Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Das Gebet des Empfangens

Aus der Februar 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Das Gebet ist ein wesentliches Element der christlichen Religion und hat den Zweck, den Menschen in ihrer gegenwärtigen Umgebung die Erkenntnis von der Kraft und Gegenwart Gottes und von dem Einssein des Menschen mit seinem Schöpfer zu bringen. Diese Erkenntnis darf aber nicht bloß verstandesmäßig oder gefühlsmäßig sein, sondern sie muß auch die Beweise des rein praktischen Wertes einer solchen Erkenntnis umfassen. Wird durch das Beten dieser Zweck nicht erfüllt, so ist es nicht die Art des Betens, die der Meister lehrte und die während seiner irdischen Laufbahn von so tiefgehender Wirkung war.

Jesus sagte: „Alles was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr’s empfahen werdet, so wird’s euch werden,” und im Gleichnis vom verlorenen Sohn läßt er den Vater zum Sohn sagen: „Alles, was mein ist, das ist dein.” Hiermit wies er auf die Art hin, wie wir unsre Erlösung vom Irrtum bewirken müssen. Wenn es uns nicht gelingt, auf Seine unendliche Güte kindlich zu vertrauen, so ist es nur deshalb, weil unser Glaube an Ihn nicht stark genug ist, nicht aber, weil es manchen Christen unmöglich ist, diese Art des Betens in ihrem Leben wirksam anzuwenden.

Gott braucht sich nicht zu verändern, um für jedes sterbliche Wesen der Allerhöchste zu sein. Moses, die Propheten, Christus Jesus und die Apostel bewiesen in bestimmter, handgreiflicher Weise, daß durch die richtige Anwendung dieser Macht alles Übel überwunden werden kann. Die Wahrheit, durch die sie ihre Werke vollbrachten, muß auch in unsrer Zeit werktätig bewiesen werden. Sie wird sich heutzutage in der Welt als eine ebenso große Hilfe erweisen wie nur je in der Geschichte der Menschheit.

Ein jeder glaubt, daß das Gesetz, welches das Verhältnis der Zahlen zu einander regiert, dasselbe ist wie zu Zeiten Mose — daß zwei und zwei auf genau dieselbe Art vier macht, wie vor sechstausend Jahren. Das Grundgesetz der Zahlen könnte sich nicht derart ändern, daß uns eine richtige Addition unmöglich wäre. So ist auch das geistige Gesetz, das den Israeliten zum sicheren Durchzug durchs Rote Meer verhalf, das die Heilung der Kranken, die Speisung der Fünftausend und die Erweckung des Lazarus bewirkte, im menschlichen Bewußtsein tätig, wenn nur das nötige Verständnis von diesem Gesetz vorhanden ist und die Menschen sich vertrauensvoll auf dasselbe stützen. Das Geheimnis, welches die in der Bibel verzeichneten Wunder umgibt, schwindet, wenn wir anfangen, die Oberherrschaft dieses geistigen Gesetzes zu verstehen, und wenn wir erkennen, daß es in Wirklichkeit kein materielles Gesetz gibt, welches dem geistigen entgegenwirkt. Durch die Christliche Wissenschaft lernen wir ferner erkennen, daß die sogenannten Mächte des Bösen und der Materie, die sich vermeintlich gegen die Menschheit verschworen haben, nur Erscheinungsformen des sterblichen Irrtums sind, und daß sie vor dem Verständnis der göttlichen Wahrheit ebenso natürlich schwinden wie arithmetische Fehler vor dem Verständnis der Mathematik.

Wir bitten Gott täglich um Segnungen, die wir doch nur zu nehmen haben. Mrs. Eddy sagt darüber auf Seite 2 von Wissenschaft und Gesundheit sehr treffend: „Sollen wir an dem offenen Quell, aus dem schon mehr hervorströmt, als wir entgegennehmen, um noch mehr flehen?” Warum dann nicht mehr nehmen, wenn wir das Bedürfnis nach mehr empfinden? Warum unser Bewußtsein nicht der göttlichen Allgegenwart öffnen, die stets bereit ist, einzuströmen und es mit Gutem zu erfüllen? Statt dessen nehmen wir vieles an, was Gott uns nicht gibt, lassen die falsche Tätigkeit des vermeintlichen Gegenteils von Gott unser Denken beherrschen, und beten dann, Er möchte uns mit Frieden segnen.

