufte und Buße predigte, erklärte er: „Ich taufe euch mit Wasser zur [Versinnbildlichung der] Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, ... der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. ... Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf wohl, daß ich von dir getauft werde [mit dem heiligen Geist lind mit Feuers], und du kommest zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen [zur jetzigen Zeit ist es recht, daß ich meine Billigung dessen zeige, was diese Zeremonie bedeutet].” Als die Juden Priester und Leviten zu Johannes sandten, mit der Frage: „Wer bist du?” bekannte er: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des Herrn!” Und als diese Pharisäer etwas an ihm auszusetzen suchten, indem sie weiter fragten: „Warum taufest du denn, so du nicht Christus bist?” wurden sie offenbar durch seine Antwort zum Schweigen gebracht: „Ich taufe mit Wasser”.
Jesus machte den Unterschied klar zwischen seiner Taufe und der des Johannes. In seinem Gespräch mit den Hohenpriestern und Ältesten richtete er die Frage an sie: „Woher war die Taufe des Johannes? War sie vom Himmel oder von den Menschen?” Mit andern Worten, war sie eine Läuterung des Denkens oder eine bloße äußere Zeremonie? Sie überlegten, wie sie ihm am schlausten antworten könnten und sagten schließlich: „Wir wissen's nicht.”
Daß sich die wahre Bedeutung der Taufe den Jüngern stark eingeprägt hatte, geht aus der Apostelgeschichte hervor. Bezugnehmend auf des Meisters letztes Gespräch mit den Elfen bringt Lukas dessen Worte in Erinnerung: „Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.” Weiter wird uns erzählt, daß der Evangelist Apollos zwar ein eifriger Forscher in der Heiligen Schrift war und von den großen Taten Jesu wußte, dennoch aber „allein von der Taufe des Johannes” Kenntnis hatte, und daß Priscilla und Aquila ihn zu sich nahmen und „ihm den Weg Gottes noch fleißiger” auslegten.
Auf seinen Reisen durch Griechenland sand Paulus Jünger im Lande, die seit der ihnen gewordenen Aufklärung über die neue Lehre nicht mir kein Zeichen vom Heiligen Geist erhalten, sondern „auch nicht gehört” hatten, „ob ein heiliger Geist sei.” „Woraus seid ihr denn getauft?” fragte sie Paulus, und sie antworteten: „Auf des Johannes Taufe.” Da sprach Paulus: „Johannes hat getauft mit der Taufe der Buße und sagte dem Volk, daß sie sollten Glauben haben an den, der nach ihm kommen sollte”. Und in dem Bericht heißt es weiter: „Da sie das höreten, ließen sie sich taufen ans den Namen des Herrn Jesu.”
Die Worte „auf den Namen” kommen oft in der Bibel vor. Wenn wir sie genau prüfen, so finden wir, daß sie bedeuten: aus das Bewußtsein des Gesetzes oder das Verständnis des Gesetzes, das dieser Name vertritt. Der Name Jesus steht nicht für die Gesetze der Materie, sondern für das Gesetz des Geistes, denn das sogenannte materielle Gesetz ließ Jesus außer acht. Die Taufe also „auf seinen Namen” war eine geistige Taufe. Hieraus folgt, daß getauft werden bedeutet, in die wahren Lehren oder die Lehren vom geistigen Gesetz unter tauchen, vou ihnen durchdrugen werden, zum Verständnis derselben gelangen.
„Unsre Taufe”, schreibt Mrs. Eddy, „ist eine Reinigung von allem Irrtum” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 35). Sie ist nicht Sache eines Augenblicks, und man kann sie nicht durch ein äußeres Sinnbild empfangen, sondern sie bedeutet eine klare und immer klarer werdende Erkenntnis vom Geist und von geistigen Dingen und ist von geistigem Wachstum bedingt.
Wenn von der christlich-wissenschaftlichen Art der Betrachtung eines Gegenstandes die Rede ist, müssen wir stets bedenken, daß ein Christlicher Wissenschafter, wie schon sein Name andeutet, keine Theorien oder Ansichten vertritt, sondern nur das, was er durch Demonstration für wahr befindet; und wie sein Verständnis von dem Begriff Taufe das Maß der von ihm erfaßten Wahrheit bedeutet, so auch sein Verständnis von dem Begriff Kommunion.
