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Von Gott gesandt

Aus der Mai 1915-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der Prophet Habakuk sagt von Gott: „Deine Augen sind rein, daß du Übels nicht sehen magst”, und diese Worte gelten in der Christlichen Wissenschaft als eine grundlegende Wahrheit. Wenn der Schüler diese Wahrheit annimmt, steigen in ihm mancherlei Fragen auf, deren Lösung er selber ausarbeiten muß. Um sein Denken auf eine feste Basis zu bringen, muß er nicht nur glauben, sondern er muß auch wissen, warum er etwas glaubt. Eine Frage, welche denen, die Gott als das unendliche Gute zu verstehen suchen, ganz besonders schaffen macht, ist folgende: Wenn Gott das Übel nicht kennt, wie könnte er dann die Bedürfnisse der Sterblichen kennen, und warum sandte er Jesus, damit dieser die Welt erlöse?

In dem Bestreben, meine verkehrten Ansichten über Gott zu berichtigen, suchte ich eifrig nach der Lösung obiger Frage, suchte so lange, bis es mir schien, als könnte ich keinen weiteren Schritt tun, ehe mir die Antwort zuteil geworden sei. Dann kam eine Stunde schwerer Prüfung — meiner Meinung nach war mir ein schweres Unrecht zugefügt worden. Diejenigen, die mir am nächsten standen und die ich am meisten liebte, hatten mir Schaden angetan und mich ungerecht behandelt. Ärger, Rache, Selbstbedauern — die ganze wilde Horde pochte an die Tür des Bewußtseins und verlangte Einlaß. So kam der Mittwochabend heran und ich besuchte unsre Versammlung. Es war wohl niemand in der kleinen Schar, der aufrichtiger um Führung bei der Lösung einer schweren Aufgabe betete, als ich. Die Worte, die verlesen wurden, waren für mich wie Öl auf eine schmerzende Wunde. Nach dem Lesen wurden Zeugnisse abgegeben. Der eine erzählte, wie er in seiner eignen Erfahrung Haß durch die Erkenntnis überwunden hatte, daß allein die göttliche Liebe die Geschöpfe Gottes regiert. Ein andrer zitierte aus „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften) von Mrs. Eddy: „Unser Eigensinn ist es, der die Handlung eines andern zur Beleidigung macht” (S. 224). Ein jeder trug dazu bei, meinem unausgesprochenen Bedürfnis nachzukommen, und vor Schluß der Versammlung war jedes Gefühl des Schmerzes aus meinem Herzen gewichen, denn ich sah ein, daß diejenigen, die mir weh getan hatten, vielleicht bloß ihrem höchsten Begriff von Recht gemäß gehandelt hatten und ich mich darum nicht beleidigt zu fühlen brauchte. Und dann wurde mir urplötzlich auch die Antwort auf die andre Frage. Ich verstand nun, daß Gott Jesus „gesandt” hatte, damit er den Sterblichen die vollkommene geistige Idee veranschauliche.

Diejenigen, die die Zeugnisse abgegeben hatten, kannten meine besonderen Bedürfnisse nicht. Sie wußten nichts von den Schwierigkeiten, mit denen ich kämpfte, ja wenige wußten, daß ich überhaupt existierte. Aber ihr Gefühl inniger Dankbarkeit für empfangene Wohltaten strebte nach Ausdruck und wurde von einen, jeden der Zuhörer seinem eignen Bedürfnis gemäß entgegengenommen. In derselben Weise teilt auch unser allweiser Vater Seinen Kindern Seine unendliche Liebe mit, und diese Liebe bekundet sich in jedem liebevollen Gedanken, in jedem freundlichen Wort, in jeder guten Tat. Gott „sandte” Jesus, wie Er auch einen jeden von uns sendet. Er verlangt, daß wir nicht Sterblichkeit — Sünde, Krankheit und Tod — sondern Güte, Gerechtigkeit, Liebe, alle Seine Eigenschaften zum Ausdruck bringen sollen. Er sandte Jesus nicht, weil Er sich etwa der Bedürfnisse des scheinbaren sterblichen Daseins bewußt war, sondern weil Er Liebe ist und „Seine eignen Ideen von aller Ewigkeit her kennt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 519).

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