Das Gebet des vertrauensvollen Empfangens oder Nehmens ergibt sich aus Stellen in der Heiligen Schrift wie den folgenden: „Es bleibe vielmehr also, daß Gott sei wahrhaftig,” und: „Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war.” Das heißt, laßt uns die Wahrheit über Gott annehmen, laßt uns die Gegenwart des Guten im buchstäblichen Sinne anerkennen und sie ebenso frei und natürlich in unser Bewußtsein aufnehmen, wie wir Licht und Luft in unsre Wohnhäuser hereinlassen. Unterwerfen wir uns daher nicht einem Gemüt, das schlechtes, bösartiges Denken erzeugen kann, sondern seien wir gesinnt wie der Meister. Streben wir nach den Dingen, mit denen er sich befaßte, und trachten wir nach demselben Bewußtsein vom Sein, das er besaß. Wie ganz anders sähe es doch in der Welt aus, wenn die ganze Menschheit täglich auf diese Weise, d.h. im Geist und in der Wahrheit, beten würde.

„Das Reich Gottes ist inwendig in euch,” sagte Jesus. Die Menschen brauchen daher nicht außerhalb ihres eignen geistigen Bewußtseins zu suchen, um die Wirklichkeiten des Guten zu finden und sie als ihren Besitz zu verwerten. Wir brauchen nirgends hinzugehen, um die Macht Gottes zu finden. Sie ist stets gegenwärtig. Dem wahren Wesen der Dinge nach kann ein Mensch weder durch einen Ort noch durch irgendwelche Umstände daran gehindert werden, sein Bewußtsein vom Guten durchfluten zu lassen und übles Denken, Dichten und Trachten aus demselben auszuschließen. Es gibt keine Macht, die einen Menschen hindern könnte, die Güte, die zum Wesen des Ebenbildes Gottes gehört, zum Ausdruck zu bringen, wenn ihm dies über alles geht.

Um Gott gegenüber aufrichtig und ehrlich zu sein, müssen wir entscheiden, ob wir willens sind, in unserm Leben Seinen Forderungen getreu nachzukommen, oder ob wir zwischen Gehorsam gegen das Gute und das Böse, zwischen Materiendienst und Gottesverehrung hin und her schwanken wollen. Sollen wir unsre Lebensführung in einer Weis gestalten, die der von uns vertretenen Anschauung von Gott entspricht, oder sollen wir uns von den Suggestionen des sterblichen Gemüts regieren lassen, die auf der Abwesenheit des Guten bestehen und der Gegenwart des Übels das Wort reden? Lehrt uns die Christliche Wissenschaft, über Gott zu denken, als ob Er in bezug auf Zeit und Ort vom Menschen getrennt sei, oder lehrt sie uns nicht vielmehr, Ihn als den allgegenwärtigen Vater, als das göttliche Prinzip anzusehen, das den Menschen, Seine Idee, auf ewig erhält und beschützt?

Es sei mir gestattet, ein einfaches Beispiel aus meiner eignen Erfahrung anzuführen. Viele Jahre lang hatte ich das Lesen und Schreiben wegen der sich einstellenden Schmerzen fast ganz aufgeben müssen. Schließlich wandte ich mich der Christlichen Wissenschaft zu, verspürte aber zuerst nur wenig Besserung. Ein Jahr nach dem andern verging in scheinbar vergeblichem Bemühen, die Schmerzen wegzubehandeln, bis ich schließlich einsah, daß es mir am lebendigen Vertrauen auf die Wahrheit fehlte. Trotz der sich immer wieder einstellenden Schmerzen begann ich nun, planmäßig jeden Tag etwas zu lesen. Als Folge meines vertrauensvollen Gebrauchs der dem Menschen von Gott verliehenen Fähigkeiten trat sofort Besserung ein, und es dauerte nicht lange, so konnte ich den ganzen Tag ohne Schmerzen oder Mißbehagen weiterlesen.

Diese Erfahrung lehrte mich, daß die Vollkommenheit von Gottes Schöpfung als eine vollendete Tatsache anerkannt werden muß, und daß man nicht auf das Schwinden des sinnlich wahrnehmbaren Irrtums warten darf. Mit andern Worten, ich wandte mich vom Gebet des Wünschens zum Gebet des Empfangens oder Nehmens und wurde geheilt. Dies bedeutete keine Ausübung der menschlichen Willenskraft, sondern die Bereitwilligkeit, die Wahrheit über das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen anzunehmen und sich darauf zu stützen, soweit dies menschenmöglich war. Ehe dieser Punkt erreicht ist, wird unser Beten mehr oder weniger durch Zweifel oder Unglauben beeinträchtigt und kann daher den Abstand zwischen einer theoretischen und einer lebendigen, praktisch anwendbaren Gotteserkenntnis nicht überbrücken. Wenn das Beten eines Christen nicht erhört wird, so kann er sicher sein, daß es nicht deshalb ist, weil ihm göttliche Hilfe nicht zuteil werden kann, sondern weil er sie nicht für sich in Anspruch zu nehmen weiß.

