Als Jesus den Blindgeborenen heilte, hob er den Umstand klar hervor, daß das materielle Auge nicht zu den „Werken Gottes” gehört. Auf Seite 505 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Geistiger Sinn ist das Erkennen des geistig Guten.” Die Sterblichen glauben, sie könnten mittels des materiellen Auges sehen, obschon sie ohne weiteres zugeben, daß die Tausende von Eindrücken, welche ihnen die Welt aufdrängt, vom Geiste wahrgenommen, ausgelegt und klassifiziert werden. Sogar die sogenannten Naturwissenschaften erkennen an, daß die Fähigkeit, zu sehen und zu hören, im Geist liegt, und daß alles andre blind und taub ist.
Die Christliche Wissenschaft ist die zeitgemäße Darlegung der reinen Christus-Lehre. Sie betrachtet Jesu Werke als Beweise gegenwärtiger Möglichkeiten und erklärt uns, wie diese Werke vollbracht wurden. Man hat im allgemeinen angenommen. Jesus habe die sogenannten Wunder vermöge einer besonderen, ihm von obenherab verliehenen Macht vollbracht. Wenn wir jedoch durch die Christliche Wissenschaft einsehen lernen, daß diese Macht das Ergebnis des Verständnisses einer absoluten Wissenschaft war, einer Wissenschaft mit einem vollkommenen Prinzip und vollkommenen Regeln zur Demonstrierung dieses Prinzips, dann offenbaren sich die Werke Jesu in einem neuen Lichte. Wir fangen an, ihre geistige Bedeutung zu verstehen, und der Umstand, daß wir auf Grund dieses Verständnisses die Übel des Fleisches zu heilen vermögen, ist genügender Beweis seiner praktischen Anwendbarkeit.
In dem Maße, wie die Christliche Wissenschaft verstanden wird und ihre Lehren den Gedanken erheben und läutern, wird das Zeugnis der sogenannten Sinne durch geistige Wahrnehmung aufgehoben. Geistige Wahrnehmung ist die Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit. Freude, Friede, Liebe, Harmonie, all das Gute, das wir erfahren dürfen, ist ganz und gar unabhängig von den fünf materiellen Sinnen, steht aber in direkter Beziehung zu der Wahrnehmung des geistigen Seins. Geistige Wahrnehmung ist die Fähigkeit, alles, was in das Bewußtsein eindringt, der Wahrheit gemäß zu beurteilen, und richtig denken heißt, das durch die Christliche Wissenschaft geoffenbarte göttliche Prinzip zu demonstrieren. Demnach ist die Sehkraft in dem Maße normal und vollkommen, wie sie als geistige Wahrnehmung erkannt wird. Das gleiche gilt in bezug auf Gehör, Geschmack, Geruch und Gefühl.
Als Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Selig sind eure Augen, daß sie sehen,” sprach er ohne Zweifel von ihrem geistigen Auge, von ihrer Fähigkeit, die geistigen Ideen wahrzunehmen, die er ihnen mittels Gleichnissen beibrachte. Die Gleichnisse vom Senfkorn, vom Feigenbaum, vom Säemann, usw., sind mehr als bloße Beispiele der bilderreichen Ausdrucksweise des Orients; sie versinnbildlichen erhabene geistige Wahrheiten, die Jesus durch das Heilen der Kranken, die Auferweckung der Toten, das Wandeln auf dem Wasser immer und immer wieder bewies. In der Bergpredigt sagte er: „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.” Das geistige Auge ist somit das einzige Auge; es darf nichts Materielles sondern nur Gutes an sich haben, wenn der ganze Körper von den geistigen Ideen der Wahrheit, der Liebe und des Lebens durchleuchtet sein soll. Solch geistiger Blick hat nichts mit der Materie gemein; er ist Wiederspiegelung, ja die bewußte Wiederspiegelung des Guten.
