Paulus schreibt in seinem Brief an die Kolosser: „Der Friede Gottes regiere in euren Herzen, ... und seid dankbar!” „Dankbar wofür?” ruft derjenige aus, der nichts als die äußerlichen Umstände des menschlichen Lebens sieht und den Selbstbedauern für alles andre blind gemacht hat. „Niemand hat je so viel durchmachen müssen, wie ich durchmachen muß. Ich habe nicht die geringste Ursache, dankbar zu sein.” Halt ein, du Undankbarer! Denn in dem Augenblick, wo du dieser Bitterkeit Ausdruck gibst, stehst du in der Gegenwart des Vaters, der mit der größten Zärtlichkeit einem jeden Kind Seiner Liebe unaufhörlich Gesundheit und Freude und unermeßliches Gutes mitteilt. Wir sollten alle im Hinblick auf die Verheißung: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.” Reue empfinden und bestrebt sein, demütigen Herzens ein Leben der Dankbarkeit zu führen.
Die Christliche Wissenschaft weckt Tausende von Menschen aus stumpfem, undankbarem Träumen und zeigt ihnen den Weg zu einem hilfsbereiten, freudigen und dankerfüllten Leben. Sie lehrt die Menschen, auch für die kleinsten Segnungen dankbar zu sein; ja nicht nur für das Gute, das zu sehen ist, sondern auch für das Gute, das die göttliche Liebe unaufhörlich spendet und das nur darauf wartet, entgegengenommen zu werden. Dankbarkeit und Gesundheit gehen Hand in Hand. Krankheit und Undankbarkeit sind Genossen; ja alle Krankheitserscheinungen sind weiter nichts als Schattenbilder irriger Gedanken — Gedanken der Furcht, der Sorge, der Unzufriedenheit, des Hasses, des Zwists, des Undanks —, die am Körper vergegenständlicht werden. In dem Bewußtsein jedoch, das vom Lichte geistiger Dankbarkeit erleuchtet ist, finden solche Schattenbilder keinen Raum. Daraus ersehen wir, wie notwendig es ist, nach der Erkenntnis der gesundheitverleihenden und freudebringenden Dankbarkeit zu trachten, und, wie Mrs. Eddy uns lehrt, „von der Höhe inbrünstiger Hingebung aus, mit dem Öl der Freude und dem Duft der Dankbarkeit” nach der Erkenntnis der Wahrheit zu trachten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 367).
Kein Mensch ist je in einer Lage, wo er nicht für irgend etwas dankbar sein kann. Eine ältliche Frau, die eine Zeitlang die Dachstube eines alten, halb verfallenen Hauses bewohnte, wurde gefragt, was sie in der vorigen stürmischen Nacht getan habe, als es auf ihr Bett regnete. Mit freudestrahlendem Antlitz antwortete sie: „Ich dachte: Was sind diese paar Tropfen unter so vielen!” Sie hatte den Sinn des Spruchs erfaßt: „Dankbarkeit ist des Herzens Sonnenschein.” Ein andermal, als dieser dankbaren Frau ein Korb mit Eßwaren geschenkt wurde, deren sie so sehr bedurfte, rief sie freudestrahlend aus: „Er schon wieder! Er schon wieder!” In dieser kleinen Gabe sah sie die nieversagende Liebe des Vaters und sagte Dank. „Gibt es etwas Schöneres auf Erden, als ein dankbares Herz?” dachte die Zeugin dieses kleinen Vorfalls. Und in Demut betete sie, daß auch sie den Hauch der Liebe fühlen und in solch innige Gemeinschaft zu ihr treten möge.
