Ich kann die Christliche Wissenschaft nicht verstehen; meine intellektuellen Fähigkeiten reichen nicht hin.” Solche und andre ähnliche Aussprüche hört man oft seitens derer, die einen Einblick in diese Lehre zu gewinnen suchen. Tatsache ist jedoch, daß weder materielles Wissen noch besondere intellektuelle Fähigkeiten zum Erfassen geistiger Wahrheiten notwendig sind. Sehr oft erfaßt das einfache, von den Meinungen und Ansichten der Welt unbeeinflußte Denken geistige Wahrheiten am ehesten. Kleine Kinder erweisen sich als besonders gute Schüler der christlichen Metaphysik. Auf Seite 237 von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift gibt uns Mrs. Eddy folgendes Beispiel davon: „Ein kleines Mädchen, welches meinen Erklärungen gelegentlich zugehört hatte, verletzte sich einst schwer den Finger. Sie schien es nicht zu beachten. Als sie darüber befragt wurde, antwortete sie unbefangen: ‚Die Materie hat keine Empfindung.‘ ... Es hätte vielleicht Monate oder Jahre gedauert, ehe ihre Eltern die Arzneien beiseite getan oder die mentale Höhe erreicht hätten, die ihre kleine Tochter so ganz natürlich erlangte.”
Der große Lehrer bekundete bei jeder Gelegenheit seine Liebe zu diesem reinen, kindlichen, für die Wahrheit und Liebe empfänglichen Bewußtsein. In den Evangelien finden wir zahlreiche Beispiele seiner Zärtlichkeit gegen die Kinder, ja wie oft ermahnte er seine Zuhörer, sich ein gleiches Maß von Liebe und Einfachheit anzueignen wie diese Kleinen. So lesen wir z.B. im achtzehnten Kapitel des Matthäus-Evangeliums: „Jesus rief ein Kind zu sich und stellte das mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedriget wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.”
Stößt der Sucher nach einem demonstrierbaren Verständnis der Christlichen Wissenschaft auf Schwierigkeiten, so kann das meistenteils auf den Umstand zurückgeführt werden, daß er ihre Lehren mit seinen persönlichen Anschauungen in Einklang zu bringen sucht, was natürlich stets mißglücken muß. Die Christliche Wissenschaft stützt sich auf den Grundsatz, daß Gott Geist ist, daß Er den Menschen und das Weltall geistig geschaffen hat und nicht materiell. Alles wahre Sein umfaßt den Geist und das Geistige. Dieser Grundsatz beruht auf den Lehren der Heiligen Schrift, ist beweisbar und muß als die Grundlage alles richtigen Denkens betrachtet werden. Von diesem Grundsatz ausgehend, wiewohl wir ihn erst nur als eine Annahme betrachten mögen, werden uns die erhabenen Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft klarer und wir können sie dann werktätig beweisen.
Wissenschaft und Gesundheit ist kein Buch, das man schon nach flüchtigem Durchlesen verstehen kann. Dies zu erwarten wäre ebenso unvernünftig, wie zu glauben, man könne durch das bloße Lesen eines mathematischen Lehrbuchs, ohne den Versuch, ein einziges Problem zu lösen, ein Mathematiker werden. Als sich einst ein Mann beklagte, daß Wissenschaft und Gesundheit zu schwer verständlich sei, wurde er gefragt, ob denn nicht ein einziger Satz im Buche sei, den er verstehen könne. „O ja,” antwortete er. „Also,” sagte der andre, „wenden Sie das Wenige, was Sie jetzt verstehen, in Ihrem Alltagsleben an, und ein höheres Verständnis wird sich Ihnen täglich entfalten.” Das ist ein weiser Rat; wer ihn befolgt, wird sich großen geistigen Wachstums erfreuen. Die Kinder des Geistes lieben und verstehen naturgemäß geistige Dinge. Eine Erkenntnis dieser Tatsache zerreißt den Schleier der Materialität, der so leicht unsern Blick verdunkelt.
Der Menschheit größtes Bedürfnis ist, eine wahrere Erkenntnis von der Gottheit zu erlangen. Zu diesem Zweck gibt uns Mrs. Eddy auf Seite 465 von Wissenschaft und Gesundheit eine Anzahl von Synonymen für Gott, wie Gemüt, Prinzip, Leben, Wahrheit und Liebe. Wer eine beweisbare Erkenntnis von der Wissenschaft des Lebens erlangen will, nehme einmal einen von diesen Begriffen, der ihn besonders anspricht, als Ausgangspunkt — z.B. Liebe. Dann beginne er jeden Tag mit dem Gedanken, daß der Mensch von der Liebe abstammt. Er sei beständig bestrebt, diese göttliche Liebe auf alle wiederzustrahlen, mit denen er in Berührung kommt, und er wird finden, daß sie auf ihn zurückstrahlt. Die Liebe ist nie von ihren Ideen getrennt, sondern leitet und behütet sie, erleuchtet ihren Weg und stillt alle ihre Bedürfnisse. Wer eine bewußte Anstrengung macht, wenn auch nur während eines einzigen Tages, in allem, was er sagt und tut, sich von der göttlichen Liebe leiten zu lassen, der öffnet die Tore weit, durch die die Wahrheit mit ihrem heilenden und reinigenden Einfluß in sein Bewußtsein strömt. Eine solche persönliche Erfahrung wird ihm einen Einblick in die wahre Bedeutung der Christlichen Wissenschaft geben, wie jahrelange akademische Studien es nicht zu tun vermöchten.
Geistiges Wachstum hängt ganz von jener demütigen, empfänglichen Denkart ab, die alles, was sie versteht, getreulich anwendet, sei es viel oder wenig. Auch ist an einer solchen mentalen Haltung nichts, was selbst vom materiellen Standpunkt aus gerechterweise verspottet werden könnte. Sind sich doch gerade diejenigen, die die Welt für die Weisesten hält, der Grenzen des menschlichen Wissens am klarsten bewußt. Solche Menschen sind am ehesten bereit, einem neuen Lichte zu folgen. Dem nicht voreingenommenen Menschen werden in dem Maße seines Fortschritts Lichtblicke zuteil, und er erfährt an sich selber die Wahrheit der Worte unsrer Führerin: „Dem sterblichen Sinn erscheint die Wissenschaft zuerst verborgen, abstrakt und dunkel, aber eine frohe Verheißung krönt ihre Stirn. Wenn sie verstanden wird, ist sie der Wahrheit Prisma und Preis” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 558).
