Auf einer Rettungsstation an den Großen Seen Nordamerikas stellte der diensthabende Kapitän an einen neuen Untergebenen die Frage: „Worin besteht Ihre erste Pflicht, wenn Sie auf der Landungsbrücke stehen und einen Mann im Wasser sehen, der allem Anscheine nach am Ertrinken ist?” „Ich würde sofort zur Rettung hinschwimmen”, war die rasche Antwort. „Das wäre verkehrt”, erwiderte der Offizier. „Sie müßten zunächst Ihre Schuhe ausziehen, sich aller unnötigen Kleidung entledigen und jedes noch übrige Kleidungsstück lockern, das im Wasser sackartig aufschwellen könnte. Wenn Sie selbst in Ihren Bewegungen gehindert sind, können Sie einem andern, der in der Not ist, keine Hilfe leisten.”
Sodann fragte der Offizier den Neuling nach seiner zweiten Pflicht, erhielt jedoch auf diese Frage keine Antwort. „Der Rettende muß, wenn er auf Rufweite ist, dem Ertrinkenden in befehlendem Tone zurufen, er solle keine Angst haben, denn es sei Hilfe nahe”, erklärte der Offizier. „Überdies”, fuhr er fort, „dürfen Sie sich niemals einem Menschen nähern, der in seiner Angst um sich schlägt, denn unter solchen Umständen hätte der Helfer wie der Ertrinkende nur wenig Aussicht auf Rettung. Warten Sie, bis der Mensch erschöpft ist, seien Sie aber zur Stelle, ehe er sinkt, um ihn fassen zu können.”
Weisen diese Vorschriften nicht viel Ähnlichkeit auf mit der Pflicht des Christlichen Wissenschafters gegen seinen Mitbruder? Sollten wir uns nicht jederzeit von der Annahme, daß die Materie der Träger des Lebens sei oder daß es getrennt von Gott eine Macht oder ein Gemüt gebe, so frei machen können, daß, wenn wir einem Menschen zu Hilfe eilen, der scheinbar in den Fluten sterblicher Annahme untergeht, nichts in unserm Bewußtsein vorhanden ist, woran sich der Irrtum klammern und uns samt dem Hilfsbedürftigen unter die Oberfläche hinabziehen kann? Wenn wir vorbereitet sind, indem wir „den alten Menschen mit seinen Werken” ausgezogen haben (Kolosser 3, 9), dann wird wohl auch das Ergebnis für den Außenstehenden so wahrnehmbar sein, daß wir mit Zuversicht sprechen und dadurch den, dem wir helfen wollen, überzeugen können, daß er sich vor nichts zu fürchten braucht.
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