Ein Punkt, in dem sich die Christliche Wissenschaft ganz besonders von andern Konfessionen unterscheidet, ist ihre Erklärung des Gebets. Tausende haben durch Mrs. Eddys hierauf bezüglichen Lehren im ersten Kapitel von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift ihre Gesundheit auf geistiger Grundlage erlangt. Sämtliche Konfessionen sind sich darüber einig, daß nur durch das Gebet Erlösung zu erhoffen ist. Wenn man aber sieht, wie wenige Christen an das Gebet glauben, in dem Sinne, daß sie es für eine tatsächlich wirkende Kraft in Dingen des menschlichen Lebens halten — in Dingen, die doch auf die rechte Weise erledigt werden müssen, wenn Erlösung je erreicht werden soll —, so kann man sich der Tatsache nicht verschließen, daß das Wesen des Gebets noch lange nicht begriffen wird. Viele behaupten, an die Wirksamkeit des Gebets zu glauben. Wenn man aber sieht, wie sie sich zur Hebung ihrer Beschwerden allem Denkbaren zuwenden, Gebet aber für sie nicht die geringste Stütze bedeutet, so muß man zu dem Schluß kommen, daß ihr Glaube ein bloßes Bekenntnis ist, mögen sie es damit auch noch so ehrlich meinen.
Ein jeder gibt zu, daß viele sogenannte Gebete keine Erhörung gefunden haben. Es ist für die Sterblichen ein schlechter Trost, wenn ihnen gesagt wird, das Übel, von dem sie Befreiung suchen, sei am Ende doch das Beste für sie. Die Lehren Jesu enthalten die nachdrückliche Erklärung, daß unsre Gebete Erhörung finden werden. Wenn wir nun Umschau halten und dies nicht bestätigt sehen, dann müssen wir, wofern wir an Christus glauben, einen Grund für dieses offenkundige Versagen finden. Im Evangelium des Markus lesen wir: „Alles was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr’s empfahen werdet, so wird’s euch werden.” Anderswo heißt es, zur Erlösung sei Glaube nötig, und Zeichen, d. h. Heilungen von Krankheit usw. würden denen folgen, die da glauben. Abermals wird gesagt: „Dein Glaube hat dich gesund gemacht”. Diesen Stellen zufolge ist das Haupterfordernis zur Erlangung der erwünschten Dinge der Glaube, daß man sie empfangen wird. Hierin liegt der deutliche Hinweis, daß das Gute bereits vorhanden ist, und daß wir dessen Vorhandensein in dem Maße unsres Glaubens zur Verwirklichung bringen werden.
Wenn wir bedenken, daß Gott Liebe, göttliches Prinzip ist, dann werden wir uns auch der Einsicht nicht verschließen können, daß es genau so zweckwidrig, ja unmöglich ist, die Liebe durch Bitten zu etwas zu veranlassen, als vom Grundsatz der Mathematik die Lösung einer Aufgabe zu erbitten. Das Ergebnis wird dann tatsächlich sein und vom menschlichen Sinn wahrgenommen werden, wenn es durch Demonstration in die Erscheinung tritt. Wenn wir nicht fest glauben, müssen wir den Vorwurf hören: „O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?” Gebet ist daher im eigentlichen Sinn kein Flehen, kein Anrufen, sondern ein bestimmtes Behaupten der Wahrheit; kein Bitten, sondern ein Erklären und Erkennen (Glauben) der Tatsache, daß das Gewünschte, wenn es etwas Gutes ist, für diejenigen, die die Wahrheit erfaßt haben, etwas Gegenwärtiges und Wirkliches ist. Dieses Annehmen des bereits vorhandenen Guten bedeutet einen Kampf mit dem materiellen Sinn, mit der mentalen Äußerung, die die Wahrheit verneint. Hierin besteht das Kreuz, das wir auf uns nehmen und überwinden müssen.
Es muß einem jeden einleuchten, daß wir von Gott keine besondere Gunst zu erbitten, Ihn von unsern Nöten nicht in Kenntnis zu setzen brauchen. Er ist Immanuel, Gott mit uns, und es ist Sein Wohlgefallen, uns das Reich zu geben. Wir irren, wenn wir im Hinblick auf unsre Erfahrung der Schöpfung Gottes irgendeinen Mangel zuschreiben. In der Schöpfung Gottes gibt es keinen Mangel, sie braucht daher nicht umgestaltet zu werden, wohl aber muß sich unsre falsche Vorstellung von dieser Schöpfung ändern. Wenn wir am Notwendigen Mangel zu leiden scheinen, sollten wir die Tatsache unser Denken durchdringen lassen, daß die Ideen Gottes mit allem Guten bereits versorgt sind; daß Versorgung mit allem Notwendigen in der gegenwärtigen Schöpfung Gottes besteht; daß Mangel lediglich ein Ausdruck des Mangels an Erkenntnis dessen ist, was zur Wirklichkeit und daher zur ewigen Gegenwart gehört. Durch rechte Erkenntnis gelangen wir also in den Besitz des bereits bestehenden Guten. Dies ist Gebet. Wenn wir uns über die Schöpfung Gottes in Unkenntnis befinden, bleiben uns die vorhandenen Wohltaten vorenthalten, genau wie jemand, der sich in einem dunkeln Raum aufhält, das Licht solange entbehren wird, wie er sich demselben entzieht.
