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Christliche Einigkeit

Aus der Mai 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Nicht selten wundert es diejenigen, die Jesus, den Christus, ehren und seinem Beispiel zu folgen bestrebt sind, daß seine Jünger, mit denen er fortwährend im Umgang stand, seine Mission nicht besser verstanden und seine Lehren nicht in höherem Maße in sich aufnahmen. Es scheint allerdings unbegreiflich, daß die Jünger in Gegenwart dieses auserwählten Darlegers der göttlichen Weisheit und Kraft über ihren persönlichen Wert in Streit gerieten, oder daß die Söhne des Zebedäus sich nicht entblödeten, ihn um Stellung und Macht anzugehen.

Manche denken wohl auch, sie würden die Fehler der Jünger nicht haben begehen können, sie hätten für die wunderbaren Lehren Jesu keine tauben Ohren gehabt, niemals hätten sie das auf dem Berg der Verklärung geistig Erschaute in dem groben Materialismus eines solch persönlichen Sinnes untergehen lassen, und auf keinen Fall würden sie den Christus verleugnet haben wie Petrus; auch meinen sie, sie wären nicht in Schlaf verfallen, wie seine Jünger. Dabei bedenken sie aber nicht, daß sie durch ihren Tadel gegen andre und die Wertschätzung ihrer selbst gerade das tun, was sie meinen nicht getan zu haben. „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet”, und wenn ihr schon richtet, „richtet ein recht Gericht”. Diese Warnung Jesu ist von weittragender Bedeutung.

Die Stärke der christlich-wissenschaftlichen Bewegung liegt in ihrer Einigkeit. Eines Sinnes zu sein, ist das Ideal der Christlichen Wissenschafter; es bringt ihnen Erlösung. Da diese Einigkeit auf der festen metaphysischen Grundlage beruht, daß Gemüt aus dem Wesen seiner Unendlichkeit heraus eins ist, so hat sie genau insoweit einen beweisbaren, praktischen Wert, wie der einzelne ein Verständnis von diesem einen Gemüt hat und durch Vertrauen auf dasselbe befähigt wird, sich beständig auf die Tätigkeit des göttlichen Prinzips zu stützen, statt auf menschlichen Willen. Um also die Einigkeit zu wahren, die für die Wohlfahrt der Christlichen Wissenschaft so wesentlich ist, ist es notwendig, daß jeder einzelne Christliche Wissenschafter das Gute als die einzige Macht erkenne, und demgemäß handle. Das Gute muß in seinem Denken vorherrschen, und er muß nach Möglichkeit nur Gutes kennen, Gutes sehen und Gutes zum Ausdruck bringen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das Böse als gut anzusehen ist, sondern vielmehr, daß man durch das Verständnis von der Allheit des Guten die Unwirklichkeit des Bösen klar genug erkennen soll, um vom Bösen und seinen falschen Suggestionen nicht getäuscht zu werden. Dieses „Nichtsehen” des Bösen steht in genauer Übereinstimmung mit Jesu Auffassung, wie sie in dem Ausspruch zum Ausdruck kommt: „So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.”

Es wäre nicht konsequent gehandelt, wollte man sich mit der Erkenntnis begnügen, daß Gott das Gute ist. Man muß seinen Begriff vom Guten derart erweitern, daß er das eigne Selbst wie auch den Mitmenschen als Wiederspiegelung dieses allgegenwärtigen Guten umfaßt. Wenn wir einigermaßen aus dem Traum erwacht sind, daß Leben in der Materie sei, und uns die rechte Erkenntnis von dem zum Bilde Gottes geschaffenen Menschen aufgegangen ist, dann können wir uns in unserm Streben nach geistiger Erkenntnis getrost Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zuerkennen, mögen wir auch noch in mannigfacher Weise fehlen. Wir können daher auch nicht anders als unserm Mitmenschen, der ebenfalls einigermaßen aus materiellen Trugvorstellungen erwacht ist, gleiche Ehrlichkeit, gleiche Aufrichtigkeit und gleiches Verlangen nach Geistigkeit zuerkennen, mag er auch oft noch Fehler begehen.