Wir müssen stets die Tatsache im Auge behalten, daß die Sprache der Bibel ungemein bilderreich ist, denn dadurch wird es uns leichter, die Bedeutung der Kommunion festzustellen. Die Worte Brot, Wein, Kelch, Leib, Fleisch, Blut haben an Stellen, wo sie in übertragenem Sinn gebraucht werden, eine leicht erkennbare Bedeutung. Man nehme z. B. den oft angeführten Text aus dem Prediger Salomo: „Laß dein Brot über das Wasser fahren, so wirst du es finden nach langer Zeit.” „Wasser” kann ein Mittel zur Reinigung oder Läuterung bedeuten, dient aber auch als Bezeichnung für einen unruhigen, aufgeregten Gemütszustand. Und „Brot”, wie es in der Bibel im übertragenen Sinn gebraucht und in unserm Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit erklärt wird, bedeutet die Wahrheit. Nach dieser Auslegung umschrieben, würde genannte Stelle etwa lauten: Gib dem gestörten Denken die ewige Wahrheit über dich, und mit der Zeit wirst du die Frucht des also gesäten Samens gewahren.
Als der Meister, wie wir im Neuen Testament lesen, mit seinen Jüngern „zu Tische saß”, d. h. mit ihnen Gemeinschaft pflegte, wird die Wendung „Brot brechen” in dem Sinne gebraucht: einen Gedanken ausdrücken, die Wahrheit mitteilen oder erklären; und wir erinnern uns, daß die Augen derer, die von diesem Brot aßen, geöffnet wurden, so daß sie ihn kannten und nun verstanden, was er meinte, als er sagte: „Ich bin das Brot des Lebens.” „Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das Ich geben werde, ist mein Fleisch”. Seine Ausdrucksweise an dieser Stelle zeigt, wie fern ihm der Glaube an die Materie lag. Offenbar meinte er mit dem Ausdruck Fleisch und Leib sein gesamtes Denken, sein geistiges Selbst, und mit dem Wort „Blut” sein Leben, sein Lebendigsein durch den Geist. Sicherlich verstanden ihn die Jünger, als er beim letzten Abendmahl Brot nahm, es segnete und brach und sagte: „Nehmet, esset; das ist mein Leib.”
Als dieses Mahl beendet war, nahm er den Kelch. So oft wir dem Wort „Kelch” im übertragenen Sinn in der Bibel begegnen, können wir das Wort „Erfahrung” an dessen Stelle setzen, wodurch sich die eigentliche Bedeutung der Stelle ergibt. So könnten die Worte im 116. Psalm: „Ich will den Kelch des Heils nehmen”, wie folgt umschrieben werden: Ich will mir die Erfahrung des Heils zuteil werden lassen. Und Jesu Worte: „Ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir”, bedeuten wohl, daß er anfangs vor dieser Erfahrung zurückschreckte. Andrerseits lesen wir aber: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?”, was ein Nachgeben des menschlichen Sinnes gegenüber der Forderung des Prinzips bedeutet. Wenn wir den übertragenen Sinn des Wortes Kelch erfaßt haben, können wir auch den Ausdruck des Paulus deuten: „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Bluts Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist's, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brots teilhaftig sind.” Verstehen wir nun, was Jesus meinte, als er fragte: „Könnet ihr den Kelch trinken, den Ich trinken werde, und euch taufen lassen mit der Taufe, da Ich mit getauft werde?”
„Unser Abendmahl”, schreibt Mrs. Eddy, „ist geistige Gemeinschaft mit dem einen Gott. Unser Brot, ,das vom Himmel kommt‘, ist Wahrheit. Unser Kelch ist die Inspiration der Liebe, der Trunk, den unser Meister trank und seinen Nachfolgern anbefahl” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 35).
