Die Menschheit ist von jeher bestrebt gewesen, Mittel und Wege zu finden, sich vor Unglück, Kummer oder Leiden zu schützen. Es wird allgemein gelehrt, Selbsterhaltung sei die erste Pflicht des Menschen gegen sich selbst. Geht man einer Disharmonie irgendwelcher Art auf den Grund, so findet man, daß sie in den meisten Fällen durch Furcht erzeugt worden ist. Wenn es nun ein Mittel gäbe, das alle Furcht vor Krankheit, Gefahr, Mißerfolg, Verlust oder Unglück beseitigt, so könnten die Menschen freier atmen und sich eines bestimmteren Gefühls der Sicherheit erfreuen. Gerade dieses Mittel ist es nun, das die Christliche Wissenschaft offenbart. Sie legt dar, daß in Gott vollkommene Sicherheit herrscht; sie beweist, daß wir durch Ihn Erlösung von allen Übeln finden können.
Es ist das natürlich keine neue Offenbarung. Jeder, der mit der Heiligen Schrift vertraut ist weiß, daß dieses Buch der Bücher einen allgegenwärtigen und allmächtigen, einen guten, liebenden und treuen Gott lehrt. Aber mehr als theoretische Bedeutung gewann diese Lehre nie; sie galt für zu unpraktisch, um fürs Alltagsleben Wert zu haben. Die Christliche Wissenschaft erklärt jedoch, daß der Glaube oder die Gotteserkenntnis nicht nur zu einer gewissen Zeit und auf gewisse Dinge angewendet werden kann, sondern zu jeder Zeit und auf alle Dinge.
Da die Macht Gottes die scheinbare Macht der Sünde überwindet und zerstört, so muß Gott der Sünde überlegen sein; und wenn Er der Sünde überlegen ist, so hat diese in Seiner Gegenwart keine Macht. Ihre Macht brechen heißt daher, sie ihres vermeintlichen Daseins berauben. Doch geht die Christliche Wissenschaft noch weiter. Sie tut dar, daß, wenn Gott der Sünde überlegen ist und sie zerstört, Er auch allen ihren Folgen überlegen ist und dieselben zerstört. Die Gegenwart des unendlich Guten schließt alles Böse und dessen vermeintliche Macht aus, und der Mensch hat die Fähigkeit, diese Erkenntnis von der Gegenwart und Macht des Guten in jeder Lebenslage und bei der Lösung all seiner Probleme anzuwenden. Auf Seite 238 von The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany schreibt Mrs. Eddy: „Gott kann verstanden und erkannt werden und ist in jedem Fall von menschlicher Not zur Hand.” Am meisten tut der Menschheit die Befreiung von den Übeln des sterblichen Daseins not — Befreiung von Krankheit, Kummer, Mangel, Mißerfolg, Entmutigung, Einsamkeit, Freundlosigkeit. Und diese Befreiung erlangt man durch eine richtige Erkenntnis Gottes, ja es gibt keine Lebenslage, in der die Gotteserkenntnis nicht anwendbar ist.
Gott ist die Quelle des Lebens; alles Leben, das wir besitzen, kommt von Ihm. Ist es somit denkbar, daß es in unserm Leben Augenblicke gibt, wo Er nicht zu finden ist? Auf die Frage: „Glauben Sie an Gott?” antwortete Mrs. Eddy: „Ich glaube mehr an Ihn als die meisten Christen, denn ich glaube an kein andres Wesen. Er erhält meine Individualität. Ja noch mehr,— Er ist meine Individualität und mein Leben. Weil Er lebt, lebe auch ich” (Unity of Good, S. 48).
Fragen wir uns einmal selbst: Wo wäre ich, wenn Gott einen Augenblick aufhörte, Dasein zu haben. Nirgends natürlich, denn es leuchtet sofort ein, daß, wenn Gott zum Dasein notwendig ist, es ohne Ihn kein Dasein gäbe. Wenn also unser Dasein von dem Dasein Gottes abhängt, warum sollten wir dann hinsichtlich dieses Daseins Gefühle der Angst und Sorge hegen? Da Gott die Quelle und Ursache alles Seins ist, so muß das ganze Weltall von Ihm ausgehen, und es ist daher Seine Aufgabe, für dasselbe zu sorgen. Niemand glaubt von einem rechtschaffenen, ehrlichen Menschen, er werde sein Geschäft versäumen oder seine Familie vernachlässigen; und doch fürchten so viele Menschen, Gott werde sie im Stich lassen!
Hier entsteht nun die Frage: Muß man nicht seinen Lebensunterhalt verdienen? Nein, nicht im eigentlichen Sinne, aus dem einfachen Grund, weil Gott, der Quell alles Lebens, unser Leben unterhält. In seiner wunderbaren Rede, die Bergpredigt genannt, sagte Jesus: „Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? ... Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürft.”
Das will jedoch nicht heißen, daß man die Hände in den Schoß legen und müßig und gleichgültig in den Tag hineinleben darf. Gleich auf den obenzitierten Ausspruch folgen die Worte: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit;” und wer nach dem Reich Gottes trachtet, ist sicherlich nicht in Gefahr, sein Leben in Untätigkeit zu verbringen, denn ein solches Streben bedingt einen harten Kampf mit feindlichen Einflüssen. Die wahre Auffassung vom Leben bringt Fortschritt und Entwicklung mit sich, was einen Zustand der Untätigkeit von vorneherein ausschließt.