Wie manches Heim würde glücklich gemacht, wenn jedes Mitglied des Haushalts für die kleinen Gefälligkeiten, die ihm die andern erweisen, erkenntlich wäre! Der Sonnenschein der Dankbarkeit ist das beste Mittel, um die Wolken der Disharmonie und der Unzufriedenheit zu vertreiben. Der undankbare Mensch ist wie einer, der farbige Augengläser trägt: er sieht nichts richtig. Die Brille des Undanks läßt ihn nicht erkennen, wie die Dinge in Wirklichkeit sind; seine Arbeit ist ihm eine Last, und niemand, so glaubt er, weiß seinen Wert zu schätzen. Mit bitter verzogenem Munde geht er umher und meint, niemand habe es so schwer wie er. Schwer in der Tat ist die Bürde des Undanks! Wie lieblich die Vögel auch singen, wie freundlich die Blümlein ihm auch zunicken, der undankbare Mensch hört sie nicht und sieht sie nicht; denn er ist taub und blind.
Wie ganz anders ist es doch, wenn ein warmer Strahl der Dankbarkeit gegen Gott und des Mitgefühls mit den Nebenmenschen das Herz berührt. Die Welt ist wie umgewandelt. Die Arbeit ist nicht mehr eine Last, sondern ein beglückendes Vorrecht. Die Augen sehen und die Ohren hören. Der durch die Wahrheit Erweckte sieht in seinen Mitmenschen nicht mehr unharmonische Sterbliche. Überall begegnet er den liebevollen Kindern Gottes, ja es verlangt ihn, ihnen zu dienen. Zum erstenmal hört er die Engelsbotschaften, die Gott den Menschen sendet. Er hört den Gesang der Vögel und stimmt ein in das Loblied auf seinen Schöpfer. Auf Anerkennung folgt stets Aneignung; der zur Dank, barkeit Erweckte fängt an, sich Gesundheit, Harmonie und Überfluß zu eigen zu machen — Segnungen, die allezeit zur Hand waren, von denen er aber ehedem durch die Mauer der Undankbarkeit abgeschnitten war. Wie der Soldat, der zum Klang der Musik marschiert, keine Müdigkeit verspürt, so kennt auch der dankbare Mensch keine Ermüdung, wenn er bei der Tagesarbeit mit den triumphierenden Tönen der Danksagung Schritt hält. Er weiß, daß er einem Gesetz untersteht, welches ihm unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, denn alles, was das unparteiische Gute zu geben hat, gibt es ihm. Er lernt einsehen, daß er es sich nur durch Gehorsam, Selbstlosigkeit und Dankbarkeit aneignen kann.
Jedermann weiß, daß der undankbare Mensch auch der freudlose, der dankbare Mensch auch der freudige ist. Wie kritisch und mürrisch ist doch der Undankbare! Er hat an allem und jedem etwas auszusetzen. Das Wetter ist nie ganz nach seinem Behagen, und nichts geschieht auf die richtige Art und Weise. Er betrachtet die Fehler andrer stets durch das Vergrößerungsglas der Selbstsucht. Wie ganz anders aber ist der dankbare Mensch! Gleich der Honigbiene findet er überall, wo er hingeht, etwas Süßes, in jedem Menschen, an jedem Tag; er sammelt Süßigkeit und verteilt sie durch freundliche Worte und Liebesdienste. Wie herrlich ist für ihn die Welt! Sein Antlitz leuchtet und seine Gegenwart ist ein Segen. Man fühlt sich erfrischt, wenn man ihm bloß begegnet, denn sein freundliches Wesen hebt einen sofort aus dem Tiefland der Gleichgültigkeit in das Hochland eines erhabenen Lebensbegriffs. Der mentale Druck, der auf Tausenden ruht, verschwindet unter dem Einfluß der Danksagung.
Der wissenschaftliche Christ läßt sich nicht dazu verleiten, Disharmonie, Krankheit, Armut und Tod auf Grund des materiellen Augenscheins wirklich zu nennen. Er glaubt, was er sagt, nämlich, daß Gott das allmächtige Gute ist. Daher weiß er auch, daß gerade da, wo diese Irrtümer sich breit zu machen scheinen, in Wirklichkeit Gesundheit, Harmonie, Überfluß und Leben herrschen. Er wandelt im Glauben, nicht im Schauen, und freut sich bei jedem Schritt. Er sagt nicht erst dann Dank, wenn der irrige Augenschein verschwunden ist; vielmehr dankt er so lange, bis der falsche Augenschein vor der unwiderstehlichen Macht der Wahrheit und Liebe gewichen ist, wie die Mauern von Jericho vor dem Triumphgeschrei derer fielen, die auf Gottes Seite standen.
