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Fortschrittliches Leben

Aus der April 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eine fortschrittliche Lebensweise ist von einem Bewußtseinszustand bedingt, der sich auf das Verständnis vom göttlichen Gesetz sowie auf die Bereitwilligkeit gründet, sich von diesem Gesetz leiten und regieren zu lassen. Fortschritt gehört dem Wesen des göttlichen Gesetzes an und ist ein der Menschheit innewohnendes Bedürfnis. Wohl kann Unkenntnis eines Gesetzes dessen Nichtbeachtung erklären, vermag aber nicht vor der Strafe zu schützen. Unwissenheit ist daher stets bedauernswert; doch wer sich weigert zu lernen und absichtlich in der Unwissenheit verharrt, verliert allen Anspruch auf Teilnahme. Sehr oft ist Unwissenheit auf die Macht der Umstände zurückzuführen und kann durch äußere Einflüsse behoben werden; das Nichtlernenwollen jedoch ist ein Charakterfehler, der allein durch einen gründlichen Wechsel in der Denkweise überwunden werden kann. Jesus sagte zu den Juden, die eine solche Mentalität bekundeten: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.”

Die Grundursache der Abneigung gegen das Lernen ist falsches Verlangen. Es erzeugt ein krankhaftes Bewußtsein, das sich in dem Treibsand seiner eignen niederen Triebe oder im Sumpf seines Eigendünkels niederläßt und sich nicht aufraffen will, bis es zuletzt durch selbstverschuldete Leiden dazu gezwungen wird. Der Mensch, der nicht arbeiten will, weil er die Arbeit nicht mag, der nicht richtig denken will, weil er vorzieht, falsch zu denken, der dem Bösen nicht widersteht, weil es so viel leichter ist, es zu ignorieren — ein solcher Sklave falschen Verlangens kann nur dadurch umgestaltet werden, daß er dieses falsche Verlangen ausrottet, denn es wirkt, vom materiellen Standpunkt aus betrachtet, mehr als alles andre gestaltend auf das menschliche Dasein. Der Wunsch steht in unmittelbarer Beziehung zu dem Gewünschten. Die Sterblichen denken arg und verlangen nach argen Dingen, weil ihr Bewußtsein arg ist. Die Menschen lieben und wünschen das Edle, das Gute und das Wahre, weil ihre Denkweise edel, gut und wahr ist. Niemand fühlt sich wohl, wenn er mit Dingen in Berührung kommt, die er verabscheut. Man kann sich weder mit dem Guten noch mit dem Bösen abgeben und gleichzeitig das Gegenteil lieben und verehren.

Genau so verhält es sich auch mit Arbeit und Fortschritt. Fortschritt ohne Arbeit gibt es nicht, und solange eine Arbeit nicht dem aufrichtigen Wunsche nach nützlicher Tätigkeit entspringt, ist sie vergebens. Kein guter Arbeiter wird prahlen, daß er mehr tun könnte, wenn er wollte oder wenn ihm größeres anvertraut würde. Er macht sich einfach an die Arbeit und verrichtet sie nach seinem besten Wissen und Können, sei es etwas Großes oder etwas Kleines. Die hohen Ideale eines Menschen sind es, die ihn zu seiner besten Arbeit anspornen, und nicht die Zwangsjacke der Notwendigkeit. Menschen werden zu großen Führern, weil sie ihre Arbeit lieben und nicht von ihr lassen können, und sie erwecken in andern gleiche Begeisterung — also nicht dadurch, daß sie Theorien aufstellen und den Nebenmenschen tadeln, sondern dadurch, daß sie sich selbst an die Arbeit machen und durch eignes Beispiel, durch kluges Handeln dartun, wie man erfolgreich sein kann.

Der Knecht, dem ein Zentner gegeben ward, wurde nicht verdammt, weil er nur einen und nicht zehn Zentner hatte, sondern weil er diesen einen nicht benutzen wollte oder nicht zu benutzen wagte. Der Knecht mit zehn Zentnern wurde nicht gelobt, weil er seinem Herrn zehn weitere Zentner geben konnte, sondern weil er nicht aus Selbstzufriedenheit unterließ, jeden ihm anvertrauten Zentner anzuwenden. Erfolg hängt nicht sowohl von dem ursprünglichen Besitz guter Gaben ab als vielmehr von ihrer Anwendung und Vermehrung. Geschäftsleute sind oft ebenso erstaunt über den Erfolg des Mannes mit beschränktem Kapital oder Kredit, des Mannes mit einem Zentner, wie über den Mißerfolg eines andern, dem zahlreiche Hilfsmittel zu Gebote stehen, des Mannes mit zehn Zentnern. Mrs. Eddy sagt in ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche von 1900 (S. 9): „Aufrichtigkeit ist erfolgreicher als Genie oder Talent.” Aufrichtigkeit ist die Mutter des Fleißes, des Muts, der Ehrlichkeit — Eigenschaften, mit denen man unerschrocken Aufgaben in Angriff nimmt, vor denen mancher nach menschlicher Ansicht besser ausgerüstete Geist aus Furcht vor Mißerfolg zurückschreckt.