Gott hat bereits jeder menschlichen Notdurft abgeholfen. Der Umstand, daß es so viele bedürftige Menschen gibt, widerlegt diese Tatsache keineswegs. Ihr scheinbarer Mangel ist nichts andres als der mesmerische Einfluß von Furcht, der sie von der Erkenntnis der unendlichen Güte Gottes abhält. Würden sie „am ersten nach dem Reich Gottes” trachten, so würden sie sich frei machen von diesem mesmerischen Einfluß, und der Druck der Angst und Sorge wäre gehoben. Horcht man auf die Suggestionen der Furcht und wiederholt sie, so steht man sich selbst im Wege, ja nur zu oft erzeugt man dadurch gerade jenen Zustand, den man zu vermeiden sucht. Jedermann weiß, daß eine Person, die beständig von Krankheit spricht, leicht von Krankheit befallen wird. Ebenso verhält es sich mit jedem andern falschen Zustand. Nichts führt so leicht zu Mangel und Not, als wenn man unaufhörlich Armut in Gedanken hat und im Munde führt.
Wer sich in Schwierigkeiten befindet und unter dem Druck eines großen Furchtgefühls leidet, ist nach menschlicher Ansicht in einer bedauerlichen Lage. Er weiß sich nicht über das Angstgefühl zu erheben, noch kann ihn jemand anders davon befreien. Nichtsdestoweniger ist diese Lage, in der er die Zwecklosigkeit der Selbsthilfe und die Nutzlosigkeit alles menschlichen Beistandes erkennt, eine überaus hoffnungsvolle. Und wieso? Weil ihn sein Vertrauen auf materielle und rein persönliche Mittel jetzt nicht mehr so energisch davon abhält, sich an die einzige Quelle wahrer Hilfe zu wenden. In das Gemüt eines solchen Menschen sendet die Christliche Wissenschaft ihre belebenden Strahlen der Hoffnung. Sie zeigt ihm, daß diese unharmonischen, traurigen Zustände nicht das Werk einer allwaltenden Vorsehung sind. Sie wendet seine Gedanken ab von dem Blendwerk, dem er zum Opfer gefallen ist, und erklärt ihm Gott und Sein harmonisches Weltall in faßbarer Weise. Sie hebt die Vernunftgemäßheit des Glaubens an eine unendliche, gute Intelligenz hervor, die die Quelle oder Ursache aller Dinge ist. Sie lehrt, daß wir samt all unsern Angelegenheiten unter Seiner Leitung stehen, daß Er in sich selbst gut und harmonisch ist, und daß es deshalb ein Fehler ist, wenn man glaubt, Not oder Disharmonie irgendwelcher Art entspreche der Wahrheit und besitze Macht.
Daß die Oberherrschaft des Guten wünschenswert ist, läßt sich nicht in Frage stellen; daß sie möglich ist, bestreitet niemand, der die Allmacht Gottes anerkennt; daß sie ein erreichbares Ziel ist, hat uns die Christliche Wissenschaft zu beweisen ermöglicht. Der Mensch, der bemüht ist, diese Lehre anzuwenden, kommt zu der Einsicht, daß er etwas gefunden hat, was seinem langgehegten Sehnen entspricht. Sein Begriff von Gott erhöht und erweitert sich, und er gewinnt mehr Zutrauen zu Ihm. Er fängt an, Gott zu verstehen und die Dinge in einem andern Lichte zu sehen. Seine Beschäftigung, seine Umgebung, seine Beziehungen, alles erfährt einen Wechsel. Ein großer Teil seiner Furcht ist verschwunden, und was er tut, das tut er vertrauensvoll. Er kann seine Gotteserkenntnis nunmehr in gewissem Maße praktisch anwenden, ja er macht die Entdeckung, daß die oben zitierten Worte Mrs. Eddys: „Gott kann verstanden und erkannt werden und ist in jedem Fall menschlicher Not zur Hand,” in der Tat wahr sind.
Es kommt nicht darauf an, was für Erfahrungen ein Mensch hinter sich hat oder in was für einer Lage er sich befindet. Er kann Gott immer finden, kann zu jeder Zeit das anwenden, was er von Seinem Wesen erkannt hat. Wie der Psalmist, so kann auch er sagen: „Führe ich gen Himmel, so bist Du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten.” Früher oder später werden, ja müssen wir alle zu der Erkenntnis kommen (warum also nicht jetzt gleich?), daß Gott, das göttliche Prinzip, bei der Überwindung jedes Furchtgefühls, jeder Notdurft, ein wahre Hilfe ist.
Das kann der einzige Zweck der Gotteserkenntnis sein. Was nützt es uns, mehr über das Wesen Gottes zu erfahren, falls diese Gotteserkenntnis nicht die Lösung unsrer Probleme herbeiführt? Wenn uns unsre Gotteserkenntnis nicht hilft, eine Last zu tragen, einer Versuchung zu widerstehen, Kummer und Enttäuschungen zu ertragen, uns von körperlichen oder geistigen Leiden frei zu machen, bei falschen Anschuldigungen und unverdientem Tadel geduldig zu sein und uns zu zügeln, kurz, wenn uns ein besseres Verständnis von der Wirklichkeit des Geistes nicht hilft, die materiellen Übel und Disharmonien zu überwinden, so ist dieses Verständnis in der Tat von geringem Wert. Erkennen wir aber das wahre Wesen Gottes, so haben wir eine praktische, anwendbare Kenntnis von dem Prinzip alles wahren Lebens, und wir sehen dann, daß es keine Lebenslage gibt, wo diese Kenntnis nicht auf wirksame Weise angewendet werden kann. Dann werden wir auch die volle Bedeutung der wunderbaren Worte Mrs. Eddys auf Seite 494 von Wissenschaft und Gesundheit klarer erfassen: „Die göttliche Liebe hat immer jede menschliche Notdurft gestillt und wird sie immer stillen.”
