Schon im Alten Testament wird, entgegen den Anschauungen mancher, welche die Lehren der Christlichen Wissenschaft oberflächlich beurteilen und Erfolge ihrer Behandlung nur bei „suggerierten und kleinen Leiden” zugestehen wollen, falsches Denken und gottwidrige Gesinnung oft unmittelbar als Ursache von Krankheit schwerster Art bezeichnet.
Als Mirjam, die Schwester Mosis, ihren Bruder wegen des niederen Standes seines Weibes mißachtet und neidische, verächtliche Worte gegen ihn verbreitet, wird sie aussätzig.
Der Diener Elisas, Gehasi, welcher dem Naeman nachjagt und sich unberechtigt von ihm einen Teil seiner Habe geben läßt, wird wegen dieser ungebührlichen Sucht nach weltlichem Besitz vom Aussatz befallen.
Und von König Afa, der nach dem Buch der Chronika mit Groll gegen einen Propheten erfüllt war und infolge dieser leidenschaftlichen Gesinnung an den Füßen erkrankte, meldet der biblische Berichterstatter: „Und seine Krankheit nahm sehr zu; und suchte auch in seiner Krankheit den Herrn nicht, sondern die Ärzte.” Der königliche Patient bemühte sich, sein Leiden auf materieller Grundlage zu beheben, aber vergebens: er entschlief nach zweijähriger Krankheit, und sein Lager ward gefüllt „mit gutem Räuchwerk und allerlei Spezerei nach der Kunst des Salbenbereiters gemacht.”
Als dann der Stifter der christlichen Religion über die Erde wandelte und das Heilen der Kranken auf geistiger Basis seinem Lehrauftrag unzweifelhaft gleichstellte, sind wohl in den folgenden zwei bis drei Jahrhunderten viele Krankenheilungen in Jesu Sinne vollzogen worden; aber mit ganz unverständlicher Inkonsequenz hat die Christenheit allmählich diesen wichtigen Teil des Auftr ags Jesu vernachlässigt, ja direkt geleugnet und wieder in die Hände der Vertreter materieller Heilmethoden gelegt.
Und so sind wir heute dahin gekommen, daß die Menschheit meist dem Bestreben, nach Art der Christlichen Wissenschaft an die Beseitigung der mentalen Ursachen einer Krankheit statt deren Symptome heranzutreten, großen Widerstand entgegensetzt und vergißt, sich des Ausspruches Petri, Apostelgeschichte 4, 12 zu erinnern: „Und ist in keinem andern Heil, ist auch kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden.”
Das mentale Heilverfahren steht in diametralem Gegensatz zum jetzt herrschenden materiellen und will demgemäß beurteilt sein; es ist deshalb nicht verwunderlich, daß man oft von denen, die über die Heilungen der Christlichen Wissenschaft von materiell-medizinischem Standpunkt aus richten wollen, die Frage aufwerfen hört: Was tut der Vertreter der Christlichen Wissenschaft bei einer Heilung? Und wie kommen solche Heilungen eigentlich zustande; wie kann man sie erklären?
Nach Jesu Auftrag sollen sich seine Nachfolger die Wahrheit vergegenwärtigen gemäß dem Bibelwort: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.”
Es ist dies Erkennen der Wahrheit im Sinne der Heiligen Schrift offenbar ein glaubensstarkes Denken, ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht siehet, ein Sichbewußtwerden der Allheit des göttlichen Prinzips und der Machtlosigkeit der Materie. Es hat dieses Widerspiegeln der göttlichen Weisheit im Bewußtsein des Vertreters nichts zu tun mit persönlicher Neigung und vorübergehenden Interessen unterliegenden Gedanken oder mit eigenwilliger Beeinflussung, sondern ist ein Sichversenken in das geistige Reich der unbegrenzten Möglichkeiten Gottes, welche auch in dem zur Behandlung stehenden Fall ihre Geltung behaupten.
Welche Folge hat nun dieses Sichvergegenwärtigen der Wahrheit in bezug auf die Gesundung des Kranken?
Oft vollzieht sich die Wirkung in der Weise, daß der Patient von seinen Leiden geheilt wird, ohne daß er selbst die Wahrheit, die der Vertreter behauptet, klar erkennt; es ist dies ein häufig in der Bibel bezeugter Vorgang. Zu dem Hauptmann spricht Jesus, Matthäus 8, 13: „Gehe hin, dir geschehe, wie du geglaubt hast, und sein Knecht ward gesund zu derselbigen Stunde.” Und zum kananäischen Weibe, Matthäus 15, 28: „O Weib, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.”