Um „einträchtig beieinander [zu] wohnen”, brauchen Brüder nicht immer gleicher Meinung zu sein; nötig ist aber, daß sie „Liebe untereinander” haben. Wo Liebe herrscht, die gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Achtung bekundet, kann aus einem menschlichen Meinungskonflikt, dem Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zugrundeliegt, ein höherer und klarerer Begriff von unpersönlicher Wahrheit erstehen. Ein menschlicher Meinungskonflikt aber, der ohne Liebe ist, bedeutet den Verlust eines klaren Begriffs von unpersönlicher Wahrheit. Die Widerlegung eines falschen Beweisgrundes mit beweisbarer Wahrheit fördert Einigkeit; stellt man aber die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit dessen in Frage, der entgegengesetzter Meinung ist, so wird das Vertrauen ertötet. Wer die Beweggründe eines Gegners in Zweifel zieht, appelliert an den allgemeinen Gerichtshof des sterblichen Gemüts, einen Gerichtshof, der Einigkeit stets zum Tode verurteilt. Mit dem Vertrauen wird auch die Liebe vernichtet, und mit der Liebe die Einigkeit.

Der Christliche Wissenschafter hat gelernt, daß, wenn man Personenkult treibt, statt sich vom Prinzip leiten zu lassen, die Einigkeit untergraben wird. Mit der Persönlichkeit wird in mannigfacher Weise Kult getrieben. So kann man der eignen Persönlichkeit oder der eines andern einen ungebührlichen Platz einräumen, oder man verfällt in den entgegengesetzten Fehler und erniedrigt die eigne Persönlichkeit oder die des andern in unbilliger Weise. In beiden Fällen wendet man sich vom Prinzip ab und richtet das Augenmerk allzusehr auf das Tun und Reden andrer, heißt dies gut und verurteilt jenes, je nachdem es das persönliche Empfinden anspricht, wird zum Kanal, durch den müßiges Gerede und hernach Lästergeschichten Einlaß und Verbreitung finden, und verliert schließlich, wenn man den allem Personenkult zugrundeliegenden Irrtum nicht mit geeigneten Mitteln meistert und vernichtet, was man vom Prinzip erfaßt hat. Man erweist sich dann durch Wort und Tat als der bedauernswerteste aller Materialisten — als einer, der sich über seine materielle Gesinnung täuscht und sich für geistig hält.

Alle Christlichen Wissenschafter erkennen, wie weise Mrs. Eddy war, indem sie die Kirchen der Christlichen Wissenschaft von persönlichen Predigten frei hielt und an deren Stelle die unpersönliche Unterweisung der Bibel und unsres Lehrbuchs treten ließ. Vielleicht haben sich manche Christliche Wissenschafter, die ihrer Führerin keineswegs untreu sein wollen, niemals klar gemacht, daß, wenn sie die Worte eines andern zitieren — zumal wenn sie dies in der Absicht tun, solche Äußerungen als maßgebend für oder gegen eine christlich-wissenschaftliche Frage anzuführen — sie tatsächlich der Persönlichkeit einen Platz auf der Kanzel einräumen. Mißverständnisse sind unter solchen Umständen unvermeidlich, und Mißverständnisse sind die Feinde der Einigkeit.

Wenn es uns auch nicht vergönnt ist, mit dein Meister auf den Hügeln Galiläas zu wandeln, so dürfen wir doch den Berg des geistigen Verständnisses mit ihm ersteigen. Wir können an seinem Geist der Weisheit und Barmherzigkeit teilhaben. Wir können etwas von seiner Liebe und Intelligenz zum Ausdruck bringen; wir können unser Ja ja und unser Nein nein sein lassen; wir können uns des Richtens und Tadelns enthalten, bis unser Sehvermögen durch die Liebe mehr geklärt ist und wir die unendliche Wahrheit hinreichend erkannt haben, um „ein recht Gericht” richten zu können. Schließlich können wir, wie Jesus, unsre Angelegenheiten ruhig Gott anbefehlen und mit ihm sagen: „Ich weiß, daß du mich allezeit hörest.” Es ist auch für uns die Möglichkeit vorhanden, einen Lazarus aus dem Todesschlaf der Materialität erwachen und in die Verwirklichung des ewigen Lebens eintreten zu sehen.


Sich selbst bekämpfen ist der allerschwerste Krieg;
Sich selbst besiegen ist der allerschönste Sieg.

Copyright, 1915, by The Christian Science Publishing Society
Verlagsrecht, 1915, von The Christian Science Publishing Society

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