Jedermann hat mehr oder weniger die ausgesprochene Wirkung des sündhaften oder gestörten Denkens auf den Körper an sich erfahren. Nicht jeder bedenkt aber, daß sein Gedankenzustand überwiegend unter seiner Herrschaft steht, und daß nachteilige Wirkungen daher zum großen Teil selbstauferlegt sind. Das Hegen krankhafter Gedanken mit ihren krankhaften physischen Folgen dauert fort, weil die Sterblichen das Böse als wirklich ansehen und an Stelle des Guten annehmen, und weil sie auf das vertrauen, was ihnen Angst und Furcht einzuflößen trachtet, wo sie sich doch der Gewißheit erfreuen sollten, daß Gott alles ist und daher „keiner mehr” besteht. Wir machen uns von Gottes Segnungen eine materielle Vorstellung, bilden uns materielle statt geistige Begriffe vom Guten.

Der Sterbliche liegt nicht deshalb auf dem Schmerzenslager und kommt nicht deshalb unter das Joch der Gebrechlichkeit, weil es etwa ein unentrinnbares Gesetz der Materie gibt, sondern weil er sich nicht vertrauensvoll auf Gott verläßt, in der Erkenntnis, daß Er der einzige Schöpfer und Erhalter des Menschen ist. Wir streben nach einem materiellen Sinn von Leben und Gesundheit, von Frieden und Freude, wo doch die Materie diese Dinge nicht besitzt und sie nicht verleihen kann. In dem Maße nun, wie wir die geistige Erkenntnis vom Menschen, dem Ebenbilde Gottes, erlangen, wird es uns offenbar, daß der Mensch alles besitzt, was er braucht. Wir täten wohl, genau zu prüfen, was wir über uns selbst als wahr annehmen. Wenn wir an Gottes Allmacht glauben, dürfen wir keinen Glauben an eine Ihm entgegengesetzte Macht haben, an eine Macht, die uns zu zwingen sucht, Böses und Unvollkommenes anzuerkennen.

Wir müssen alle lernen und im Sinne behalten, daß die normale Tätigkeit guter Gedanken, des rechten Verständnisses von Gott Gesundheit im menschlichen Bewußtsein erzeugt. Gesundheit hängt nicht ab von der sogenannten normalen Tätigkeit der physischen Organe. Sehen wir Krankheit als einen physischen Zustand an, so streben wir in erster Linie nach körperlichem Wohl. Erkennen wir aber, daß alle Formen des Bösen nur Gedankenirrtümer sind, so sehen wir auch die Möglichkeit, diese Irrtümer und ihre schlechten Wirkungen zu berichtigen oder aufzuheben. Die menschliche Erfahrung lehrt, daß dauernde Heilung nur durch mentale Umwandlung herbeigeführt werden kann.

Wie jedermann weiß, kann schlechtes Denken nur durch die Einführung guter Gedanken nach erfolgter Beseitigung der schlechten berichtigt werden. Dies erfordert jedoch eine Änderung der mentalen Grundlage selber, damit diese guten Gedanken in unserm Bewußtsein unmittelbar aufsteigen können. Wer ehrlich danach strebt, an der Wahrheit festzuhalten, daß der Mensch in Gottes Ebenbild geschaffen ist, nimmt unwillkürlich Liebe und Güte in seinem Denken auf, statt ihre verderblichen Gegensätze. Wer aber fortfährt, von sich selber und von andern in einer Weise zu denken, die dem wahren Wesen der Gotteskinder nicht entspricht, bleibt dem Einfluß dieses Irrtums unterworfen, bis er ihn schließlich als solchen erkennt. Die Wahrheit fordert, daß wir in unserm Gebet nicht nur ohne Vorbehalt uns zu Gott bekennen, sondern auch alle Seine Kinder als das anerkennen, was sie in Wirklichkeit sind. Wenn die ganze Menschheit auf diese Art, also ohne Unterlaß, beten wollte, wäre Streit zwischen Brüdern ein Ding der Unmöglichkeit, und menschliche Gesundheit und menschliches Glück würde außerordentlich zunehmen.