Jede natürliche Gabe ist ein Stammkapital, das benutzt werden muß, wenn es Zinsen tragen soll. Es darf zu keinen Zwecken verwendet werden, die mit dem Hauptgeschäft nicht in unmittelbarer Beziehung stehen. Die Gesetze, die eine gesunde Kapitalanlage regieren, sind ebenso anwendbar auf rein mentalem Gebiet. Warum den Begriff des Kapitals auf Geld, Kredit oder andre materielle Hilfsquellen beschränken? Der Christliche Wissenschafter weiß, daß geschulte Denkkraft Kapital ist, daß seine Gedanken und Bestrebungen seine Anlagen ausmachen, daß geistige Ideen, die durch täglichen Gebrauch in Gesundheit und Glück zum Ausdruck kommen, seine Dividenden sind, denn der Erfolg eines Christlichen Wissenschafters wird nicht nach dem Maße seines intellektuellen Erfassens der Christlichen Wissenschaft bemessen, sondern nach dem, was er durch die Anwendung des Erfaßten in sich und in andern zustandebringt.

Den einen Zentner, den wir alle besitzen und ohne den der Mensch in der Tat ein bedauernswertes Geschöpf wäre, ist das Verlangen nach Wachstum und Fortschritt. Geistig angelegt, verzinst sich dieses Verlangen rasch, indem es vor allem die Aufmerksamkeit auf den Wert des geistig Guten lenkt. Nur zu oft wird die Hoffnung aus Furcht vor Verlust unterdrückt oder in das Schweißtuch der Materialität eingehüllt. Wer zwischen Hoffnung und Furcht nicht entscheiden kann, steht am Kreuzweg. Der eine Weg führt zu geistiger Umwandlung, der andre zu moralischem Verfall. Hier nun spielt das zur Gewohnheit gewordene Verlangen eine wichtige Rolle, indem es unsern Anstrengungen die Richtung gibt, die uns als die beste erscheint. Mit andern Worten, hier findet unsre erste Anlage statt, die Kapitalanlage von Hoffnung oder von Furcht als Grundlage unsres mentalen Vermögens. Das göttliche Gesetz lautet: Wie die Saat, so die Ernte. Entweder verleiten uns falsche Neigungen zur Spekulation in den wertlosen Papieren des fleischlichen Gemüts, was in mentalem Bankrott enden muß, oder aber führt uns ehrliche, vergeistigte Hoffnung zur Anlage in den Wirklichkeiten wissenschaftlicher Gedanken, was zuletzt zu jener Herrschaft über sich selber und seine Hilfsmittel führt, von welcher Jesus sagte: „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, das er hat.”

Der Prospektus eines Unternehmens findet erst dann allgemein Anerkennung, wenn er in Finanzkreisen anerkannt wird, wenn er Kapital anzieht. Es wäre ganz und gar nutzlos, eine Meinung abzugeben über Werte, die an der Börse nicht notiert sind. Ebenso verfehlt wäre es, wenn ein Christlicher Wissenschafter die hohen Forderungen der absoluten christlichen Metaphysik predigte, ohne selber ein der Norm der sogenannten goldenen Regel entsprechendes Leben zu führen. Geistige Macht zu beanspruchen, ohne diesen Anspruch zu beweisen, die christliche Lehre intellektuell zu erfassen, ohne sie durch eine christliche Lebensweise zum Ausdruck zu bringen, ist durchaus wertlos. Lehre und Ausübung müssen Hand in Hand gehen, wie Kapital und Arbeit Hand in Hand gehen müssen. Unbenützte Erkenntnis ist ebenso nutzlos wie nicht angelegtes Kapital. Sie trägt keine Zinsen, kommt keinen Verpflichtungen nach, bezahlt keine Schulden. Ihr einziger Glanz beruht auf Selbstzufriedenheit oder falscher Unabhängigkeit und ist von kurzer Dauer.

Nichts zeigt so deutlich die Abneigung gegen das Erlangen von Kenntnissen wie jene Großsprecherei, die den Mangel an eignen Werten durch beständige Schmälerung der Werte andrer zu verbergen sucht, auch wenn sich diese auf Erfahrung und Kenntnisse gründen, welche die des Tadlers weit übersteigen. Jesus sagte von den selbstgerechten Heuchlern: „Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin,” d. h. sie werden den Lohn empfangen, den sie verdienen, den Lohn einer „selbstzufriedenen Äußerung inbrünstiger Gefühle” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 7), den Lohn, der nichts ist als eitler Tand und der dem Empfänger nur zum Vorwurf gereicht.