Wer die Wissenschaft der Dankbarkeit versteht, sagt zu jeder Zeit und unter allen Umständen Dank. Eine Frau, die eine aufrichtige Schülerin der Christlichen Wissenschaft war, litt an Wassersucht, und da sie wegen ihres Unterhalts auf sich selber angewiesen war, schien die Lage verzweifelt. Über diese Erfahrung äußerte sie sich wie folgt: „Ich bekräftigte mehrere Tage hintereinander die Allheit Gottes und die Nichtsheit Seines Gegenteils auf zaghafte Weise. Erst wandte ich mich an Gott, und dann schaute ich auf den Körper. Endlich gingen mir die Augen auf. Ich rief mich bei meinem Namen und sagte: ‚An wie viele Mächte glaubst du?‘ ‚An eine.‘ ‚Ist diese eine Macht gut oder böse?‘ ‚Gut.‘ ‚Wo ist sie?‘ ‚Hier, bei dir.‘ Nun sah ich tatsächlich, daß, weil Gott, das Gute, allein gegenwärtig ist und Macht hat, das, was mir so wahr vorkam, in Wirklichkeit gar nicht existierte. Und ich rief laut: ‚Dieser Augenschein ist nicht wahr! Ach, wie froh bin ich!‘ Drei Tage lang sagte ich Dank. Jedesmal, wenn ich die unharmonische Erscheinung an meinem Körper sah, sagte ich fast im Tone des Singens: ‚Es ist nicht wahr! Wie bin ich so froh!‘ Während dieses Zustands der Dankbarkeit verschwand die ganze Krankheitserscheinung vom Körper.” Bewies diese gute Frau nicht die Heilkraft geistiger Danksagung?
Weder in der Bibel noch sonstwo finden wir einen Fall, wo jemand durch Undank oder Entmutigung Schwierigkeiten überwunden hätte; wohl aber enthält die Bibel zahlreiche Beispiele, wie es ja auch deren Tausende im Alltagsleben gibt, wo Menschen, wie jene Frau, von der wir sprachen, durch Danksagung, die von dem Bewußtsein der Allgegenwart der Liebe inspiriert war, von Kummer und Krankheit geheilt worden sind. Wer bald dankbar, bald undankbar ist, ist gleich einem Chamäleon, das je nach der Umgebung seine Farbe wechselt. Aber nicht also der wahrhaft Erweckte. Dieser bringt die Unwandelbarkeit Gottes zum Ausdruck. Er wird trotz allen gegenteiligen Augenscheins nicht den wahren Begriff des Menschen als Gottes Ebenbild verlieren. Weil er sich weigert, den Blick von der herrlichen Wirklichkeit der Dinge abzuwenden, ist er „allezeit fröhlich.”
Dankbarkeit ist eine der herrlichsten Eigenschaften, die der Mensch pflegen kann, denn sie bringt ihn in die beglückende Gemeinschaft mit Gott. Sie ist nicht passiv, sondern aktiv, sie ist positiv und wirkt heilend. Haben wir ein herrlicheres Beispiel dafür als das Verhalten Jesu am Grabe des Lazarus? Als alles um ihn her von Tod und Kummer zeugte, blickte er vertrauensvoll auf zum Leben und sagte: „Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast.” Er gab Dank, bevor die Demonstration stattgefunden hatte, und in diesem erhabenen Augenblick, wo Erwartung und Danksagung vereinigt waren, spiegelte er die göttliche Macht in solchem Grade wieder, daß selbst der Tod weichen mußte.