Die Schrift sagt vom göttlichen Schauen: „Deine Augen sind rein, daß du Übels nicht sehen magst.” Daher muß der Mensch, Gottes Wiederspiegelung, in seiner Wahrnehmung ebenso rein sein. Diese Wahrnehmung muß das Verständnis in sich schließen, daß der wahre Mensch nicht materiell ist und es nie war; daß er weder Geburt noch Tod kennt, sondern stets eins gewesen ist mit seinem Schöpfer. Sein Blick ist ungetrübt, denn er sieht durch die Illusion der Materie hindurch in das Reich der geistigen Wirklichkeit und nimmt sein eignes geistiges Sein wahr.
Die Sterblichen werden gelehrt, die sie umgebende Welt als eine von ihrem Denken getrennte Erscheinung zu betrachten, Leute, Zustände und Verhältnisse auf materielle Weise zu beurteilen. Ist es da ein Wunder, daß sie mit sehenden Augen nicht wahrnehmen können? Nicht nur das, sie betrachten auch die geistige Wahrnehmung als eine Segnung, zu der sie erst nach dem Tode berechtigt sind. Auch glauben sie, die Materie sei intelligent, intelligente Materie sei das Zwischenmittel des Sehens, und sie verlassen sich wegen ihrer Erkenntnis der Wahrheit auf diesen beschränkten Ausblick. Die Schrift sagt, wir müßten „die Wahrheit erkennen;” das Reich Gottes sei inwendig in uns und könne uns hier und jetzt zur Erfahrung werden. Diese Wahrheitsbekräftigungen, die uns durch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, von Mrs. Eddy, erschlossen und zugänglich gemacht werden, sind uns ein Antrieb, uns über die Illusion des sterblichen Gemüts zu erheben und mit unsern Augen, unsrer wahren geistigen Wahrnehmung, „einen neuen Himmel und eine neue Erde” zu sehen, worin Gerechtigkeit wohnet.
Im siebzehnten Kapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir, daß Jesus, bevor er jener erhabenen Wahrheit von des Menschen Einssein mit Gott Ausdruck gab, „seine Augen auf gen Himmel” hob. Wenn unsre Augen aufgehoben sind zur Betrachtung der geistigen und vollkommenen Schöpfung, dann wird uns die Harmonie und Vollkommenheit des Bildes und Gleichnisses Gottes besser offenbar. Dieser erhabene Gesichtspunkt, erhaben über alle sogenannten materiellen Gesetze, ermöglicht uns die geistige Wahrnehmung, die da heilt.
Wenn wir erkannt haben, daß die materiellen Sinne sterbliche Illusionen sind, lernen wir einsehen, daß des Menschen geistige Sinne „ohne Schmerz [sind] und haben immerdar Frieden” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 214). Geistige Gedanken berichtigen die Täuschung der materiellen Sinne mit dem Guten; daher steht das Ergebnis dieses richtigen Denkens, die „Frucht des Geistes,” im Verhältnis zu unsrer geistigen Wahrnehmung. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 167 von Wissenschaft und Gesundheit: „In dem Verhältnis, wie wir die Ansprüche von Gut oder Böse gelten lassen, bestimmen wir die Harmonie unsres Daseins — unsre Gesundheit, unsre Lebensdauer und unser Christentum.” Die guten Dinge, nach denen die ganze Menschheit strebt, sind im Bereich eines jeden, der willens ist, den Berg der geistigen Wahrnehmung zu ersteigen. Es gibt nichts, was den Ausblick desjenigen trüben könnte, der unaufhörlich gottwärts schaut. Wenn wir somit mit unsrer gegenwärtigen Fähigkeit anfangen, das Gute zu erkennen, wird sich diese Fähigkeit entfalten und entwickeln, bis uns zuletzt das Sehnen nach größerer Geistigkeit in das Reich einer volleren Gotteserkenntnis führt, wo Friede, ja nur Friede herrscht.