Nicht Unwissenheit an sich, sondern das absichtliche Verharren in der Unwissenheit ist eine Schande. Beschränkte natürliche Begabung ist keine Unehre; aber die Lähmung einer natürlichen Gabe durch den Nichtgebrauch oder Mißbrauch ist strafwürdig. Beschränkte geistige Erkenntnis, Erfahrung oder Hoffnung ist kein Grund zur Untätigkeit, sondern sie sollte unser größter Ansporn zur Tätigkeit sein. Die geistlich Armen sind jene empfänglichen Gemüter, die alles, was sie zu fördern verspricht, willkommen heißen. Sie sind „geistlich arm,” weil sie offen und ohne falsche Scham einsehen, was ihnen mangelt, und dann danach streben, bis sie es erreicht haben. Solche Sucher werden nie weit vom rechten Weg abkommen, werden nie lange auf die nötige Hilfe zu warten haben. Die Umherirrenden sind die mentalen Wilddiebe, die das Ergebnis der Bemühungen andrer für sich in Anspruch zu nehmen suchen. Die Christliche Wissenschaft kann nicht mit Hilfe von Formeln gelernt, verstanden oder angewandt werden. Sie ist das Produkt einer reichen geistigen Erfahrung und findet allein in ähnlichen fortschrittlichen Erfahrungen und Beweisen Bestätigung und Anerkennung.

Die Christlichen Wissenschafter sind mit der hohen Aufgabe des geistigen Heilens betraut worden. Ihre Verantwortung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist groß, denn die Zukunft unsrer Bewegung hängt in hohem Maß von dem ab, was die jetzigen Anhänger vollbringen. Nie kann die christlich-wissenschaftliche Sache durch Sektenstolz, durch intellektuelle Vorwände irgendwelcher Art oder durch eine überlegene Zufriedenheit mit der größeren persönlichen Freiheit, die ihre Schüler in gewissem Grade erlangt haben, gestützt werden.

Die ernste Betätigung der christlichen Tugenden, die Pflege jener feineren und höheren Menschenliebe, die durch treue Freundschaft, durch Rücksicht gegen die Interessen andrer, durch Redlichkeit in Geschäftssachen, durch Freundlichkeit im Denken und Reden, durch Reinheit des Körpers und Geistes zum Ausdruck kommt — diese Aufgaben nehmen in stets wachsendem Maße alle diejenigen in Anspruch, denen der gute Ruf und das Wachstum der christlich-wissenschaftlichen Sache am Herzen liegt. Genannte Eigenschaften sind nicht bloß das Resultat moralischen Fortschritts — sie sind geradezu die Grundlage eines geistig gesunden Wesens und des Wachstums an geistiger Erkenntnis.

Die Norm der Christlichen Wissenschaft ist höher als irgend etwas, was die Welt je gekannt hat, denn sie schließt die Umgestaltung des ganzen Menschen auf jedem Gebiet seiner Tätigkeit in sich. Vor allem muß die Welt erkennen lernen, daß auch die wünschenswertesten und erhabensten Ideale und Normen, um zur Geltung kommen zu können, von einer Anhängerschaft und Führerschaft gestützt werden müssen, die auf die Durchführung dieser Ideale hin geschult und an ihre Forderungen gewöhnt ist, und die sich ihre Aufrechterhaltung so ernstlich zur Aufgabe macht, daß sie bereit ist, alles für die Hoffnung auf endlichen Sieg dahinzugeben. Wäre eine Zeit möglich, da die Lehren der Christlichen Wissenschaft aus Mangel an Interesse und Eifer wirkungslos würden, so würde dies ein Unglück bedeuten, wie es die Welt nie zuvor gesehen hat. Für den ehrlichen, aufrichtigen Christlichen Wissenschafter ist die Frage offenbar nicht: Was haben die andern getan oder unterlassen zu tun? oder: Was hätte ich an eines andern Stelle tun können? sondern viermehr: Habe ich mein Bestes getan mit dem Zentner, der mir anvertraut worden ist?

Auf Seite 195 Von The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany schreibt Mrs. Eddy: „Wir müssen bereitwillig dem entsagen, was wir nicht besitzen können, und mit dem vorwärtsdringen, was wir haben, denn wir können nicht mehr geben als in uns ist, noch können wir das verstehen, was nicht in uns reift. Allen Gutes tun, weil wir alle lieben, und im Dienste Gottes den einen Zentner anwenden, den wir alle haben, das ist die einzige Art und Weise, wie wir diesen Zentner vermehren können, der beste Weg, die große Unzufriedenheit mit unsern Mängeln zum Schweigen zu bringen.”

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