Die Tatsache, daß der Mensch ein geistig-sittliches Wesen ist, daß er dem Guten entstammt, nicht dem Bösen, wird früher oder später in jedem Sterblichen das Streben wecken, Gesundheit und Wohlergehen durch geistige Reinheit statte durch ein physisches Bewußtsein zu suchen. Wenn wir eine materielle Anschauung vom Leben hegen, ist es eine schwierige Sache, Gesundheit als etwas Gegenwärtiges zu betrachten; gehen wir aber vom metaphysischen Standpunkt aus, so sehen wir die Möglichkeit, das Gute als unser Eigentum anzusehen, ja wir erkennen dies als unsre Pflicht.

Nichts kann uns hindern, als Empfänger zu beten. Gott ist der Quell, aus dem alles Gute fließt, und Er ist der alleinige Geist, der Ursprung alles rechten Denkens. Wir können alle Liebe in unser Denken aufnehmen statt Haß, Freundlichkeit statt Groll, Ehrlichkeit statt Trug, Sanftmut und Geduld statt Empfindlichkeit. Nichts als unser eignes selbstsüchtiges Festhalten an unsern Irrtümern verhindert das Gebet, welches schließlich alles Krankhafte und Sündige aus dem Bewußtsein vertreibt und Gesundheit und Freude einläßt.

Die Scheinbarkeit von Krankheit und Sünde erreicht die Sterblichen durch das Zeugnis eines Sinnes, den Gott nicht kennt. Daher bezeichnet die Christliche Wissenschaft diese Übel als Irrtum. Auf Grund seiner Allheit kann der unendliche göttliche Geist, der alles Bestehende erhält, nie und nimmer um den unharmonischen Traum der Materie wissen. Es ist der christlichen Lehre zufolge undenkbar, daß Sünde und Tod Bestandteile des göttlichen Bewußtseins bilden, daß Gottes Schöpfung trotz Seiner Allmacht unvollkommen geworden und Sein eignes Bild zu einem Sünder herabgesunken sei. Gott besitzt nicht die Fähigkeit, das Böse wahrzunehmen. Da wir also das Böse nicht durch das Gemüt, das Gott ist, zu erkennen vermögen, so sollten wir uns der Erkenntnis freuen, daß wir göttlich berechtigt sind, es zu verneinen, mit andern Worten, das Böse als etwas Unwirkliches anzusehen, als etwas, was man im eigentlichen Sinne gar nicht kennen kann. Das Gebet des Empfangens ist demnach nicht von der Verneinung und Verwerfung alles Gottfremden zu trennen.

Die Wirkung des echten christlichen Gebetes besteht in der Vergeistigung des menschlichen Denkens. Gott läßt uns Seine geistigen Segnungen erst dann zuteil werden, wenn wir bereit sind, sie anzunehmen. Der sogenannte fleischliche Sinn vermag nicht, die Dinge Gottes zu erkennen, noch viel weniger, sie zu empfangen, da er seinem ganzen Wesen nach im Widerspruch steht mit geistigen Dingen. Daher die Notwendigkeit der Neugestaltung, wie sie Jesus verkündete. Ehe nicht das menschliche Gemüt die fleischliche Gesinnung abgelegt hat, vermag es die Göttlichkeit und Unsterblichkeit des wahren Seins nicht zu erkennen. Statt also zu beten, der fleischliche Sinn möge Gutes empfangen, sollten wir das irrige Wesen alles Materiellen erkennen lernen und uns durch den geistigen Sinn Gott zu nähern suchen — nicht einem in entferntem Paradies thronenden Gott, sondern einem Gott, der hier auf Erden zu erreichen ist; nicht als Bettler, sondern als Kinder Gottes, als „Miterben Christi.”

Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit (SS. 249, 227): „Laßt uns die Wissenschaft annehmen und alle Theorien fallen lassen, die sich auf das Sinnenzeugnis gründen, laßt uns unvollkommene Vorbilder und illusorische Ideale aufgeben, und also einen Gott, ein Gemüt, haben, das vollkommen ist und seine eignen Vorbilder der Vortrefflichkeit hervorbringt.” „Bürger der Welt, nehmt die herrliche ‚Freiheit der Kinder Gottes‘ an und seid frei! Das ist euer göttliches Recht.”

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Februar 1917

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.