In beiden Fällen begründet Jesus die Heilung mit dem gläubigen Verständnis Dritter, des Hauptmanns und des Weibes, und die Kranken, nämlich der Knecht bezw. die Tochter, von denen nicht unmittelbar anzunehmen ist, daß sie von gleichem Glauben oder Verständnis beseelt sind, werden in beiden Fällen, „zu derselbigen Stunde” geheilt. Sicherlich wird ein solches Heilungserlebnis, das dem Kranken seinem relativ geringen Verständnis entsprechend als Wunder erscheinen muß, diesen veranlassen, über die Ursachen der Heilung nachzudenken; seine körperliche Gesundung wird ihm ein Segen, ein Anlaß zum Studium der geistigen Vorgänge sein, sofern er nicht wiederum in Bedrängnis geraten will; er wird sich der mentalen Ursachen seiner früheren Disharmonien bewußt werden müssen, um sich dauernder Heilung zu erfreuen. („Sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Ärgeres widerfahre”, Johannes 5, 14.)
Neben der Erfüllung dieses direkten Heilauftrages wirkt der Vertreter der Christlichen Wissenschaft auch belehrend, dergestalt, daß der Patient durch Unterweisung sein irriges Denken selbst korrigieren lernt und der so erlangte eigne Erkenntnisgrad ihn bewahrt vor weiterer Fesselung an Krankheiten, die Sünde oder Unwissenheit verursachten. Ein solches Wiedererkennen und Behaupten der Gotteskindschaft ist dann selbstverständlich der beste Schutz gegen Disharmonien aller Art.
Nun wird über diese Aufeinanderfolge der Geschehnisse hinaus oft noch die Frage aufgeworfen nach einer genauen Erklärung der Heilungsvorgänge selbst; die bloße Tatsache von Ursache und Wirkung genügt den Menschen nicht, sie fordern Erklärungen, recht plausible für den Menschenverstand.
Zunächst dürfen wir hierbei nicht vergessen, daß wir nicht einmal in der Erklärung der physischen Vorgänge über die erfahrungsgemäße Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung hinauskommen. Den Zusammenhang, der zwischen dem Drücken auf einen elektrischen Knopf und dem Ertönen einer elektrischen Glocke besteht, entnimmt der Mensch ausschließlich der täglichen Erfahrung; was dazwischen vorgeht, nennen wir das Wirken einer Kraft, hier der elektrischen, und bezeichnen sie mit dem bildlichen Ausdruck Strom; aber trotz aller physikalischer Theorien wissen wir nicht, was diese Kraft eigentlich ist, noch können wir sie irgendwie erklären.
Oder wenn der Begründer der modernen Chemotherapie davon spricht, in die Blutbahn Chemikalien einzuführen, die sich mit bestimmten Atomgruppierungen an den erkrankten Organen „verankern” und wenn er dieses vermeintliche Dirigieren an den Krankheitsherd „zielen lernen” nennt, so gibt er damit keinesfalls irgendwelche Erklärung, in welcher Weise die „gut gezielten und verankerten” Heilmittel die Gesundung des Menschen herbeiführen, sondern gebraucht Bilder, hier aus der Schiffahrt und der Schießtechnik; plausible Erklärungen geben aber die Vertreter der materiellen Heilweise für den Gesundungsmechanismus bei ihren Verfahren nicht im entferntesten, sondern versagen bei diesen Versuchen, und müssen versagen, eben weil das stolze Wissen zu einem bloßen Glauben wird, zu einem Glauben an die Wirksamkeit von Materie auf Materie, und weil sie auf jener materiellen Basis operieren, auf welche sie die Heilungen der Christlichen Wissenschaft bei ihren Erklärungsversuchen herabdrücken möchten.
Wollten wir die materiellen Gesetze wirklich nehmen, dann könnten wir nie an ein Verständnis der Heilungsvorgänge herantreten. Das Christentum, richtig verstanden, erklärt aber den Menschen für nicht materiell, sondern für geistig. Und darin besteht das Erlösende der Lehre der Christlichen Wissenschaft, daß in gleichem Maße, wie vor unserm geistigen Auge die Wirklichkeit der Materie erlischt, uns die geistige Kraft und Verursachung bewußt wird, welche uns die Verwirklichung der herrlichen Verheißung bringt: „Wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubet, der wird die Werke auch tun, die Ich tue, und wird größere denn diese tun.”
Die Weisheit ist nur in der Wahrheit.—