Welch herrliche Lehre gab doch der Meister der Menschheit für alle Zeiten! Wir wollen ihre heilige Bedeutung in uns aufnehmen; wir wollen, wenn Irrtum irgendwelcher Art uns entgegentritt, unsre Gedanken über den falschen Augenschein erheben, anstatt unsre Zeit mit Seufzen zu vergeuden; wir wollen an den ewigen Tatsachen des Lebens festhalten und beten: Vater, ich danke Dir, daß die unwiderstehliche Wahrheit über jeden Anspruch des Irrtums triumphiert.
Welch tiefer Sinn liegt für die Kranken in den Worten: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.” Wie herrlich! In dem Augenblick, wo wir die Türe unsres Denkens der Christus-Idee öffnen, durchflutet die Liebe, die uns allezeit umgibt, unser Bewußtsein mit Gesundheit und Freude. Wir tun wohl, sowohl über die mentalen Eigenschaften, die dem Sonnenschein der Liebe die Tür verschließen, als auch über diejenigen, die ihm die Tür öffnen, ernstlich nachzudenken. Hat je jemand die beglückende Nähe des Christus, der Wahrheit, verspürt, während er Gefühle des Undanks, des Stolzes, der Disharmonie, der Eigenliebe hegte? Nein. Wer sich solchen Gefühlen hingibt, lebt im Kerker der Unzufriedenheit, und die Tür ist fest verriegelt. Der Christus kann da nicht einkehren.
Wer daran zweifelt, daß Dankbarkeit und selbstlose Liebe fähig sind, die Tür des Bewußtseins zu öffnen und dem heilenden Licht Einlaß zu gewähren, versuche einmal einen ganzen Tag hindurch dankbar zu sein. Er erweise sich dankbar für jede ihm erzeigte Freundlichkeit, und vor allem für die stets gegenwärtige Liebe, die geduldig wartet, um von ihm aufgenommen zu werden. Dann frage er sich am Abend, ob durch eine solche Denkweise nicht die Tür geöffnet worden ist — ob er nicht die Nähe des Vater-Mutter Gottes verspürt hat, und ob Christus, die Wahrheit, nicht gekommen ist und mit ihm das Abendmahl gehalten hat. In Demut und Liebe wird er zugeben müssen, daß es so kam, denn er hat den lebenspendenden Einfluß der Danksagung verspürt und weiß nun, daß die Engel der Gesundheit und des Friedens in der Tat durch die offne Tür ins Bewußtsein dringen.
Lillo schrieb: „Wenn Dankbarkeit und offenes, wahres Lob für empfangene Wohltaten das Herz erfüllen, so sieht der gnädige Himmel in diesem Bekenntnis ein Weihrauchopfer und verdoppelt alle Segnungen.” Die Schönheit eines vom Abendrot erleuchteten Himmels ist nichts im Vergleich zu dem Glanz, welcher das Bewußtsein dessen erfüllt, der allezeit dankbar ist. Für einen solchen Menschen gibt es keine ungünstige Umgebung, keine schwierige Verhältnisse, keine Bürden, denn auf dem Weg der Dankbarkeit erreicht er den stets gegenwärtigen Himmel. Welch erhabenes Dankgefühl erfüllt doch unsre Herzen, wenn wir über den wahren Sinn der Bibelworte nachdenken: „Der Herr, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland; er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein und vergeben und wird über dir mit Schall fröhlich sein.”
Erwache zur Hoffnung, o müdes Herz, denn der allgegenwärtige, all-liebende Vater freut sich Seiner Schöpfung „mit Schall,” mit Gesang. Erwidern wir, die Söhne und Töchter eines sich freuenden Gottes, Seinen wundervollen Gesang der Erlösung mit Freude und Dankbarkeit? Wie ein Vogel dem andern antwortet, so können auch wir dem Gesang der unendlichen Liebe mit unserm Gesang der Danksagung antworten. Das wachsame, willige und von Liebe erfüllte Bewußtsein vernimmt die herrliche Symphonie des Geistes und stimmt ein in den Gesang des höchsten Lobes.
Wer nicht vorwärts strebt, dem ist es nicht ernst mit sich selber.—