Wenn wir die symbolischen Handlungen Jesu nachahmen wollten, anstatt ihre wissenschaftliche Bedeutung zu ergründen und unser Leben nach dem ihnen zugrundeliegenden Prinzip zu gestalten, wie die Christliche Wissenschaft von uns fordert, dann müßten wir auch seinem Beispiel im materiellen Fußwaschen folgen, denn hierzu fordert ein andrer Befehl fast noch bestimmter auf als zur Wassertaufe. Nach dem Bericht des Johannes folgte diese Veranschaulichung direkt auf das Abendmahl. Als dieses beendet war, „stund er ... auf, legte seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goß er Wasser in ein Becken, hub an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurze, damit er umgürtet war. ... Da er nun ihre Füße gewaschen hatte, ... sprach er abermal zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch getan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr und saget recht dran, denn ich bin's auch. So nun Ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr tut, wie Ich euch getan habe.”
Es gibt in unsern Tagen Christen, die dieses Gebot wörtlich auffassen und im materiellen Sinn befolgen. Sie sind eifrig bestrebt, sämtlichen aufgezeichneten Befehlen des großen Wegweisers nachzukommen. Doch die Mehrzahl, die überwältigende Mehrzahl der Christen macht hier gern eine Ausnahme, indem sie diese Handlung auf eine ehemalige Sitte des Morgenlandes zurückführt, deren Notwendigkeit sich durch das Reisen auf staubigen Straßen mit bloßen oder nur durch Sandalen geschützten Füßen ergab. Die Sandalen wurden gleich nach Betreten des Hauses abgenommen, und die erste dem Reisenden erwiesene Aufmerksamkeit war die der Fußwaschung. In den Häusern der Wohlhabenden brachte man ein Becken herbei, und das Wasser wurde dem Gast von einem Diener über die Füße gegossen. Johannes der Täufer wies darauf hin, daß dies damals für den niedrigsten Dienst galt, denn er erwähnt ihn, um zu zeigen, wie hoch der über ihm stehen würde, der da kommen sollte; er selbst sei nicht wert, sich vor ihm zu bücken und die Riemen seiner Schuhe aufzulösen — als Vorbereitung zur Fußwaschung.
Für die Jünger war der Umstand, daß ihr Herr und Meister sich bückte, um diesen Dienst für sie zu verrichten, eine eindrucksvolle Lehre in der Demut und brüderlichen Liebe. Jeder Dienst ist ehrenvoll, wenn er aus Liebe getan wird. Der Ausdruck „untereinander die Füße waschen” bedeutet wohl das gegenseitige Läutern des Verständnisses, wie überhaupt die Leistung irgendeines hilfreichen und mitleidsvollen Dienstes, zu dem sich Gelegenheit bietet. Die Frage des Meisters: „Wisset ihr, was ich euch getan habe?” scheint einen Zweifel auszudrücken, ob seine Jünger geistig genügend vorgeschritten wären, um die Fnßwaschung in ihrer symbolischen Bedeutung zu verstehen.
Seit dem Erscheinen unsres Heilandes haben die Anschauungen über Taufe und Kommunion drei Entwicklungsstufen durchgemacht, die zur gegenwärtigen Zeit alle ihre Vertreter haben. Auf der ersten Stufe herrscht der Glaube, die materielle Handlung sei an sich wirksam, d. h. das zu diesem Zweck geweihte Wasser enthalte geistige Läuterungskraft und segne somit alle, die damit in Berührung kommen, und das Brot und der Wein, den ein Geistlicher für die Kommunion bestimmt hat, werde dadurch in das materielle Fleisch und Blut Jesu verwandelt. Auf der nächsten Stufe ist man der Ansicht, die materielle Handlung sei als ein Sinnbild oder ein Erinnerungszeichen erforderlich, und die Beobachtung der sinnbildlichen Handlung sei im Befehl des Meisters mit einbegriffen.
Schließlich kommt die Christliche Wissenschaft und lehrt, daß Taufe und Kommunion Begriffe sind, die mit einer materiellen Handlung nichts gemein haben. Die Christlichen Wissenschafter ehren zwar die Anschauungen derer, die an dem Glauben und den Bräuchen ihrer Kirchen festhalten, fühlen sich aber nicht mehr von solchen Symbolen abhängig; ja sie sind zu der Erkenntnis gelangt, daß, wie es Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit ausgedrückt hat, alles, was die Gottesverehrung materialisiert, das geistige Wachstum des Menschen hindert und ihn davon abhält, seine Macht über den Irrtum zu demonstrieren. (Siehe S. 4.)
Sei das, was du von andern willst gehalten sein.—
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