Um zu Ergebnissen zu gelangen, muß der Wissenschafter die Wahrheit bezüglich seines Falles bekräftigen und alsdann fest an ihr halten, so überzeugend das Sinnenzeugnis oder die vom menschlichen Wissen ihm zugeflüsterten Beweisgründe auch erscheinen mögen. Er muß das, wofür er sich erklärt, geistig in Besitz nehmen, und dies kann er dadurch tun, daß er fest an der Wahrheit hält, bis sie in seinem Bewußtsein zur Wirklichkeit wird — bis das Wort „Fleisch” wird. Mit andern Worten: er muß der Predigt die Tat folgen lassen. Hierin liegt der Unterschied zwischen dem werktätigen Christlichen Wissenschafter und dem, der die Lehren dieser Wissenschaft nicht mit Erfolg anzuwenden vermag. Durch beständiges Festhalten am Guten widersteht man dem Teufel und trachtet nach dem Reich Gottes; und im Verhältnis, wie man an der Wahrheit festhält, fallen einem die guten Dinge zu. Wenn wir keine Ergebnisse zu verzeichnen haben, so liegt der Grund zweifellos darin, daß wir, statt an der Wahrheit festzuhalten, einer Äußerung des materiellen Sinnes Gehör geschenkt oder unbewußt den Glauben an eine von Gott getrennte Macht gehegt haben. Die Christliche Wissenschaft ermahnt uns, wachsam zu sein und den materiellen Sinn gleich bei seiner ersten Einflüsterung Lügen zu strafen. Jesus fragte: „Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?” Neigen wir dem Zweifel zu, so tun wir wohl daran, uns den Fall des Mondsüchtigen ins Gedächtnis zu rufen, der zu Jesus gebracht wurde, nachdem es den Jüngern nicht gelungen war, ihn zu heilen. Jesus sprach: „O du ungläubiges Geschlecht”, und antwortete auf die Frage der Jünger, warum sie den Kranken nicht hätten heilen können, in unzweideutiger Weise: „Um eures Unglaubens willen. Denn ich sage euch wahrlich: So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.”
Wenn wir unsre Arbeit, unser unentwegtes Festhalten an der Wahrheit auf eine gelegenere Zeit verschieben, etwa auf morgen, so kommt diese Zeit nie. Wenn wir nicht rührig genug sind, um praktisch anzuwenden, was wir von der Wahrheit erkannt haben, dann sind wir nicht besser daran, als wenn wir nichts von der Wahrheit wüßten. Was nützt uns das Mittel gegen unser Übel, wenn wir nicht vernünftig und tatkräftig genug sind, davon Gebrauch zu machen? Welche Macht ist es denn, die uns einlullen und in einen Zustand geistiger Erschlaffung und Trägheit versetzen kann? Wo ist ihr Ursprung? Handelt es sich hier nicht um denselben Irrtum, der bestrebt ist, uns krank oder mutlos zu machen? Es ist von höchster Wichtigkeit, daß wir uns der Versuchung, unsre Arbeit zu verschieben oder sie für unnötig zu halten, ebenso entschieden widersetzen wie der Versuchung zu glauben, wir seien krank oder könnten die Kranken nicht heilen. Wer in geistige Erschlaffung gelullt werden kann, befindet sich in einem beklagenswerten Zustand, ja in demselben Zustand wie derjenige, der überzeugt ist, daß er hoffnungslos krank sei. Unsre Erlösung kann nicht durch stellvertretende Bemühungen zustande kommen, sie hängt vollständig von uns ab. Diese Erkenntnis wirkt ermutigend. Wir freuen uns in dem Bewußtsein, daß kein Einfluß außerhalb unsrer selbst Macht hat, uns zu helfen oder zu hindern, und diese Erkenntnis gewährt uns die Freiheit, die wir zur Bewirtung unsres Heils nötig haben.
Die christlich-wissenschaftliche Ausübung bedeutet daher Werktätigkeit und rechtes Handeln. Sie bedeutet Arbeit, Arbeit, Arbeit, doch friedsame und erhebende Arbeit. Sie bedeutet gesunde, natürliche, anregende Tätigkeit — Tätigkeit, die nicht ermüdet, die nicht darauf gerichtet ist, Schätze zu sammeln, wo sie die Motten und der Rost fressen, sondern die nach dem Reich Gottes und Seiner Gerechtigkeit trachtet, was soviel bedeutet wie Herrschaft erlangen über die ganze Schöpfung. Welch ein Segen ist es doch für die Menschheit, daß diese Wahrheit durch die Christliche Wissenschaft ans Licht gekommen ist und auf die menschlichen Angelegenheiten angewandt werden kann! Und welch ein Segen, daß das Geheimnis des Übels, der alte Drache, erkannt und bloßgelegt worden ist! Der Frau, die der Welt diesen Segen gebracht, gebührt Liebe, Dank und Ehrerbietung.
